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BFH-Beschluß vom 17.12.1987 (V B 80/87) BStBl. 1988 II S. 290

Es ist höchstrichterlich hinreichend geklärt, daß für den Beginn der Notfrist von einem Monat zur Erhebung der Restitutionsklage bei der Geltendmachung des Restitutionsgrundes aus § 580 Nr. 3 ZPO in den Fällen, in denen es wegen des Todes des Zeugen nicht zur Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens kommen kann, auf die Kenntnis von der Verletzung der Wahrheitspflicht und vom Tod des Zeugen und nicht auf die Kenntnis von der Beweisbarkeit der strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht abzustellen ist.

Einzelne (unscharfe) Äußerungen im Schrifttum (gegen die herrschende Meinung) können der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung geben.

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3, § 134; ZPO § 580 Nrn. 3 und 7, § 586 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war freier Mitarbeiter eines Autohändlers. Er war durch den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) zur Umsatzsteuer herangezogen worden, weil er selbständig den Verkauf von Kraftfahrzeugen zum Teil vermittelt, zum Teil auf eigene Rechnung vorgenommen hatte. Auf die Klage wurde die Umsatzsteuerfestsetzung vom Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 6. März 1979 II 219/76 geändert. Die Revision gegen dieses Urteil wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) als unzulässig verworfen.

Am 9. Juli 1983 erhob der Kläger Restitutionsklage zum FG, mit der er eine Abänderung des Urteils vom 6. März 1979 dahingehend beantragte, daß die Umsatzsteuer für das Neuwagen betreffende sog. Eigengeschäft außer Ansatz bleibe. Als Restitutionsgründe machte er geltend: Soweit nach den Feststellungen im Vorprozeß Eigengeschäfte angenommen worden seien, beruhe das Urteil zum Teil auf einem Zeugnis, bei dem sich der Ende 19.. oder Anfang 19.. verstorbene Zeuge A einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht habe (§ 580 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Außerdem habe der Kläger Urkunden aufgefunden bzw. sei er in den Stand gesetzt worden, Urkunden zu benutzen, die eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 580 Nr. 7 b ZPO). Aufgrund dieser Urkunden könne auch bewiesen werden, daß sich der Zeuge A einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht habe.

Zur Wahrung der Klagefrist für den vornehmlich in Betracht kommenden Restitutionsgrund nach § 580 Nr. 3 ZPO sei wegen des Todes des Zeugen A für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt der Beweisbarkeit der Falschaussage abzustellen. Er habe in den Monaten Juni und Juli 1983 versucht, Beweismittel hierfür zusammenzutragen; erst durch ein Gespräch mit dem im Vorprozeß vernommenen Zeugen B im Juni 1983 habe er einen Beweisstand erreicht gehabt, der mit einer ordentlichen Aussicht auf Erfolg eine Restitutionsklage habe begründen lassen. Ein Verschulden i.S. des § 582 ZPO liege nicht vor; denn er habe sein jetziges Vorgehen nicht im früheren Verfahren geltend machen können.

Das FG wies die Restitutionsklage als unzulässig ab. Der Kläger habe hinsichtlich beider Restitutionsgründe nicht glaubhaft gemacht, daß die Klage vor Ablauf der Notfrist erhoben worden sei (§ 589 Abs. 2 ZPO).

Im Fall des Restitutionsgrundes nach § 580 Nr. 3 ZPO habe die Frist von einem Monat mit dem Tag zu laufen begonnen, an dem der Kläger von der Verletzung der Wahrheitspflicht und von dem Tod des Zeugen Kenntnis erlangt habe; denn mit der Kenntnis des Todes des Zeugen habe der Kläger zugleich die Kenntnis davon erlangt, daß die Einleitung eines gegen den Zeugen gerichteten Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen könne (Oberlandesgericht - OLG - Düsseldorf, Urteil vom 21. August 1969 6 U 36/69, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1969, 1017).

Der vom Kläger vertretenen Auffassung, die Klagefrist des § 586 ZPO beginne im Fall des Todes des Zeugen erst mit der Beweisbarkeit der Falschaussage im Sinne einer von ihm vorzunehmenden Würdigung des Beweismaterials zu laufen, könne nicht gefolgt werden. Ob eine Falschaussage bewiesen werden könne und welche Beweismittel hierfür von Bedeutung seien, stelle sich erst im Lauf eines zulässigen Verfahrens im zweiten Verfahrensabschnitt bei der Prüfung der Begründetheit der Klage heraus. Dabei sei die Beweiswürdigung dem Gericht vorbehalten. Hingegen komme es im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung allein auf Tatsachen an, d.h. auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die den Anfechtungsgrund ergeben (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., S. 983 unter I 2). Eine Bewertung von Beweismitteln finde zu diesem Zeitpunkt noch nicht statt, gleich, um welchen Anfechtungsgrund es sich handle. Würde man den Fristbeginn von der Einschätzung der Beweislage durch den Kläger abhängig machen, so würde der Fristlauf zur Disposition des Klägers gestellt.

