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BFH-Urteil vom 11.9.1987 (VI R 19/84) BStBl. 1987 II S. 856

1. Der bis zum 31. Dezember 1983 gültige Montageerlaß ist nicht anzuwenden, wenn ein im Inland ansässiger Arbeitnehmer in einem ausländischen Staat tätig ist, mit dem die Bundesrepublik ein DBA abgeschlossen hat.

2. In einem solchen Fall führt der im Ausland erzielte Arbeitslohn aufgrund des Progressionsvorbehalts des § 32 b EStG zu einem besonderen Steuersatz, wenn nach dem DBA das Besteuerungsrecht dem ausländischen Staat zusteht, die Bundesrepublik sich dabei aber das Recht vorbehalten hat, diese Einkünfte bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen.

EStG 1977 § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 32b, § 34c; AO 1977 § 2; DBA-Polen Art. 14 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a; Erlaß des Finanzministers des Saarlandes vom 25. Juli 1975 B/II - 665/75 - S 2293 A - Montageerlaß (BStBl I 1975, 944).

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1977 als Monteur in der Volksrepublik Polen tätig. Der hierauf entfallende Arbeitslohn von 32.207 DM wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) nach Art. 14 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 Buchst. a des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Volksrepublik Polen - DBA-Polen - (BStBl I 1975, 665) nicht der Einkommensteuer für 1977 unterworfen. Der Kläger wurde wegen seiner übrigen Einkünfte zusammen mit seiner Ehefrau - der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) - zur Einkommensteuer 1977 veranlagt. Bei der Berechnung des Steuersatzes wurde das zu versteuernde Einkommen wegen des Progressionsvorbehalts des § 32 b des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG) um den Arbeitslohn des Klägers in der Volksrepublik Polen von 32.207 DM erhöht. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte aus, § 32 b EStG sei im Streitfall nicht anzuwenden, da der sog. Montageerlaß (koordinierte Ländererlasse, so z. B. Erlaß des Finanzministers des Saarlandes vom 25. Juli 1975 B/II - 665/75 - S 2293 A, BStBl I 1975, 944) Platz greife. Der Montageerlaß beruhe auf der Ermächtigung der obersten Finanzbehörden der Länder auf Erlaß von Steuern im § 34 c Abs. 3 EStG. Vergleiche man diese Vorschrift mit den vorangehenden Absätzen 1 und 2 des § 34c EStG, so spreche dies dafür, daß § 34c Abs. 3 EStG zu einer über die Anrechnung ausländischer Einkommensteuer hinausgehenden Steuerentlastung führen solle und daß der auf den Absatz 3 gestützte Montageerlaß auf Einkünfte aus Staaten abhebe, mit denen kein DBA bestehe. Diese Auslegung widerspreche jedoch Abschn. I 6 des Montageerlasses, wonach der Erlaß nicht anzuwenden sei, wenn nach einem DBA das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zustehe. Diese Einschränkung setze gedanklich voraus, daß die Anwendung des Erlasses durch ein DBA grundsätzlich nicht ausgeschlossen werde. Andernfalls wäre eine besondere Regelung für den Fall der Zuweisung des Besteuerungsrechts an die Bundesrepublik überflüssig und verwirrend. Der Montageerlaß sei daher anwendbar, wenn ein DBA - wie hier - das Besteuerungsrecht einem ausländischen Staat zuordne. Den in Absatz 3 und 4 des Montageerlasses geforderten Antrag habe der Kläger spätestens im Einspruchsschreiben vom 13. November 1978 und damit rechtzeitig gestellt.

Gegen diese Entscheidung legte das FA Revision ein. Es rügt die Verletzung von Art. 21 DBA-Polen, § 2 der Abgabenordnung (AO 1977), § 32 b und § 34 c Abs. 3 EStG.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Denn die Einkünfte des Klägers aus seiner Arbeitnehmertätigkeit in der Volksrepublik Polen hat das FA zu Recht beim Progressionsvorbehalt des § 32b EStG berücksichtigt.

