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BFH-Urteil vom 3.6.1987 (III R 141/86) BStBl. 1987 II S. 779

Aufwendungen für eine Aussteuer sind grundsätzlich auch dann nicht aus sittlichen Gründen zwangsläufige außergewöhnliche Belastungen für die steuerpflichtigen Eltern, wenn diese ihrer Tochter keine Berufsausbildung gewähren (Änderung der Rechtsprechung).

EStG § 33 Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der mit seiner Ehefrau im Streitjahr 1979 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurde, beantragte für den Veranlagungszeitraum 1979 u.a. den Abzug von Aufwendungen in Höhe von 10.000 DM für die Aussteuer seiner volljährigen Tochter. Diese hatte 1978 ihre Schulausbildung an einer Realschule beendet, im gleichen Jahr geheiratet und ein Kind geboren. Bei den geltend gemachten Aufwendungen handelt es sich um Anschaffungskosten für Möbel und Hausrat, die erst im Streitjahr 1979 angefallen sind, nachdem die Tochter und ihr Ehemann eine Wohnung bezogen hatten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug dieser Aufwendungen und begründete dies damit, daß die in Abschn. 188 Abs. 8 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1972 vorgesehene Wertgrenze überschritten sei. Das durchschnittliche zu versteuernde Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau habe in den letzten fünf Jahren vor der Eheschließung der Tochter stets den jährlichen Durchschnittsbetrag von 25.000 DM überstiegen, so daß davon auszugehen sei, daß die Eltern für die Beschaffung einer Aussteuer ausreichende Rücklagen hätten bilden können.

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die Aufwendungen seien aus sittlichen Gründen zwangsläufig. Die Einkommensverhältnisse des Klägers hätten es nicht gestattet, die Aufwendungen aus vorhandenem Vermögen oder Einkommen zu bestreiten; die dazu in den EStR vorgesehenen Einkommensgrenzen seien für das Streitjahr zu verdoppeln, damit den gestiegenen Lebenshaltungskosten Rechnung getragen werde. Von einer solchen Verdoppelung gegenüber den Veranlagungszeiträumen vor 1975 gehe auch Abschn. 190 Abs. 2 EStR aus.

Dagegen richtet sich die auf Beschwerde durch den Bundesfinanzhof (BFH) zugelassene Revision, mit der das FA die Verletzung materiellen Rechts rügt. Es trägt vor, die angefochtene Entscheidung berühre das einkommensteuerrechtliche Nominalwertprinzip, wonach nur in Ausnahmefällen der Geldentwertung Rechnung zu tragen sei; die Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten obliege dem Gesetzgeber, nicht aber einem FG.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Voraussetzungen des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien im Streitfall erfüllt; das zusätzliche Erfordernis geringen Einkommens der Eltern sei durch den Gesetzestext nicht gedeckt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger weder aus rechtlichen Gründen noch aufgrund einer tatsächlichen Zwangslage verpflichtet war, seiner Tochter eine Aussteuer zu gewähren. Daß die streitigen Zuwendungen aus tatsächlichen Gründen geboten waren, hat der Kläger selbst nicht geltend gemacht; im Streitfall liegen dafür auch keine Anhaltspunkte vor. Nachdem die §§ 1.620 bis 1.623 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 - GleichberG - (BGBl I 1957, 609) mit Wirkung vom 1. Juli 1958 ersatzlos gestrichen worden sind, können Töchter einen Rechtsanspruch auf Gewährung einer Aussteuer auch nicht in Ausnahmefällen aus § 1.610 Abs. 2 BGB herleiten (vgl. Staudinger/ Gotthardt, Bürgerliches Gesetzbuch, IV Familienrecht, Teil 3a, Vorbemerkung 3a, b zu § 1.624). Die früher dazu vertretene Gegenmeinung (vgl. Bosch, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ - 1957, 189, 194; 1958, 289, 292; Donau, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1957, 709; Paulick, FamRZ 1958, 1) widersprach der Absicht des Gesetzgebers (BT-Drucks 2/224 S. 56); ihr ist auch der BFH nicht gefolgt, sondern hat nach Abschaffung des Aussteueranspruchs für den Ausnahmefall, daß die Eltern ihre Ausbildungsverpflichtung nicht oder nicht in angemessener Weise erfüllen, nur eine sittliche Pflicht zur Gewährung einer Aussteuer anerkannt, die auch die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG begründen konnte (zuletzt Urteil vom 29. Juni 1978 VI R 148/76, BFHE 125, 269, BStBl II 1978, 543, m. w. N.).

