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BFH-Urteil vom 10.2.1988 (VIII R 352/82) BStBl. 1988 II S. 544

Die Höhe des Gewinns oder Verlusts im Bereich des Sonderbetriebsvermögens eines Gesellschafters kann für sich genommen Streitgegenstand im Klageverfahren gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Rechtsstreit keine Auswirkungen auf den Gewinn oder Verlust der Gesellschaft oder auf den Sonderbetriebsgewinn oder -verlust eines anderen Gesellschafters hat.

FGO § 65 Abs. 1, § 48.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren 1972 und 1973 mit seiner Mutter (M.S.) in gemieteten Räumen eine Drogerie. Bis zum 31. Dezember 1969 wurde der Betrieb in der Rechtsform einer OHG geführt. Aufgrund einer Änderung des Gesellschaftsvertrags schied M.S. zu diesem Zeitpunkt aus der OHG aus. Sie übertrug ihren Gesellschaftsanteil sowie ihr Kapitalnebenkonto auf ihre drei Kinder, den Kläger und seine beiden Schwestern. Diese übertrugen die erhaltenen Anteile weiter auf den Kläger. Nach der Änderungsabrede zum Gesellschaftsvertrag behielt sich M.S. den "lebenslänglichen Nießbrauch an dem übergehenden Gesellschaftsanteil einschließlich Kapitalnebenkonto ausdrücklich vor".

M.S. ist im Jahre 1974 verstorben. Sie wurde von ihren drei Kindern beerbt.

Am 28. August 1968 erwarb der Kläger ein vor dem 1. Januar 1925 bebautes Grundstück. Von dem Kaufpreis entfielen 207.060 DM auf Grund und Boden und 235.375 DM auf das Gebäude.

Im Jahre 1972 wies der Kläger das bebaute Grundstück in seiner Sonderbilanz mit dem Teilwert aus und nahm in den Streitjahren 1972 und 1973 für das Gebäude jeweils außergewöhnliche Abschreibungen in Höhe des hälftigen Einlagewertes vor.

Aufgrund einer im Jahre 1976 vom FA durchgeführten Betriebsprüfung wurden die zunächst für vorläufig erklärten Gewinnfeststellungsbescheide 1972 und 1973 geändert. Der Einlagewert des Gebäudes wurde - ebenso wie die Abbruchkosten - beim Grund und Boden erfaßt und in den Bilanzen der Streitjahre aktiviert.

Hiergegen hat der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben. Ausgehend von einem Einlagewert des Gebäudes zum 1. Januar 1972 von 284.803 DM begehrte er, für das Jahr 1972 Absetzungen für Abnutzung (AfA) in Höhe von 2,5 v.H. des Einlagewerts sowie für das Jahr 1973 Absetzungen für außergewöhnliche Abnutzung (AfaA) in Höhe des Gebäuderestwerts zum Betriebsausgabenabzug zuzulassen.

Die Klage hatte nur teilweise Erfolg.

In Übereinstimmung mit den Prozeßbeteiligten bejahte das Finanzgericht (FG) eine Mitunternehmerschaft zwischen dem Kläger und M.S. in den Jahren 1972 und 1973.

In der Sache ließ das FG in den Jahren 1972 und 1973 - ausgehend von einem Einlagewert des Gebäudes von 235.375 DM ( = ursprünglich Anschaffungskosten) - AfA in Höhe von jeweils 5.885 DM (2,5 v.H.) zu. Den restlichen Buchwert sowie die Abbruchkosten behandelte es als Herstellungskosten des Neubaues.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts, den Verstoß gegen Denk- und allgemeine Erfahrungssätze.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat zu Recht davon abgesehen, die Erben der im Jahre 1974 verstorbenen M.S. beizuladen.

1. Klagen Gesellschafter wegen Fragen, die einen einzelnen Gesellschafter berühren (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), so bedarf es, solange die Gesellschaft noch beteiligtenfähig ist, deren Beiladung (§ 60 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO, BFH-Urteil vom 12. November 1985 VIII R 364/83, BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311). Nach Vollbeendigung der Gesellschaft, die im Streitfall spätestens mit dem Tod von M.S. im Jahre 1974 eingetreten ist, sind zu einer später erhobenen Klage einzelner Gesellschafter grundsätzlich die übrigen klagebefugten Gesellschafter beizuladen. Die Beiladung hat jedoch ausnahmsweise zu unterbleiben, wenn die nicht klagenden Gesellschafter (oder ihre Erben) unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen sind (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1981 I R 93/77, BFHE 135, 271, BStBl II 1982, 474). Letzteres ist im Streitfall gegeben. Denn Zulässigkeit und Höhe des streitigen Betriebsausgabenabzugs betreffen ausschließlich das Sonderbetriebsvermögen des Klägers und haben deshalb keinen Einfluß auf den M.S. zugewiesenen Anteil am übrigen Gewinn oder Verlust der Mitunternehmerschaft.

2. Eine Beiladung der Erben war auch nicht deshalb geboten, weil an der Mitunternehmerstellung von M.S. und damit auch an derjenigen des Klägers Zweifel bestehen. Ob M.S. und der Kläger in den Streitjahren Mitunternehmer gewesen sind, bedurfte weder einer Entscheidung des FG noch ist hierüber in der Revisionsinstanz zu befinden. Denn Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens ist ausschließlich die Rechtmäßigkeit des dem Kläger im Feststellungsverfahren zugewiesenen Sondergewinns. Damit ist auf der Grundlage der im übrigen in Bestandskraft erwachsenen Gewinnfeststellungsbescheide für dieses Verfahren davon auszugehen, daß zwischen dem Kläger und M.S. für die Streitjahre eine Mitunternehmerschaft in Form einer offenen Handelsgesellschaft (OHG) bestanden hat. Dies ergibt sich aus folgendem:

Wie der BFH in seinem Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66 (BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344) ausgeführt hat, ist Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens grundsätzlich nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheides. Die Begründung hierfür ist darin zu sehen, daß sich der Regelungsgegenstand dieses Steuerverwaltungsakts in der Festsetzung einer bestimmten Steuerschuld erschöpft (§ 157 Abs. 1 Satz 2, § 118 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 - ; § 211 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2, § 213 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -). Diesem verfügenden Teil steht nach § 157 Abs. 2 AO 1977 (§ 213 AO) die nicht selbständig anfechtbare Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gegenüber.

