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BFH-Urteil vom 28.10.1987 (I R 275/83) BStBl. 1988 II S. 292

Eine Zerlegung nach § 30 GewStG setzt nicht voraus, daß der Gemeinde durch die mehrgemeindliche Betriebsstätte feststellbare Lasten erwachsen. Durch die Betriebsstätte erwachsende Gemeindelasten sind lediglich beim Maßstab der Zerlegung zu berücksichtigen.

GewStG 1968 (1974) § 30; AO 1977 § 189.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine Gemeinde - an der Zerlegung der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge 1968 bis 1975 des Elektrizitätsunternehmens B-AG zu beteiligen ist.

Die B-AG unterhielt in den Streitjahren auf dem Gebiet der Klägerin ein Umspannwerk. In dem Umspannwerk wurde Strom an das Überlandwerk U-AG abgegeben, das wiederum die Gemeinden des Landkreises X, dem die Klägerin angehört, mit Strom versorgt.

Die Klägerin stellte mit Schreiben vom 18. Januar 1977 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) Antrag auf Beteiligung an der Gewerbesteuerzerlegung der B-AG nach § 30 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Das FA lehnte den Antrag ab, da im Umspannwerk auf der Gemarkung der Klägerin keine Arbeitslöhne angefallen seien.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage und beantragte, das FA anzuweisen, die Klägerin an der Gewerbesteuerzerlegung der B-AG ab 1968 zu beteiligen und dabei einen Zerlegungsmaßstab anzuwenden, bei dem das Betriebsvermögen angemessen berücksichtigt werde.

Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) als unzulässig abgewiesen.

Das FG führte in den Entscheidungsgründen aus, die Klägerin habe nicht dargelegt, daß ihr aus dem Umspannwerk der B-AG Lasten erwachsen seien. Diese Darlegung sei jedoch erforderlich, um eine Verletzung der Rechte der Klägerin nach § 30 GewStG i.V. m. § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darzutun. Nur die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse erwachsenen Gemeindelasten gewährten der Gemeinde ein subjektiv-öffentliches Recht auf Beteiligung an der Zerlegung.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

Sie rügt Verletzung des § 30 GewStG.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, sie an der Zerlegung zu beteiligen, hilfweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie mußte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG führen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Das FG hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Klage war zulässig. Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine Klage u.a. zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch einen Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung eines Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Kläger muß dazu die Rechtsverletzung schlüssig vorbringen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. April 1984 I R 269/81, BFHE 140, 509, 511, BStBl II 1984, 563).

2. Die Klage erfüllte die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 FGO.

Die Klägerin hat schlüssig vorgetragen, sie sei in ihren Rechten dadurch verletzt, daß das FA sie nicht an der Gewerbesteuerzerlegung der B-AG beteiligt habe. Das Umspannwerk der B-AG sei Teil einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte der B-AG und befinde sich auf ihrem Gemeindegebiet.

Damit hat die Klägerin die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Beteiligung an einer Gewerbesteuerzerlegung nach § 30 GewStG schlüssig dargelegt.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, daß eine schlüssige Klagebegründung eine Darlegung der durch die Betriebsstätte entstandenen Lasten erfordere. Diese Auffassung ist weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn des § 30 GewStG abzuleiten.

§ 30 GewStG enthält zwei Regelungen. Die Vorschrift schreibt im ersten Halbsatz - zwingend - eine Zerlegung vor, wenn sich eine Betriebsstätte auf mehrere Gemeinden erstreckt. Der zweite Halbsatz des § 30 GewStG enthält den Maßstab, nach dem die Zerlegungsanteile festzusetzen sind. Die Zerlegung ist - stets - nach Lage der örtlichen Verhältnisse durchzuführen. Dabei sind die der Gemeinde durch die Betriebsstätte erwachsenen Lasten zu berücksichtigen.

Mit dieser Regelung hat das Gesetz eine deutliche Trennung zwischen der Verpflichtung zur Zerlegung und dem dabei anzuwendenden Maßstab vorgenommen. Während die Zerlegung als solche nur vom Faktum einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte abhängt, ist beim Zerlegungsmaßstab mit unbestimmten Rechtsbegriffen ein grober Maßstab gesetzt worden. Wenn das Gesetz vorschreibt, daß die der Gemeinde erwachsenen Lasten zu berücksichtigen seien, so besagt das nur, daß derartige Lasten dann zu berücksichtigen sind, wenn sie entstehen. Die Vorschrift besagt jedoch nicht, daß eine Zerlegung derartige Lasten voraussetze.

