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BFH-Beschluß vom 19.8.1987 (V B 56/85) BStBl. 1987 II S. 830

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das FA nach § 221 Satz 2 AO 1977 eine Sicherheitsleistung für eine noch nicht entstandene Umsatzsteuerschuld verlangen darf.

AO 1977 § 221; FGO § 69 Abs. 2, Abs. 3; UStG 1980 § 13 Abs. 1, § 16 Abs. 1, Abs. 2, § 18 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1986, 104)

Sachverhalt

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) errichtete in B ein Einkaufszentrum. Sie hatte zur Finanzierung des Grunderwerbs und der Aufwendungen für die Gebäudeherstellung ein Darlehen über 19,5 Mio. DM von der X-Bank erhalten und u. a. durch Abtretung der Forderung auf Zahlung des Kaufpreises bei einem Verkauf des Objekts gesichert. Mit der schlüsselfertigen Errichtung des Gebäudes für 15,8 Mio. DM hatte die Antragstellerin die Firma B-GmbH (GmbH) beauftragt.

Die Antragstellerin beabsichtigte, das Objekt Ende 1985/Anfang 1986 steuerpflichtig zu veräußern. (Bisher ist es dazu nach dem Akteninhalt nicht gekommen.)

In der Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1985 erklärte die Antragstellerin eine negative Steuerschuld.

In einem mit Rechtsmittelbelehrung (Beschwerde) versehenen Schreiben vom 5. September 1985 teilte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) der Antragstellerin mit, daß das Umsatzsteuerguthaben nicht an die GmbH, der Erstattungsbeträge aus Umsatzsteuervoranmeldungen von der Antragstellerin abgetreten worden waren, ausgezahlt werden könne, da eine Gefährdung des Eingangs der zu erwartenden Umsatzsteuerschuld anzunehmen sei.

Die Antragstellerin beantragte beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung des Bescheides des FA vom 5. September 1985. Sie wies auf die drohende Einstellung der Bauarbeiten, die Kündigung von Miet- und Darlehensverträgen und auf Schadensersatzansprüche hin, wenn das FA das in der Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1985 erklärte Guthaben nicht an den Abtretungsempfänger auszahle. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. September 1985 sei ernstlich zweifelhaft, weil die angeblich gefährdete Forderung auf Zahlung von Umsatzsteuer aus dem Verkauf des Objekts noch gar nicht entstanden sei.

Das FG lehnte den Antrag durch den angefochtenen Beschluß vom 25. September 1985 ab. Es qualifizierte das Begehren der Antragstellerin als Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der in dem Schreiben vom 5. September 1985 enthaltenen und gleichzeitig vollzogenen Verpflichtung der Antragstellerin zur Leistung einer Sicherheit. Der Antrag sei nicht begründet. Die Sicherheitsleistung habe das FA auch schon vor Entstehung der Umsatzsteuerforderung aus der künftigen Veräußerung der Gewerbewohnanlage fordern dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 104 veröffentlichten Beschluß Bezug genommen.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts.

1. Bei der vom FG vertretenen Auffassung über den Inhalt des Bescheides vom 5. September 1985 bestehen bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit. Das FG meint, in dem Bescheid verpflichte das FA die Antragstellerin "im Hinblick auf eine Gefährdung des aus der Veräußerung des Objekts 'B' entstehenden zukünftigen Umsatzsteueranspruchs zur Leistung einer Sicherheit in Höhe des zur Auszahlung anstehenden Umsatzsteuerguthabens".

Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO sind bereits dann vorhanden, wenn bei summarischer Prüfung gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erkennbar werden, die Unentschiedenheit oder jedenfalls Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken (BFH-Beschluß vom 28. Mai 1986 I B 22/86, BFHE 146, 508, BStBl II 1986, 656). Eine Aussetzung der Vollziehung ist geboten, wenn die Gesetzeslage unklar ist, die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauffassung des FA oder des FG erhoben werden (BFH-Beschluß vom 28. November 1974 V B 52/73, BFHE 114, 169, BStBl II 1975, 239). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Ernstlich zweifelhaft ist, ob - wie das FA und das FG meinen - die Antragstellerin nach § 221 Satz 2, 2. Teil AO 1977 zur Sicherheitsleistung für die bei einer späteren Grundstücksveräußerung entstehende Umsatzsteuerschuld verpflichtet ist. Eine Umsatzsteuerschuld könnte erst bei einer steuerpflichtigen Veräußerung des Grundstücks (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, Abs. 6, § 4 Nr. 9 a, § 9 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Lieferung entstehen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. a UStG 1980), soweit von ihr nicht nach § 15 UStG 1980 abziehbare Vorsteuerbeträge abzusetzen sind (§ 18 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, § 16 Abs. 1, Abs. 2 UStG 1980).

