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BFH-Urteil vom 18.5.1988 (X R 11/82) BStBl. 1988 II S. 799

1. Steuerfrei gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG sind nur die typischen Theaterleistungen (Theateraufführungen u.ä.) einschließlich der damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen.

2. Die Lieferung von Speisen, Getränken und Süßwaren ist als eine solche Nebenleistung anzusehen, wenn das Theater die Waren in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einer typischen Theaterleistung ausschließlich an Theaterbesucher zum Verzehr an Ort und Stelle abgibt; ein gleichzeitiger Verkauf an andere Personen muß ausgeschlossen sein.

UStG 1973 § 4 Nr. 20 Buchst. a.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Sie unterhielt drei Theater. In diesen führte sie u.a. Opern, Operetten, Schauspiele und Musicals in A auf und veranstaltete Ballettvorführungen. Außerdem gab sie Gastspiele in anderen Städten des In- und Auslandes.

Zwischen der Klägerin und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -FA-) besteht Streit über die Steuerpflicht folgender Umsätze:

1. Vermieten von Theaterräumen und Ausstellungsvitrinen;

2. Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle durch das Theaterrestaurant an Theatergäste;

3. Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle durch die Kantine an die Arbeitnehmer der Klägerin;

4. Lieferung von Speisen und Getränken durch den fahrbaren Ausschank, durch den Süßwarenverkauf sowie durch den Erfrischungsstand;

5. Dulden der Aufstellung von Automaten; Gestalten der Anzeigenwerbung auf Eintrittskarten und Programmen;

6. Arbeiten der Werkstätten, Ausführung von Transporten für Mitglieder des Orchesters und für andere Personen;

7. Verleih und gelegentlicher Verkauf von Fundusmaterial.

Das FA teilte nicht die Auffassung der Klägerin, daß diese Umsätze gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1973 (UStG) steuerfrei seien und besteuerte sie mit dem Regelsteuersatz.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 271 abgedruckten Gründen abgewiesen. Seiner Ansicht nach sind steuerfrei nur die typischen Theaterleistungen, und zwar die Theateraufführungen selbst und die damit verbundenen üblichen Nebenleistungen, wie beispielsweise Programmverkauf und Vermietung von Operngläsern. Zu diesen begünstigten Leistungen seien die streitigen Umsätze nicht zu rechnen.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG. Sie beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und bei der Berechnung der Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 1975 die streitigen Umsätze steuerfrei zu belassen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der dem Revisionsverfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BMF) ist der Ansicht, nur die "eigentlichen" Theaterleistungen, einschließlich der damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen seien umsatzsteuerfrei. Die gegenteilige Ansicht der Klägerin sei mit der geschichtlichen Entwicklung, mit dem Sinn und Zweck des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG sowie mit dem EG-Recht nicht vereinbar.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Entgegen der Ansicht des FG kann auch die Lieferung von Speisen, Getränken und Süßwaren an Theatergäste zum Verzehr an Ort und Stelle gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steuerfrei sein.

1. Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei u.a. die Umsätze der von den Gemeinden geführten Theater. Die Steuerfreiheit erstreckt sich auch auf Umsätze von solchen Theatern, die in der Form einer privatrechtlichen Gesellschaft betrieben werden, vorausgesetzt, die Anteile an ihr gehören ausschließlich einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und die Erträge fließen ausschließlich dieser Körperschaft zu (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 4. Dezember 1958 V 102/58 U, BFHE 68, 165, BStBl III 1959, 64; ergangen zu § 47 Nr. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz -UStDB- 1951). Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen.

Das vom FA in der mündlichen Verhandlung zur Begründung seiner gegenteiligen Rechtsansicht angeführte BFH-Urteil vom 18. September 1952 V 3/51 U (BFHE 56, 763, BStBl III 1952, 293) ist nicht einschlägig; es betraf nicht den Anwendungsbereich des § 43 Nr. 1 UStDB 1938 (s. dazu unten 2.a), sondern den des § 18 UStDB 1938.

2. Das Gesetz umschreibt den Begriff "Umsätze der ... Theater" nicht näher. Es bedarf daher der Auslegung. Diese ergibt, daß steuerfrei nur die typischen Theaterleistungen, insbesondere die Theateraufführungen selbst einschließlich der damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen sind. Zu den Nebenleistungen gehören unter bestimmten Voraussetzungen auch die Lieferung von Speisen, Getränken und Süßwaren an Theaterbesucher zum Verzehr an Ort und Stelle.

a) Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, daß der Wortsinn des Begriffs "Umsätze der Theater" in seinem extensiven Verständnis auch andere als die typischen Theaterleistungen einschließlich der üblicherweise damit verbundenen Nebenleistungen umfaßt (vgl. dazu auch Schuhmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, Rdnr. 26 ff. zu § 4 Nr. 20; J.W. Schmidt, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 1969, 132). Der Wortsinn schließt jedoch eine einengende Auslegung nicht aus. Eine solche ist hier geboten. Sie ist allerdings nicht bereits aus dem Bedeutungszusammenhang, in dem die Vorschrift des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steht, zu rechtfertigen. Als Kontext kommen die den sozialen und kulturellen Bereich betreffenden Vorschriften des § 4 UStG in Betracht. Ihnen ist in dem für die Entscheidung bedeutsamen Bereich keine einheitliche begriffliche Systematik zu entnehmen. Sie lassen nicht erkennen, daß der Gesetzgeber den Umfang der jeweiligen steuerfreien Umsätze nach einem bestimmten einheitlichen Grundprinzip hat regeln wollen.