3. a) Die Auffassung des FG, diese zuletzt von den Verhältnissen des Jahres 1973 ausgehende Rechtsprechung des VI. Senats sei auch im Streitfall anzuwenden, hält einer Nachprüfung nicht stand. Obwohl die Tochter bis zu ihrer Eheschließung lediglich den Realschulabschluß erreicht hatte, war der Kläger im Streitjahr 1979 auch nicht aus sittlichen Gründen verpflichtet, ihr eine Aussteuer zu gewähren.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG begründende sittliche Pflicht nur dann zu bejahen, wenn diese so unabdingbar auftritt, daß sie ähnlich einer Rechtspflicht von außen her als eine Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft derart auf den Steuerpflichtigen einwirkt, daß ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet und die Mißachtung dieser Erwartung als moralisch anstößig empfunden wird (Urteile vom 27. Februar 1987 III R 209/81, BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432, und vom 13. März 1987 III R 301/84, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495).

b) Eine sittliche Verpflichtung in diesem Sinne wurde von der herrschenden Sittenordnung zu Recht zu einer Zeit angenommen, als Frauen weder die gleichen Ausbildungs- und Berufschancen wie Männer hatten noch für den Fall ihres zeitweiligen Ausscheidens aus dem Beruf infolge Schwangerschaft finanziell sowie arbeits- und sozialrechtlich in einer Weise abgesichert waren, wie dies der in den Jahren 1968 und 1979 entscheidend verbesserte Mutterschutz gewährleistet (vgl. Mutterschutzgesetz i.d.F. vom 18. April 1968 - MuschG -, BGBl I, 315). Zwar mag es für einige Familien, in denen Söhne und Töchter vorhanden sind, immer noch gelten, daß die Söhne die günstigere Berufswahl treffen; das Vorurteil, daß Söhne eine bessere Ausbildung als Töchter haben sollten, ist jedoch kein Beleg dafür, daß nach herrschender Sittenordnung den Töchtern gegenüber eine auf Gewährung einer Aussteuer gerichtete Ausgleichspflicht bestünde.

Schon bei Schaffung des GleichberG bestanden Zweifel, ob eine Sittenpflicht zur Aussteuergewährung noch bejaht werden konnte; diese gründeten sich nicht so sehr auf das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), sondern auf die Erkenntnis, daß sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse entscheidend geändert hatten (vgl. BT-Drucks 2/224 S. 56). Entgegen der Rechtsprechung des VI. Senats sprechen daher nach Auffassung des erkennenden Senats durchaus überzeugende Gründe für die Erwägung, der Gesetzgeber habe bereits 1957 mit der ersatzlosen Streichung des gesetzlichen Aussteueranspruchs in Einklang mit der damals herrschenden Sittenordnung behandelt. Einer Entscheidung dieser Frage bedurfte es im Streitfall jedoch nicht, weil der Aussteueranspruch jedenfalls im Streitjahr 1979 auch in der Lebenswirklichkeit durch umfängliche, die Eltern oft bis an die Grenzen des Zumutbaren belastende Ausbildungsunterhaltsansprüche von Söhnen wie von Töchtern gleichermaßen ersetzt worden ist, die für die Annahme einer sittlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Aussteuer keinen Raum mehr lassen (Wenz in Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs, 12. Aufl., 1986, 56. Lieferung, §§ 1621 bis 1623 Anm. 2). Danach besteht kein sittliches Gebot zur Aussteuerung einer Tochter, dessen Erfüllung von der Mehrzahl aller billig und gerecht Denkenden als selbstverständliche Handlung erwartet würde und dessen Nichtbeachtung den Kläger gesellschaftlicher Mißbilligung ausgesetzt hätte.

Dem steht nicht entgegen, daß auch heute noch Eltern ihren Kindern anläßlich der Eheschließung im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten Zuschüsse zum Erwerb einer Wohnungseinrichtung oder gar einer Eigentumswohnung geben. Derartige Zuwendungen werden indessen Söhnen wie Töchtern gleichermaßen und unabhängig von der Erfüllung gesetzlicher Unterhalts- und Ausbildungsansprüchen gewährt. Zuwendungsanlaß ist dann nicht die früher notwendige Begründung einer selbständigen Lebensstellung für die Tochter als Ehefrau, sondern die Absicht, den Eheleuten gemeinsam den Start zu erleichtern. Derartige Zuwendungen beruhen nicht auf einer die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG begründenden sittlichen Verpflichtung, sondern auf einer mit der Familiengemeinschaft verbundenen sittlichen Idee (vgl. Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 3. Aufl., 1980 S. 700).

Die vom erkennenden Senat im Streitfall vertretene Auffassung hat nicht zur Folge, daß Aussteueraufwendungen schlechthin vom Abzug als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen wären. Es ist vielmehr denkbar, daß in besonderen Ausnahmefällen Aufwendungen für die Aussteuer von Töchtern auch künftig aus sittlichen oder/und tatsächlichen Gründen abziehbar sind. Ein solcher besonders gelagerter Sachverhalt liegt jedoch im Streitfall nicht vor.

4. Da das FG den Begriff der sittlichen Verpflichtung verkannt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben, ohne daß es einer Entscheidung der Frage bedarf, ob die nach Abschn. 188 Abs. 8 EStR 1972 für die Zumutbarkeit der Rücklagenbildung maßgebende Einkommensgrenze im Streitjahr den gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen ist. Die Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen.