| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 20.4.1988 (X R 20/82) BStBl. 1988 II S. 796

1. Betriebt ein Unternehmer in eigener Regie auf dem Gelände eines von einem anderen Unternehmer geführten zoologischen Gartens in einem festen Gebäude ein sogenanntes Delphinarium, in dem sich nur dressierte Delphine und Seelöwen befinden, so sind die hieraus erzielten Umsätze nicht solche eines zoologischen Gartens oder eines Tierparks. Die Leistungen sind auch nicht als Zirkusvorführungen oder als solche aus der Tätigkeit eines Schaustellers zu beurteilen.

2. Bescheinigt die zuständige Landesbehörde einem privaten Unternehmer, daß ein von ihm betriebenes sogenanntes Delphinarium "als Tiergarten" die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt wie die von Gebietskörperschaften geführten Tiergärten, so dürfen die Finanzbehörden gleichwohl die Steuerfreiheit der Umsätze mit der Begründung versagen, das Delphinarium sei weder ein zoologischer Garten noch ein Tierpark.

UStG 1973/1980 § 4 Nr. 20 Buchst. a; UStG 1973 § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. e; UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. d.

Sachverhalt

Umstritten war, ob die von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielten Umsätze aus einer Delphinschau gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes 1973/1980 (UStG) steuerfrei bleiben oder mit dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. e UStG 1973 bzw. Buchst. d UStG 1980 oder mit dem Regelsteuersatz gemäß § 12 Abs. 1 UStG zu versteuern sind.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH auf dem Gelände des zoologischen Gartens in A, der von der X-AG geführt wird, ein sogenanntes Delphinarium in einem von ihr errichteten festen Gebäude mit etwa 500 Sitzplätzen. Das Delphinarium ist Teil des zoologischen Gartens, in diesem aber abgegrenzt; es hat eine gegenüber dem zoologischen Garten selbständige Betriebsführung. Zugänglich ist das Delphinarium nur durch den zoologischen Garten. Nach den vertraglichen Vereinbarungen durften nur dressierte Delphine, Seelöwen, Haie usw. zur Schau gestellt werden. Es waren wenigstens vier trainierte Delphine und zwei trainierte Seelöwen zu halten und zu Vorführungen einzusetzen. Die gesamte Betriebsführung des Delphinariums oblag der Klägerin in eigener Regie und auf eigene Kosten.

Der Kultusminister des Landes Z hatte der Klägerin bescheinigt, "daß sie als Tiergarten die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt wie die vom Bund, von den Ländern ... geführten Tiergärten (§ 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1)". Diese Bescheinigung legte die Klägerin dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) vor.

In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen und den Umsatzsteuerjahreserklärungen ab 1974 gab die Klägerin die Umsätze aus der Delphinschau mit dem ermäßigten Steuersatz von 5,5 v.H. an. Die Umsatzsteuerveranlagungen für 1974 und 1975 wurden entsprechend den Umsatzsteuererklärungen vorläufig gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) durchgeführt. Anläßlich einer im Jahre 1978 durchgeführten Außenprüfung vertrat das FA in Übereinstimmung mit dem Prüfer die Auffassung, die Umsätze der Klägerin aus der Delphinschau seien mit dem Regelsteuersatz zu versteuern, da es sich nicht um unmittelbar mit dem Betrieb eines zoologischen Gartens verbundene Umsätze handele und die Veranstaltungen keine Zirkusvorführungen seien. Dementsprechend besteuerte es die Umsätze der Klägerin ab 1974 mit dem Regelsteuersatz von 11 v.H.

In den Umsatzsteuervoranmeldungen für die streitigen Voranmeldungszeiträume wies die Klägerin die Umsätze aus der Delphinschau als umsatzsteuerfrei aus. Das FA unterwarf jedoch diese Umsätze in den Umsatzsteuervorauszahlungenbescheiden dem Regelsteuersatz. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG, hilfsweise des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. e UStG 1973 bzw. Buchst. d UStG 1980. Sie beantragte zunächst sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die streitbefangenen Umsatzsteuervoranmeldungsbescheide in der Weise zu ändern, daß bei der Berechnung der Umsatzsteuervorauszahlungen die Umsätze aus dem Delphinarium steuerfrei belassen oder hilfsweise dem ermäßigten Steuersatz von 5,5 v.H. unterworfen werden.

Das FA beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Nach der mündlichen Verhandlung vor dem FG, aber vor Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens erließ das FA die Umsatzsteuerbescheide 1979 und 1980. Daraufhin hat es die Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt nunmehr, festzustellen, daß die angefochtenen Vorauszahlungsbescheide rechtswidrig gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die Revision war nicht schon deshalb zurückzuweisen, weil zwischenzeitlich die Umsatzsteuerjahresbescheide für die Jahre 1979 und 1980 ergangen sind. Durch die Bekanntgabe dieser Bescheide haben sich zwar die angefochtenen Bescheide erledigt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370). Damit war zwar das Rechtsschutzinteresse für die Klage weggefallen (vgl. BFH-Urteil vom 27. April 1982 VIII R 36/70, BFHE 135, 264, BStBl II 1982, 407). Die Klägerin hat jedoch zu Recht die behauptete Rechtswidrigkeit der Bescheide im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend gemacht. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht auf Antrag durch Urteil auszusprechen, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn sich dieser vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt hat und der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Der Senat kann unerörtert lassen, ob ein derartiger Feststellungsantrag grundsätzlich noch nach der mündlichen Verhandlung und vor Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens zu stellen gewesen wäre; denn selbst wenn dies zu bejahen wäre, könnten der Klägerin keine verfahrensrechtlichen Nachteile dadurch entstehen, daß sie erst im Revisionsverfahren zum Feststellungsbegehren übergegangen ist. Der BFH hat nämlich erst während des Revisionsverfahrens mit dem Urteil in BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370, unter Aufgabe seiner entgegengesetzten Rechtsansicht im Beschluß vom 13. Mai 1971 V B 61/71 (BFHE 102, 31, BStBl II 1971, 492) entschieden, daß der Rechtsstreit über die Anfechtung eines Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids in der Hauptsache erledigt ist, sobald der Umsatzsteuerjahresbescheid wirksam wird. Die vorherige Rechtsprechung hatte der Klägerin keine Veranlassung gegeben, nach Ergehen des Umsatzsteuerjahresbescheids nicht mehr an ihrem ursprünglichen Klageantrag festzuhalten.

Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung, die Vorauszahlungsbescheide seien rechtswidrig gewesen (vgl. § 40 Abs. 2 FGO). Da die Vollziehung des Vorauszahlungsbescheids ausgesetzt war (§ 361 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -, § 69 Abs. 2 oder 3 FGO), mußte die Klägerin befürchten, auf Aussetzungszinsen in Anspruch genommen zu werden (§ 237 Abs. 1 und 2 AO 1977), obwohl ihrer Ansicht nach die Festsetzung der Vorauszahlungen rechtswidrig war (vgl. BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370).

2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide waren rechtmäßig.

a) Die Umsätze aus dem Delphinarium sind nicht gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steuerfrei. Die Steuerfreiheit umfaßt nach dieser Vorschrift - soweit im Streitfall bedeutsam - nur die Umsätze von zoologischen Gärten und Tierparks. Zu diesen rechnet das Delphinarium der Klägerin nicht.

