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BFH-Urteil vom 27.5.1987 (X R 25/80) BStBl. 1987 II S. 791

Das Merkmal "gemeinnützige Zwecke" i. S. des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 i. V. m. §§ 17 bis 19 StAnpG umfaßt nicht ohne weiteres auch die Fälle der Gemeinnützigkeit nach § 1 Abs. 2 WGG.

UStG 1973 § 12 Abs. 2 Nr. 8; WGG § 1 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1981, 54)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist auf Grund des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) vom 29. Februar 1940 (RGBl I 1940, 438) als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen anerkannt.

Mit Bescheid vom 20. Februar 1978 für 1975 unterwarf das damals zuständige Finanzamt (FA) im Jahre 1975 erhobene Umlagen von anteiligen Hausmeisterkosten (brutto 290.716,64 DM) für von ihr bebaute und verwaltete Wohnobjekte der Umsatzsteuer, und zwar zum Regelsteuersatz. Die Klägerin ist der Auffassung, § 12 Abs. 2 Nr. 8 des Umsatzsteuergesetzes 1973 (UStG 1973) sei auch auf Leistungen der nach den §§ 16 ff. WGG als gemeinnützig anerkannten Wohnungsunternehmen anwendbar. Weder diese Vorschrift noch der von ihr mittels Klammerzusatzes in Bezug genommene § 17 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - (= § 52 der Abgabenordnung - AO 1977 -) rechtfertigten ihrem Wortlaut nach eine Beschränkung der Vergünstigung auf Körperschaften, über deren Gemeinnützigkeit allein die Finanzverwaltung in eigener Zuständigkeit entscheide.

Das Finanzgericht (FG) hat der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage stattgegeben. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 54.

Mit der Revision rügt der Beklagte und Revisionskläger (FA) unzutreffende Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 und trägt vor:

Zu Unrecht gehe das FG davon aus, daß der Begriff des gemeinnützigen Zweckes in §§ 17 bis 19 StAnpG einerseits und in § 1 Abs. 2 WGG andererseits ein einheitlicher sei. Der Begriff des "gemeinnützigen Zwecks" i. S. der §§ 17 bis 19 StAnpG werde durch die Gemeinnützigkeitsverordnung (GemV) vom 24. Dezember 1953 (BGBl I 1953, 1592, BStBl I 1954, 6) erläutert. Die Wohnungsgemeinnützigkeit nach dem WGG sei in dieser Verordnung nicht erwähnt. Das WGG enthalte eine von §§ 17 bis 19 StAnpG abweichende Sonderregelung. Wenn der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, alle gemeinnützigen Tätigkeiten umsatzsteuerrechtlich zu begünstigen, hätte er sonstige gemeinnützige Zwecke ausdrücklich in § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 erwähnen müssen. Folge man der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung, sei eine Steuerbegünstigung möglich, obwohl § 9 WGG in Widerspruch zu § 17 Abs. 1 StAnpG i. V. m. § 4 Abs. 2 Nr. 1 GemV stehe. Es sei sachlich gerechtfertigt, gemeinnützigen Wohnungsunternehmen den ermäßigten Steuersatz des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 zu versagen, da das Gemeinnützigkeitsrecht des WGG den Begriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nicht kenne. Die Auffassung des FG führe dazu, daß gemeinnützige Wohnungsunternehmen hinsichtlich zahlreicher Nebentätigkeiten gegenüber freien Wohnungsunternehmen in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise privilegiert würden.

Das FA beantragt, das Urteil des FG Hamburg vom 20. August 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Klammerzusatz des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 verweise auf den durch die Fiktion des § 1 Abs. 2 WGG erweiterten Begriff der Gemeinnützigkeit. § 17 Abs. 3 StAnpG stelle durch das Wort "insbesondere" klar, daß es sich hier nicht um eine abschließende Regelung handele. Das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht sei ein Teil des allgemeinen Gemeinnützigkeitsrechts. Ein Unterschied sei lediglich darin zu sehen, daß die Anerkennung nach dem WGG konstitutive Bedeutung habe. Auch gebe es keine sachliche Rechtfertigung dafür, die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen aus dem Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 auszunehmen. Etwas anderes ergebe sich entgegen der Auffassung des FA auch nicht aus den Materialien zum UStG 1967.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Zu Unrecht hat das FG die Anwendbarkeit des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 allein aus dem Grunde bejaht, daß die Klägerin ein nach den Vorschriften des WGG anerkanntes Wohnungsunternehmen ist.

1. § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 umfaßt Wohnungsunternehmen nur dann, wenn sie zusätzlich die Voraussetzungen der §§ 17 bis 19 StAnpG erfüllen. Ob dies im Streitfall zutrifft, kann der erkennende Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 ermäßigt sich die Steuer auf fünfeinhalb vom Hundert für "die Leistungen der Körperschaften ..., die gemeinnützigen ... Zwecken dienen (§§ 17 bis 19 StAnpG). Das gilt nicht für die Leistungen, die im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes ausgeführt werden". Diese Vorschrift ist durch Art. 17 Nr. 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694) in der Weise geändert worden, daß ihr Klammerzusatz nunmehr - hinsichtlich der hier einschlägigen Tatbestandsmerkmale der Ausschließlichkeit und Selbstlosigkeit im wesentlichen inhaltsgleich - auf §§ 51 bis 68 AO 1977 verweist.

Nach § 1 Abs. 2 WGG gelten Wohnungsunternehmen, die auf Grund dieses Gesetzes als gemeinnützig anerkannt sind, "als Unternehmen, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienen und deren wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb über den Rahmen einer Vermögensverwaltung nicht hinausgeht".

Das Verhältnis von § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 und § 1 Abs. 2 WGG wird von Finanzverwaltung und Schrifttum nicht einheitlich beurteilt.

a) Im Anschluß an den Erlaß des Reichsministers der Finanzen (RdF) vom 26. Oktober 1940 S 2512-280 III (RStBl 1940, 937) hatte der Gemeinsame Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) und der Finanzminister (Finanzsenatoren) der Länder vom 21. März 1958 - Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen S 2512 a - 1335/VA - 2 (BStBl II 1958, 72, dort Abschn. 2 Abs. 3) - die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für die Anerkennung als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen und die Einzelheiten des Anerkennungsverfahrens seien im WGG und in der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (WGGDV) vom 23. Juli 1940 (RGBl I 1940, 1012, RStBl 1940, 685) geregelt; dadurch sei sichergestellt, daß die Anerkennung als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen für alle Steuerarten, bei denen für gemeinnützige Wohnungsunternehmen Steuerbefreiungen oder sonstige steuerrechtliche Vergünstigungen vorgesehen seien, gleichmäßig wirksam sei. Auf Grund des Ergebnisses der Besprechung mit den Umsatzsteuerreferenten der Länder vom 9. bis 11. Oktober 1972 (Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1973, 69) vertritt der BMF nunmehr die Auffassung, daß der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 für die Leistungen der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen nicht in Betracht komme; eine andere Auffassung widerspreche "dem Wortlaut und Zweck der genannten Vorschrift", weil sich die Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Wohnungsunternehmen nicht nach § 17 StAnpG in Verbindung mit der GemV, sondern nach dem WGG bestimme (vgl. ferner BMF-Schreiben vom 31. März 1982 IV A 1 - S 7242 - 4/82, UR 1982, 109; Abschn. 170 Abs. 2 Satz 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1985; zur gleichgelagerten Problematik hinsichtlich des Steuersatzes für die Leistungen der auf Grund des Reichssiedlungsgesetzes anerkannten gemeinnützigen Siedlungsunternehmen vgl. nunmehr - entgegen Abschn. 170 Abs. 2 Satz 1 UStR 1985 - Schreiben des BMF vom 4. August 1986 IV A 2 - S 7242 - 16/86, Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst - DStZ/E - 1986, 252).