Die einschränkende Auslegung des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG erschließt sich vielmehr aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Entscheidend ist, daß der Gesetzgeber des UStG 1967 eine bestimmte Normsituation vorgefunden hatte, die gekennzeichnet war durch die höchstrichterliche Auslegung einer Vorgängervorschrift des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG und die sich hieran anschließende Gesetzgebungs- und Verwaltungspraxis.

Der Wortlaut des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG enthält in dem für den Streitfall maßgeblichen Regelungsbereich keine Abweichung gegenüber der entsprechenden Bestimmung in § 3 Abs. 5 UStDB 1934 (RGBl I 1934, 947 f.) und der ihr folgenden Vorschrift des § 43 Nr. 1 UStDB 1938 (RGBl I 1938, 1945). Danach waren ebenfalls steuerfrei "die Umsätze der ... Theater". Hierzu hat der Reichsfinanzhof (RFH) im Urteil vom 19. Juni 1942 V 183/41 (RStBl 1942, 895) die Auffassung vertreten, daß nur die typischen Theaterleistungen einschließlich der damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen (z.B. die Aufbewahrung der Garderobe, der Verkauf von Programmen, die Vermietung von Operngläsern usw.) umsatzsteuerfrei sind. Auch gemäß § 4 Nr. 23 UStG 1951 (s. dazu Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 16. August 1961, BGBl I 1961, 1330) waren die genannten Umsätze steuerfrei. Dazu hat der BMF im Erlaß vom 8. September 1961 (BStBl I 1961, 629, 634, Tz. 13) ausdrücklich dargelegt, der Umfang der befreiten Leistungen bei Theatern sei unverändert geblieben.

Wenn der Gesetzgeber des UStG 1967 bei diesen tatsächlichen Gegebenheiten die "Umsätze der ... Theater" von der Umsatzsteuer befreit hat, kann dies nur dahin verstanden werden, daß er ebenfalls nur die typischen Theaterleistungen einschließlich der damit üblicherweise verbundenen Nebenleistungen von der Umsatzsteuer hat befreien wollen. Auch der Übergang zur Mehrwertsteuer erfordert keine andere Beurteilung.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin führt ein Vergleich des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG mit § 4 Nr. 16 UStG zu keinem anderen Ergebnis. Das in dieser Vorschrift verwendete Wort "üblicherweise" bedeutet keine Einschränkung, sondern eine Erweiterung des Begünstigungsrahmens. Eine dem § 4 Nr. 16 UStG entsprechende Regelung befand sich schon in § 4 Nr. 15 UStG 1951. Danach waren zwar die "Umsätze aus der Tätigkeit als Krankenanstalt" begünstigt. § 42 UStDB 1951 bestimmte aber dazu, daß nur die unmittelbar der Krankenpflege dienenden Umsätze befreit waren (vgl. BTDrucks IV/1590, Teil B zu § 4 Nr. 16).

3. Die Annahme einer unselbständigen Nebenleistung setzt voraus, daß diese im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng (im Sinn einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung) zusammenhängt und üblicherweise in ihrem Gefolge vorkommt (BFH-Beschluß vom 18. Dezember 1980 V B 24/80, BFHE 132, 147, BStBl II 1981, 197).

a) Von diesen Grundsätzen ist das FG ausgegangen. Es hat danach zu Recht das Vermieten der Theaterräume und der Ausstellungsvitrinen, die Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle durch die Kantine an die Arbeitnehmer der Klägerin, das Dulden der Aufstellung von Automaten, das Gestalten der Anzeigenwerbung auf Eintrittskarten und Programmen, die Arbeiten der Werkstätten, das Ausführen von Transporten für Mitglieder des Orchesters und für andere Personen sowie den Verkauf und den Verleih von Fundusmaterial als nicht umsatzsteuerfrei angesehen. Es fehlt bei diesen Leistungen an einem engen Zusammenhang mit der Hauptleistung, der Theateraufführung. Dabei geht der Senat entsprechend dem Vorbringen der Klägerin in der Revisionsbegründung davon aus, daß die Transporte Umzügen von Arbeitnehmern gedient haben.

Der Senat kann unerörtert lassen, welche dieser Leistungen als sog. Hilfsgeschäfte zu beurteilen sind; denn diese wären als solche nicht gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steuerfrei (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1971 V R 101/71, BFHE 103, 451, BStBl II 1972, 102 für Hilfsumsätze eines Steuerberaters).

b) Entgegen der Auffassung des FG kann jedoch die Lieferung von Speisen, Getränken und Süßwaren an Theaterbesucher als steuerfreie Nebenleistung zu beurteilen sein. Voraussetzung hierfür ist, daß das Theater die Waren in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einer typischen Theaterleistung ausschließlich an Theaterbesucher zum Verzehr an Ort und Stelle abgibt; ein gleichzeitiger Verkauf an andere Personen muß ausgeschlossen sein. Diese Auslegung trägt zum einen dem Umstand Rechnung, daß die genannten Leistungen nach den heutigen Anforderungen an den äußeren Rahmen einer Theaterveranstaltung als deren integraler Bestandteil anzusehen sind, und zwar ebenso wie beispielsweise der Verkauf von Programmen. Zum anderen dient sie, soweit sie dem Verkauf von Speisen und Getränken Grenzen zieht, der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen.

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, in welchem Umfang der Verkauf von Speisen, Getränken und Süßwaren durch die Klägerin entsprechend den unter 3.b) dargelegten Grundsätzen als steuerfreie Nebenleistung anzusehen ist.