1. Da der Kläger in der Bundesrepublik nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, unterliegen seine inländischen wie ausländischen Einkünfte nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 EStG der inländischen Einkommensteuer, soweit keine Steuerbefreiungen Platz greifen.

Der Kläger erzielte im Streitjahr 1977 u. a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 19 EStG, die er in der Volksrepublik Polen ausgeübt hatte. Für sie kam eine Steuerbefreiung nach dem DBA-Polen und nach dem Montageerlaß in Betracht. Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, daß die Vorschriften des DBA-Polen dem Montageerlaß schon deshalb nach § 2 AO 1977 im Range vorgehen, weil es sich bei dem DBA-Polen um einen Vertrag mit einem ausländischen Staat "über die Besteuerung" i. S. des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) handelt, der dadurch zu unmittelbar anwendbarem innerstaatlichen Recht geworden ist, daß der Deutsche Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates dem DBA-Polen durch Gesetz vom 24. April 1975 (BGBl I 1975, 645, BStBl I 1975, 665) zugestimmt hat.

Das DBA-Polen bestimmt in Art. 14 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 Buchst. a, daß zwecks Vermeidung einer Doppelbesteuerung die in der Volksrepublik Polen erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit einer in der Bundesrepublik ansässigen natürlichen Person nicht in der Bundesrepublik, sondern nur in der Volksrepublik Polen besteuert werden können. Soweit nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Polen in einem solchen Fall "die Einkünfte aus Quellen innerhalb der Volksrepublik Polen" von der Bemessungsgrundlage für die Steuer in der Bundesrepublik ausgenommen werden, unterliegen sie jedoch nach Satz 2 dieser Bestimmung in der Bundesrepublik dem sog. Progressionsvorbehalt, d. h. die so von der Besteuerung ausgenommenen Einkünfte werden in der Bundesrepublik bei der Festsetzung des Steuersatzes berücksichtigt.

Eine entsprechende Bestimmung enthält § 32b EStG. Danach ist in Fällen, in denen bei unbeschränkt Steuerpflichtigen nach einem DBA die aus dem ausländischen Vertragsstaat stammenden Einkünfte steuerfrei sind, auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen der Steuersatz anzuwenden, der sich ergibt, wenn die ausländischen Einkünfte, ausgenommen die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte, bei der Berechnung der Einkommensteuer einbezogen werden. Durch den Progressionsvorbehalt soll sichergestellt werden, daß die Besteuerung nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit, der u. a. durch progressive Gestaltung des Steuertarifs Rechnung getragen wird, durch den Abschluß des DBA unberührt bleibt. Die Verteilung der Einkunftsquellen auf verschiedene Staaten soll sich mithin auf den Steuersatz nicht auswirken (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Mai 1970 I R 109/68, BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660, und vom 1. August 1986 VI R 181/83, BFHE 147, 360, BStBl II 1986, 902).

Das FA ist im Streitfall dementsprechend verfahren. Es hat die vom Kläger in der Volksrepublik Polen erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1977 nicht bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens erfaßt. Es hat aber zu Recht diese Einkünfte bei der Berechnung des Steuersatzes nach § 32b EStG berücksichtigt.

