| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 29.3.1988 (VII R 92/85) BStBl. 1988 II S. 953

1. Der Finanzrechtsweg ist gegeben für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Ausstellung von Präferenznachweisen und deren Nachprüfung durch die deutschen Zollbehörden nach den Regeln des Freihandelsabkommens EWG/Österreich.

2. Die Mitteilung der deutschen Zollbehörden an die österreichischen Zollbehörden über das Ergebnis ihrer Überprüfung der Echtheit und Richtigkeit eines Präferenznachweises ist kein Verwaltungsakt und bindet ebensowenig wie der Präferenznachweis selbst die österreichischen Zollbehörden.

3. Die Mitteilung (2.) ist nicht abhängig von der vorherigen "Rücknahme" eines von den deutschen Zollbehörden nunmehr für unrichtig gehaltenen Präferenznachweises. Für die Anfechtung einer solchen "Rücknahme" besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Frage der Unrichtigkeit des überprüften Präferenznachweises nicht streitig ist..

FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1; Freihandelsabkommen EWG/Österreich Protokoll Nr. 3 i.d.F. der VO (EWG) Nr. 2930/77 Art. 10 Abs. 3, Art. 16, Art. 17.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) legte dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) eine von ihr ausgefüllte Warenverkehrsbescheinigung EUR. 1 für acht Druckapparate mit Druckarmaturen und Rührgeräten zur Sektherstellung vor, die im Präferenzverkehr zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Österreich ausgeführt werden sollten. Nach den Eintragungen der Klägerin sollte es sich um Ursprungswaren der EG handeln. Das HZA bescheinigte am 21. Juli 1983 die Richtigkeit dieser Erklärung in dem dafür vorgesehenen Feld der Bescheinigung. Auf Ersuchen des Bundesministeriums für Finanzen in Wien vom 25. August 1983 überprüfte das HZA im Wege der Außenprüfung bei der Klägerin die Bescheinigung auf Echtheit und Richtigkeit. Dabei wurde festgestellt, daß die Apparate von der Klägerin technisch konzipiert und nach Zeichnungen bei verschiedenen Vorlieferanten in Auftrag gegeben worden waren. So wurden die Drucktanks unter Zulieferung von Tankböden und -deckeln aus der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) von einem Betrieb in der DDR hergestellt. Die Druckarmaturen und die Rührwerke wurden in der Bundesrepublik gefertigt. Die Klägerin ließ die Drucktanks unmittelbar von der DDR nach Österreich befördern und die Teile aus der Bundesrepublik unterwegs beipacken.

Mit Schreiben vom 3. November 1983 übersandte das HZA der Klägerin Abschrift des Prüfungsberichts und erklärte: Die Bescheinigung für die Drucktanks sei zu Unrecht ausgestellt worden und werde hiermit zurückgenommen. Das Prüfungsergebnis werde der österreichischen Zollbehörde mitgeteilt. Gegen diese Entscheidung sei Beschwerde möglich. Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) Koblenz mit Entscheidung vom 13. Februar 1984 zurück.

Ihre Anfechtungsklage begründete die Klägerin im wesentlichen wie folgt: Es sei zwar richtig, daß die Drucktanks wegen der Herstellungsprozesse in der DDR ihren Ursprung insgesamt nicht in der Gemeinschaft hätten. Gleichwohl habe die Sachbearbeiterin des Zollamts auf ausdrückliche Anfrage unter ausführlicher Darlegung des Sachverhalts eine gegenteilige Auskunft erteilt und die Warenverkehrsbescheinigung am 21. Juli 1983 ausgefertigt. Unter diesen Umständen habe sie, die Klägerin, aus dem Vertrauensschutzprinzip sowie aus dem Grundsatz des venire contra factum proprium einen Rechtsanspruch auf Aufrechterhaltung der ihr erteilten Warenverkehrsbescheinigung.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab:

