| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 2.3.1988 (II R 247/84) BStBl. 1988 II S. 572

Werden Beitragsvorschüsse an eine Berufsgenossenschaft aufgrund einer entsprechenden Verpflichtung bereits vor Beginn des Wirtschaftsjahres geleistet, für die sie bestimmt sind, so führt dies zum Ansatz bei der Ermittlung des Einheitswertes des Betriebsvermögens (Fortentwicklung von BFHE 100, 110, BStBl II 1970, 779).

BewG §§ 95, 98a.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Klägerin ist Mitglied der Bergbauberufsgenossenschaft, einer (bundesunmittelbaren) Körperschaft des öffentlichen Rechts i.S. des Art. 87 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Jeweils im Dezember hat die Klägerin Beitragsvorschüsse für den Monat Januar des nachfolgenden Jahres gezahlt. Wie das Finanzgericht (FG) ausgeführt hat, war sie hierzu verpflichtet.

Die Klägerin bildete wegen der im Dezember gezahlten Vorschüsse für den Monat Januar des folgenden Jahres in ihren Bilanzen jeweils aktive Abgrenzungsposten. Das beklagte Finanzamt (FA) sah hierin bewertungsfähige Wirtschaftsgüter i.S. des § 95 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG). Es stellte die Einheitswerte für den gewerblichen Betrieb der Klägerin auf den 1. Januar 1972 und den 1. Januar 1973 durch Änderungsbescheid vom 8. März 1978 entsprechend fest.

Die Klägerin erhob gegen den Änderungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung Klage und vertrat die Auffassung, daß die wegen der Beitragsvorschüsse gebildeten aktiven Rechnungsabgrenzungsposten kein bewertungsfähiges Wirtschaftsgut i.S. des BewG seien.

Das FG hat der Klage stattgegeben und seine Entscheidung damit begründet, daß die Beitragsvorschüsse nicht die durch die Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für das Vorliegen eines Wirtschaftsgutes erfüllten. Danach seien Wirtschaftsgüter nur Sachen, Rechte, tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung sich der Kaufmann etwas kosten lasse und die nach der Verkehrsauffassung einer besonderen Bewertung zugänglich seien. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor.

Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt, das FG habe Begriff und Umfang bewertungsfähiger Wirtschaftsgüter verkannt. Außerdem macht das FA fehlende Sachaufklärung und mangelndes rechtliches Gehör geltend.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

Die Grundsätze, wie sie der III. Senat in seinem Urteil vom 10. Juli 1970 III R 112/69 (BFHE 100, 110, BStBl II 1970, 779) dargelegt hat, führen im vorliegenden Fall zum Ansatz der wegen der Beitragsvorschüsse gebildeten Rechnungsabgrenzungsposten als Wirtschaftsgut.

Nach der Rechtsprechung setzt der Begriff Wirtschaftsgut voraus, daß es sich um einen Vermögenswert handelt, der selbständig bewertungsfähig ist. Hierzu gehören auch geldwerte Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten läßt (bzw. sich etwas kosten lassen muß). Einen derartigen Vorteil hat die Klägerin dadurch erlangt, daß sie jeweils im Dezember einen Beitragsvorschuß (vgl. § 735 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) auf die Beiträge für das kommende Geschäftsjahr der Berufsgenossenschaft, das mit dem Kalenderjahr identisch ist (vgl. § 67 des Sozialgesetzbuches - SGB -, IV. Buch), geleistet hat.

Der Vermögensvorteil der Klägerin besteht darin, daß sie kraft Gesetzes (vgl. § 636 RVO) durch die Zahlung der Beiträge von ihrer sonst gegenüber ihren Arbeitnehmern bestehenden Schadensersatzpflicht bei Arbeitsunfällen befreit wird. Hierbei ist es ohne Bedeutung, daß die Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsunfällen nach den Vorschriften der RVO weiter gehen als die sonst bestehende Schadensersatzpflicht der Arbeitgeber nach Dienstvertragsrecht.

Soweit das FG in seinem Urteil darauf hinweist, daß die Aufgaben der Berufsgenossenschaft auch darin bestehen, Arbeitsunfälle zu verhüten, ändert dies nichts daran, daß auch insoweit ein bewertbarer Vorteil für die Klägerin entsteht. Denn die Berufsgenossenschaft wird durch den Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften (vgl. § 708 RVO) oder durch die Überwachung der Mitglieder (vgl. §§ 712 f. RVO) letztlich im Interesse ihrer Mitglieder tätig, die gemäß § 618 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu Schutzmaßnahmen für ihre Mitglieder verpflichtet sind.

Das Bestehen von Vermögensvorteilen, die durch die Beitragsvorschüsse der Klägerin entstanden sind, ist auch nicht etwa deshalb zu verneinen, weil die Rechtsverhältnisse der Klägerin zu der Berufsgenossenschaft gesetzlich geregelt sind. Nicht anders als eine Versicherungsgesellschaft deckt die Berufsgenossenschaft gegen Zahlung von Beiträgen das sonst bestehende finanzielle Risiko der Klägerin ab. Werden Beitragsvorschüsse geleistet, so sind sie nicht anders zu behandeln, als wenn aufgrund eines Versicherungsvertrags Beitragsvorauszahlungen vor Beginn des Versicherungszeitraums entrichtet werden.

Im übrigen würde ein Erwerber des Unternehmens der Klägerin die Beitragsvorschüsse für das kommende Geschäftsjahr der Berufsgenossenschaft im Rahmen des Gesamtkaufpreises vergüten. Denn ihm stände aufgrund der Vorschußzahlung der Klägerin hinsichtlich der ihn treffenden Beiträge für das kommende Geschäftsjahr ein Verrechnungsanspruch gegenüber der Berufsgenossenschaft zu.