b) Die Meinungen im Schrifttum sind geteilt. Wie der BMF äußern sich Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 10. Aufl., § 12 Abs. 2 Nr. 8 Tz. 1304; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 6. Aufl., § 12 Abs. 2 Nr. 8 Tz. 74; Peter, Umsatzsteuer 1980, Kommentar, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Tz. 52; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 5 KStG Anm. 322 a. E., und Strobel, Betriebs-Berater - BB - 1982, 1001, 1005, 1007. Eine andere Ansicht vertreten Wenzel in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Anm. 10 und 50; Vogel/Reinisch/Hoffmann, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Tz. 227; Knauerhase/Schäfer/Gabriel, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 12 Anm. 19 S. 187; Thies, Wohnungsgemeinnützigkeit - Rechtsprobleme der Anerkennung, Vermögensbindung und Entziehung, 1986, Tz. 147.

2. Die neuere Auffassung des BMF enthält eine zutreffende Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973. Der Wortlaut der Vorschrift beschränkt sich nicht darauf, den allgemeinen und umfassenden Begriff "gemeinnützig" zu verwenden. Der Klammerzusatz dieser Vorschrift verweist vielmehr nur auf die Tatbestandsvoraussetzungen der abgabenrechtlichen Gemeinnützigkeit. Der Regelungsbereich der §§ 17 bis 19 StAnpG (= §§ 51 bis 68 AO 1977) wird zwar in materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht ergänzt durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht. Durch den Klammerzusatz des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 ist dieses Sonderrecht nicht in der Weise in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbezogen worden, daß Wohnungsunternehmen, die auf Grund des WGG als gemeinnützig anerkannt sind, stets als Unternehmen zu gelten hätten, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienen.

3. Das WGG bildet in materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht ein Sonderrecht der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft (vgl. Hans-Peter Ipsen, Rechtsfragen der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen, in: Hamburger Jahrbücher für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, Bd. 23 (1978), S. 121 ff., 125 f.; Jenkis, Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft zwischen Markt und Sozialbindung, 1985, Bd. I, S. 159 ff.).

a) Das allgemeine und das wohnungswirtschaftliche Gemeinnützigkeitsrecht haben denselben historischen Ursprung. Die "Förderung des Kleinwohnungsbaus für Minderbemittelte" ist seit jeher als "gemeinnützige Bautätigkeit" dem Kernbereich der gemeinnützigen Tätigkeit zugerechnet worden. Der Entwurf eines Gesetzes über die Gemeinnützigkeit von Wohnungsunternehmen (Reichsrats-Drucksache Tagung 1929 Nr. 124, S. 5) bemerkt hierzu:

"Den Nutzen der Allgemeinheit zu fördern ist in erster Linie Aufgabe der öffentlichen Hand, des Staates und der Gemeinden. Daneben finden sich Einrichtungen in Formen des öffentlichen und des privaten Rechts, die neben oder an Stelle der öffentlichen Hand im Interesse der Allgemeinheit öffentliche Aufgaben durchführen. Insbesondere erledigen sie dabei besonders wichtige Aufgaben der Wirtschaft; sie ersparen dabei die Gewinne, die sonst in der Wirtschaft zu Gunsten einzelner Wirtschaftsträger entstehen. Diese Gewinnersparnis dient der Wohlfahrt der breiten Masse, entspricht deshalb dem öffentlichen Interesse. Die Tätigkeit dieser Einrichtungen erübrigt außerdem vielfach öffentliche Aufwendungen an Arbeit, Kosten und Verantwortung. In Anerkennung dieses Umstandes werden sie daher von der Öffentlichkeit auf den verschiedensten Gebieten begünstigt. Eine besonders hervorragende Stelle nehmen unter diesen Einrichtungen diejenigen ein, die sich mit der Beschaffung von Wohnungen für die breiten Kreise der Bevölkerung befassen."

