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BFH-Urteil vom 24.9.1987 (V R 196/83) BStBl. 1987 II S. 873

Werden zur Sicherung übereignete Gegenstände im Konkurs des Sicherungsgebers vom Konkursverwalter dem Gemeinschuldner mit der Maßgabe freigegeben, daß der Verwertungserlös der Konkursmasse zugute kommen soll (sog. modifizierte Freigabe), so entsteht mit der Herausgabe des Sicherungsgutes durch den Gemeinschuldner an den Sicherungsnehmer Umsatzsteuer zu Lasten der Konkursmasse (Anschluß an das BFH-Urteil vom 4. Juni 1987 V R 57/79, BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741).

UStG 1973 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1; KO §§ 1, 6 Abs. 2, §§ 47, 48, 58 Nr. 2, §§ 59, 127 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 1984, 205)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Konkursverwalter in dem am 31. Dezember 1976 eröffneten Konkurs über das Vermögen der N-Bau Aktiengesellschaft (Gemeinschuldner). Diese hatte vor Konkurseröffnung ihr bewegliches Anlagevermögen zur Sicherung von Krediten an die K-AG (Sicherungsnehmer) sicherungsübereignet. Im Laufe des ersten Quartals 1977 richtete der Kläger zahlreiche Schreiben an den Gemeinschuldner mit folgendem Wortlaut:

"Konkursverfahren N-Bau AG hier:

Herausgabe von sicherungsübereigneten Geräten.

Sehr geehrte Herren!

In obiger Angelegenheit gebe ich hiermit aus der Konkursmasse folgende Gegenstände frei: (Es folgt die Bezeichnung der Gegenstände).

Diese Gegenstände sind nicht mehr vom Konkursbeschlag betroffen und stellen daher konkursfreies Vermögen dar. Ich stelle anheim, aufgrund der bestehenden Sicherungsübereignungsverträge diese Gegenstände den Sicherungsnehmern herauszugeben."

Der Gemeinschuldner schrieb daraufhin jeweils an den Sicherungsnehmer, daß die Gegenstände konkursfreies Vermögen darstellten und vom Sicherungsnehmer verkauft werden könnten.

Der Sicherungsnehmer verwertete die freigegebenen Gegenstände und erzielte daraus im Jahr 1977 Erlöse von insgesamt 2.193.281,85 DM einschließlich 217.352,20 DM Umsatzsteuer.

Jeweils nach der Veräußerung erteilte der Sicherungsnehmer dem Gemeinschuldner Gutschriften über den Verwertungserlös zuzüglich Umsatzsteuer.

Durch Umsatzsteuerbescheid 1977 vom 19. Juni 1978 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) wegen der von der Konkursmasse erbrachten Umsätze gegen den Kläger Umsatzsteuer fest und berücksichtigte dabei 217.352,22 DM an Umsatzsteuer "aus Verwertung von Sicherungsgut".

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 205 veröffentlichte Urteil vom 11. August 1983 II 136/80 als unbegründet zurück. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Verwertung von Sicherungsgut durch den Sicherungsnehmer (Urteile vom 31. Mai 1972 V R 121/71, BFHE 106, 383, BStBl II 1972, 809; vom 20. Juli 1978 V R 2/75, BFHE 126, 84, BStBl II 1978, 684, und vom 17. Juli 1980 V R 124/75, BFHE 131, 120, BStBl II 1980, 673) sei die Freigabe des Sicherungsgutes durch den Kläger an den Gemeinschuldner mit der Anheimgabe, die Gegenstände an den Sicherungsnehmer herauszugeben, eine Lieferung des Klägers gegen Entgelt. Die Freigabe an den Gemeinschuldner sei im Streitfall nicht anders zu beurteilen als die unmittelbare Freigabe des Konkursverwalters an den Sicherungsnehmer gemäß § 127 Abs. 2 der Konkursordnung (KO), weil sie den Gemeinschuldner nur befähigt habe, die Verwertung des Sicherungsgutes durch den Sicherungsnehmer im Rahmen des Sicherungsvertrages durchführen zu lassen. Die mit dieser Maßgabe erteilte Freigabe führe wie die unmittelbare Freigabe dazu, daß der Sicherungsnehmer die (volle) Verfügungsbefugnis über das Sicherungsgut erhalte; diese werde dem Sicherungsnehmer auch vom Konkursverwalter verschafft.

