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BFH-Urteil vom 12.4.1988 (VII R 131/85) BStBl. 1988 II S. 742

Ergibt sich bei der Veranlagung einer Gesellschaft ein Umsatzsteuerrückstand, so ist im Fall der Geschäftsführerhaftung bei Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft in die Berechnung der Haftungssumme (sog. anteilige Umsatzsteuer) auch die Liquiditätslage im Vorauszahlungszeitraum und nicht nur im Veranlagungszeitpunkt einzubeziehen, wenn der Steuerrückstand darauf beruht, daß in vorwerfbarer Weise zu niedrige Vorauszahlungen erbracht worden sind (Anschluß an das Urteil des BFH vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172).

AO 1977 §§ 69, 34; UStG 1980 § 18.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war ab September 1975 Geschäftsführer einer GmbH, deren Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens vom November 1982 vom zuständigen Amtsgericht mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Konkursmasse abgewiesen wurde. Aus der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1980, die von der GmbH am 23. September 1982 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eingereicht wurde, ergab sich nach Durchführung der Jahresveranlagung 1980 zufolge einer Abrechnung des FA vom 28. Oktober 1982 eine Nachzahlung von 63.465,82 DM. Diese Nachzahlung beruhte im wesentlichen darauf, daß verschiedene Schlußrechnungen für im Jahre 1979 erbrachte Leistungen, über die - teilweise nach Entgeltsberichtigungen - zwischen den Beteiligten erst im Jahre 1980 Einigkeit erzielt wurde, nicht verbucht worden waren.

Da die GmbH die Nachzahlung nicht erbrachte, nahm das FA den Kläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer mit Haftungsbescheid vom 20. Juni 1983 in Form der Einspruchsentscheidung vom 6. Oktober 1983 mit 25.338 DM als Haftungsschuldner in Anspruch (§§ 69, 34 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Es führte aus, die Nachzahlung hätte, da sich die GmbH bereits seit Beginn des Jahres 1980 in Zahlungsschwierigkeiten befunden habe, jedenfalls in etwa dem gleichen Verhältnis wie die an andere Gläubiger erbrachten Zahlungen, also anteilig, erbracht werden müssen. Bei einer im Haftungszeitraum auf sämtliche Zahlungsverpflichtungen - einschließlich Steuern - erbrachten Tilgungsquote von 90,06 v.H. und einer auf die Steuerschulden erbrachten von nur 44,29 v.H. ergebe sich für die letzteren eine Unterschreitung (Fehlquote) von 45,77 v.H. und nach Vornahme eines Pauschalabschlages von 5,77 v.H. letztlich eine Haftungsquote von 40 v.H. Diese, angelegt auf die rückständig gebliebene Nachzahlung, führe zu einer Haftungssumme von 25.338 DM.

Die nach insoweit erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Es hat ausgeführt: Entgegen der Auffassung des Klägers habe die Nachzahlungsforderung des FA und insbesondere deren - verspätete - Fälligkeit im Oktober 1982 nichts mit der zeitweise unklaren Regelung für die Versteuerung sog. "Anzahlungen" zu tun. Die hier in Rede stehenden Umsätze hätten, da die Leistungen während des Jahres 1979, teilweise allerdings erst im Dezember 1979 erbracht worden seien, spätestens in die ersten Voranmeldungen für das Jahr 1980 aufgenommen werden müssen. Auf die erst Ende Oktober 1982 eingetretene Fälligkeit der sich aus der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1980 ergebenden Nachzahlung für das Jahr 1980 könne sich der Kläger mit Blickrichtung auf die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorhandene Zahlungsfähigkeit der GmbH - Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens im November 1982 - nicht berufen. Denn die Jahreserklärung hätte nach dem Gesetz bis Ende Mai 1981 abgegeben werden müssen (§ 149 Abs. 2 AO 1977). Die Nachzahlung wäre dann spätestens Ende des Jahres 1981 fällig geworden, zu welchem Zeitpunkt die GmbH jedenfalls noch nicht völlig zahlungsunfähig gewesen sei. Da die Pflicht zur Bereitstellung der erforderlichen Zahlungsmittel für die Tilgung der Umsatzsteuervorauszahlungen schon bei deren Fälligkeit - also jedenfalls bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen 1980 - bestanden habe (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776), habe das FA der Ermittlung der anteiligen Haftungsquote zu Recht die Verhältnisse für die Zeit ab Beginn 1980 bis November 1982 (Konkursantrag) zugrunde gelegt. Die vom FA berechnete Haftungsquote von 40 v.H. gegen die der Kläger keine substantiierten Einwendungen erhoben habe, sei zutreffend.

