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BFH-Urteil vom 11.11.1987 (X R 62/81) BStBl. 1988 II S. 194

Ein Kürzungsanspruch gemäß § 1a BerlinFG ist nicht gegeben, wenn ein Berliner Unternehmer Gegenstände, die er in Berlin hergestellt hat, in eine westdeutsche Betriebsstätte verbringt und anschließend von hier aus ohne vorherige Be- und Verarbeitung unentgeltlich an private Endverbraucher liefert.

BerlinFG § 1a.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die in Berlin (West) ansässige Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) verbrachte eine bestimmte Art von ihr hergestellter einfacher Gebrauchsgegenstände in ihr westdeutsches Zentrallager in A, von wo aus diese zu Werbezwecken an die Firma Z-Werbung weitergeleitet wurden. Diese verteilte die Werbeartikel anschließend aufgrund eines mit der Klägerin geschlossenen Werbevertrages kostenlos weitaus überwiegend an Privathaushalte, im übrigen an Fachgeschäfte. Zweck dieser Aktion war es, für eine Neuentwicklung der Klägerin zu werben.

Die Klägerin sah das Verbringen der Gebrauchsartikel von Berlin (West) nach A als Innenumsatz gemäß § 1a des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) an. Dementsprechend kürzte sie ihre Umsatzsteuerschuld für die Jahre 1973 bis 1975 um insgesamt rd. ... DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte jedoch die beantragte Kürzung nach einer Betriebsprüfung in den vorbehaltlosen Umsatzsteuerbescheiden für 1973 bis 1975 vom 10. Mai 1978. Zur Begründung führte er aus, die Klägerin habe die Gegenstände nicht im Sinn des § 1a Abs. 1 Satz 2 BerlinFG "gewerblich verwendet". Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Seiner Ansicht nach hat die Klägerin die Gebrauchsgegenstände nicht an die Werbefirma geliefert, da sie diese nicht befähigt habe, nach freiem Ermessen und im eigenen Namen darüber zu verfügen. Entgegen der Auffassung des FA lägen die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 Satz 2 BerlinFG (nichtgewerbliche Verwendung) nicht vor. Der Wortsinn dieser Vorschrift bedürfe einer Einschränkung in der Weise, daß unentgeltliche Lieferungen nicht von ihr erfaßt würden. Der Zweck der Ausnahmeregelung bestehe erkennbar darin, dem in den §§ 1 und 2 BerlinFG enthaltenen Prinzip, daß nur Leistungen Berliner Unternehmer an westdeutsche Unternehmer begünstigt seien, auch bei der Einschaltung einer westdeutschen Betriebsstätte Geltung zu verschaffen. Das BerlinFG sehe eine Präferenzierung von Umsätzen mit westdeutschen privaten Endverbrauchern nicht vor. Deshalb solle dies auch nicht über den Umweg einer westdeutschen Betriebsstätte erreichbar sein. Da nur entgeltliche Lieferungen zu einem Kürzungsanspruch gemäß § 1 BerlinFG führen würden, könne sich § 1a Abs. 1 Satz 2 BerlinFG sinnvollerweise nur auf Lieferungen gegen Entgelt beziehen. Für die nicht begünstigten unentgeltlichen Lieferungen bedürfe es nicht des Ausschlusses der Umsatzsteuervergünstigungen bei der Lieferung an Endverbraucher. Derartige Lieferungen fielen nicht in den Anwendungsbereich des § 1 BerlinFG und folglich auch nicht in den des § 1a Abs. 1 Satz 2 BerlinFG.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 1a BerlinFG.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Die Klägerin hätte nur dann einen Kürzungsanspruch für sog. Innenumsätze gemäß § 1a BerlinFG, wenn sie die Werbeartikel "zwecks gewerblicher Verwendung" in ihre westdeutsche Betriebsstätte verbracht hätte. Diese Voraussetzung liegt jedoch nicht vor, da die Klägerin die Gegenstände an private Endverbraucher geliefert hat und dies gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 BerlinFG nicht als gewerbliche Verwendung gilt.