Der Kläger habe folglich gemäß § 589 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen müssen, daß er erst einen Monat vor Erhebung der Restitutionsklage am 8. Juli 1983 Kenntnis davon erhalten habe, daß der Zeuge A sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht habe und Ende 19.. bzw. Anfang 19.. verstorben sei. Diese Voraussetzungen habe der Kläger nicht erfüllt.

Ähnliches gelte für die Klagefrist, soweit die Restitutionsklage auf § 580 Nr. 7 b ZPO gestützt sei. Die Klagefrist beginne insoweit mit dem Tage, an dem die Partei eine Urkunde auffinde oder zur Benutzung in den Stand gesetzt werde, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, ohne daß sie die Benutzbarkeit gekannt haben müsse, sofern mit der Beweisbarkeit zu rechnen sei. Auf die Erlangung der Kenntnis von der rechtlichen Bedeutung der Urkunde komme es nicht an (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 43. Aufl., § 586 ZPO Anm. 1 B). Der Kläger habe aber nicht glaubhaft gemacht, daß er die von ihm angeführten Urkunden erst einen Monat vor Erhebung der Restitutionsklage aufgefunden habe oder daß erst zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden habe, die Urkunde zu benutzen.

Die Revision gegen dieses Urteil ist vom FG nicht zugelassen worden; hiergegen hat der Kläger Beschwerde erhoben. Er stützt sie auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Es sei zutreffend, so führt der Kläger aus, daß ihm nicht erst einen Monat vor Einreichung der Restitutionsklage, sondern schon früher bekannt gewesen sei, daß sich der Zeuge A in dem Vorverfahren einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht habe und daß er verstorben sei. Darauf komme es aber nicht an. Entgegen der vom FG unter Berufung auf das OLG Düsseldorf (MDR 1969, 1017) und auf Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (a.a.O.) vertretenen Auffassung komme es mit Zöller (Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 586 Rdnr. 10) für den Fristbeginn nicht auf die Kenntnis vom Tode des Zeugen, sondern auf die Kenntnis von der Straftat und ihre Beweisbarkeit an. Zu dieser Frage gebe es, soweit ersichtlich, noch keine höchstrichterliche Entscheidung; sie habe durchaus grundsätzliche Bedeutung, so daß aus diesem Grund die Revision zuzulassen sei.

Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Der Senat kann offenlassen, ob die Beschwerde zulässig, insbesondere, ob die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinreichend dargelegt ist (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet (vgl. Beschluß des BFH vom 11. Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344).

Es ist höchstrichterlich hinreichend - im Sinne der von der Vorentscheidung vertretenen Rechtsauffassung - geklärt, daß für den Beginn der Notfrist von einem Monat zur Erhebung der Restitutionsklage (§ 134 FGO i.V.m. § 586 Abs. 1 ZPO) bei der Geltendmachung des Restitutionsgrundes aus § 580 Nr. 3 ZPO in den Fällen, in denen es - wie im vorliegenden wegen des Todes des Zeugen - nicht zur Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens kommen kann, auf die Kenntnis von der Verletzung der Wahrheitspflicht und vom Tode des Zeugen und nicht auf die Kenntnis von der Beweisbarkeit der strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht abzustellen ist. Eine nochmalige Beurteilung durch den BFH erscheint im Interesse einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts nicht als erforderlich. Einzelne (unscharfe) Äußerungen im Schrifttum (gegen die herrschende Meinung) können der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung geben.