aa) Den in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG verwendeten Begriffen "zoologische Gärten" und "Tierparks" entsprechen nur Anlagen, in denen eine Vielzahl von Tieren sowie Tiere verschiedener Gattungen gehegt werden. Während der zoologische Garten möglichst viele Tierarten in wenigen Exemplaren beherbergt, werden im Tierpark weniger Arten, aber in Herden oder Zuchtgruppen auf großen Flächen gehalten (vgl. Brockhaus, Enzyklopädie, 19. Aufl., Stichwort "zoologischer Garten, Zoo"; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Mehrwertsteuer, Tz. 29 zu § 4 Nr. 20). Nur unter diesen Voraussetzungen sind auch die Umsätze aus Wasseranlagen, wie z.B. Aquarien, begünstigt. Diese Voraussetzungen erfüllt das Delphinarium der Klägerin nicht. Nach den unangefochtenen Feststellungen des FG hielt die Klägerin nur Delphine und Seelöwen, dies im übrigen vornehmlich zur Vorführung von Dressurakten. Es erscheint zwar nicht ausgeschlossen, daß auch zoologische Gärten oder Tierparks - in eigener Regie - Delphinarien unterhalten, in denen möglicherweise ebenfalls nur zwei Tierarten vertreten sind. Der Unterschied zum Streitfall besteht aber darin, daß ein solches Delphinarium dann Teil der Gesamtanlage ist, in der sich die geforderte Vielzahl von Tieren befindet. Da die Klägerin ihr Delphinarium jedoch in eigener Regie betreibt, ist diese Einrichtung für sich allein und nicht als Teil des gesamten Zoos zu beurteilen.

Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung auf den Sinn und Zweck der Befreiungsvorschrift verweist, nämlich Subventionierung der Einrichtungen und mangelnde Abwälzbarkeit der Steuer über die Eintrittspreise, unterliegt sie einem Irrtum. Dies betraf insbesondere Theater (vgl. zu BTDrucks V/1.581 S. 5), nicht aber auch zoologische Gärten und Tierparks. Deren Befreiung von der Umsatzsteuer wurde erst im Rahmen der Dritten Beratung des UStG 1967 in das Gesetz aufgenommen (vgl. Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, 105. Sitzung vom 26. April 1967, Stenographischer Bericht, S. 4.858, sowie Anlage 5 dazu - Umdruck 194 -, a.a.O., S. 4.905).

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat diese auch nicht deshalb einen Anspruch auf Steuerbefreiung, weil der Kultusminister des Landes Z bescheinigt hat, das Delphinarium der Klägerin erfülle die gleichen kulturellen Aufgaben wie die von der öffentlichen Hand geführten zoologischen Gärten. Diese Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde ist zwar eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Gewährung der Steuerbefreiung. Das FG hat jedoch im Ergebnis zu Recht eine Bindung des FA an die von der Klägerin vorgelegte Bescheinigung verneint. Eine solche Bindung kann nur insoweit eintreten, als die Entscheidungskompetenz den zuständigen Landesbehörden übertragen ist. Nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG haben diese jedoch lediglich darüber zu befinden, ob die einzelnen Einrichtungen die geforderten kulturellen Aufgaben erfüllen, nicht aber, ob es sich bei diesen Einrichtungen um Theater, Orchester, zoologische Gärten usw. im Sinn der genannten Vorschrift handelt. Für die Auslegung des Senats spricht auch der Bedeutungszusammenhang, in dem Satz 2 zu Satz 1 des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steht. Ob eine Einrichtung der Gebietskörperschaften die in Satz 1 dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestandsmerkmale erfüllt, entscheiden die Finanzbehörden in eigener Zuständigkeit. Ein Bedürfnis zur Einschaltung einer anderen Behörde unter dem Gesichtspunkt der größeren Sachkunde besteht bei den anderen Trägern der begünstigten Einrichtungen nur zur Prüfung der Frage, ob bestimmte kulturelle Erfordernisse erfüllt sind. Bei den von der öffentlichen Hand geführten Einrichtungen geht der Gesetzgeber vom Vorhandensein dieser Voraussetzungen aus.