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat sie die Produkte im Sinn des § 3 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1967/73 (UStG) an die privaten Endverbraucher geliefert.

a) Das FG hat zu Recht die Ansicht vertreten, die Klägerin habe die Gebrauchsartikel weder an die Werbefirma noch an die Fachgeschäfte zwischengeliefert, da beide nicht befugt gewesen seien, über die Sachen im eigenen Namen zu verfügen. Zu dieser Schlußfolgerung konnte das FG aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen kommen, die mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Danach hatte die Klägerin nicht beabsichtigt, das Eigentum an den Gegenständen auf die Werbefirma bzw. auf die Fachgeschäfte zu übertragen. Die Firma Z-Werbung sollte die Werbeartikel nach den Anweisungen der Klägerin in ganz bestimmter Weise und nach aufgestellten Plänen an Einzelhaushalte und Fachgeschäfte verteilen. Auch letztere sollten über die Gebrauchsgegenstände nicht im eigenen Namen verfügen, etwa durch entgeltlichen Verkauf oder durch Verteilen an ihre Angestellten, sondern die Sachen lediglich als Vermittler an Kunden weitergeben.

b) Die unentgeltliche Abgabe der Produkte stellt eine Lieferung im Sinn des § 3 Abs. 1 UStG dar. Das FG weist insoweit zu Recht darauf hin, daß der Begriff der Lieferung nicht Entgeltlichkeit voraussetzt, diese vielmehr gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ein gesondertes Tatbestandsmerkmal für den steuerbaren Umsatz ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Februar 1967 V 97/64, BFHE 88, 104, BStBl III 1967, 277). Ob das Verteilen von Handzetteln nicht als Lieferung anzusehen ist, wie das FG meint, kann der Senat unerörtert lassen; denn die im Streitfall verteilten Gegenstände sind mit Werbezetteln nicht vergleichbar. Der Klägerin kam es gerade darauf an, dem Empfänger nicht nur eine Information zukommen zu lassen; sie wollte vielmehr - wenn auch in der Form eines Werbegeschenkes - ein neues Eigenprodukt zum Erproben zur Verfügung stellen (vgl. auch Urteil in BFHE 88, 104, BStBl III 1967, 277). Unerheblich ist im Streitfall ferner, daß die Gegenstände geringwertig waren, und zwar insbesondere, weil auch die zum Verkauf bestimmte Ware nur einen geringen Wert hatte.

Da die Aufwendungen der Klägerin nicht unter die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fallen, sind sie nicht Eigenverbrauch im Sinn des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c UStG (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1987 V R 154/78, BFHE 150, 178, BStBl II 1987, 688). Dabei kann der Senat unerörtert lassen, ob es sich bei den Aufwendungen um "Geschenke" im Sinn des § 4 Abs. 5 Nr. 1 EStG gehandelt hat. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen jedenfalls deshalb nicht vor, weil die Herstellungskosten der den jeweiligen privaten Empfängern im Wirtschaftsjahr zugewendeten Gegenstände insgesamt den in den Streitjahren maßgeblichen Betrag von 100 DM (1973 und 1974) bzw. 50 DM (1975) nicht überstiegen haben (vgl. Mößlang in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuer, Kommentar, Randnote 219 zu § 1).

3. Entgegen der Auffassung des FG können unentgeltliche Lieferungen einen Kürzungsanspruch gemäß § 1a BerlinFG nicht begründen.

a) Die Beteiligten sind zwar zu Recht der Ansicht, daß das Verteilen von Eigenprodukten durch einen Berliner Unternehmer der gewerblichen Verwendung dienen kann. Kraft ausdrücklicher Regelung in § 1a Abs. 1 Satz 2 BerlinFG gilt jedoch die Lieferung an Abnehmer, die nicht westdeutsche Unternehmer im Sinn des § 5 Abs. 2 BerlinFG sind, nicht als gewerbliche Verwendung, es sei denn, daß die Gegenstände in der westdeutschen Betriebsstätte bearbeitet oder verarbeitet worden sind. Ein Kürzungsanspruch gemäß § 1a BerlinFG kommt dementsprechend für solche Gegenstände nicht in Betracht, die aus der westdeutschen Betriebsstätte ohne vorangegangene Be- oder Verarbeitung und ohne Zwischenlieferung an einen anderen Unternehmer direkt an private Endverbraucher in Westdeutschland geliefert werden (ebenso Sönksen/Söffing, BerlinFG, Kommentar, Randnote 13 zu § 1a; George, Berliner Steuerpräferenzen, 6. Aufl., 1986, Randnote 13 zu § 1a BerlinFG; Sperling, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A - DStZ/A - 1970, 210, 213; vgl. ferner Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 9. April 1985 IV A 2 - S 7480 - 4/85, BStBl I 1985, 146, Tz. 36).