Der genannte Entwurf ist Gesetz geworden durch die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1. Dezember 1930 (RGBl I 1930, 517, 593: Siebenter Teil, Kapitel III, Gemeinnützigkeit von Wohnungsunternehmen - GemV 1930 -). Die GemV 1930 wurde abgelöst durch das WGG und die auf dieser Ermächtigungsgrundlage ergangene WGGDV. Durch diese Kodifikationen wurden die traditionellen Definitionsmerkmale der Wohnungsgemeinnützigkeit wie auch "bewährter Vorschriften des geltenden Rechts, insbesondere des Steuerrechts" (Reichsrats-Drucksache Tagung 1929 Nr. 124, S. 11) als Anerkennungsvoraussetzungen nach dem WGG übernommen.

b) Bereits die Verwendung der Fiktion in § 1 Abs. 2 WGG legt die Annahme nahe, daß sich "Gemeinnützigkeit im abgabenrechtlichen Sinne" (vgl. BMF-Schreiben vom 4. August 1986, a. a. O.) und "Gemeinnützigkeit im wohnungswirtschaftlichen Sinne" voneinander unterscheiden. Ein wesentlicher Unterschied ist zunächst darin zu sehen, daß nach Abgabenrecht Mitglieder oder Gesellschafter keine Gewinnanteile und in dieser Eigenschaft auch keine sonstigen Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten dürfen (§ 19 a StAnpG, § 4 Abs. 2 Nr. 1 GemV, § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 AO 1977), während nach § 9 WGG die Mitglieder oder Gesellschafter des Wohnungsunternehmens satzungsgemäß und tatsächlich am Reingewinn in Höhe eines Vomhundertsatzes ihrer Kapitaleinlagen teilnehmen dürfen. Die satzungsmäßig vorgesehene Möglichkeit einer auf 4 bzw. 5 v. H. des eingezahlten Kapitals begrenzten Gewinnausschüttung war bereits nach früherem Recht für die Begünstigung ausschließlich gemeinnützig tätiger Gesellschaften unschädlich (z. B. § 32 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz - UStDB - 1926 vom 15. Juni 1926, RGBl I 1926, 323, zu § 3 Nr. 3 UStG 1926; ausführlich hierzu Reichsrats-Drucksache Tagung 1929 Nr. 124, S. 8 bis 10, 13; Kraft, Steuerrechtliche Gemeinnützigkeit, Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht, 6. Jahrgang (1932), S. 315, 316 ff., 322 f.). Eine landesübliche Verzinsung wurde in Anbetracht des hohen Kapitalbedarfs der Wohnungsunternehmen (vgl. § 3 Abs. 1 WGG betreffend die Mindestkapitalausstattung von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mbH) als "Verzicht auf sonst erreichbare eigenwirtschaftliche Vorteile" (Kraft, a. a. O., S. 389) und damit als für die geforderte Selbstlosigkeit unschädlich angesehen. Auch das Gutachten der Unabhängigen Kommission zur Prüfung der steuerrechtlichen Regelungen für gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsunternehmen (Schriftenreihe des BMF, Heft 35, 1985, S. 93) erkennt an, daß der partielle Gewinnausschüttungsverzicht, obwohl insoweit keine Selbstlosigkeit i. S. des § 52 AO 1977 vorliege, dem öffentlichen Interesse dienen könne; es spricht insoweit von "Semi-Gemeinnützigkeit".

c) Der wesentliche Unterschied zwischen dem allgemeinen und dem wohnungswirtschaftlichen Gemeinnützigkeitsrecht liegt darin, daß ersteres die ausschließliche Förderung der Allgemeinheit - hier: auf materiellem Gebiet - voraussetzt und die Verfolgung von in erster Linie eigenwirtschaftlichen Zwecken steuerschädlich ist (§ 17 Abs. 1, 2 und 5 StAnpG, §§ 52, 56 AO 1977). Demgegenüber wird durch das WGG ein erweiterter Geschäftskreis begünstigt. Nach der Legaldefinition des gemeinnützigen Zweckes in § 6 Abs. 1 Satz 1 WGG muß sich das Wohnungsunternehmen "satzungsgemäß und tatsächlich mit dem Bau von Kleinwohnungen im eigenen Namen befassen; daneben kann es auch den Bau von Kleinwohnungen betreuen". Ferner kann das Wohnungsunternehmen nach näherer Maßgabe des § 6 Abs. 2 WGG Wohnungen verwalten. § 6 Abs. 3 WGG stellt "den gemeinnützigen Zweck im Sinne des Abs. 1" und "die Verwaltung im Sinne des Abs. 2" einander gegenüber. Mit der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Wohnungsverwaltung werden mithin nach der Wertung des WGG in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke (gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke) verfolgt (vgl. § 17 Abs. 5 StAnpG).