Mit der hiergegen eingelegten Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 3, 6 und 58 Nr. 2 KO. Umsatzsteuer zu Lasten der Konkursmasse sei nicht entstanden, weil er als Konkursverwalter das Sicherungsgut lediglich aus der Konkursmasse an den Gemeinschuldner freigegeben habe. Zwar sei dem Gemeinschuldner durch diese Freigabe die Verfügungsmacht über die Sachen verschafft worden, jedoch fehle es im Verhältnis von Gemeinschuldner zum Konkursverwalter an der erforderlichen Entgeltlichkeit der Lieferung.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 16. Juni 1980 die Umsatzsteuer 1977 um 217.352,22 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Nach dem Urteil des Senats in BFHE 126, 84, BStBl II 1978, 684 bewirkt der Konkursverwalter mit der Überlassung des Sicherungsgutes an den Sicherungsnehmer zur Verwertung (vgl. § 4, § 127 Abs. 2 KO) eine steuerbare und steuerpflichtige Lieferung an diesen. Der erkennende Senat bleibt, wie er in dem Urteil vom 4. Juni 1987 V R 57/79 (BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741) ausgeführt hat, bei dieser Rechtsauffassung. Von ihr gehen sowohl die Beteiligten wie auch das FG aus.

Bei der aufgrund der Lieferung des Konkursverwalters entstehenden Umsatzsteuer handelt es sich um Massekosten (§ 58 Nr. 2 KO; Urteile in BFHE 126, 84, BStBl II 1978, 684; in BFHE 131, 120, BStBl II 1980, 673, und Urteil in BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741), die durch Steuerbescheid gegen den Konkursverwalter geltend zu machen ist (vgl. BFH-Urteile vom 13. November 1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, und vom 9. April 1987 V R 23/80, BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527).

Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG dies im Ergebnis zu Recht auch im Streitfall angenommen.

a) Allerdings hätte die Revision des Klägers Erfolg, wenn er als Konkursverwalter das Sicherungsgut, das gemäß §§ 1, 6 Abs. 1 KO zur Konkursmasse gehört, aus der Masse an den Gemeinschuldner freigegeben hätte und der Gemeinschuldner das Sicherungsgut aufgrund eigenen Verfügungsrechts dem Sicherungsnehmer überlassen hätte; die Freigabe an den Gemeinschuldner beendet die Massezugehörigkeit, so daß die umsatzsteuerrechtliche Folge der Herausgabe an den Sicherungsnehmer nicht den Konkursverwalter, sondern - unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 - den Gemeinschuldner träfe. Die Freigabe der mit dem Sicherungseigentum belasteten Gegenstände an den Gemeinschuldner wäre nicht umsatzsteuerbar. Die Lösung aus dem Konkursbeschlag zugunsten des Gemeinschuldners ist keine Lieferung i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i.V. m. § 3 Abs. 1 UStG 1973; durch sie wird nicht ein Dritter befähigt, im eigenen Namen über die Gegenstände zu verfügen (§ 3 Abs. 1 UStG 1973), denn der Gemeinschuldner ist hinsichtlich des die Konkursmasse bildenden Vermögens Rechtsträger geblieben. Die Konkurseröffnung hat auf die Unternehmereigenschaft des Gemeinschuldners keinen Einfluß; gemäß § 6 Abs. 2 KO wird lediglich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Gemeinschuldners durch den Konkursverwalter ausgeübt (BFH-Urteile vom 20. Februar 1986 V R 16/81, BFHE 146, 287, BStBl II 1986, 579; in BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527, und vom 16. Juli 1987 V R 80/82, BFHE 150, 211, BStBl II 1987, 691).

b) Eine Freigabe aus der Konkursmasse an den Gemeinschuldner mit den zu a) beschriebenen umsatzsteuerrechtlichen Folgen ist nach den Feststellungen des FG im Streitfall nicht erfolgt.

Der Erklärung des Klägers gegenüber dem Gemeinschuldner, er gebe bestimmte sicherungsübereignete Gegenstände aus der Konkursmasse frei, kommt nicht die Bedeutung einer Freigabe an den Gemeinschuldner zu.