b) Das FG hat ferner zutreffend entschieden, daß die Umsätze der Klägerin aus dem Delphinarium nicht dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. e UStG 1973 bzw. Buchst. d UStG 1980 unterliegen. Nach diesen Vorschriften ermäßigt sich die Steuer für die Zirkusvorführungen, für die Leistung aus der Tätigkeit als Schausteller sowie für die unmittelbar mit dem Betrieb der zoologischen Gärten verbundenen Umsätze.

aa) Das UStG bestimmt nicht, was unter dem Begriff "Zirkusvorführungen" zu verstehen ist. Nach der Wesensart eines Zirkus ist unter dem genannten Begriff nach allgemeinem Sprachgebrauch die Darbietung von Reitkunst, Tierdressur (besonders bei Pferden, Elefanten, Raubtieren) sowie Artistik im Rahmen eines circensischen Gesamtprogramms zu verstehen (vgl. Brockhaus, a.a.O., Stichwort "Zirkus"; Hartmann/Metzenmacher, a.a.O., Rdnr. 69 zu § 12 Abs. 2 Nr. 7). Diese Voraussetzungen erfüllt die Vorführung der trainierten Delphine nicht. Dabei kann der Senat unerörtert lassen, ob unter dem Begriff "Zirkusvorführungen" auch die einzelne Vorführung zu verstehen ist; denn der Rahmen, in dem die Delphinschau gezeigt wurde, war nicht ein Zirkus, sondern der zoologische Garten in A.

bb) Das FG hat ferner zu Recht die Leistungen der Klägerin nicht als "Leistungen aus der Tätigkeit als Schausteller" beurteilt. Darunter sind Schaustellungen, Musikaufführungen, unterhaltende Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten auf Jahrmärkten, Volksfesten, Schützenfesten oder ähnlichen Veranstaltungen zu verstehen. Schausteller sind Personen, die mit ihren der Unterhaltung dienenden Unternehmen gewerbsmäßig Jahrmärkte, Volksfeste usw. beschicken, also - anders als die Klägerin - von Ort zu Ort ziehen (BFH-Urteil vom 22. Juni 1972 V R 36/71, BFHE 106, 148, BStBl II 1972, 684). Demgegenüber erbringt die Klägerin ihre Leistungen ortsgebunden in einem festen Gebäude.

cc) Die Umsätze der Klägerin sind ferner nicht unmittelbar mit dem Betrieb eines zoologischen Gartens verbunden. Begünstigt sind insoweit nur die vom Inhaber eines zoologischen Garten selbst ausgeführten Umsätze. Zu Recht hat deshalb das FG die Auffassung vertreten, daß ein Unternehmer, der - wie die Klägerin - nicht selbst einen zoologischen Garten betreibt, nicht nach der genannten Vorschrift mit seinen Umsätzen begünstigt sein kann.

c) Das FG hat ferner zutreffend dargelegt, daß das FA nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert war, von der Anwendung des Regelsteuersatzes abzusehen. Die Bescheinigung des Kultusministers aus dem Jahre 1978 konnte keinen Vertrauensschutz gegenüber dem FA schaffen. Zum einen ist das FA im Streitfall nicht an die Bescheinigung gebunden, zum anderen hatte das FA nach den unangefochtenen Feststellungen des FG bereits zuvor im Rahmen der Außenprüfung den gegenteiligen Standpunkt eingenommen. Das FA hat ferner einen Vertrauenstatbestand nicht dadurch geschaffen, daß es in früheren Zeiträumen die Umsatzsteuervoranmeldungen insoweit nicht beanstandet und auch die Veranlagungen entsprechend vorläufig durchgeführt hatte. Es war nicht gehindert, in späteren Vorauszahlungszeiträumen sowie im Rahmen der endgültigen Veranlagung eine andere Rechtsauffassung zu vertreten. Daß ein entscheidungsbefugter Beamter eine Zusage erteilt habe, hat selbst die Klägerin nicht behauptet.