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BFH-Urteil vom 5.7.1988 (VII K 12/86) BStBl. 1988 II S. 843

1. Zur Frage des berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer infolge der Zolltarifrechtsänderungen zum 1. Januar 1988 außer Kraft getretenen verbindlichen Zolltarifauskunft.

2. Zur Tarifierung hybrider integrierter Schaltungen (Anschluß an Senatsurteil vom 12. April 1988 VII K 3/87, BFHE 153, 94).

3. Eine hybride integrierte Schaltung liegt auch vor, wenn ein einzelnes (passives) Bauelement - hier: Kondensator - in herkömmlicher Technik gefertigt worden ist und die sonstigen Voraussetzungen nach Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT gegeben sind.

FGO § 100 Abs. 1 Satz 4; GZT Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85; Tarifst. 85.21 D II und 85.21 C.

Sachverhalt

I.

Die beklagte Oberfinanzdirektion - OFD - erteilte der Klägerin die verbindliche Zolltarifauskunft - vZTA - Nr. ... vom ... 1986, in der "Quarzoszillatoren Typ ..." als elektronische Mikroschaltungen (hybride integrierte Schaltungen) der Tarifst. 85.21 D II des Gemeinsamen Zolltarifs - GZT - zugewiesen wurden (Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT). Nach der Warenbeschreibung in der vZTA sind die aus Japan eingeführten Waren zum Einbau in unterschiedliche Geräte und Systeme bestimmte Taktgeber, jeweils bestehend aus einer Keramikträgerplatte, zwei diskreten Transistoren, vier Chipkondensatoren und einem Schwinger; die mit aktiven und passiven Bauelementen bestückten Platten sind in Metallgehäuse eingebaut. Nach den von der Klägerin zu ihrem Antrag auf Erteilung der vZTA gemachten Angaben ist eine wirtschaftlich sinnvolle Reparatur der Quarzoszillatoren nicht möglich.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin mit dem von ihr weiterverfolgten Ziel einer Zuweisung der Waren zu Tarifst. 85.21 C - gefaßte oder montierte piezoelektrische Kristalle - Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Die OFD machte u.a. geltend, daß die Chipkondensatoren als passive Bauelemente ohne Rücksicht auf ihre Herstellungstechnik gemäß Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT zugelassen seien. Sie hat nach Außerkrafttreten der vZTA infolge der Zolltarifrechtsänderungen zum 1. Januar 1988 die Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Klägerin hat ihr Klagebegehren umgestellt. Sie legt Wert auf die Feststellung, daß die vZTA rechtswidrig gewesen ist, und begründet ihr Interesse an der Feststellung unter Hinweis auf anhängige Rechtsbehelfsverfahren, in denen es um die Tarifierung von Quarzoszillatoren gehe, sowie damit, sie müßte bei nur prozessualer Erledigung des Klageverfahrens eine neue vZTA beantragen, die aufgrund der unveränderten Beurteilungskriterien voraussichtlich nicht anders ausfallen werde.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Klage ist zulässig.

Die Voraussetzungen nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO - sind gegeben; die angefochtene vZTA hat sich anders als durch Zurücknahme erledigt (vgl. § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes). Ihr berechtigtes Interesse an der nunmehr begehrten Feststellung hat die Klägerin in hinreichender Weise dargetan (zu den Anforderungen Senat, Urteil vom 29. April 1980 VII K 5/77, BFHE 130, 568, 570, BStBl II 1970, 593), wenn auch nur insoweit, als ihrem Vorbringen zu entnehmen ist, daß sie für künftige Einfuhren von Quarzoszillatoren die Tarifierung verbindlich geklärt wissen möchte. Die Erheblichkeit der Tarifierungsfrage in bereits anhängigen Verfahren, in denen die Rechtmäßigkeit von Eingangsabgabenbescheiden geklärt werden soll, würde nämlich ein berechtigtes Interesse noch nicht begründen (vgl. Senat, Urteile vom 4. April 1978 VII K 4/77, BFHE 125, 24, 26, BStBl II 1978, 407, und vom 19. April 1988 VII K 7/86, BFHE 153, 206). Für künftige Fälle behält die Tarifierungsfrage aber ihre Bedeutung. Bezogen auf die hier anzuwendenden Tarifvorschriften ist davon auszugehen, daß durch das neue Zolltarifrecht - Einführung der Kombinierten Nomenklatur (KN) zum 1. Januar 1988 -, das zum Außerkrafttreten der vZTA geführt hat, eine materielle Rechtsänderung nicht eingetreten ist. Die Umstellung des Zolltarifsystems auf die KN - Grundlage des jetzt geltenden GZT (vgl. Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den GZT, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 256/1) - ist für sich noch kein zureichender Grund, eine materielle Rechtsänderung anzunehmen. Ob eine solche Rechtsänderung konstitutiver oder deklaratorischer Art eingetreten ist, muß vielmehr unter Berücksichtigung der im Einzelfall maßgeblichen Tarifvorschriften entschieden werden. Insoweit hat sich das Zolltarifrecht materiell nicht geändert. Zwar gehören hybride integrierte Schaltungen nunmehr zu Position 8542.20.00 KN und piezoelektrische Kristalle zu Position 8541.6000; auch ist der Wortlaut der Anmerkung 5 B b zu Kapitel 85 KN gegenüber Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT leicht verändert. Dies bedeutet indessen nicht, daß eine materielle Änderung eingetreten sei. Die zolltarifliche Definition hybrider integrierter Schaltungen entspricht im wesentlichen dem früheren Zolltarifrecht. Demgemäß hält die OFD auch nach der jetzigen Rechtslage an ihrer Tarifauffassung fest.