Die Beteiligten gingen übereinstimmend zu Recht davon aus, daß die Warenverkehrsbescheinigung hinsichtlich der Drucktanks unrichtig gewesen sei. Das HZA habe deshalb die Bescheinigung zu Recht insoweit zurückgenommen. Die Grundsätze von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes stünden der Rücknahme nicht entgegen. Die Bescheinigung sei eine Beweisurkunde. Das ergebe sich aus Art. 10 Abs. 3 des Protokolls Nr. 3 zu dem Abkommen zwischen der EWG und der Republik Österreich vom 22. Juli 1972 (im folgenden: Protokoll Nr. 3) i.d.F. des Beschlusses Nr. 1/77 des Gemischten Ausschusses, der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2930/77 (VO Nr. 2930/77) des Rates vom 20. Dezember 1977 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 341/27) in der EWG für anwendbar erklärt worden ist (vgl. auch Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung - VSF - Z 4137). Diese Beweisurkunde stehe unter dem jederzeitigen Vorbehalt der nachträglichen Prüfung (Art. 17 Abs. 1 Protokoll Nr. 3). Dieser gesetzliche Nachprüfungsvorbehalt sei aus dem Vordruck selbst ersichtlich. Wegen des Nachprüfungsvorbehalts sei gegenüber dem HZA keine Vertrauensschutzlage geschaffen worden. Deswegen komme auch der Grundsatz des venire contra factum proprium nicht zum tragen. Das gelte selbst dann, wenn man zugunsten der Klägerin ihren Klagevortrag über die von der Sachbearbeiterin erteilte Auskunft als wahr unterstelle. Diese sei als Abfertigungsbeamtin nicht zuständig für die Abgabe einer verbindlichen Erklärung gewesen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet.

1. Das FG hat den Finanzrechtsweg zu Recht für gegeben erachtet (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 1986 VII R 122/83, BFHE 148, 372, 374; Beschluß des FG Hamburg vom 7. August 1979 IV 185/78 S-H, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 28). Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten i.S. des § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Abgabenangelegenheiten in diesem Sinn sind u.a. alle mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten (§ 33 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Ausstellung einer Warenverkehrsbescheinigung und die nachträgliche Prüfung ihrer Echtheit und Richtigkeit ist in Titel II - Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen - des Protokolls Nr. 3 als eine Form der zwischenstaatlichen Amtshilfe geregelt. Diese Amtshilfe soll in einem Verhältnis strikter Bilateralität gewährleisten, daß die ausbedungenen Präferenzen gegenseitig auch tatsächlich gewährt und nicht von einer Seite in Frage gestellt werden (Senatsurteil vom 30. Juli 1985 VII R 142/82, BFHE 144, 297, 301). Die Amtshilfe betrifft also Fragen der Gewährung einer Zollvergünstigung im jeweiligen Einfuhrstaat, d.h. eine Steuersache. Die zwischenstaatliche Amtshilfe in Steuersachen ist in § 117 AO 1977 behandelt. Sie hängt daher mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörden i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 FGO zusammen.

2. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Sie ist unzulässig, da der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen des finanzgerichtlichen Verfahrens - und damit auch des Rechtsschutzbedürfnisses - hat auch das Revisionsgericht zu prüfen.

a) Die Klägerin hat Anfechtungsklage erhoben mit dem Begehren, den Bescheid vom 3. November 1983 in Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD vom 13. Februar 1984 ersatzlos aufzuheben. Ein Interesse der Klägerin an diesem Ausspruch läge nur vor, wenn dieser auf die Gewährung der Vorzugsbehandlung nach dem Assoziationsabkommen EWG/Österreich auf die von der Klägerin ausgeführten Waren in Österreich einen wie auch immer gearteten Einfluß haben könnte. Das wäre nur dann der Fall, wenn die formelle "Rücknahme" der Warenverkehrsbescheinigung rechtliche Voraussetzung für die Befugnis der deutschen Zollbehörden wäre, das Ergebnis der Nachprüfung von Echtheit und Richtigkeit der Bescheinigung vom 21. Juli 1983 den ersuchenden österreichischen Zollbehörden mitzuteilen, oder wenn die letzteren Zollbehörden ohne diese "Rücknahme" gehindert wären, entsprechend der Mitteilung der deutschen Zollbehörden die Eigenschaft der eingeführten Ware als Ursprungserzeugnis i.S. des Protokolls Nr. 3 zu verneinen. Das aber ist nach den Regelungen des Protokolls Nr. 3 - das durch die VO Nr. 2930/77 Gemeinschaftsrecht geworden ist - nicht der Fall.