Nach § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO beginnt die Klagefrist mit dem Tag, an dem die Partei (welche die Restitutionsklage erhebt) von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat. Dazu genügt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs - BGH - (Urteil vom 21. November 1961 VI ZR 246/60, Versicherungsrecht - VersR - 1962, 175, zu 2 a) die Kenntnis der Tatsachen, die zur Erhebung der Wiederaufnahmeklage berechtigen, nicht aber auch die Kenntnis, daß aufgrund dieser Tatsachen die Wiederaufnahmeklage zulässig ist. Im Fall des § 580 Nr. 7 ZPO sei die Kenntnis des Inhalts der Urkunde und die Möglichkeit erforderlich, sie zum Beweis zu benutzen. Dagegen komme es nicht darauf an, wann die Partei die Überzeugung erlangt habe, daß die Urkunde rechtlich erheblich sei. Der BGH beruft sich hierzu auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG). Dieses hat im Urteil vom 13. April 1942 II 129/41 (RGE 169, 100) ausgeführt, es sei unerheblich, wie die Partei die rechtliche Bedeutung der Urkunde beurteile und sich von einer Berufung darauf Erfolg verspreche; der Beginn der Notfrist könne nicht von der Erlangung einer sicheren Kenntnis von der rechtlichen Bedeutung der Urkunde abhängig gemacht werden. Den inneren Grund hierfür sieht das RG - wie auch der BGH (a.a.O.) - darin, daß bei einer anderen Auslegung eine völlige Unsicherheit in das Wiederaufnahmeverfahren hineingetragen würde, wenn eine Restitutionsklage erst binnen einer Notfrist von einem Monat erhoben zu werden brauchte, beginnend von dem Tag, an dem feststeht, daß das Wiederaufnahmeverfahren erfolgreich sein würde.

Danach beginnt die Frist des § 586 Abs. 1 ZPO mit dem Tag zu laufen, an dem die Partei von der Verletzung der Wahrheitspflicht und von dem Tod des Zeugen Kenntnis erlangt; auf die Kenntnis von der Beweisbarkeit der strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht kommt es nicht an. Diese Auffassung liegt dem von dem FG angeführten Urteil des OLG Düsseldorf (MDR 1969, 1017) zugrunde. Rosenberg/Schwab (a.a.O., 14. Aufl., § 162 I 2 a ZPO) und Wieczorek (Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 1977, § 586 ZPO Anm. A. III b) sowie Thomas/Putzo (Zivilprozeßordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, 13. Aufl., § 586 ZPO Anm. 1 a) vertreten diese Auffassung ebenfalls.

Die vom Kläger zitierten Ausführungen von Zöller (a.a.O., § 586 Rdnr. 10) beschränken sich auf die Aussage, es sei abzustellen auf die Kenntnis von der Straftat und ihre Beweisbarkeit; eine nähere Begründung oder Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung findet sich nicht. Stein/Jonas (ZPO, 20. Aufl., § 586 Rdnr. 3) führen aus, daß sich die Kenntnis der Partei auf die strafbare Handlung und außerdem auf die Möglichkeit ihres Beweises erstrecken müsse. Den zum Beleg für diese im übrigen nicht weiter begründete Aussage angeführten Urteilen des BGH (BGHZ 1, 153, 155), des OLG Frankfurt (Neue Juristische Wochenschrift 1950, 317) und des OLG Düsseldorf (MDR 1969, 1017) sowie dem Kommentar von Thomas/Putzo (a.a.O.) kann hierfür nichts entnommen werden; lediglich das von Stein/Jonas zitierte Urteil des OLG Hamburg vom 8. März 1935 (HRR 35 Nr. 1704) stellt auf die Kenntnis der strafbaren Handlung und der Möglichkeit ihres Beweises ab.

Die angeführten Entscheidungen des RG (RGE 169, 100), des BGH (VersR 1962, 175) und des OLG Düsseldorf (MDR 1969, 1017) sind zwar sämtlich zu dem Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 ZPO ergangen. Die maßgebenden rechtlichen Erwägungen gelten aber in gleicher Weise für den im vorliegenden Fall zu beurteilenden Restitutionsgrund aus § 580 Nr. 3 ZPO (vgl. Rosenberg/Schwab, a.a.O.; Wieczorek, a.a.O.; Thomas/Putzo, a.a.O.). Ebensowenig wie es im Fall der Auffindung einer Urkunde auf die Erlangung der Kenntnis von der rechtlichen Bedeutung der Urkunde ankommt, kann der Beginn der Notfrist auch im Fall der Verletzung der Wahrheitspflicht von dem nur schwer nachprüfbaren Zeitpunkt abhängig gemacht werden, in dem die Partei Kenntnis davon erhält, daß die Verletzung der Wahrheitspflicht beweisbar sei, denn die Erlangung dieser Kenntnis setzt einen Akt der Bewertung voraus, der zeitlich nicht hinreichend sicher eingeordnet werden kann.