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BFH-Urteil vom 16.3.1988 (I R 151/85) BStBl. 1988 II S. 759

1. § 160 AO 1977 kann bei der Festsetzung von Ertragsteuern nicht auf Schulden angewendet werden, deren Ansatz sich in der Jahresbilanz erfolgsneutral vollzogen hat.

2. Eine verdeckte Betriebseinnahme kann steuerrechtlich auch dann nicht gemäß § 160 AO 1977 erfaßt werden, wenn sie als zugeflossenes Darlehen bezeichnet wird. Rechtsgrundlage für eine Zuschätzung ist nur § 162 AO 1977.

AO 1977 §§ 160, 162; EStG §§ 4, 5 Abs. 1.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG, betrieb im Streitjahr 1976 die Vermittlung von Geld- und Kapitalanlagen und Finanzierungen. Sie nahm bei einer Luxemburger AG ein verzinsliches Darlehen auf. Die Darlehenssumme erhielt die Klägerin in bar.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) forderte die Klägerin auf, den wahren Darlehensgeber zu nennen. Die Klägerin benannte eine in der Schweiz ansässige natürliche Person. Diese erklärte, sie habe die Darlehenssumme von nicht namentlich genannten Treugebern erhalten und über die Luxemburger AG an die Klägerin weitergereicht. Diese Treugeber hätten weder ihren Sitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) gehabt noch seien sie der Klägerin nahestehende Personen.

Das FA rechnete gemäß § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) den Darlehensbetrag und die gezahlten Zinsen dem Gewinn und dem Vermögen der Klägerin hinzu.

Der dagegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es die Darlehensvaluta nicht dem Gewinn hinzurechnete. Zur Begründung führte das FG aus, daß der wahre Darlehensgeber trotz Benennungsverlangen unbekannt geblieben sei. Deshalb müßten die den Aufwand der Klägerin mindernden Darlehenszinsen dem Gewinn hinzugerechnet werden. Die Berücksichtigung der Darlehensvaluta sei nicht möglich, weil weder bei der Klägerin noch bei den nicht bezeichneten Gläubigern der Vorgang der Aufnahme bzw. der Ausreichung des Darlehens eine Gewinnauswirkung habe. Hinweise darauf, daß die Darlehenssumme aus unversteuerten Einnahmen der Klägerin selbst stammten, habe die Betriebsprüfung nicht festgestellt. Daher habe die Klägerin keine unversteuerten Betriebseinnahmen in Höhe der Darlehensvaluta gehabt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 160 AO 1977. Es trägt vor, die Klägerin hafte dem Fiskus dafür, daß das angebliche Darlehen aus unversteuerten Geldern stamme. Da das Darlehen nicht zu berücksichtigen sei, führe der Zufluß des Geldes bei der Klägerin zu einer Gewinnerhöhung.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat zutreffend den Gewinn 1976 der Klägerin nicht um den Betrag der Darlehensvaluta erhöht.

1. Die Klägerin war als AG verpflichtet, ihren Gewinn 1976 gemäß §§ 4, 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 5. September 1974 - EStG 1975 - (BGBl I 1974, 1054, BStBl I 1974, 282), §§ 151 ff. des Aktiengesetzes (AktG) a.F. nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Berücksichtigung der in § 5 Abs. 4 EStG genannten steuerlichen Vorschriften zu ermitteln. Die in § 5 Abs. 1 EStG vorgeschriebene Bindung der steuerlichen Gewinnermittlung einer AG an die handelsrechtliche bedeutet eine Bezugnahme auf den handelsrechtlichen Jahresabschluß, der seinerseits aus der Jahresbilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung besteht (§ 148 AktG a.F.; § 264 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches - HGB - n.F.). Dabei dient die Jahresbilanz hauptsächlich der Darstellung der Vermögens- und der Finanzlage der AG zum Stichtag des Jahresabschlusses. Der sich aus ihr ergebende Gewinn versteht sich als die Summe der Veränderungen des Eigenkapitals, soweit sie nicht auf Einlagen oder Ausschüttungen zurückzuführen sind. Demgegenüber ermittelt die zeitraum- oder periodenbezogene Gewinn- und Verlustrechnung den Gewinn (in gleicher Höhe) als den Saldo von Erträgen und Aufwendungen der Periode (vgl. Borchert in Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, § 275 HGB Anm. 1). Beruht die Gewinnermittlung auf einer nichtordnungsmäßigen Buchführung oder verletzt die AG andere in § 162 AO 1977 erwähnte Mitwirkungspflichten, so kann das FA den Gewinn abweichend von dem Jahresabschluß durch Voll- oder Teilschätzung ermitteln. Unter den Voraussetzungen des § 160 AO 1977 kann das FA auch bei der steuerlichen Gewinnermittlung einzelne Schulden oder Betriebsausgaben der AG unberücksichtigt lassen, wenn diese dem Verlangen nicht nachkommt, die Gläubiger oder die Empfänger genau zu benennen.