Nach Art. 16 Abs. 1 Protokoll Nr. 3 leisten sich die Zollbehörden der Mitgliedstaaten der EWG und Österreichs gegenseitig Amtshilfe bei der Überprüfung der Echtheit und Richtigkeit der Warenverkehrsbescheinigungen. Dementsprechend ersuchte das österreichische Bundesministerium für Finanzen die deutschen Zollbehörden um die Überprüfung der Warenverkehrsbescheinigung vom 21. Juli 1983. Entsprechend führte die deutsche Zollverwaltung eine Nachprüfung durch und gelangte dabei zu dem - auch von der Klägerin nicht bestrittenen - Ergebnis, daß die Bescheinigung hinsichtlich der ausgeführten Drucktanks unrichtig war. Nach Art. 17 Abs. 3 Protokoll Nr. 3 haben die deutschen Zollbehörden das Ergebnis ihrer Überprüfung den österreichischen Zollbehörden mitzuteilen. Diese Mitteilung als solche ist nur eine Wissenserklärung und Meinungsäußerung ohne Regelungscharakter (Beschluß des FG Münster vom 18. April 1980 IV 229/80 Z-A, EFG 1980, 469; Dorsch, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1985, 130, 132; Dewitz, ZfZ 1981, 107). Diese Mitteilung hat nach der Regelung der Art. 16 und 17 Protokoll Nr. 3 für die österreichischen Zollbehörden keine verbindliche Wirkung (Beschluß des FG Münster in EFG 1980, 469, 470; Dewitz, ZfZ 1981, 107). Sie ist eine reine "Mitteilung" ohne Regelungsabsicht, anhand der dann die österreichischen Zollbehörden u.a. "feststellen", ob die Waren "wirklich unter die Vorzugsbehandlung fallen" (Art. 17 Abs. 3 Protokoll Nr. 3).

b) Die Übermittlung der Mitteilung an die österreichischen Zollbehörden ist nicht abhängig von der formellen "Rücknahme" des für die Klägerin ausgestellten Präferenznachweises (vgl. Senatsurteil in BFHE 148, 372, 375). Es kann dahinstehen, ob der Sichtvermerk der Zollbehörden des Ausfuhrstaates auf dem Präferenznachweis mit der Bestätigung der Richtigkeit der Erklärung des Antragstellers ein feststellender Verwaltungsakt ist (vgl. Senatsurteil in BFHE 148, 372, 375, mit Hinweisen auf Schrifttum und Rechtsprechung) und ob es, falls die Unrichtigkeit des Nachweises bei der Nachprüfung festgestellt wird, aus Gründen der Rechtsklarheit erforderlich ist, die Bescheinigung durch Verwaltungsakt ausdrücklich zurückzunehmen (vgl. die einschlägige Dienstanweisung des Bundesministers für Finanzen - BMF - in VSF Z 4215 Abs. 10, und Dorsch, ZfZ 1985, 130, 131). Jedenfalls gibt es keine Rechtsnorm, die die Mitteilung des Ergebnisses der Nachprüfung an die österreichischen Zollbehörden von der vorherigen Rücknahme des Präferenznachweises abhängig machen würde. Dieser ist ohnehin nur eine Beweisurkunde (Art. 10 Abs. 3 Protokoll Nr. 3), die den Einfuhrstaat nicht bindet (Beschluß des FG Münster in EFG 1980, 469, 471; Dewitz, ZfZ 1981, 107, 108). Die Zollbehörden des Einfuhrstaates sind nicht verpflichtet, die (nicht widerrufene) Bescheinigung anzuerkennen, wenn das Nachprüfungsverfahren i.S. der Art. 16 und 17 Protokoll Nr. 3 ihre Unechtheit oder Unrichtigkeit ergibt (vgl. Dorsch, ZfZ 1985, 131 mit Fußnote 12).

c) Zu einer anderen Auffassung zwingt auch nicht der verfassungsmäßig gesicherte Anspruch der Klägerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG). Falls die Klägerin durch die Mitteilung des Nachprüfungsergebnisses durch die deutschen an die österreichischen Zollbehörden in ihren Rechten verletzt sein sollte, steht ihr nach Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg offen. Aus Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich nichts dafür, daß die Gewährung ausreichenden Rechtsschutzes erfordere, entgegen den Regelungen des materiellen Rechts die Mitteilung an den Einfuhrstaat von der formellen Rücknahme des Präferenznachweises durch die Zollbehörden des Ausfuhrstaates abhängig zu machen (vgl. auch Dewitz, ZfZ 1981, 107, 108).

Die Auffassung des Senats, daß im vorliegenden Fall der Klägerin das Rechtsschutzinteresse fehlt, steht nicht im Widerspruch zur Senatsentscheidung in BFHE 148, 372. Anders als im vorliegenden Fall war dort die Frage, ob die betreffenden Waren Ursprungscharakter hatten, streitig. Überdies hatte die Klägerin im Fall des Urteils in BFHE 148, 372 anders als hier auch Leistungsklage erhoben.