Die Freigabe einer Sache durch den Konkursverwalter bedeutet die Aufgabe der Massenzugehörigkeit auf Dauer und Rücküberlassung der Sache an den Gemeinschuldner zur freien Verfügung, so daß die Sache konkursfrei wird (Oberlandesgericht - OLG - Nürnberg, Urteil vom 11. Juli 1957 3 U 221/56, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1957, 683; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Januar 1984 4 C 37/80, Neue Juristische Wochenschrift 1984, 2.427). Sie muß den endgültigen Verzicht des Konkursverwalters auf den betreffenden Gegenstand zum Inhalt haben; das ist der Fall, wenn der Konkursverwalter auch den wirtschaftlichen Wert des Gegenstandes aus den Händen gibt (Kilger, Konkursordnung, 15. Aufl., § 6 Anm. 9, unter Bezugnahme auf das Urteil in BGHZ 35, 180). Eine Freigabe an den Gemeinschuldner zu dessen freier Verfügung liegt danach nicht vor, wenn der Konkursmasse der wirtschaftliche Wert des Gegenstandes erhalten bleibt (sog. modifizierte Freigabe, vgl. Jäger/Henckel, Konkursordnung, 9. Aufl., § 6 Anm. 20, und Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Aufl., § 6 Rdnr. 35a). Hiervon ist regelmäßig auszugehen, wenn der Verwertungserlös der Konkursmasse zugute kommen soll (vgl. das zitierte Urteil des OLG Nürnberg in MDR 1957, 683).

Eine derartige Sachverhaltsgestaltung liegt nach den Feststellungen des FG dem Streitfall zugrunde. Die vom Konkursverwalter "freigegebenen" Gegenstände waren zur Sicherung von Darlehensforderungen übereignet, die als Konkursforderungen die Konkursmasse belasteten, denn der gesicherte Darlehensgeber nimmt gemäß § 64 KO am Konkursverfahren teil; hiervon ist auch im Streitfall auszugehen. Mit der Herausgabe der sicherungsübereigneten Gegenstände an den Sicherungsnehmer und deren Verwertung wurde der Sicherungsnehmer hinsichtlich der gesicherten Forderung aus dem Verwertungserlös nach Maßgabe des § 48 KO befriedigt. Insoweit wurde die Schuldenmasse (§§ 138 f. KO) zugunsten der Konkursmasse verringert; der Sicherungsnehmer erhält die Konkursdividende nur auf den Betrag der Forderung, mit der er bei dem Zugriff auf die Sicherheit ausgefallen ist (Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Bd. III, § 35 I 3a; Kilger, a.a.O., § 64 Anm. 4, 6). Erlöst er einen Betrag, der höher ist als die gesicherte Forderung, so kann er keine Ansprüche gegen die Konkursmasse geltend machen; eine Ausfallforderung fehlt. Den Mehrerlös muß er dem Konkursverwalter zufließen lassen (Serick, a.a.O.).

Dementsprechend befähigte die "Freigabe" im Streitfall, wie das FG zu Recht angenommen hat, den Gemeinschuldner nur, das Sicherungsgut im Rahmen des Sicherungsvertrages durch den Sicherungsnehmer verwerten zu lassen, so daß der Verwertungserlös der Konkursmasse zugute kam. Hierauf war, wie das FG weiter angenommen hat, der Wille des Konkursverwalters gerichtet. Diese Beurteilung kommt in den an den Gemeinschuldner gerichteten Schreiben, in denen der Kläger die jeweilige Freigabe erklärt hat, darin zum Ausdruck, daß er dem Gemeinschuldner "anheim gab", die Sicherungsgegenstände den Sicherungsnehmern herauszugeben. Diese Beurteilung der Freigabeerklärungen im Streitfall entspricht im übrigen der Regelung des Verwertungsrechts in § 127 KO. Nach Abs. 2 dieser Norm steht dem Sicherungsnehmer das Verwertungsrecht zum Zweck seiner abgesonderten Befriedigung zu; erst wenn er eine vom Konkursgericht bestimmte Frist zur Selbstverwertung fruchtlos hat verstreichen lassen, geht das Verwertungsrecht auf den Konkursverwalter über (§ 127 Abs. 1 KO). Vereitelt der Konkursverwalter das Absonderungsrecht am Sicherungsgut; so entsteht ein Absonderungsrecht des Sicherungsnehmers am Erlös (§ 127 Abs. 1 Satz 2 KO), oder eine Masseschuld gemäß § 59 KO (Serick, a.a.O., § 35 I 2a). Tatsächlich hat der Sicherungsnehmer von seinem Verwertungsrecht im Streitfall Gebrauch gemacht; für eine Freigabe des Konkursverwalters an den Gemeinschuldner zu dessen freier Verfügung bestand somit kein Raum.