2. Die Anwendung des § 160 AO 1977 bei einer auf einem handelsrechtlichen Jahresabschluß aufbauenden steuerlichen Gewinnermittlung bedeutet, daß nur entweder solche Schulden, die sich in der Jahresbilanz erfolgswirksam eigenkapitalmindernd ausgewirkt haben, oder solche Betriebsausgaben, die als Aufwendungen in der Gewinn- und Verlustrechnung erfolgsmindernd angesetzt wurden, nicht zu berücksichtigen sind. Die Vorschrift kann dagegen nicht auf Schulden angewendet werden, deren Ansatz in der Jahresbilanz sich erfolgsneutral vollzogen hat. Dies folgt aus dem Grundgedanken der Vorschrift, mögliche Steuerausfälle bei Ertrags- und Substanzsteuern zu verhindern (vgl. Padberg, Finanz-Rundschau - FR - 1977, 566). Solche Steuerausfälle drohen, soweit die von einem Steuerpflichtigen angesetzten Schulden oder Betriebsausgaben einerseits die Bemessungsgrundlage einer Steuer kürzen und andererseits wegen der Benennungsverweigerung des Steuerpflichtigen bei dem Gläubiger oder Empfänger steuerlich nicht erfaßt werden können (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Dezember 1980 I R 148/76, BFHE 132, 211, BStBl II 1981, 333; vom 30. März 1983 I R 228/78, BFHE 138, 317, BStBl II 1983, 654; vom 25. November 1986 VIII R 350/82, BFHE 148, 406, BStBl II 1987, 286; vom 25. August 1986 IV B 76/86, BFHE 149, 381, BStBl II 1987, 481). Der Ansatz einer Darlehensschuld kann sich zwar im Bereich der Substanzsteuern im Rahmen sowohl der allgemeinen Vermögensermittlung als auch der Betriebsvermögensermittlung auswirken (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 1967 I R 231/64, BFHE 90, 255, BStBl II 1968, 67). Ertragsteuerlich kann jedoch der als Darlehen behandelte Kapitalzufluß nur entweder eine Einlage oder die Aufnahme von Fremdkapital oder eine verdeckte Betriebseinnahme sein. Ist einer der beiden zuerst genannten Fälle gegeben, so ergibt sich keine Auswirkung auf die ertragsteuerliche Bemessungsgrundlage. Sollte dagegen das FA eine verdeckte Betriebseinnahme annehmen, so kann nicht mehr von der Nichtberücksichtigung einer Schuld i.S. des § 160 AO 1977 gesprochen werden. Vielmehr ist dann eine Zuschätzung i.S. des § 162 AO 1977 gegeben. Die Zuschätzung ist dann unter den Voraussetzungen des § 162 AO 1977 gerechtfertigt. Die hier vorgenommene Auslegung des § 160 AO 1977 ergibt sich deshalb auch aus der Abgrenzung der Regelungsbereiche der §§ 160 und 162 AO 1977 voneinander. Soweit der Entscheidung des Senats in BFHE 90, 255, BStBl II 1968, 67 eine andere Auffassung entnommen werden könnte, hält der Senat an ihr nicht länger fest.

Soweit das FA die Auffassung vertritt, die Klägerin hafte nach dem Sinn und Zweck des § 160 AO 1977 für alle möglichen Steuerausfälle, die der nicht benannte Darlehensgeber verursacht habe, folgt der Senat dem nicht. Es ist nicht der Zweck des § 160 AO 1977, beliebige in der Vergangenheit liegende steuerliche Unregelmäßigkeiten des Darlehensgebers durch eine Steuererhöhung beim Darlehensnehmer auszugleichen. § 160 AO 1977 setzt vielmehr eine Änderung der Bemessungsgrundlage auf seiten des Steuerpflichtigen, bezogen auf die in Betracht kommende Steuerart, voraus. Die Vorschrift will die Kürzung der Bemessungsgrundlage verhindern, wenn der Steuerpflichtige einem Benennungsverlangen nicht nachkommt.

3. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG stellt sich der als Darlehensschuld ausgewiesene Betrag nicht als eine verdeckte Betriebseinnahme der Klägerin dar. Außerdem hat das FG keine Feststellungen getroffen, die die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung der Klägerin in Frage stellen. Da die Feststellungen des FG mit keinen Revisionsrügen angefochten wurden, ist der erkennende Senat an sie gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Aus ihnen ergibt sich, daß es im Streitfall an den Voraussetzungen für die Anwendung des § 160 AO 1977 fehlt. Die Anwendung des § 162 AO 1977 scheidet aus, weil zur Überzeugung des FG keine verdeckten Betriebseinnahmen angenommen werden können.

4. Das FA beruft sich insoweit zu Unrecht auf das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 90, 255, BStBl II 1968, 67, als in dem Urteilsfall ein fingiertes Darlehen gewinnerhöhend aufgelöst wurde, weil das FG festgestellt hatte, daß der Steuerpflichtige nichtversteuerte Betriebseinnahmen seinem Betrieb als angebliches Darlehen zur Verfügung gestellt hatte. In einem solchen Fall ist die Besteuerung nach dem tatsächlich verwirklichten Sachverhalt vorzunehmen, d.h. anstelle des Darlehens sind Betriebseinnahmen anzusetzen. Die Rechtsgrundlage für die entsprechende Korrektur ergab sich jedoch schon damals nicht aus § 205a der Reichsabgabenordnung (AO), sondern aus § 217 AO (so auch Hartz, Der Betrieb - DB - 1976, 1736).