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BFH-Urteil vom 14.10.1987 (II R 198/84) BStBl. 1988 II S. 4

Versorgungsbezüge aus der "erweiterten Honorarverteilung" nach Maßgabe einer Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung sind als gesetzliche Versorgungsbezüge i.S. des § 111 Nr. 4 BewG 1965 von der Zurechnung zum sonstigen Vermögen ausgenommen.

BewG 1965 § 111 Nr. 4.

Vorinstanz: Hessisches FG (EFG 1984, 221)

Sachverhalt

I.

Der 1909 geborene Kläger ist Arzt und hat einen Anspruch gegen die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) auf Zahlungen aus der "erweiterten Honorarverteilung". Im Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1972 erfaßte das beklagte Finanzamt (FA) den Anspruch des Klägers beim sonstigen Vermögen.

Den Einspruch des Klägers, mit dem dieser begehrt hatte, den Kapitalwert der Forderung aus der erweiterten Honorarverteilung gemäß § 111 Nr. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) ganz außer Ansatz zu lassen, wies das FA als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Vermögensteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben.

Es hat die Auffassung vertreten, eine Einschränkung des Begriffs "gesetzliche Versorgungsbezüge" auf Versorgungsbezüge, die unmittelbar auf einem Gesetz im formellen Sinne beruhten, widerspräche dem Sinn und Zweck des § 111 Nr. 4 BewG, wie er sich im Zusammenhang mit den anderen Alternativen des § 111 BewG ergebe (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1984, 221).

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA unter Hinweis auf die Rechtsprechung des III. Senats die Verletzung des § 111 Nr. 4 BewG. Selbst wenn entgegen der bisherigen Rechtsprechung § 111 Nr. 4 BewG auch auf Versorgungsbezüge anzuwenden sei, die nur mittelbar auf einem formellen Gesetz beruhten, könnten nach der Systematik des § 111 BewG allenfalls solche Versorgungsbezüge aus früheren Dienstleistungen, wie sie in § 19 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beschrieben seien, einbezogen werden. Darunter seien die Ansprüche des Klägers nicht zu rechnen.

Das FA beantragt daher, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Gemäß § 111 Nr. 4 BewG gehören nicht zum sonstigen Vermögen Ansprüche auf gesetzliche Versorgungsbezüge ohne Rücksicht darauf, ob diese laufend oder in Form von Kapitalabfindungen gewährt werden. Der Anspruch des Klägers auf Teilnahme an der "erweiterten Honorarverteilung" nach Maßgabe der aufgrund § 8 des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen vom 22. Dezember 1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - S. 206) erlassenen Satzung der KVH zählt zu den Ansprüchen auf gesetzliche Versorgungsbezüge i.S. des § 111 Nr. 4 BewG. § 8 des Gesetzes hat folgenden Wortlaut:

"Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen sorgt im Rahmen ihrer Satzung für eine wirtschaftliche Sicherung der invaliden und alten Kassenärzte und der Hinterbliebenen von Kassenärzten. Diese Sicherung kann auch durch besondere Honorarverteilungsgrundsätze geregelt werden."

§ 111 Nr. 4 BewG unterscheidet nach dem Wortlaut nicht, ob die Versorgungsbezüge auf einem formellen Gesetz beruhen, in dem Art und Umfang der Leistung selbst geregelt werden, oder ob Art und Umfang der Versorgungsbezüge in einer Satzung (Gesetz im materiellen Sinn) geregelt sind, zu deren Erlaß ein Gesetz im formellen Sinn ermächtigt. Der III. Senat hat allerdings in den Urteilen vom 29. Juni 1973 III R 86/72 (BFHE 109, 542, BStBl II 1973, 696) und vom 25. März 1977 III R 2/76 (BFHE 122, 326, BStBl II 1977, 625) unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte § 111 Nr. 4 BewG einschränkend dahin ausgelegt, daß gesetzliche Versorgungsbezüge im Sinne der Vorschrift nur Versorgungsbezüge sind, die auf einem Gesetz im formellen Sinn beruhen. Der nunmehr für die Bewertung zuständige erkennende Senat hält an dieser Einschränkung nicht fest.

Zwar waren in der Vorgängervorschrift des § 111 Nr. 4 BewG, dem § 59 Nr. 4 und 8 des Reichsbewertungsgesetzes (RBewG) 1931 die von der Vermögensteuer freigestellten Versorgungsbezüge unter Bezeichnung der einzelnen Gesetze aufgezählt; in § 68 RBewG 1934 wurden die zuvor einzeln aufgezählten Versorgungsbezüge unter der Bezeichnung "gesetzliche Versorgungsbezüge" zusammengefaßt, mit der Begründung, eine Einzelaufzählung sei entbehrlich (vgl. RStBl 1935, 179). Daß unter gesetzlichen Versorgungsbezügen daher zunächst solche Versorgungsbezüge erfaßt waren, bei denen Grund, Art und Umfang im einzelnen unmittelbar in einem Gesetz im formellen Sinn geregelt worden sind, zwingt aber nicht mehr zu einer Einschränkung des Wortlauts.

