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BFH-Urteil vom 14.7.1987 (VII R 72/83) BStBl. 1987 II S. 802

Über eine Streitigkeit, die einen durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluß zuerkannten Erstattungsanspruch betrifft, kann das FA durch Abrechnungsbescheid entscheiden. Gegenstand der Entscheidung kann auch die Wirksamkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses sein.

AO 1977 § 218 Abs. 2 Satz 2; ZPO § 829 Abs. 1, § 835 Abs. 1.

Sachverhalt

Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts vom 14. Oktober 1981, zugestellt am 22. Oktober 1981, wurde die als "Ansprüche aus Zahlung Lohnsteuerjahresausgleich" bezeichnete angebliche Forderung des M gegen den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) - einschließlich der künftig fällig werdenden Beträge aus dem gleichen Rechtsgrund - zugunsten der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) gepfändet und dieser zur Einziehung überwiesen. Dem FA wurde in dem Beschluß als Drittschuldner aufgegeben, die gepfändeten Beträge an die Klägerin und nicht mehr an M zu zahlen. In dem Schreiben vom 26. Oktober 1981 an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin führte das FA aus, es gebe nach § 840 der Zivilprozeßordnung (ZPO) die Erklärung ab, die Pfändung sei gegenstandslos, weil kein Zeitraum - hinsichtlich der gepfändeten Forderung - angegeben worden sei.

Mit Bescheid vom 10. März 1982 teilte das FA dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit, daß der Antrag auf Auszahlung des gepfändeten angeblichen Erstattungsbetrages des M abgelehnt werde. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde im wesentlichen darauf gestützt, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß verpflichte das FA nicht, da er unwirksam sei; es könne - wegen fehlender Jahresangabe - nicht zweifelsfrei festgestellt werden, welche Ansprüche gemeint seien.

Auf die Klage, gegen die das FA u. a. auch eingewandt hatte, die Pfändung des Ausgleichs aus dem Jahre 1980 sei ins Leere gegangen, weil bereits am 5. Juni 1981 von anderer Seite eine wirksame Anzeige über die Verpfändung des gesamten Ausgleichsbetrages 1980 zugegangen und außerdem ein anderes FA zuständig gewesen sei, hob das Finanzgericht (FG) den genannten Bescheid und die Einspruchsentscheidung auf.

Zur Begründung seines Urteils führt das FG im wesentlichen folgendes aus: Das FA habe durch Verwaltungsakt nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) über die Wirksamkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses entschieden. Dazu sei es nicht berechtigt gewesen. Der Einwand, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß sei unwirksam, könne nur nach § 766 ZPO bei dem Vollstreckungsgericht geltend gemacht werden, das den Beschluß erlassen habe. Sei eine Geldforderung für mehrere Gläubiger gepfändet, könne der gepfändete Betrag nach den §§ 853 ff. ZPO hinterlegt werden.

Das FG hat die Revision zugelassen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG.

1. Der Auffassung des FG, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil durch ihn über die Wirksamkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses entschieden werde, kann nicht gefolgt werden.

a) Der angefochtene Bescheid ist als Verwaltungsakt nach § 218 Abs. 2 AO 1977 anzusehen, weil durch ihn erkennbar über eine Streitigkeit i. S. des § 218 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 entschieden werden sollte, die die Verwirklichung eines Erstattungsanspruchs betrifft. Das ergibt sich nicht nur aus der Entscheidungsformel, die ausdrücklich dahin lautet, daß die Auszahlung eines Erstattungsbetrages abgelehnt werde, sondern vor allem auch aus den Gründen der Einspruchsentscheidung, in denen u. a. ausgeführt wird, daß das FA nicht verpflichtet sei, die Ansprüche der Klägerin bei der Verteilung eines etwaigen Erstattungsbetrages zu berücksichtigen. Gegenstand des Verwaltungsakts ist danach die Frage, ob die Klägerin die Zahlung von Beträgen fordern kann, die Gegenstand eines Erstattungsanspruchs des M gegen das FA sind.

b) An einer Streitigkeit wegen der Verwirklichung eines Erstattungsanspruchs fehlt es nicht deshalb, weil die Klägerin die Zahlung der genannten Beträge aufgrund einer durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluß zuerkannten Forderung geltend macht.