Auch die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe für eine Zerlegung nach § 30 GewStG widersprechen der Auffassung des FG. Die Rechtsprechung des BFH hat als Zerlegungsmaßstab bei mehrgemeindlichen Betriebsstätten stets die Berücksichtigung des Faktors Betriebsanlagen neben dem Faktor "Wohnen der Arbeitnehmer" gefordert (vgl. BFH-Beschluß vom 28. Oktober 1964 I B 403/61 U, BFHE 81, 310, BStBl III 1965, 113). Daneben kann bei Elektrizitätsunternehmen auch noch die Stromabgabe in den einzelnen Gemeinden als zusätzlicher, jedoch nicht alleiniger Faktor berücksichtigt werden (vgl. Beschluß des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 7. Mai 1940 I 328/39, BFHE 48, 317, RStBl 1940, 714). Diese Grundsätze zeigen, daß die Entstehung von Gemeindelasten nur schematisch berücksichtigt und - insbesondere beim Faktor Betriebsanlagen - von solchen Lasten ausgegangen wird.

Es muß somit eine Zerlegung stets dann erfolgen, wenn eine mehrgemeindliche Betriebsstätte vorliegt. Davon unabhängig ist über den Zerlegungsmaßstab zu entscheiden. Wohnen in den Gemeinden einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte keine Arbeitnehmer dieser Betriebsstätte, so entfällt der Faktor Arbeitnehmer bei der Zerlegung. Die Zerlegung für die mehrgemeindliche Betriebsstätte ist dann nur nach den übrigen Faktoren (Betriebsanlagen, evtl. Stromabgabe) vorzunehmen. Der Anteil der Betriebsstättengemeinde an der Unterzerlegung verringert sich entsprechend.

Der Senat hat im Urteil vom 10. Juli 1974 I R 54/72 (BFHE 113, 123, BStBl II 1975, 42) in einem die Entscheidung nicht tragenden Hinweis eine andere Auffassung vertreten. Er hält an dieser Auffassung nicht fest.

3. Eine Sachentscheidung auf der Grundlage der Feststellungen des FG konnte noch nicht ergehen. Die Sache mußte zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Dabei wird das FG noch Feststellungen zu folgenden Punkten treffen müssen:

a) Die Änderung einer Zerlegung ist nur innerhalb eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Steuermeßbescheids möglich, es sei denn, der übergangene Steuerberechtigte habe die Änderung oder Nachholung der Zerlegung vor Ablauf des Jahres beantragt (§ 189 Satz 3 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Aus den Feststellungen des FG ist nicht zu entnehmen, wann die Steuermeßbescheide für die Erhebungszeiträume 1968 bis 1976 unanfechtbar geworden sind.

b) Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Frage, ob das gesamte Elektrizitätsunternehmen oder einzelne Bereiche des Unternehmens einheitliche, mehrgemeindliche Betriebsstätten darstellen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 16. November 1965 I B 249/62 U, BFHE 84, 108, BStBl III 1966, 40, und vom 18. Oktober 1967 I B 270/63, BFHE 90, 268, BStBl II 1968, 40; BFH-Urteil vom 12. Oktober 1977 I R 227/75, BFHE 124, 65, BStBl II 1978, 160). Diese Feststellung ist für eine Sachentscheidung erheblich. Würde das Umspannwerk auf der Gemarkung der Klägerin eine selbständige Betriebsstätte darstellen, so würde bei einer Zerlegung nach Arbeitslöhnen gemäß § 29 GewStG kein Zerlegungsanteil auf die Klägerin entfallen. Die Feststellung einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte bedarf nicht nur der Feststellung, daß das Umspannwerk Teil eines Verbundsystems der B-AG ist. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist vielmehr ergänzend festzustellen, ob jeder der auf mehrere Gemeinden entfallenden Teile die Voraussetzungen des § 16 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) - insbesondere des § 16 Abs. 4 StAnpG - erfüllt. Nur wenn jeder Teil die Merkmale einer Betriebsstätte i. S. des § 16 StAnpG erfüllt, ist eine mehrgemeindliche Betriebsstätte anzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1977 I R 226/75, BFHE 123, 500, BStBl II 1978, 111).