2. Die Klage ist nicht begründet.

Die Tarifierung der Quarzoszillatoren gemäß der außer Kraft getretenen vZTA war richtig.

a) Der Tarifst. 85.21 C GZT konnten die Waren nicht zugeordnet werden. Diese Tarifstelle erfaßt nur die darin bezeichneten gefaßten oder montierten piezoelektrischen Kristalle (vgl. auch Erläuterungen zum Zolltarif - ErlZT - zu Tarifnr. 85.21 Teil I Rdziff. 31). Es kann dahinstehen, ob der sog. Schwinger für sich gesehen der Tarifst. 85.21 C GZT zuzuweisen gewesen wäre. Die tarifierten Waren selbst stellen sich jedenfalls nicht als piezoelektrische Kristalle dar. Auch über ATV 3b können sie nicht wie die in ihnen enthaltenen (möglicherweise charakterbestimmenden) Schwinger tarifiert werden, weil sie nach vorrangig geltendem Tarifrecht als hybride integrierte Schaltungen anzusprechen sind (ATV 1; nachstehend b).

b) Die Waren gehörten als elektronische Mikroschaltungen - hybride integrierte Schaltungen - im Sinne von Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT zu Tarifst. 85.21 D II GZT.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT lagen vor. Hybride integrierte Schaltungen kennzeichnen sich dadurch, daß passive und aktive Bauelemente, hergestellt teils in Dünnfilm- oder Dickfilmtechnik (u.a. Kondensatoren), teils in Halbleitertechnik, "auf praktisch untrennbare Weise" auf dem gleichen isolierenden Träger (u.a. Keramik) vereinigt sind; diese Schaltungen können auch miniaturisierte diskrete Bauelemente enthalten. Auf die Bedeutung, die ein einzelnes Bauelement hat, kommt es nicht an. Nicht entscheidend ist mithin, daß der Schwinger (Quarzkristall) charakterbestimmend ist, wie die Klägerin vorträgt.

Die einzelnen Bauelemente der Quarzoszillatoren sind im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin im Sinne von Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT auf praktisch untrennbare Weise auf dem gleichen isolierenden Träger vereinigt. Mit diesem Begriff der Untrennbarkeit wird, wie der EuGH entschieden hat (Urteil vom 19. November 1981 Rs. 122/80, EuGHE 1981, 2781, 2801), nicht auf die physische Unmöglichkeit der Trennung abgestellt; vielmehr genügt es, daß die verschiedenen Bauelemente so miteinander verbunden sind, daß sie unter Berücksichtigung der in der elektronischen Industrie üblichen technischen Möglichkeiten insbesondere zu Reparaturzwecken nur mit Hilfe von Verfahren voneinander getrennt werden können, deren Kosten außer Verhältnis zum Wert des Moduls stehen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erneut vorgetragen, das Erfordernis der praktischen Untrennbarkeit im vorstehend dargelegten Sinne sei in ihrem Falle nicht erfüllt. Sie ist indessen von ihrer im Antragsverfahren abgegebenen Erklärung, eine wirtschaftlich sinnvolle Reparatur der Waren sei nicht möglich, nicht ausdrücklich abgerückt, sondern hat, wie die von ihr angeregten Vorlagefragen zeigen, damit im wesentlichen ihre Auffassung bekräftigt, daß Untrennbarkeit auch dann nicht gegeben sei, wenn die Ware zerlegt werde und lediglich "gute Teile" weiterverwendet, "schlechte Teile" hingegen weggeworfen würden. Damit verkennt die Klägerin aber, daß die (praktische) Untrennbarkeit der Bauelemente nicht deshalb entfällt, weil einzelne Elemente herausgelöst und - nur - zur (Wieder-)Herstellung anderer Waren verwendet werden können. Zur näheren Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 12. April 1988 VII K 3/87 (BFHE 153, 94). Der Umstand, daß etwa Kristalle aus den Quarzoszillatoren ausgebaut und zur Herstellung neuer Waren verwendet werden können, ist, weil es sich dabei nicht um eine nur vorübergehende Abtrennung handelt, nicht geeignet, die Untrennbarkeit der Bauelemente in Frage zu stellen.