Maßgebend für die Entscheidung über die Frage, ob eine Streitigkeit wegen der Verwirklichung eines Erstattungsanspruchs i. S. des § 218 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 vorliegt, ist nach dieser Vorschrift die Natur der geltend gemachten Forderung. Dies ändert sich nicht dadurch, daß sie durch gerichtlichen Beschluß nach § 829 Abs. 1, § 835 Abs. 1 ZPO gepfändet und zur Einziehung überwiesen wird. Die Pfändung und Überweisung führt nicht zu einer Änderung des Schuldverhältnisses, aus dem sich die betroffene Forderung ergibt. Die Rechtsstellung des Drittschuldners aufgrund dieses Schuldverhältnisses wird durch die Pfändung und Überweisung nicht beeinträchtigt (vgl. Münzberg in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 835 Rdnr. 35). Der Vollstreckungsschuldner bleibt Inhaber und damit Gläubiger der Forderung (vgl. Münzberg, a. a. O., Rdnr. 32). Er verliert durch die Pfändung und Überweisung lediglich das Recht, die Forderung einzuziehen und über sie zum Nachteil des Vollstreckungsgläubigers zu verfügen (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., § 835 Anm. 5). Das bleibt aber auf das Wesen der Forderung ohne Einfluß.

Die Wirkung der Pfändung besteht darin, daß die Forderung beschlagnahmt wird und der Vollstreckungsgläubiger ein Pfändungspfandrecht erhält (vgl. Hartmann, a. a. O., § 829 Anm. 4 Ba).

Die Überweisung hat die Wirkung, daß der Vollstreckungsgläubiger zu den im Recht seines Schuldners begründeten, der Befriedigung dienenden Maßnahmen ermächtigt wird, ohne auch Inhaber der Forderung zu werden, mit der Folge, daß die Zahlung aufgrund der Überweisung zwar - in erster Linie - dem Zweck dient, das Einziehungsrecht des Vollstreckungsgläubigers zum Erlöschen zu bringen, gleichzeitig aber bewirkt, daß auch die Verbindlichkeit gegenüber dem Vollstreckungsschuldner erfüllt wird (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Oktober 1981 VII ZR 319/80, BGHZ 82, 28, 31 f.).

Der Senat hatte zwar in seinem nicht veröffentlichten Beschluß vom 1. Februar 1983 VII B 77/82 die Auffassung vertreten, daß zwischen dem FA als Drittschuldner und dem Vollstreckungsgläubiger nur zivilprozessuale Beziehungen bestünden, wenn der Vollstreckungsgläubiger durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluß einen Steuererstattungsanspruch gepfändet habe. Soweit diese Entscheidung den vorstehenden Ausführungen entgegensteht, hält der Senat nicht daran fest.

c) Das FA war auch befugt, durch Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin darüber zu entscheiden, ob dem Erstattungsanspruch zu entsprechen war.

aa) Das FA war wegen des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht gehindert, über eine Streitigkeit i. S. des § 218 Abs. 2 AO 1977 eigenständig durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Insoweit enthält § 218 Abs. 2 AO 1977 eine Sonderregelung über die Befugnis zur Entscheidung über Streitigkeiten der genannten Art und über deren Form.

bb) Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts schließt nachträgliche Streitigkeiten über die Verwirklichung eines Erstattungsanspruchs - nach Ergehen des Beschlusses des Amtsgerichts - als Voraussetzung für den Erlaß eines Verwaltungsakts nach § 218 Abs. 2 AO 1977 nicht aus. So können auch nach Pfändung und Überweisung einer Forderung durch gerichtlichen Beschluß Einwendungen gegen den Bestand der Forderung sowie gegen die Schuldnerschaft des Drittschuldners erhoben werden (vgl. Münzberg, a. a. O., § 829 Rdnr. 110; Hartmann, a. a. O., § 829 Anm. 7 Bb). Außerdem kann eingewandt werden, daß der Beschluß nicht wirksam ergangen sei (vgl. Urteile des BGH vom 9. Februar 1978 III ZR 59/76, BGHZ 70, 313, 317, und vom 16. Februar 1976 II ZR 171/74, BGHZ 66, 79). Zur Unwirksamkeit können Ungenauigkeiten bei der Angabe der zu pfändenden Forderung führen (vgl. Hartmann, a. a. O., § 829 Anm. 2 Ca, aa, dd; Münzberg, a. a. O., § 829 Rdnr. 40 f.).

