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BFH-Urteil vom 13.3.1987 (III R 236/83) BStBl. 1987 II S. 664

1. Die Anordnung einer Außenprüfung ist auch nach einer endgültigen, vorbehaltlosen Steuerfestsetzung zulässig (Anschluß an BFH-Urteile vom 28. März 1985 IV R 224/83, BFHE 143, 400, BStBl II 1985, 700, und vom 23. Juli 1985 VIII R 197/84, BFHE 144, 9, BStBl II 1986, 36).

2. Eine auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestützte Prüfungsanordnung muß in der Begründung erkennen lassen, warum die für die Besteuerung maßgeblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und warum eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435). Der Hinweis, daß bei zusammenveranlagten Eheleuten mit einer Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse des einen Ehegatten zweckmäßigerweise auch die Prüfung der steuerlichen Verhältnisse des anderen Ehegatten verbunden werde, genügt diesen Anforderungen nicht.

AO 1977 § 193 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, §§ 164, 165.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger (Ehemann) bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen sowie Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin (Ehefrau) bezieht Einkünfte aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen.

Am 2. Januar 1981 ordnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) in einer an beide Ehegatten gerichteten Verfügung eine Außenprüfung für die Jahre 1977 bis 1979 an. Zur Begründung der Prüfungsanordnung verwies das FA auf die §§ 193 ff. der Abgabenordnung (AO 1977). Die Prüfung sollte sich auf die Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer der Jahre 1977 bis 1979 sowie auf die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens und die Vermögensteuer zu den Stichtagen 1. Januar 1977 bis 1. Januar 1980 erstrecken. Für den Prüfungszeitraum waren die Steuern für das Jahr 1977 ohne Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt worden, während die Festsetzungen für die Jahre 1978 und 1979 noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen.

Gegen die Prüfungsanordnung legten die Kläger Beschwerde ein, um eine Aufhebung der Prüfungsanordnung zu erreichen, soweit sie sich auf die nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzten Steuern für das Jahr 1977 bezieht. Die Beschwerde war erfolglos. In der Beschwerdeentscheidung führte die Oberfinanzdirektion (OFD) aus, daß die gegenüber der Klägerin angeordnete Betriebsprüfung gemäß § 193 Abs. 1 AO 1977 zulässig sei, weil die Klägerin einen gewerblichen Betrieb unterhalte. Die Zulässigkeit der Mitprüfung der steuerlichen Verhältnisse des Ehemanns ergebe sich aus § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977. Wegen der Zusammenveranlagung mit der Klägerin müsse mit der Prüfung bei der Klägerin zweckmäßigerweise auch die vollständige und abschließende Prüfung der steuerlichen Verhältnisse des Ehemanns verbunden werden.

Mit der Klage machten die Kläger geltend, daß das Jahr 1977 wegen der vorbehaltlosen Steuerfestsetzung nicht in die Betriebsprüfung einbezogen werden dürfe.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es vertrat die Auffassung, die vorbehaltlose Steuerfestsetzung lasse nur dann noch die rechtmäßige Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 AO 1977 zu, wenn nachträglich Umstände bekanntgeworden seien, die nicht bereits Gegenstand der abschließenden Prüfung gewesen seien bzw. hätten sein können und müssen. Da das FA im Rahmen der von ihm zu treffenden Ermessensentscheidung nicht dargelegt habe, aus welchen Gründen trotz des fehlenden Vorbehalts die Steuern des Kalenderjahres 1977 in die Außenprüfung einbezogen werden sollten, sei die Prüfungsanordnung aufzuheben.

Dagegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Revision.

Das FA beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie machen zusätzlich geltend, daß der Anordnung der Außenprüfung beim Kläger auch die nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 erforderliche Begründung fehle.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist teilweise begründet, und zwar insoweit, als sie eine Abweisung der Klage der Klägerin erreichen will. Sie ist unbegründet, soweit auch die Klage des Klägers abgewiesen werden soll.

1. Bei der gegen die Kläger als zusammenveranlagte Eheleute gerichteten Prüfungsanordnung handelt es sich um zwei Verwaltungsakte, die lediglich in einer Verfügung zusammengefaßt sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208). Die Zusammenveranlagung führt nämlich nicht dazu, daß die Eheleute als steuerliche Einheit zu behandeln sind. Bei zusammenveranlagten Ehegatten ist die Betriebsprüfung vielmehr nur gegen den Ehegatten zulässig, in dessen Person die Voraussetzungen für die Durchführung der Betriebsprüfung vorliegen (Urteile des BFH vom 25. Mai 1976 VII R 59/75, BFHE 119, 34, BStBl II 1977, 18, und in BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208). Die Zulässigkeit der Betriebsprüfungsanordnung ist daher nach den Verhältnissen des jeweils betroffenen Ehegatten zu beurteilen.