Der historische Regelungszweck ist zwar grundsätzlich ein Anhaltspunkt für die Auslegung des Gesetzes. Die von den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers unabhängige Regelung ist aber aus dem Gesamtzusammenhang, in dem die Einzelregelung steht, und den sich daraus ergebenden Wertungen auszulegen. Veränderungen innerhalb eines Regelungsbereiches sind danach auch bei der Auslegung einer einzelnen, selbst nicht veränderten Teilregelung zu berücksichtigen (z.B. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 1970, 118, 125 ff.; vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 14. Februar 1973 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 288).

Eine den Wortlaut einengende Auslegung des § 111 Nr. 4 BewG widerspräche den nach Erweiterung des Katalogs der Befreiungen durch Einführung des § 111 Nr. 3 BewG zum Ausdruck gekommenen Wertungen des Gesetzgebers. Mit der Einführung der nunmehr in § 111 Nr. 3 BewG enthaltenen Regelung (vgl. Begründung zum Steueränderungsgesetz 1961, BTDrucks III/2573 S. 29 zu Art. 7 Ziff. 4) sollten alle Versorgungsansprüche, soweit sie unveräußerlich und unvererblich sind und nicht beliehen werden können, steuerfrei bleiben, wenn sie unter den gleichen Bedingungen wie Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen gewährt werden, d.h. wenn nach dem Versicherungsvertrag die Leistungen nur dem Berechtigten selbst oder im Fall seines Todes seiner Ehefrau oder seinen Kindern bis zur Volljährigkeit bzw. bis zum Abschluß der Berufsausbildung, längstens bis zum 25. - jetzt 27. - Lebensjahr zugutekommen. Ausdrücklich heißt es in der Begründung, daß die bisher nicht unter die Befreiungsvorschriften fallenden beruflichen Pflichtversicherungsverhältnisse sich kaum von denjenigen der Sozialversicherung und einer Versorgung aufgrund gesetzlicher Versorgungsbezüge unterscheiden und es deshalb geboten war, diese Ansprüche den bisher befreiten Ansprüchen aus der Sozialversicherung gleichzustellen, soweit sie unter den gleichen, zuvor genannten Bedingungen gewährt werden. Angesichts der erkennbaren Wertungen des Gesetzgebers bei Einführung des § 111 Nr. 3 BewG, den Kreis der Befreiungen auf alle Versorgungsansprüche auszudehnen, die ihrem Charakter nach den unveräußerlichen und unvererblichen Ansprüchen aus der Sozialversicherung und den typischen gesetzlichen Versorgungsbezügen wie Beamtenpensionen entsprechen, hält der Senat eine Einschränkung des Wortlauts auf solche Versorgungsbezüge, die aufgrund eines formellen Gesetzes gewährt werden, nicht mehr für gerechtfertigt. Aus der Zielrichtung der Einführung des § 111 Nr. 3 BewG, die Behandlung gerade der beruflichen Pflichtversicherungsverhältnisse denen der Sozialversicherung und der Versorgung aufgrund typischer gesetzlicher Versorgungsbezüge anzugleichen, wäre eine unterschiedliche Behandlung danach, ob die gesetzlich angeordnete Alters- und Hinterbliebenenversorgung in Form einer Pflichtversicherung oder (was § 8 des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen ausdrücklich anordnet) aufgrund der Satzung durch besondere Honorarverteilungsgrundsätze geregelt wird, systemwidrig.

Entgegen der Auffassung des FA zwingt die Systematik des § 111 BewG nicht dazu, als gesetzliche Versorgungsbezüge nur solche anzuerkennen, die auf früheren Dienstleistungen beruhen; denn schon die in der Vorgängervorschrift des § 111 Nr. 4 BewG, dem § 59 Nr. 4, 7 und 8 RBewG 1931 einzeln aufgezählten Versorgungsbezüge waren nicht ausschließlich solche, die auf früheren Dienstverhältnissen beruhten. Aus der Einfügung des § 111 Nr. 3 BewG ergibt sich vielmehr, daß Versorgungsbezüge, die dem Charakter nach den Versorgungsansprüchen aus der Sozialversicherung entsprechen und bei denen die Ansprüche durch eine Versichertengemeinschaft vermittelt werden, ohne Rücksicht darauf befreit werden, ob sie im Zusammenhang mit einem früheren Dienstverhältnis standen und wie die Versorgungsbezüge lohnsteuerlich behandelt werden (ebenso Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 14. Aufl., 1987, § 111, Anm. 20).

Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob die Anwendung des § 111 Nr. 4 BewG dann ausgeschlossen ist, wenn eine andere Person als das Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung selbst, seine Ehefrau oder seine Kinder, die noch nicht das 18. Lebensjahr oder, im Falle der Berufsausbildung das 27. Lebensjahr erreicht haben (vgl. § 111 Nr. 3 Satz 2 BewG), bezugsberechtigt sind, denn bezugsberechtigt ist im vorliegenden Fall das Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung selbst.