Der Wortlaut des § 221 Satz 2 AO 1977 läßt nicht zweifelsfrei erkennen, ob das FA eine Sicherheit für eine erst nach einem künftigen Umsatz entstehende Umsatzsteuerschuld verlangen darf. Der BFH hat die streitige Rechtsfrage noch nicht entschieden. Im Schrifttum vertreten Helsper in Koch (Abgabenordnung - AO 1977, 3. Aufl., § 221 Rdnr. 5), Schultz in Schwarz (Abgabenordnung, Kommentar, § 221 Tz. 4) sowie v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler (Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 221 AO 1977 Anm. 6) wie auch die Vorentscheidung die Ansicht, daß die Finanzbehörde bei einer Gefährdung von Umsatzsteuer Sicherheitsleistung auch schon vor Entstehung des Steueranspruchs verlangen dürfe, weil § 221 Satz 2, 2. Teil AO 1977 die Sicherheitsleistung als eigenständige, von der Vorverlegung der Fälligkeit abhängige Rechtsfolge anordne. Demgegenüber meinen Tipke/Kruse (Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 221 AO 1977 Tz. 4), Klein/Orlopp (Abgabenordnung, 3. Aufl., § 221 Anm. 2), Kühn/Kutter/Hofmann (Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 221 AO 1977 Anm. 2), Kruse (Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen, 1981, 204), App (Umsatzsteuer-Rundschau 1985, 216), eine Sicherheitsleistung für gefährdete Umsatzsteuer dürfe erst ab Entstehung des Umsatzsteueranspruchs gefordert werden, weil sich § 221 Satz 2 AO 1977 insgesamt auf die Voraussetzungen des Satzes 1 beziehe, der von der Entstehung des Steueranspruchs ausgehe.

2. Ernstlich zweifelhaft wäre das Verlangen nach Sicherheitsleistung aber auch, wenn das FA mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. September 1985 eine Umsatzsteuerschuld aufgrund eines etwaigen Vorsteuerrückforderungsanspruchs nach anderweitiger Steuerfestsetzung aufgrund von § 164 Abs. 2, § 165 Abs. 2, § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 522) hätte sichern wollen. Die Voraussetzungen dafür sind erst vorhanden, wenn die bezogenen Leistungen erstmals für abzugsschädliche Umsätze (§ 15 Abs. 2 UStG 1980) verwendet werden. Der Vorsteuerabzugsanspruch entfällt dann mit Rückwirkung auf den Entstehungszeitpunkt, d. h. mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraumes, in dem die umsatzbezogenen Merkmale des § 15 Abs. 1 UStG 1980 vorliegen. Für das Verlangen einer Sicherheitsleistung nach § 221 Satz 2, 2. Teil AO 1977 wegen einer Umsatzsteuerschuld aufgrund eines Vorsteuerrückforderungsanspruchs hat das FA aber keine Tatsachen vorgetragen, die auf eine erstmalige Verwendung der bezogenen Leistungen für abzugsschädliche Umsätze schließen lassen könnten.

3. Schließlich ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 5. September 1985 auch dann ernstlich zweifelhaft, wenn angenommen würde, das FA habe die Erstattung des Umsatzsteuerguthabens aus der Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1985 von einer Sicherheitsleistung abhängig machen wollen, weil der Eingang der künftigen Umsatzsteuerforderung im Zusammenhang mit der Veräußerung des Grundstücks in B gefährdet erscheine. Ob eine solche Verknüpfung zulässig wäre, ist ernstlich zweifelhaft. Nach § 221 Satz 2 AO 1977 darf Sicherheit nur wegen der gefährdeten Umsatzsteuerforderung verlangt werden. Die Auszahlung von festgesetzten Umsatzsteuerguthaben darf dagegen nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Auch die Zurückhaltung des festgesetzten Umsatzsteuerguthabens kommt ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen (§ 245 AO 1977) als Sicherheitsleistung für die Entrichtung der künftigen Umsatzsteuerschuld nicht in Betracht (vgl. § 241 Abs. 1 AO 1977).