4. Ungeachtet seines weitreichenden Geltungsanspruchs enthält das WGG selbst keine generelle Regelung mit unmittelbar bindender Wirkung für das Steuerrecht.

a) Eine Bindung ergab sich nicht auf Grund der GemV 1930. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bezweckte diese, durch Schaffung eines einheitlichen Prüfungsverfahrens eine einheitliche Behandlung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen u. a. für das gesamte Reichsrecht zu gewährleisten. Die Anerkennung sollte "alle Vorschriften und Bestimmungen erfassen, die eine Begünstigung irgendwelcher Art" für gemeinnützige Wohnungsunternehmen vorsehen (Reichsrats-Drucksache Tagung 1929, Nr. 124, S. 11 f.), wobei nach Absicht der Entwurfsverfasser "die wichtigste Wirkung der Anerkennung auf steuerrechtlichem Gebiet liegen sollte" (a. a. O., S. 11; Werner-Meier/Draeger, Die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen, 2. Aufl. 1941, S. 197 f.). Bei vorliegender Anerkennung gemäß §§ 16 ff. WGG stand den Finanzbehörden eine selbständige Prüfung der Gemeinnützigkeit nicht zu (Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 28. November 1942 VI a 35/42, RStBl 1942, 1147).

b) In materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Frage, für welche Steuern und in welchem Umfang eine Befreiung oder Begünstigung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen in Betracht kommt, der Regelung in den Einzelsteuergesetzen vorbehalten. Nach der Konzeption der GemV 1930 und des WGG war daher eine Anpassung des Reichssteuerrechts erforderlich. Dies geschah z. B. für die Umsatzsteuer durch das UStG 1932 vom 19. Januar 1932 (RGBl I 1932, 39), das in § 3 Nr. 3 u. a. Unternehmen von der Steuer befreite, deren Zwecke "ausschließlich gemeinnützig" waren, ferner durch Neufassung der UStDB durch § 3 der Verordnung über die Steuerbefreiung gemeinnütziger Unternehmen vom 22. Mai 1931 (RGBl I 1931, 263). Danach waren Wohnungsunternehmen im Sinne der GemV 1930 "in jedem Fall" als Körperschaften anzusehen, deren Unternehmen ausschließlich gemeinnützigen Zwecken im Sinne des UStG diente. Popitz/Kloß/Grabower (Kommentar zum Umsatzsteuergesetz 1926, 2. Nachtrag 1931, S. 33) bemerkten, diese Unternehmen seien "schlechthin" gemeinnützig i. S. des § 3 Nr. 3 UStG 1926. Diese Neuregelung war für das Umsatzsteuerrecht gegenstandslos nach Fortfall des § 3 Nr. 3 UStG 1919/1926 auf Grund des UStG 1934. Die dargestellte Gesetzestechnik ist durch das WGG nicht geändert worden. Nach der "Begründung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen" (Der Reichsarbeitsminister - IV b 4 Nr. 5301/18/39 Anlage II, zitiert nach Bodien, WGG, 1952, S. 27 ff.) sollte die Fiktion des § 1 Abs. 2 WGG die Funktion haben, die Ausformulierung des materiellen Steuerrechts zu entlasten. Eine Bindung des Steuerrechts an die auf der Grundlage des WGG ergangenen Entscheidungen läßt sich jedoch hieraus im Hinblick auf die unterschiedliche Rechts- und Interessenlage (s. o. 3) für die Streitjahre nicht herleiten.

c) Ein Prinzip der Selbstbindung des Gesetzgebers des Inhalts, daß seine Grundsatzentscheidungen - hier: generelle Begünstigung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen - einen Vorrang vor späteren Einzelgesetzen hätten, gibt es nicht (vgl. Püttner, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1970, 322). Vielmehr bestimmt sich das Verhältnis formeller Gesetze untereinander - vorbehaltlich einer Spezialität der früheren Regelung - auch hinsichtlich ihres materiellen Inhalts nach ihrem Alter (sog. lex-posterior-Regel).