Auch die Ermessensausübung durch das FA sei nicht zu beanstanden, da die GmbH bei Fälligkeit der Jahresabschlußzahlung 1980, wie schon die Ablehnung der beantragten Konkurseröffnung mangels Masse im November 1982 zeige, offensichtlich zahlungsunfähig gewesen und ein anderer Haftungsschuldner nicht vorhanden gewesen sei.

Mit der Revision beantragt der Kläger sinngemäß, das Urteil des FG und den Haftungsbescheid in Form der Einspruchsentscheidung insoweit aufzuheben, als die Haftungssumme den Betrag von 12.664 DM übersteigt.

Der Kläger begründet das Revisionsbegehren sinngemäß damit, es habe sich bei den nachzuversteuernden Umsätzen bzw. Entgelten um Anzahlungen gehandelt, deren Besteuerung bis zum 1. Januar 1980 unklar gewesen und erst durch das Umsatzsteuergesetz (UStG) 1980 geregelt worden sei. Die bis dahin bestehenden Unklarheiten könnten ihm, dem Kläger, nicht als Verschulden angelastet werden. Es müsse vielmehr wegen der unklaren Rechtslage von der seitens des FG bestätigten Haftungssumme von 25.338 DM ein Abschlag in Höhe von 50 v.H. vorgenommen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Der Haftungsfall betrifft die Umsatzsteuernachzahlung für das Jahr 1980. Der Kläger hat die der Nachzahlung zugrundeliegenden Mehrumsätze und Entgeltsberichtigungen selbst in die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1980 einbezogen. Auf Grund der von ihm - vertreten durch eine Steuerbevollmächtigte - gemachten Angaben ist das FA bei der Veranlagung davon ausgegangen, daß die Umsatzsteuererhöhung 1980 gegenüber den im Jahr 1980 abgegebenen Voranmeldungen deshalb gerechtfertigt ist, weil die Mehrumsätze für die teilweise im Jahre 1979 erbrachten Leistungen spätestens im Jahre 1980 zu erfassen waren. Dementsprechend hat das FA die Umsatzsteuerveranlagung 1980 durchgeführt und der steuerpflichtigen GmbH am 28. Oktober 1982 eine bereits dem Steuererhebungsverfahren zuzuordnende "Abrechnung" (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juni 1986 VII R 103/83, BFHE 147, 1, BStBl II 1986, 702) erteilt. Die GmbH - vertreten durch den Kläger als Geschäftsführer (§ 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -) - hat die in dieser Form durchgeführte Veranlagung unter widerspruchsloser Hinnahme der genannten Abrechnung bestandskräftig werden lassen. In Folgewirkung der bestandskräftig gewordenen Veranlagung hat das FA sowohl im Haftungsbescheid (20. Juni 1983), wie - vor allem - in der Einspruchsentscheidung (6. Oktober 1983) als den für die Haftung maßgeblichen Besteuerungszeitraum ausdrücklich das Jahr 1980 angegeben. Da der Kläger diesem Vorgehen des FA weder im Einspruchsverfahren noch im finanzgerichtlichen Verfahren, in dem keine Klagebegründung abgegeben wurde, widersprochen hat, ist das FG im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die der Haftung zugrundeliegende Steuerschuld das Jahr 1980 betrifft.

2. Nach § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 haftet der Kläger als Geschäftsführer der GmbH insoweit persönlich, als Ansprüche aus dem zugrundeliegenden Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftung nach § 69 AO 1977 greift also nicht nur ein, wenn die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis überhaupt nicht, sondern auch, wenn sie nicht rechtzeitig erfüllt werden (vgl. Beschluß des BFH vom 17. Juli 1984 VII S 9/84, BFH/NV 1986, 583, 585 mit Hinweisen). Nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden solche Ansprüche, wenn sie bei ihrer Fälligkeit nicht angegeben und folglich nicht getilgt werden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., Tz. 4 zu § 69 AO 1977 mit Hinweisen). Die Umsatzsteuer-Jahresnachzahlung 1980 als solche wurde - vorwiegend wegen der verspätet abgegebenen Jahreserklärung (23. September 1982) - erst zum 25. Oktober 1982 fällig (vgl. Abrechnung des FA vom 28. Oktober 1982).

