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BFH-Urteil vom 10.6.1988 (III R 118/85) BStBl. 1988 II S. 782

Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Steuerpflichtiger eine im § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannte Tätigkeit gewerblich oder freiberuflich ausübt, ist die Prüfung, ob er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird, nur vorzunehmen, wenn er fachlich vorgebildete Arbeitskräfte beschäftigt und diese eine ihrer Vorbildung entsprechende Tätigkeit verrichten. Eine derartige Tätigkeit ist anzunehmen, wenn sie der des Berufsträgers gleichartig ist.

GewStG § 2 Abs. 1; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Chefarzt der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung eines Krankenhauses; er unterhält in den Räumen des Krankenhauses auch eine Praxis für Privatpatienten. Außerdem ist er Inhaber eines zytologischen Instituts.

Der Arbeitslauf im Institut vollzieht sich wie folgt:

Das Untersuchungsmaterial wird zunächst von Hilfskräften beschriftet, katalogisiert und gefärbt. Sodann untersuchen es besonders ausgebildete medizinisch-technische und zytologische Assistentinnen mikroskopisch. Bei ca. 70 v.H. des Gesamtmaterials ist das Untersuchungsergebnis negativ, d.h., es werden keine abnorm veränderten Zellen festgestellt. Die untersuchende Assistentin vermerkt das Ergebnis in einem Vordruck und unterzeichnet ihn. Damit ist die Untersuchung in diesem Fall abgeschlossen. Die Ergebnisse im Vormusterungsverfahren werden laufend von einem Arzt und einer leitenden Assistentin überprüft, in der Regel durch Nachuntersuchung von ein bis zwei Präparaten je Assistentin und Tag. Bei ca. 30 v.H. des Gesamtmaterials handelt es sich um verdächtige Fälle, d.h., nach Vermutung der untersuchenden Assistentin liegt ein zweifelhafter Befund, eine rückbildungsfähige Vorerkrankung, eine im Vorstadium befindliche Erkrankung oder ein Karzinom vor. Diese Präparate werden von einer besonders erfahrenen Assistentin (leitenden Assistentin) überprüft. Von ihnen scheidet die leitende Assistentin nach einer weiteren Untersuchung wiederum ca. 30 v.H. als unverdächtig aus und trägt das Ergebnis in einem Vordruck ein, der von ihr und der untersuchenden Assistentin unterzeichnet wird. Das verbleibende verdächtige Material - das sind ca. 20 v.H. des Gesamtmaterials - wird einem vom Kläger angestellten Arzt zur weiteren Untersuchung vorgelegt. Dieser Arzt diagnostiziert die Präparate und verfaßt auf dem Vordruck die Legende. Anschließend werden die verdächtigen Präparate vom Kläger selbst mikroskopisch untersucht und diagnostiziert. Nach einem Vergleich beider Diagnosen wird die Legende auf dem Vordruck bestätigt oder neugefaßt. In diesen Fällen wird der Vordruck von allen an der Untersuchung Beteiligten unterzeichnet.

Im Institut waren beschäftigt:

 

ab 1. Oktober 1972

1976

   

Ärzte

4

5

leitende Assistentin

1

1

Hilfskräfte

4

6

Assistentinnen

8

16

kaufmännische Angestellte

3

5

Lehrassistentin

1

1

 

- - -

- - -

 

21

34

Im Institut wurden im Jahre 1976 insgesamt 260.000 Untersuchungen durchgeführt - pro Untersuchungsfall zwei Untersuchungen - . Bei 256 Arbeitstagen im Jahr ergab dies im Durchschnitt täglich 930 Untersuchungen. Diese Untersuchungen verteilen sich auf die Arbeitskräfte wie folgt:

Assistentinnen

650

Leitende Assistentin

95

angestellter Arzt und Kläger

185

 

- - -

 

930

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah in dem Betreiben des Instituts eine gewerbliche Tätigkeit des Klägers und erließ demgemäß für das Streitjahr 1974 einen Gewerbesteuermeßbescheid. Der Einspruch blieb in der Frage der Gewerbesteuerpflicht erfolglos.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, daß er das Institut aufgrund eigener Fachkenntnisse geleitet habe und auch insoweit eigenverantwortlich und damit nicht gewerblich tätig geworden sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, daß die Tätigkeit des Klägers im Rahmen des zytologischen Instituts als gewerblich i.S. des § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1974 und § 1 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) 1974 zu beurteilen und der angefochtene Gewerbesteuermeßbescheid deshalb zu Recht ergangen sei. Der Kläger sei insoweit nicht freiberuflich tätig gewesen, weil er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient, aber nicht leitend und eigenverantwortlich tätig geworden sei.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 1982 und den Gewerbesteuermeßbescheid vom 12. März 1980 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

1. Ein der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb i.S. des § 2 Abs. 1 GewStG 1974 ist gemäß § 1 Abs. 1 GewStDV 1974 (nunmehr § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige eine selbständige nachhaltige Betätigung ausübt, die mit Gewinnabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und wenn ferner die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft oder als Ausübung eines freien Berufs i.S. des EStG anzusehen ist. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ist die selbständige Berufstätigkeit eines Arztes eine freiberufliche und damit keine gewerbliche Tätigkeit. Dies gilt gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG auch dann, wenn sich der Arzt bei Ausübung seines Berufs der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist jedoch in diesem Fall, daß der Arzt aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.