5. a) Es obliegt dem Gesetzgeber, in den einzelnen Steuergesetzen nicht nur die Rechtsfolgen der Gemeinnützigkeit (Steuerfreiheit, Steuerermäßigung) zu regeln, sondern auch die Tatbestandsvoraussetzungen für diese Rechtsfolgen zu bestimmen. Dabei hat er darüber zu befinden, ob er - z. B. im Hinblick auf mögliche Wettbewerbsverzerrungen in einzelnen Branchen - an die engeren Voraussetzungen der §§ 17 bis 19 StAnpG anknüpft, oder ob er auch die im WGG nach abweichenden Gesichtspunkten bestimmte Gemeinnützigkeit in den Regelungsbereich der Steuervergünstigung einbezieht. An eine solche rechtspolitische Entscheidung sind die Gerichte gebunden.

Der Klammerzusatz in § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1967/1973 verweist auf die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 17 bis 19 StAnpG. Diese müssen erfüllt sein, um die Umsatzsteuervergünstigung in Anspruch nehmen zu können. Weder aus dem Sinnzusammenhang noch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber trotz des Wortlauts auch den durch § 1 Abs. 2 WGG als gemeinnützig fingierten Geschäftsbereich hätte begünstigen wollen. Die Auslegung des Senats wird vielmehr bestätigt durch die Regelung des Satzes 2 der Vorschrift, nach dem Leistungen, die von den Wohnungsbauunternehmen im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes ausgeführt werden, nicht begünstigt sind.

b) Der Hinweis der Klägerin auf das zum Grundsteuerrecht ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Dezember 1954 III 78/54 S (BFHE 60, 165, BStBl III 1955, 63) führt nicht zum Erfolg. § 4 Nr. 3 Buchst. b des Grundsteuergesetzes (GrStG) 1951 und § 6 a der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (GrStDV) enthielten eine der Rechtslage nach dem UStG 1932 (vgl. oben 4.b) entsprechende Verknüpfung von abgabenrechtlicher und wohnungswirtschaftlicher Gemeinnützigkeit. Steuerbefreit war - unter weiteren Voraussetzungen - Grundbesitz z. B. einer inländischen Körperschaft, "die nach der Satzung ... und ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken diente". Nach § 6 a GrStDV galten für den Begriff "gemeinnützige Zwecke" die §§ 17 und 18 StAnpG und die GemV. Wie in BFHE 60, 165, BStBl III 1955, 63 ausgeführt, kann § 6 a GrStDV nicht dahin verstanden werden, daß durch diese Bestimmung die Vorvergünstigung des § 4 Nr. 3 Buchst. b GrStG im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 WGG ausgeschlossen werden sollte. Dem ist zuzustimmen, weil die in der Rangfolge der Rechtsquellen nachrangige Rechtsverordnung das im formellen Gesetz enthaltene Tatbestandsmerkmal "gemeinnützig", das ohne einengenden Zusatz auch die wohnungswirtschaftliche Gemeinnützigkeit einschließt, nicht einschränkend definieren kann.

6. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, konnte sein Urteil keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird prüfen, ob die Leistungen der Klägerin, sofern sie nicht im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes ausgeführt werden (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 UStG 1973), auf Grund des allgemeinen abgabenrechtlichen Gemeinnützigkeitsrechts steuerbegünstigt sind. Ferner wird es der Frage nachgehen, ob und ggf. inwieweit die hier streitigen Umsätze auf Grund des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei sind.