| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 9.8.1988 (VII R 146/85) BStBl. 1988 II S. 964

1. Zur Frage kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Gleichbehandlung von kriegs- und zivilbehinderten Fahrzeughaltern.

2. Die kraftfahrzeugsteuerrechtliche Regelung für Schwerbehinderte (Zivilbehinderte) nach § 3a Abs. 2 KraftStG 1979 verstößt im Hinblick auf die weitergehenden Steuervergünstigungen für Schwerkriegsbeschädigte und diesen gleichgestellte Personen (§ 17 KraftStG 1979) nicht gegen den Gleichheitssatz.

GG Art. 3 Abs. 1; KraftStG 1979 § 3a, § 17.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), Inhaber eines Schwerbehindertenausweises, in dem eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 v. H. sowie das Merkzeichen "G" eingetragen sind, war nach seinen Angaben bei einem Eisenbahnunglück im Jahre 1947 als Fahrgast so schwer verletzt worden, daß eine Oberschenkelamputation vorgenommen werden mußte. Er ist Halter eines Personenkraftwagens, für den ihm die Kraftfahrzeugsteuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1972 ab 30. Juni 1975 voll, ab 1. Dezember 1975 teilweise erlassen wurde. Ab 1. Juni 1979 wurde für das Halten des Fahrzeugs Steuerbefreiung gewährt (§ 3 Nr. 11 KraftStG 1979). Aufgrund der Neuregelung der Kraftfahrzeugsteuervergünstigungen wurde durch Bescheid des Beklagten und Revisionsbeklagten - Finanzamt - FA ) - vom 3. Mai 1984 unter Berücksichtigung der vom Kläger beanspruchten Ermäßigung von 50 v. H. Kraftfahrzeugsteuer festgesetzt (§ 3a Abs. 2 KraftStG 1979). Einspruch und Klage gegen die Festsetzung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht - FG - entschied, Kraftfahrzeugsteuerfreiheit stehe dem Kläger seit dem 1. April 1984 nicht mehr zu. Diese komme nur noch für das Halten von Kraftfahrzeugen durch Schwerbehinderte mit Ausweisen mit den Merkzeichen "H", "Bl" oder "aG" in Betracht (§ 3a Abs. 1 KraftStG 1979), Schwerbehinderten mit Merkzeichen "G" im Ausweis stehe - anstelle der Freifahrtberechtigung - lediglich Steuerermäßigung zu. Der Kläger falle auch nicht unter den in § 17 KraftStG 1979 bezeichneten Personenkreis. Der Ansicht des Klägers, er werde gegenüber den unter diese Regelung fallenden gleichartig Behinderten sachlich ungerechtfertigt benachteiligt und damit in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt, könne nicht gefolgt werden. § 17 KraftStG 1979 sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, seine Heranziehung zur (ermäßigten) Kraftfahrzeugsteuer verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -. Verfassungsrechtlich sei eine Gleichstellung der Schwerbehinderten geboten. Es sei kein sachlich einleuchtender Grund dafür erkennbar, weshalb nicht auch "normale" Schwerbehinderte der erhöhten Fürsorge teilhaftig werden sollten bzw. weshalb ihnen die bereits gewährte Fürsorge anders als anderen wieder genommen werde. Die Vergünstigungen für die in § 17 KraftStG 1979 bezeichneten Personen seien zwar nicht zu beanstanden, doch verstoße es gegen das Sozialstaatsprinzip, wenn unter einseitiger Ausnahme einzelner Personengruppen, für die ein erhöhtes Schutzbedürfnis aufgrund Zeitablaufs nicht mehr erkennbar sei, bestehende Steuervergünstigungen gestrichen würden.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß dem Kläger seit dem 1. April 1984 - Inkrafttreten der Neuregelung über kraftfahrzeugsteuerrechtliche Vergünstigungen für Schwerbehinderte (Art. 10, Art. 13 Abs. 2 des Steuerentlastungsgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983, BGBl I 1983, 1583, BStBl I 1984, 14; vgl. zu den kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Auswirkungen Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Dezember 1985 9a RVs 40/85, BSGE 59, 242 f.) - für das Halten seines Fahrzeugs nur noch Kraftfahrzeugsteuerermäßigung nach § 3a Abs. 2 KraftStG 1979, nicht aber Steuerbefreiung zusteht, und daß die entsprechende Regelung unter Berücksichtigung von § 17 KraftStG 1979 keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung erkennen läßt.

Mit ihren lediglich gegen die verfassungsrechtliche Beurteilung durch das FG gerichteten Einwendungen kann die Revision nicht durchdringen.