Aus der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG folgt im Umkehrschluß, daß der Arzt, der zur Bewältigung seiner ärztlichen Berufstätigkeit Arbeitskräfte ohne fachliche Vorbildung mit Aufgaben beschäftigt, die ihren Kenntnissen entsprechen, dadurch seine Freiberuflichkeit nicht einbüßt, sofern im übrigen die Voraussetzungen einer ärztlichen Berufstätigkeit gegeben sind (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 18 EStG Anm. 105). Von diesem Grundsatz ist schon die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und die ältere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Frage der Freiberuflichkeit oder Gewerblichkeit im Falle der Beschäftigung von Hilfskräften in dem Betrieb eines freiberuflich tätigen Steuerpflichtigen ausgegangen. Durch das Steueränderungsgesetz vom 30. Juli 1960 - StÄndG 1960 - (BGBl I 1960, 616, BStBl I 1960, 514) sind in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Sätze 3 und 4 eingefügt worden, um anstelle der Vervielfältigungstheorie eine den Bedürfnissen der Freiberufler bessere Abgrenzung gegenüber den Gewerbetreibenden zu ermöglichen (zu BTDrucks III/1941, S. 4). Nach der Rechtsprechung des RFH und der früheren Rechtsprechung des BFH (z.B. RFH-Urteil vom 8. März 1939 VI 568/38, RStBl 1939, 577; BFH-Urteil vom 12. September 1951 IV 200/51 U, BFHE 55, 487, BStBl III 1951, 197) war ein Steuerpflichtiger Gewerbetreibender, wenn er seine berufliche Tätigkeit auf einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Gebiete durch die Beschäftigung fachlich vorgebildeter Hilfskräfte ersetzte oder vervielfältigte; begründet wurde dies damit, daß Freiberufler nur sei, wer die Berufstätigkeit persönlich ausübe, bei ihr also ausschließlich oder fast ausschließlich die eigene Arbeitskraft einsetze (BFH-Urteil vom 7. November 1957 IV 668/55 U, BFHE 66, 85, BStBl III 1958, 34, 37). Als schädlich in diesem Sinne wurde jedoch nur die Tätigkeit einer Hilfskraft angesehen, die der Tätigkeit des Berufsträgers gleichartig war (RFH-Urteil vom 26. Februar 1941 VI 227/40, RStBl 1941, 393; BFH-Urteile vom 29. Januar 1952 I 65/51 U, BFHE 56, 252, BStBl III 1952, 99; vom 15. Oktober 1953 IV 221/52 U, BFHE 58, 180, BStBl III 1953, 361; in BFHE 66, 85, BStBl III 1958, 34, 38). Darunter wurden Arbeiten verstanden, deren Vornahme regelmäßig die Ausübung eines freien Berufs, also die "eigentliche Aufgabe" des Freiberuflers bedeutete (RFH-Urteile im RStBl 1939, 577; vom 4. September 1940 VI 141/40, RStBl 1941, 665; vom 3. Februar 1943 VI 264/42, RStBl 1943, 434); im RFH-Urteil vom 27. August 1941 VI 199/40 (RStBl 1941, 721) wurde z.B. ausgeführt, daß es nicht angängig sei, daß Hilfskräfte auch "geistig führende" Arbeit mitübernähmen. Demnach wurden "untergeordnete Hilfstätigkeiten" fremder Arbeitskräfte als unschädlich für die Beurteilung angesehen, ob der Berufsträger freiberuflich oder gewerblich tätig wurde; dies galt nach der Rechtsprechung des RFH (z.B. Urteil vom 26. August 1942 VI 251/42, RStBl 1942, 1066) selbst dann, wenn die Hilfskräfte dieselbe fachliche Vorbildung wie der Berufsträger hatten, weil entscheidend auf die Art der Arbeiten der Hilfskräfte abgestellt wurde.

Diese Grundsätze gelten auch nach Inkrafttreten der Änderung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG durch das StÄndG 1960. Denn durch diese Gesetzesänderung sollte - wie ausgeführt - lediglich die Vervielfältigungstheorie der älteren Rechtsprechung durch andere Abgrenzungsmerkmale ersetzt werden; sie betraf damit nicht die steuerliche Beurteilung des Einsatzes von Arbeitskräften für nicht dem freien Beruf gleichartige Tätigkeiten.