Auch zivilprozeßrechtlich können grundsätzlich Einwendungen etwa gegen den Bestand der gepfändeten Forderung und die Wirksamkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses außerhalb des Verfahrens wegen des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses z. B. gegen die Klage des Vollstreckungsgläubigers gegen den Drittschuldner auf Zahlung der gepfändeten Forderung oder auch durch eine - negative - Feststellungsklage des Drittschuldners gegen den Vollstreckungsgläubiger geltend gemacht werden (vgl. BGHZ 66, 79; Münzberg, a. a. O., § 829 Rdnr. 106, 110, 118).

Die Frage, ob der Geltendmachung durch negative Feststellungsklage Gründe der Prozeßökonomie deshalb entgegenstehen, weil die mit der Feststellungsklage zu erhebenden Beanstandungen auch mit der Erinnerung gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß eingewandt werden können (vgl. Urteil des BGH vom 22. Juni 1977 VIII ZR 5/76, BGHZ 69, 1244), kann für die Entscheidung über die Befugnis des FA zur Regelung durch Verwaltungsakt nach § 218 Abs. 2 AO 1977 schon deshalb keine Bedeutung erlangen, weil diese Möglichkeit der Entscheidung, wie dargelegt, im Gesetz besonders vorgesehen ist und sie darüber hinaus gewährleistet, daß für die Streitigkeit wegen der Verwirklichung eines Erstattungsanspruchs als Abgabenangelegenheit der für diese Angelegenheit eigens vorgesehene Finanzrechtsweg beschritten werden kann. Hinsichtlich der Streitigkeit über die Verwirklichung des Erstattungsanspruchs i. S. des § 218 Abs. 2 AO 1977 kann das für die Entscheidung über eine Erinnerung gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß nach der ZPO zuständige Vollstreckungsgericht nicht als die "vorrangig sachkundige gerichtliche angesehen werden, was ebenfalls für die Berechtigung der Entscheidung durch Verwaltungsakt nach § 218 Abs. 2 AO 1977 durch das FA und die damit verbundene Eröffnung des Finanzrechtswegs spricht (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 23. Juli 1976 5 AZR 474/75, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1977, 75, 76).

cc) An einer Entscheidung durch Verwaltungsakt gegenüber der Klägerin war das FA nicht deshalb gehindert, weil die Klägerin den Anspruch aufgrund einer Pfändung und Überweisung nach der ZPO geltend macht. Bescheide nach § 218 Abs. 2 AO 1977 können nicht nur bei Streitigkeiten im unmittelbaren Verhältnis zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen, sondern auch bei Streitigkeiten im Verhältnis zwischen dem FA und Dritten ergehen, sofern es sich um Streitigkeiten über einen Anspruch i. S. des § 218 Abs. 2 AO 1977 handelt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 18. Juni 1986 II R 38/84, BFHE 146, 519, BStBl II 1986, 704, und vom 24. Februar 1987 VII R 23/85, BFH/NV 1987, 283, 285; Helsper in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 218 Rdnr. 8).

2. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zwar, daß der angefochtene Bescheid nicht aus den vom FG angestellten Erwägungen als rechtswidrig angesehen werden kann. Die Feststellungen des FG reichen indes nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob der Bescheid rechtmäßig ist. Insbesondere kann aufgrund der Feststellungen des FG in dem angefochtenen Urteil nicht abschließend entschieden werden, ob der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß wirksam ergangen oder die gepfändete Forderung entsprechend dem Vorbringen des FA in der Vorinstanz bereits vor der Pfändung und Überweisung abgetreten oder verpfändet worden ist und diese Maßnahme der Einziehung durch die Klägerin entgegensteht oder ob das FA Schuldner des geltend gemachten Anspruchs ist. Überdies kann der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß unwirksam sein, falls nämlich die gepfändete Forderung in dem Beschluß des Amtsgerichts nicht hinreichend genau bestimmt worden ist. Ob die Bestimmung ausreicht, kann aufgrund der Feststellungen des FG nicht überprüft werden.