b) Der Ansicht des FG, der Ausschluß des Kürzungsanspruchs greife nur bei entgeltlichen, nicht aber bei unentgeltlichen Lieferungen ein, folgt der Senat nicht.

Der Wortlaut des § 1a Abs. 1 Satz 2 BerlinFG enthält keine derartige Einschränkung, die zu einer Erweiterung des Umfangs des Begünstigungstatbestandes führen würde. Die Voraussetzungen einer (verdeckten) Regelungslücke, die das Gericht berechtigen würde, einen zu weit geratenen Gesetzeswortlaut im Wege der teleologischen Reduktion einzuschränken, liegen nicht vor. Es entspricht vielmehr dem Zweck der Vorschrift und der Regelungsabsicht des Gesetzgebers, unentgeltliche Lieferungen in den Ausschlußtatbestand miteinzubeziehen.

Zweck der Begünstigung der sog. Innenumsätze nach Maßgabe des § 1a BerlinFG war es, auch den Teil der Berliner Produktion zu begünstigen, der nicht unmittelbar an westdeutsche Fremdabnehmer veräußert, sondern als Vor- oder Teilprodukt oder als Anlagegegenstand in einer westdeutschen Betriebsstätte innerbetrieblich verwendet wird. Damit sollte vornehmlich die Benachteiligung Berliner Betriebsstätten im Vergleich zu selbständigen Berliner Unternehmen beseitigt werden und damit der westdeutschen Wirtschaft ein Anreiz geboten werden, neue Betriebsstätten in Berlin (West) zu errichten und auch Vorproduktionen nach dorthin zu verlegen (BTDrucks VI/614, S. 11 f., 16; Sönksen/Söffing, a.a.O., Rdnr. 1 § 1a). Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung des § 1a BerlinFG bestimmte innerbetriebliche Vorgänge begünstigen, die er ebenfalls als förderungswürdig ansah, auf die aber wegen des Fehlens eines Leistungsaustauschs innerhalb eines Unternehmens § 1 BerlinFG nicht anwendbar war. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, daß die Vorschrift des § 1a BerlinFG, wie sich aus dessen Abs. 1 Satz 1 ergibt, gegenüber § 1 BerlinFG subsidiären Charakter hat. Es lag jedoch nicht in der Zielsetzung des Gesetzgebers, darüber hinaus auch Lieferungen zu begünstigen, die selbst dann keinen Kürzungsanspruch begründet hätten, wenn der Berliner Unternehmer an einen westdeutschen Unternehmer geleistet hätte. Um so mehr gilt dies für Lieferungen an private Endverbraucher. In einem solchen Fall muß dem Verbringen noch eine Be- und Verarbeitung nachfolgen, damit ein Kürzungsanspruch entstehen kann.

Der Einwand der Klägerin, sie würde bei einer Auslegung wie sie der Senat vorgenommen hat, schlechter gestellt werden, als wenn sie die Produkte an einen westdeutschen Unternehmer geliefert und dieser die Gegenstände sodann an Privatpersonen verteilt hätte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieser Sachverhalt ist mit dem des Streitfalles nicht vergleichbar. Der Klägerin kam es nach den Feststellungen des FG gerade darauf an, daß die Werbeartikel nach ihren Anweisungen und Plänen in ganz bestimmter Weise verteilt wurden.

4. Da die Klägerin die Gegenstände ohne vorherige Be- oder Verarbeitung in A unmittelbar an private Endverbraucher übereignet hat, war die Klage abzuweisen.