Auch die sonstigen Voraussetzungen nach Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT lagen vor, obwohl das (passive) Bauelement "Kondensator" nicht in Dünn- oder Dickfilmtechnik (vgl. ErlZT, a.a.O., Rdziff. 73; jetzt Anm. 5 B b zu Kapitel 85 KN), sondern in herkömmlicher Technik hergestellt worden ist (Lötvorgang). Der von der Klägerin vertretenen Gegenansicht kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn es richtig wäre, daß hybride integrierte Schaltungen nur vorliegen, wenn alle passiven Bauelemente in Filmtechnik hergestellt worden sind, ergäbe sich keine andere Tarifierung. Denn dann würden die Quarzoszillatoren trotz Fehlens eines Bauelements (Kondensator) mit der vorausgesetzten Beschaffenheit als unvollständige Waren mit den wesentlichen Beschaffenheitsmerkmalen der vollständigen Erzeugnisse gleichfalls als hybride integrierte Schaltungen anzusprechen sein (vgl. ATV 2a); eine Bestückung der Schaltung mit "anderen" Bauelementen, die eine anderweitige Tarifierung rechtfertigen könnte (vgl. ErlZT, a.a.O., Rdziff. 76), wäre nicht gegeben, da auch ein in herkömmlicher Technik gefertigter Kondensator ein passives Bauelement ist.

Abgesehen davon setzt Vorschrift 5 B c zu Kapitel 85 GZT nach Auffassung des Senats nicht voraus, daß sämtliche passiven Bauelemente in Filmtechnik hergestellt worden sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese zolltarifliche Beurteilung, wie die OFD meint, darauf gestützt werden könnte, daß hybride integrierte Schaltungen auch miniaturisierte diskrete Bauelemente enthalten dürfen (Vorschrift 5 B c Satz 2 zu Kapitel 85 GZT), also Elemente, die sich, möglicherweise ohne Rücksicht auf die zu ihrer Herstellung angewandte Technik, durch ihre geringe Größe und die Dichte der Anordnung kennzeichnen (vgl. dazu EuGHE 1981, 2781, 2798). Entscheidend ist, daß die vorbezeichnete Vorschrift, die hybride integrierte Schaltungen im zolltariflichen Sinne definiert, nicht "nur" in ...-Technik hergestellte Bauelemente anspricht, sondern die übliche Herstellungstechnik zunächst lediglich beschreibt und darüberhinaus verlangt, daß überhaupt in einer solchen Technik gefertigte Bauelemente vorliegen. Nach einem allgemeinen Tarifierungsgrundsatz gilt jede Anführung von Waren aus einem bestimmten Stoff vorbehaltlich vorrangiger Tarifvorschriften auch für Waren, die nur teilweise aus diesem Stoff bestehen (ATV 2b Satz 2); dabei erübrigt sich ein Rückgriff auf ATV 3, wenn trotz Vorhandenseins anderer als der in der Position genannten Stoffe keine weitere Position für die Einreihung in Betracht kommt (vgl. Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, F II 2 Rz. 18 und 30). Entsprechend diesem Grundsatz darf die Anführung von den eine Ware bildenden Einzelbestandteilen bestimmter Fertigungstechniken als auch für Einzelbestandteile anderer Techniken gültig verstanden werden, wenn die in der jeweils bestimmten Technik hergestellten Bestandteile überwiegen und kein Anhaltspunkt für die Annahme besteht, daß die maßgebende Tarifnorm Waren mit Einzelbestandteilen anderer Techniken ausschließen will.

So verhält es sich hier. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, daß Waren der zu beurteilenden Art von Tarifst. 85.21 D II GZT ausgeschlossen sein sollten, daß die Technik der Herstellung der Bauelemente einer hybriden integrierten Schaltung für die Tarifierung eine so erhebliche Rolle spielt, daß sämtliche Bauelemente in der maßgebenden Technik gefertigt sein müssen. Wäre dies bezweckt gewesen, so hätte es nahegelegen, wenn nicht sich aufgedrängt, hybride integrierte Schaltungen etwa dahin zu definieren, daß bei ihnen ... Bauelemente, "ausschließlich" teils in ..., teils in ...-Technik hergestellt, auf praktisch untrennbare Weise ... vereinigt vorliegen müssen. Mangels einer solchen Präzisierung kann die maßgebende Tarifvorschrift nicht in der Weise gedeutet werden, wie die Klägerin sie verstanden wissen will.