Ist nach den §§ 179, 180 AO 1977 (§ 213 Abs. 2, §§ 214 und 215 AO) eine gesonderte oder eine gesonderte und einheitliche Feststellung durchzuführen, werden die einzelnen Besteuerungsgrundlagen selbst Regelungsgegenstand dieses Steuerverwaltungsakts (vgl. dazu bereits den Beschluß in BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Das gilt für Aussagen zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (BFH-Urteil vom 21. Januar 1982 IV R 146/78, BFHE 135, 386, BStBl II 1982, 506), zur Qualifikation der Einkünfte (BFH-Urteil vom 29. September 1977 VIII R 67/76, BFHE 123, 315, BStBl II 1978, 44) oder zur Mitunternehmerschaft (BFH-Urteil vom 9. Mai 1984 I R 25/81, BFHE 141, 252, BStBl II 1984, 726) als Besteuerungsgrundlage ebenso wie für die Feststellung der Höhe des Gesamtgewinns, des laufenden Gewinns, eines Veräußerungsgewinns oder - wie hier - eines Sondergewinns (BFH-Urteil vom 20. Januar 1977 IV R 3/75, BFHE 122, 2, BStBl II 1977, 509). Der Feststellungsbescheid stellt sich demnach als Zusammenfassung einzelner Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen dar, die - soweit sie eine rechtlich selbständige Würdigung beinhalten und eines rechtlich selbständigen Schicksals fähig sind (von Groll, Vorläufiger Rechtsschutz und Feststellungsbescheid, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1979, 172 ff., 177; derselbe in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 40 Anm. 72 und 92 ff.) - auch als selbständiger Gegenstand eines Klageverfahrens in Betracht kommen. Das ergibt sich auch aus § 48 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO: Wenn bei der Anfechtung eines Gewinnfeststellungsbescheids immer die Rechtmäßigkeit des Bescheids insgesamt, d.h. aller in ihm festgestellten Besteuerungsgrundlagen, Streitgegenstand wäre, dann wäre die Klagebefugnis einzelner Gesellschafter gemäß Nr. 1 und 2 nicht denkbar. Von diesem engeren Begriff des Streitgegenstandes bei der Klage gegen Gewinnfeststellungsbescheide geht der BFH z.B. aus, wenn er die genaue Angabe der streitigen Besteuerungsgrundlagen verlangt, um über die notwendige Beiladung entscheiden zu können (Urteil in BFHE 122, 2, BStBl II 1977, 509). Verfahrensrechtliche Selbständigkeit der Besteuerungsgrundlage kann dabei auch zu bejahen sein, wenn sie vom Vorhandensein einer anderen Besteuerungsgrundlage abhängt. So geht der BFH in dem zitierten Urteil in BFHE 122, 2, BStBl II 1977, 509 von der selbständigen Anfechtbarkeit der Verteilung des Bilanz- oder Veräußerungsgewinns auf die einzelnen Gesellschafter aus, obwohl die Verteilung nur vorgenommen werden kann, wenn die Höhe des Gewinns feststeht. Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Qualifikation der Einkünfte und Gewinnhöhe (vgl. Urteil in BFHE 123, 315, BStBl II 1978, 44). Selbständigkeit heißt umgekehrt auch, daß der Streit um eine Besteuerungsgrundlage sich nicht notwendig auf die Folgerungen, die im Rahmen des § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 daraus zu ziehen sind, erstreckt. So kann z.B. die Feststellung des Gesamtgewinns angefochten werden, ohne daß zugleich dessen Verteilung Streitgegenstand ist (BFH-Urteile vom 2. Mai 1984 VIII R 276/81, BFHE 141, 498, BStBl II 1984, 820, zu 4.; vom 18. Dezember 1970 VI R 313/68, BFHE 102, 202, BStBl II 1971, 591).

Danach kann die Höhe des Gewinns oder Verlusts im Bereich des Sonderbetriebsvermögens eines Gesellschafters eine selbständige Besteuerungsgrundlage und für sich genommen Streitgegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Streit keine Auswirkungen auf die Höhe des Gewinns oder Verlusts der Gesellschaft oder auf die Höhe des Gewinns oder Verlusts im Bereich des Sonderbetriebsvermögens eines anderen Gesellschafters hat. Im Streitfall wirkt sich die begehrte Herabsetzung des Gewinns im Bereich des Sonderbetriebsvermögens des Klägers nur auf die Höhe des steuerrechtlichen Gesamtgewinns der Mitunternehmerschaft aus.

Die Selbständigkeit besteht auch im Verhältnis zur Mitunternehmerstellung des betroffenen Gesellschafters. Die Anerkennung oder Versagung von Sonderbetriebsgewinnen oder -verlusten beeinflußt zwar die Höhe der gewerblichen Einkünfte des betroffenen Mitunternehmers, entzieht aber der im übrigen festgestellten Qualifikation als Mitunternehmer und der damit verbundenen Beteiligung am Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft (dazu BFH-Beschluß vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164, zu C.I.1.a) nicht die Grundlage.