Eine andere Beurteilung der Freigabeerklärung des Klägers ist im Streitfall auch nicht deshalb generell gerechtfertigt (so aber wohl Kuhn/Uhlenbruck, a.a.O., § 1 Rdnr. 5), weil bei einer Freigabe zur freien Verfügung des Gemeinschuldners ggf. eine Belastung der Konkursmasse durch die Umsatzsteuerforderung vermieden würde (s. oben zu a). Zwar wird die an die Konkursgläubiger zu verteilende Masse (§§ 149 ff. KO) in Höhe der vorweg zu berichtigenden Umsatzsteuerforderung (§ 57 KO) vermindert. Dies ändert jedoch nichts daran, daß der wirtschaftliche Wert des Sicherungsgutes der Konkursmasse erhalten bleibt, weil durch die ordnungsgemäße Verwertung des Sicherungsgutes entsprechend der Sicherungsabrede die Schuldenmasse (§§ 138 ff. KO) verringert wird.

Der Senat weicht mit der hier vertretenen Auffassung nicht von dem Urteil des BGH vom 12. Mai 1980 VIII ZR 167/79 (BGHZ 77, 139, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP - 1980, 520) ab. Die darin unter Ziff. 4b geäußerte Rechtsauffassung, "soweit ersichtlich" könne die als unbillig empfundene Belastung der Konkursmasse durch rechtzeitige Freigabe des Sicherungsgutes seitens des Konkursverwalters vermieden werden, trägt diese Entscheidung nicht.

c) Diese konkursrechtliche Beurteilung der Übertragung des Verfügungsrechts auf den Gemeinschuldner stimmt im Streitfall mit der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der Verschaffung der Verfügungsmacht überein. Unbeschadet der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 UStG 1973 (vgl. oben zu a) hat der Konkursverwalter dem Gemeinschuldner nicht im Sinne dieser Vorschrift Verfügungsmacht an dem Sicherungsgut verschafft. Mit der Freigabe sollte der Gemeinschuldner nicht den Wert des Sicherungsgutes erhalten. Verschaffung der Verfügungsmacht liegt nicht schon vor, wenn das Recht übertragen wird, über einen Gegenstand zu verfügen, vielmehr ist die Zuwendung von Substanz, Wert und Ertrag des Gegenstandes erforderlich (BFH-Urteile vom 25. Juni 1987 V R 78/79, BFHE 150, 205, BStBl II 1987, 657; vom 7. Mai 1987 V R 56/79, BFHE 150, 85, BStBl II 1987, 582, und vom 20. Februar 1986 V R 133/75, BFH/NV 1986, 311).

Dementsprechend hat der Gemeinschuldner das Sicherungsgut nicht aufgrund eigener Verfügungsmacht i. S. des § 3 Abs. 1 UStG 1973 auf den Sicherungsnehmer übertragen. Die Überlassung des Sicherungsgutes durch den Gemeinschuldner an den Sicherungsnehmer trifft danach nicht das konkursfreie, sondern das konkursbefangene Vermögen des Gemeinschuldners; die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist nicht auf den Gemeinschuldner übergegangen. Entgegen der Auffassung des FG entstand die Umsatzsteuer zu Lasten der Konkursmasse nicht bereits mit der "Freigabe" an den Gemeinschuldner, sondern erst mit der Herausgabe des Sicherungsgutes an den Sicherungsnehmer. Erst zu diesem Zeitpunkt ist die volle Verfügungsmacht auf diesen übergegangen (§ 3 Abs. 1 UStG 1973; Urteile in BFHE 126, 84, BStBl II 1978, 684 zu 2b, und vom 4. Juni 1987 V R 57/79, BFHE 150, 379, BStBl II 1987, 741).