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BFH-Urteil vom 28.4.1988 (IV R 42/86) BStBl. 1988 II S. 777

Umzugskosten eines frei praktizierenden Arztes können betrieblich veranlaßt sein, wenn dadurch die Betreuung von stationär aufgenommenen Patienten erleichtert wird.

EStG § 4 Abs. 4.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger zu 1 (Kläger zu 1) eröffnete im Februar 1976 eine Praxis für HNO-Krankheiten im Kreiskrankenhaus A. Er unterhält dort Belegbetten. Im Oktober 1976 nahm er den Kläger und Revisionskläger zu 2 (Kläger zu 2) als Partner in seine Praxis auf. Der Kläger zu 1 wohnte als Mieter zunächst in einem Ortsteil von B (Entfernung zwischen A und B ca. 15 km). Im März 1977 erwarb er ein rd. 100 m von der im Krankenhaus belegenen Praxis entferntes Wohnhaus. Nachdem der Mieter im Jahre 1979 zum Auszug veranlaßt worden war, ließ der Kläger umfangreiche Renovierungsarbeiten durchführen und bezog das Gebäude im Januar 1980 mit seiner Familie. Die Umzugskosten von 9.200 DM machte er als Sonderbetriebsausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte den Abzug ab. Die Klage zum Finanzgericht (FG) blieb erfolglos.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision, mit der die Kläger die Verletzung formellen Rechts rügen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Da die Innehabung einer Wohnung in der Regel dem privaten Lebensbereich zuzurechnen ist, gehören auch Aufwendungen wegen eines Umzugs in der Regel zu den Kosten der Lebensführung i.S. von § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) werden solche Aufwendungen jedoch als Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt, wenn sie beruflich veranlaßt sind. Dies wird angenommen, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Arbeitnehmer den entscheidenden Grund für den Umzug darstellt, Umstände der allgemeinen Lebensführung also nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen (BFH-Urteile vom 10. September 1982 VI R 95/81, BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16; vom 6. November 1986 VI R 106/85, BFHE 148, 164, BStBl II 1987, 81). Dementsprechend wird eine berufliche Veranlassung angenommen, wenn die Ortsveränderung auf einem Berufs- oder Stellungswechsel des Arbeitnehmers beruht oder der Wohnungswechsel immerhin zu einer wesentlichen Verkürzung der Fahrtzeit zur Arbeitsstätte führt (BFHE 136, 478, BStBl II 1983, 16). Dem braucht auch der Umstand nicht entgegenzustehen, daß der Arbeitnehmer bisher in einer Mietwohnung lebte, die neue Wohnung sich aber im eigenen Haus befindet (BFHE 148, 164, BStBl II 1987, 81).

Für die Berücksichtigung von Umzugskosten als Betriebsausgaben eines Unternehmers gelten entsprechende Grundsätze (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1974 VI R 72/72, BFHE 114, 468, BStBl II 1975, 327). Danach ist auch zu entscheiden, ob der Umzug eines Mitunternehmers im Hinblick auf seine betriebliche Beteiligung erfolgt ist und die Aufwendungen daher Sonderbetriebsausgaben bilden.

2. Frei praktizierende Ärzte haben ihre Wohnung in aller Regel im Hause der Praxis oder doch in der Nähe der Praxis. Dies dient nicht nur dem privaten Interesse des Arztes an einer Verkürzung des Weges zur Arbeitsstätte, sondern unmittelbar auch dem betrieblichen Interesse, wenn Hausbesuche bei Patienten im Umkreis der Praxis vorzunehmen sind und die praxisnahe Wohnung ihre bessere Betreuung ermöglicht. Unabhängig davon ergeben im Streitfall die tatsächlichen Feststellungen des FG, daß die Kläger in ihrer HNO-Praxis in erheblichem Umfang Operationen vornehmen und deswegen Belegbetten im Kreiskrankenhaus A unterhalten, in dem sie zugleich ihre Praxis betreiben. Es liegt nahe, daß der Kläger zu 1 als betreuender Arzt für die in das Krankenhaus aufgenommenen Patienten an den Arbeitstagen auch außerhalb der Praxiszeit, insbesondere aber an den Wochenenden und in Notfällen, erreichbar sein mußte. Seine Situation unterscheidet sich darin von einem angestellten Krankenhausarzt, der nur während der Dienstzeiten für diese Aufgaben zur Verfügung stehen muß und sich mit einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte begnügen kann. Demgegenüber mußte der Kläger damit rechnen, jederzeit gerufen zu werden und ggf. - vor dem Umzug - mehrmals am Tage die Fahrt zwischen B und A unternehmen zu müssen. Es liegt auf der Hand, daß der Kläger aus diesem Grund daran interessiert sein mußte, nahe beim Kreiskrankenhaus zu wohnen.

Daß die Gründe für den Umzug des Klägers zu 1 im beruflichen Bereich lagen, ergibt sich auch daraus, daß er seine Wohnung in unmittelbarer Nähe der Praxis und des Kreiskrankenhauses genommen hat, obwohl ein Haus in einer anderen Wohnlage erfahrungsgemäß - und wie er unwidersprochen vorträgt - ein angenehmeres Wohnen ermöglicht hätte. Der Umzug steht auch in zeitlichem Zusammenhang mit der Aufnahme der Praxistätigkeit, weil der Kläger bereits im Jahre 1977 das für seine Zwecke geeignete Haus erworben hatte; der tatsächliche Bezug hat sich schon dadurch bis Anfang 1980 verzögert, weil zunächst ein Mieter zum Auszug veranlaßt und danach das Gebäude renoviert werden mußte. Daß der Kläger zu 1 das Gebäude nicht in unverändertem Zustand bezogen oder zunächst in einem anderen Ortsteil von A in eine Etagenwohnung umgezogen ist, besagt entgegen der Auffassung des FG nichts gegen die betriebliche Veranlassung des Umzugs. Beide Maßnahmen wären wirtschaftlich nicht sinnvoll gewesen. Ob die Etagenwohnung entsprechend der Darstellung des Klägers erst 1979 fertiggestellt und für die Familie des Klägers zu klein war, kann daher offenbleiben.

3. Das FG hat zur Höhe der Umzugskosten - von seinem Standpunkt zu Recht - keine Feststellungen getroffen. Deswegen muß die Sache an das FG zurückverwiesen werden.