Das FG hat jedoch im Ergebnis zu Recht entschieden, daß auf die Fälligkeit der Jahresnachzahlung 1980 im Oktober 1982 hier nicht abgestellt werden kann. Da zufolge der bestandskräftigen Umsatzsteuerveranlagung 1980 die der Nachzahlung zugrundeliegenden Umsatzsteuererhöhungen, bedingt durch die zeitliche Zuordnung der Umsätze im Jahr 1980 eingetreten sind (vgl. oben 1.), hätten sie bereits in den Umsatzsteuervoranmeldungen des Jahres 1980 angegeben werden müssen. Denn auch die Umsatzsteuervoranmeldung (§ 18 Abs. 1 UStG 1980) ist als Steueranmeldung eine Steuererklärung nach § 150 Abs. 1 AO 1977 (vgl. Rau-Dürrwächter-Flick-Geist, Umsatzsteuergesetz, 5. Aufl., Tz. 91 zu § 18 UStG). Die hier betroffenen Vorgänge sind aber in die Umsatzsteuervoranmeldungen 1980 nicht aufgenommen worden. Infolgedessen sind die Umsatzsteuervorauszahlungen, also Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§§ 69, 37 Abs. 1 AO 1977), in diesem Umfang nicht rechtzeitig festgesetzt und auch nicht rechtzeitig, nämlich bei Fälligkeit der Vorauszahlungsschulden (10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums, § 18 Abs. 1 Satz 5 UStG 1980) erfüllt worden. Damit ist der objektive Tatbestand des § 69 AO 1977 erfüllt. Es kommt nicht darauf an, ob und inwieweit durch die verspätete Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1980 im September 1982 die Fälligkeit der Umsatzsteuer-Jahresnachzahlung 1980 hinausgeschoben worden ist (vgl. hierzu Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 4 zu § 69 AO 1977, S. 23 oben) oder ob bereits vor Fälligkeit der Primärschuld(en) in Fällen der vorliegenden Art eine Verpflichtung des Geschäftsführers zur Bereitstellung von entsprechenden Zahlungsmitteln besteht (vgl. die noch zu §§ 109, 103 der Reichsabgabenordnung ergangenen Urteile des BFH vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, und des Schleswig-Holsteinischen FG vom 14. März 1979 III 272/75 (IV), Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1979, 368).

3. Auch der subjektive Tatbestand der maßgeblichen Haftungsvorschrift des § 69 AO 1977 ist erfüllt. Als Geschäftsführer der GmbH handelte der Kläger mindestens grobfahrlässig, wenn er die Aufnahme getätigter und abgerechneter Umsätze in die Umsatzsteuervoranmeldungen 1980 unterließ. Auf die Neuregelung für Abschlagszahlungen durch § 13 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 4 UStG 1980 oder - wie das Revisionsvorbringen sinngemäß auszulegen ist - eine bis dahin insoweit unklare Rechtslage, kann sich der Kläger nicht berufen. Denn zum einen ist die Regelung der Abschlagszahlungen im UStG 1980 bereits zum 1. Januar 1980 in Kraft getreten (vgl. Art. 16 des Gesetzes zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 26. November 1979, BGBl I, 1953, BStBl I, 654), war also zu Beginn des hier maßgeblichen Besteuerungsabschnitts soweit bekannt, daß keine Unklarheit mehr bestehen konnte. Zum anderen aber, und vor allem, handelte es sich - wie das FG für den Senat bindend festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - bei den der Nachzahlung 1980 zugrundeliegenden Vorgängen unter Einschluß von Entgeltsberichtigungen nach § 17 UStG 1980 nicht um eine Korrektur erhaltener Abschlagszahlungen, sondern um eine solche von Umsätzen bzw. von Änderungen der Bemessungsgrundlage. Wenn der Kläger diese Vorgänge - trotz steuerlicher Beratung im Besteuerungs- und Haftungszeitraum - seinerseits mit Abschlagszahlungen verwechselt haben sollte, so vermag ihn ein solcher Irrtum nicht zu entlasten und daher auch eine Herabsetzung der Haftungssumme im Umfang des Revisionsbegehrens nicht zu rechtfertigen.

4. Die Berechnung der Haftungssumme in der Einspruchsentscheidung des FA entspricht - insbesondere in bezug auf den Haftungszeitraum - im wesentlichen der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172). Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, daß das FA die Berechnung der anteiligen Umsatzsteuerquote nach dem Stand der Zahlungsverpflichtungen und Zahlungen ab Beginn des Jahres 1980 durchgeführt hat. Denn die Umsatzerhöhungen hätten in den Voranmeldungen des Jahres 1980 angegeben und hierauf entsprechende Vorauszahlungen erbracht werden müssen. - Da auch die Ermessensausübung bei der Haftungsinanspruchnahme nicht zu beanstanden ist, hat das FG die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).