2. Im Streitfall hat das FG die Freiberuflichkeit des Klägers hinsichtlich seiner Tätigkeit im Rahmen des zytologischen Instituts mit folgender Begründung verneint: 80 v.H. der eingehenden Untersuchungsfälle (die unverdächtigen Fälle) seien ausschließlich von den medizinisch-technischen Assistentinnen bearbeitet worden, ohne daß der Kläger daran mitgewirkt oder die Ergebnisse überprüft habe; damit sei er nicht mehr eigenverantwortlich tätig geworden. Das FG hat aber keine Feststellungen getroffen, wie die Tätigkeit der medizinisch-technischen Assistentinnen, die die unverdächtigen Fälle bearbeiten, zu qualifizieren ist. Im FG-Urteil ist lediglich ausgeführt, daß die medizinisch-technischen Assistentinnen diese Fälle untersuchen, das Ergebnis in einem Vordruck vermerken und den Vordruck unterzeichnen. Daraus kann nicht entnommen werden, ob die Arbeit der medizinisch-technischen Assistentinnen im Streitfall der eines ärztlichen Zytologen gleichartig ist oder ob es sich um eine untergeordnete Hilfstätigkeit handelt. Insbesondere im Hinblick auf die Regelung in § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über technische Assistenten in der Medizin (MTA-G) vom 8. September 1971 (BGBl I 1971, 1515) hatte das FG Anlaß zu der Prüfung, welcher Art die Tätigkeit der von dem Kläger eingesetzten medizinisch-technischen Assistentinnen war; nach dieser Vorschrift sind für die medizinisch-technischen Assistentinnen auf dem Gebiet der zytologischen Untersuchungen - im Gegensatz zu den Arbeiten auf den anderen Gebieten - nur "Hilfsleistungen" zugewiesen.

3. Auch die Feststellungen des FG zur Frage, ob der Kläger eigenverantwortlich i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG tätig geworden ist, tragen seine Entscheidung nicht.

Wird unterstellt, daß die mit der Untersuchung der unverdächtigen Fälle beauftragten Arbeitskräfte keine untergeordnete Hilfsleistungen erbracht haben, so reichen jedoch die Feststellungen des FG nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger auch eigenverantwortlich tätig geworden ist. Das FG hat insoweit lediglich festgestellt, daß die medizinisch-technischen Assistentinnen die Untersuchungen mikroskopisch durchgeführt und die von ihnen ausgefüllten Vordrucke unterzeichnet haben und daß ferner der Kläger an den Untersuchungen nicht mitgewirkt und sie auch nicht überprüft hat. Es hat aber keine Ausführungen darüber gemacht, ob die von den medizinisch-technischen Assistentinnen unterschriebenen Vordrucke mit den Befunden identisch waren, die den auftraggebenden Ärzten zugestellt wurden und ob der Kläger diese Befunde nicht vor Absendung zur Kenntnis genommen und unterzeichnet hat. Auch diesem Umstand hätte das FG bei der Prüfung, ob der Kläger eigenverantwortlich tätig geworden ist, ggf. Bedeutung beimessen müssen, zumal nicht auszuschließen ist, daß mit der Kenntnisnahme der Befunde durch den Kläger eine Plausibilitätskontrolle der Arbeiten der medizinisch-technischen Assistentinnen verbunden war.

Das FG hat ferner seine Entscheidung, daß der Kläger nicht eigenverantwortlich i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG tätig geworden ist, u.a. auch auf die hohe Zahl der in seinem Institut erledigten Fälle gestützt; es ist dabei von 930 Untersuchungen täglich im Durchschnitt ausgegangen. Diese Zahlen sind nach den Feststellungen des FG die Untersuchungsfälle des Jahres 1976. Diese durfte das FG seiner Entscheidung nicht zugrunde legen, da sie das Jahr 1974 betrifft; Angaben über die Fallzahlen des Streitjahres 1974 fehlen im Urteil. Hinzu kommt, daß nach der Sachverhaltsdarstellung im FG-Urteil der Kläger im Jahre 1976 16 medizinisch-technische Assistentinnen, in den Jahren davor aber nur 8 medizinisch-technische Assistentinnen beschäftigt hat, was dafür spricht, daß die Zahl der Untersuchungsfälle im Streitjahr 1974 wesentlich geringer als die im Jahre 1976 war.

4. Aus den genannten Gründen konnte das FG-Urteil keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann die für die Qualifizierung der Tätigkeit des Klägers als freiberufliche oder gewerbliche erforderlichen Tatsachen gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht selbst ermitteln. Die Sache war deshalb nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen.

5. Mit seiner Entscheidung weicht der Senat nicht von den im BFH-Urteil vom 25. November 1975 VIII R 116/74 (BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155) ausgesprochenen Rechtsgrundsätzen ab. Der VIII. Senat ist in seinem Urteil ersichtlich davon ausgegangen, daß auf Grund der gegebenen Sachlage die von dem Steuerpflichtigen beschäftigten Mitarbeiter fachlich vorgebildete Arbeitskräfte i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG waren und sie auch eine ihrer fachlichen Vorbildung vergleichbare Tätigkeit ausgeübt haben. Entsprechendes gilt auch für den BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1987 X B 54/87 (BFHE 151, 147, BStBl II 1988, 17).