2. Die Anordnung der Außenprüfung für das Jahr 1977 bei der Klägerin ist rechtmäßig, so daß die Klage der Klägerin abzuweisen ist.

a) Das FA durfte das Jahr 1977 trotz der für dieses Jahr vorgenommenen vorbehaltlosen Steuerfestsetzung in die Außenprüfung einbeziehen. Der IV. Senat des BFH hat durch Urteil vom 28. März 1985 IV R 224/83 (BFHE 143, 400, BStBl II 1985, 700) unter eingehender Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Meinungen im Schrifttum entschieden, daß eine Außenprüfung auch nach einer endgültigen vorbehaltlosen Steuerfestsetzung angeordnet werden kann. Mit Urteil vom 23. Juli 1985 VIII R 197/84 (BFHE 144, 9, BStBl II 1986, 36) hat sich der VIII. Senat des BFH dieser Auffassung angeschlossen. Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Die Auffassung des FG, daß nach einer endgültigen und vorbehaltlosen Steuerfestsetzung eine Außenprüfung nur noch zulässig sei, wenn nachträglich neue Umstände bekanntgeworden sind, die nicht bereits Gegenstand der abschließenden Prüfung waren oder hätten sein können, findet im Gesetz keine Stütze.

aa) Die §§ 193 ff. AO 1977, nach denen die Zulässigkeit der Außenprüfung allein zu beurteilen ist, enthalten eine derartige Einschränkung nicht.

bb) Eine solche Einschränkung läßt sich auch nicht aus dem Zusammenhang der §§ 193 ff. AO 1977 mit den §§ 164 oder 165 AO 1977 herleiten. Die §§ 164 und 165 AO 1977 erleichtern den Steuerbehörden im Interesse einer Beschleunigung des Veranlagungsverfahrens die Aufhebung oder Änderung von unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden oder vorläufigen Steuerbescheiden, wogegen endgültige Steuerfestsetzungen nur unter den Voraussetzungen des § 173 AO 1977 bei Bekanntwerden neuer Tatsachen und Beweismittel geändert werden können. Insoweit wird bei endgültigen Steuerfestsetzungen zwar ein Vertrauenstatbestand geschaffen. Die Änderungsmöglichkeit nach § 173 AO 1977 besteht aber unabhängig davon, ob die Steuerbehörden die Kenntnis der neuen Tatsachen oder Beweismittel durch eigene nachträgliche Ermittlungen oder in sonstiger Weise erlangen. Aus der Vorschrift ergibt sich daher nicht, daß die Steuerbehörden überhaupt keine Ermittlungen mehr vornehmen dürfen. Die Regelungen über die Ermittlung des steuerlichen Sachverhalts (vgl. §§ 88, 90 AO 1977), zu denen auch die §§ 193 ff. AO 1977 gehören, stehen vielmehr selbständig neben den Regelungen der §§ 164 und 165 AO 1977 über die verschiedenen Arten der Steuerfestsetzung. Eine Verknüpfung gibt es in § 164 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 lediglich dadurch, daß ein Nachprüfungsvorbehalt nach einer Außenprüfung auch dann aufzuheben ist, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben. Daß nach einer endgültigen Steuerfestsetzung eine Außenprüfung nicht stattfinden könne, läßt sich daraus nicht herleiten.

b) Gegenüber der Klägerin ist die Prüfungsanordnung vom FA auch ausreichend begründet worden. Insofern bringen die Kläger keine Rügen vor.

Die gemäß § 196 AO 1977 schriftlich zu erteilende Prüfungsanordnung ist ein Verwaltungsakt (§ 118 AO 1977). Sie bedarf daher nach § 121 Abs. 1 AO 1977 einer Begründung, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist. Die Anforderungen an die Begründung hat der BFH für die Fälle des § 193 Abs. 1 AO 1977 und die des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 unterschiedlich beurteilt.

Nach § 193 Abs. 1 AO 1977 ist die Außenprüfung u. a. bei Steuerpflichtigen zulässig, die einen Gewerbebetrieb unterhalten. Hierunter fällt die Klägerin, die u. a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb bezieht.