2. Bei dieser Rechtslage ist für die Anwendung des Montageerlasses kein Raum.

Der Montageerlaß will ebenso wie ein DBA eine Doppelbesteuerung - hier des Arbeitslohns - vermeiden. Er regelt im Abschn. I Abs. 1 Satz 1, unter welchen Voraussetzungen bei im Ausland tätigen, in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern von der Besteuerung des Arbeitslohns in der Bundesrepublik abgesehen wird, den der Arbeitnehmer aufgrund eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses für eine Tätigkeit im Ausland erhält. Die Anweisung setzt voraus, daß der Bundesrepublik das Besteuerungsrecht bezüglich des Arbeitslohnes zusteht, den der Arbeitnehmer aufgrund eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses für eine Tätigkeit im Ausland erhält. Denn nur dann wäre überhaupt die Möglichkeit für die obersten Finanzbehörden der Länder gegeben, gemäß der Ermächtigungsnorm des § 34c Abs. 3 EStG die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ganz oder zum Teil zu erlassen oder in einem Pauschbetrag festzusetzen, sofern dies aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig oder die Anwendung des § 34c Abs. 1 EStG besonders schwierig ist. In anderen Fällen würde ein Erlaß von Steuern ins Leere gehen, da mangels Besteuerungsrechts Einkommensteuer in der Bundesrepublik nicht zu erheben ist. Das gilt auch für den Streitfall, in dem das Besteuerungsrecht bezüglich des in der Volksrepublik Polen erzielten Arbeitslohns nicht der Bundesrepublik, sondern jenem Staat zusteht.

Da die vom Kläger in der Volksrepublik Polen erzielten Einkünfte nach dem DBA-Polen nicht der inländischen Besteuerung unterlagen, war mithin im Streitfall der Montageerlaß nicht maßgebend. Dies hat zur Folge, daß der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Nichtanwendung des § 32b EStG aufgrund dieses Erlasses berufen kann (so im Ergebnis, wenn auch mit teilweise anderer Begründung FG München, Urteil vom 25. November 1985 II [XIII] 407/83 E, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 346, und Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 13. März 1986 V 980/85, EFG 1986, 347).

3. Das FG stützt seine entgegenstehende Ansicht zu Unrecht auf Abschn. I Abs. 6 des Montageerlasses, wo es u. a. heißt, die dortigen Absätze 1 bis 5 seien nicht anwendbar, wenn nach einem DBA das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik zusteht. Diese Anweisung läßt nicht den Umkehrschluß zu, daß der Montageerlaß Platz greift, wenn das Besteuerungsrecht dem ausländischen Staat - wie hier der Volksrepublik Polen - zusteht. Denn Abschn. I Abs. 6 kann nur im Zusammenhang mit dem sich aus Abschn. I Abs. 1 Satz 1 des Erlasses ergebenden Regelungsinhalt dieser Billigkeitsmaßnahme gesehen werden. Der besteht, wie dargelegt, in der Absicht, von der Besteuerung des der inländischen Einkommensteuer unterliegenden Arbeitslohns abzusehen, den der Arbeitnehmer aufgrund eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses für eine Tätigkeit im Ausland erhält. Eine inländische Steuerpflicht kann gegeben sein, weil mit dem ausländischen Staat kein DBA besteht oder wenn nach einem DBA das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik zugewiesen wird, so wie dies z. B. nach Art. 14 Abs. 2 DBA-Polen der Fall sein kann, wenn eine in der Bundesrepublik ansässige natürliche Person nicht länger als 183 Tage in der Volksrepublik Polen tätig war (sog. 183-Tage-Klausel). Die Anwendung des Montageerlasses wird bezüglich der letztgenannten Möglichkeit durch die Anweisung in Abschn. I Abs. 6 ausgeschlossen. Abschn. I Abs. 6 des Montageerlasses begrenzt seine Anwendung mithin auf Fälle des Nichtbestehens eines DBA mit Staaten, in denen eine in der Bundesrepublik ansässige Person als Arbeitnehmer tätig geworden ist.

Dieses Verständnis des Montageerlasses entspricht auch dem der Finanzverwaltung, wie hier des für den Kläger zuständigen Finanzministers des Landes Niedersachsen im Erlaß vom 6. Juli 1983 S 2293 - 111-31 3 (mitgeteilt in der Lohnsteuer-Kartei der Oberfinanzdirektion Hannover, § 34c EStG Nr. 3a).

Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist mithin aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Klage ist abzuweisen, da das FA im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1977 zu Recht die vom Kläger erzielten Einkünfte in der Volksrepublik Polen durch Anwendung des Progressionsvorbehalts des § 32b EStG berücksichtigt hat.