Von weiteren Voraussetzungen als der Unterhaltung des Gewerbebetriebs hängt die Prüfungsanordnung nicht ab (Urteil in BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208). Zum Verständnis der Prüfungsanordnung genügt es demgemäß in diesen Fällen, wenn das FA auf § 193 Abs. 1 AO 1977 Bezug nimmt (BFH-Urteile vom 10. Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286; vom 28. April 1983 IV R 255/82, BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621; vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 196 AO 1977 Tz. 4, m. w. N.). Ausreichend ist dabei die uneingeschränkte Bezugnahme auf § 193 AO 1977, da sich für einen Gewerbetreibenden bei Durchsicht dieser Bestimmung ohne weiteres ergibt, daß für ihn nur eine Prüfung aufgrund des Abs. 1 der Bestimmung in Betracht kommen kann (Urteil in BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621). Die angefochtene Prüfungsanordnung enthält eine solche Bezugnahme.

3. Dagegen ist die Anordnung der Außenprüfung für das Jahr 1977 beim Kläger rechtsfehlerhaft. Insoweit hat das FG im Ergebnis der Klage zu Recht stattgegeben. Allerdings sind dafür andere Gründe maßgebend, als sie vom FG angenommen worden sind.

a) Das FA durfte aus den oben genannten Gründen auch beim Kläger das Jahr 1977 trotz der vorbehaltlosen Steuerfestsetzung in die Außenprüfung einbeziehen.

b) Die Prüfungsanordnung enthält jedoch keine ausreichende Begründung, soweit sie den Kläger betrifft. Beim Kläger, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung bezieht, kommt als Rechtsgrundlage für die Außenprüfung nur § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 in Betracht. Danach ist eine Außenprüfung nur zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist.

Da hier anders als in den Fällen des § 193 Abs. 1 AO 1977 eine Betriebsprüfung nicht ohne weiteres zulässig ist, genügt der bloße Hinweis in der Prüfungsanordnung auf die §§ 193 ff. AO 1977 als Begründung für die Außenprüfung beim Kläger nicht. Aus der Begründung einer Prüfungsanordnung, die sich auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 stützt, muß sich vielmehr ergeben, daß die Voraussetzungen dieser Bestimmung vorliegen. Das hat der BFH mit Urteil in BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435 ausdrücklich klargestellt, nachdem er bereits in den Urteilen in BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208, und in BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621 auf die unterschiedliche Rechtslage bei Abs. 1 und bei Abs. 2 Nr. 2 des § 193 AO 1977 hingewiesen hatte (ebenso Tipke/Kruse, a. a. O., § 196 AO 1977 Tz. 4; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 196 AO 1977 Anm. 3). Die Begründung muß danach ergeben, daß die für die Besteuerung maßgeblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen. Ein solches Bedürfnis ist anzunehmen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Steuerpflichtige seine Steuererklärungen nicht, unvollständig oder mit unrichtigem Inhalt abgegeben hat. Darüber hinaus muß die Begründung auch erkennen lassen, warum eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist. Das FA muß dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten und deshalb in der Begründung darlegen, daß die erforderliche Aufklärung nicht wie in vergleichbaren Fällen mit Maßnahmen der Einzelaufklärung erreicht werden kann (Urteil in BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435).

Die angefochtene Prüfungsanordnung enthält keine dieser von § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 geforderten Angaben.

Der hierin liegende Mangel hätte gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 allerdings dadurch geheilt werden können, daß die entsprechenden Angaben in der Beschwerdeentscheidung nachgeholt worden wären (Urteile in BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208, und in BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435). Die Beschwerdeentscheidung enthält dazu aber außer der ausdrücklichen Bezugnahme auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 nur den Hinweis, daß mit einer vollständigen und abschließenden Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse der Ehefrau zweckmäßigerweise bei Zusammenveranlagung auch die vollständige und abschließende Prüfung der steuerlichen Verhältnisse des Ehemanns verbunden werde. Dieser Hinweis kann den genannten Anforderungen in der Begründung nicht gerecht werden. Soweit es die Zweckmäßigkeit einer Außenprüfung angeht, muß außer Betracht bleiben, daß bei dem anderen Ehegatten eine Außenprüfung durchgeführt wird, weil die Voraussetzungen für die Durchführung der Außenprüfung bei jedem Ehegatten gesondert vorliegen müssen.