1. Der Erfolg muß ihr allerdings nicht schon deshalb versagt bleiben, weil der Senat angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht entscheiden könnte, daß Steuerbefreiung nach § 3a Abs. 1 KraftStG 1979 auch anderen als den dort oder in § 17 KraftStG 1979 bezeichneten Behinderten - hier: mit im Schwerbehindertenausweis eingetragenen Merkzeichen "G" - zusteht, "anderen" Behinderten, deren Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um mindestens 50 v. H. gemindert ist. Wenn die Sondervorschriften - nur - zugunsten bestimmter Behinderter als verfassungswidrig anzusehen wären, müßte das Verfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - eingeholt werden. Würde dieses die Sonderregelung wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklären, so hätte der Gesetzgeber eine dem Gleichheitsgebot Rechnung tragende Neuregelung zu treffen, die - auch - darin bestehen könnte, daß Zivilbehinderte wie der Kläger den in § 3a Abs. 1 bzw. § 17 KraftStG 1979 bezeichneten Behinderten gleichgestellt werden. Aufgrund einer solchen Regelung könnte dem Klagebegehren dann entsprochen werden (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluß vom 1. August 1985 VI R 28/79, BFHE 144, 244, 254, BStBl II 1985, 664; Urteil vom 7. August 1986 IV R 225/84, BFHE 147, 376 f., BStBl II 1986, 862; siehe ferner BVerfG, Urteil vom 10. Februar 1987 1 BvL 18/81 und 20/82, BVerfGE 74, 182, 195, BStBl II 1987, 240, 244).

2. Ein Verfassungsverstoß ist indessen nicht ersichtlich. Dies gilt zunächst für die - allgemeine - Regelung über Kraftfahrzeugsteuervergünstigungen für Schwerbehinderte. Diese Vergünstigungen bestehen in einer Steuerbefreiung, die Hilflosen, Blinden und außergewöhnlich Gehbehinderten mit entsprechenden Ausweisen - Merkzeichen "H", "Bl" oder "aG" - zugute kommt (§ 3a Abs. 1 KraftStG 1979), sowie in einer Steuerermäßigung zugunsten bestimmter anderer Schwerbehinderter (§ 3a Abs. 2 KraftStG 1979). Auf die Ursache der Behinderung stellt das Gesetz nicht ab. Kriegs- und Zivilbehinderte sind, wie schon nach früherem Recht (§ 3 Nr. 11 KraftStG 1979 in der bis 31. März 1984 geltenden Fassung), gleichgestellt, wenn auch die früher für beide Gruppen von Behinderten unter näher bestimmten Voraussetzungen geltende Steuerbefreiung - sie hatte nach Ansicht des Gesetzgebers zu einer "Ausuferung" geführt (BTDrucks 10/336 S. 32) - für die jetzt in § 3a Abs. 2 KraftStG 1979 bezeichneten Personen durch eine Steuerermäßigung ersetzt worden ist. Mit dieser Gleichstellung ist der Gesetzgeber der Forderung nachgekommen, die Steuervergünstigung für die Zivilbeschädigten der der Kriegsbeschädigten anzugleichen (vgl. BTDrucks 8/1679 S. 18). Die Einschränkung der Steuerfreiheit begegnet als solche keinen rechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht gehindert, eine im Gesetz vorgesehene Steuerfreiheit - hier: die nach § 3 Nr. 11 KraftStG 1979 a. F. - abzuschaffen oder einzuschränken (vgl. BFH, Urteil vom 7. Mai 1987 IV R 125/86, BFHE 150, 22, 25, 27, BStBl II 1987, 530; BVerfG, Beschluß vom 28. November 1984 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287, 307, BStBl II 1985, 181, 185).

3. Auch soweit sich die Angriffe der Revision dagegen richten, daß die gewährten Vergünstigungen mit Ausnahme der für die unter § 17 KraftStG 1979 fallenden Personen beschnitten sind, sind die vom Kläger gerügten Verfassungsverstöße nicht erkennbar.

a) Die nach früherem Kraftfahrzeugsteuerrecht geltende Steuererlaßregelung zugunsten von Personen, die sich infolge ihrer Körperbehinderung ein Personenkraftfahrzeug hielten, unterschied nach "Schwerbeschädigten im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes und Personen, die den Körperschaden infolge nationalsozialistischer Verfolgungs- oder Unterdrückungsmaßnahmen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen erlitten haben" (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1972), und anderen Körperbehinderten, infolge ihrer Behinderung zur Fortbewegung auf die Benutzung eines Personenkraftfahrzeugs nicht nur vorübergehend angewiesen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG 1972): jenen konnte ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse die Steuer voll erlassen werden, wenn ihre Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 v. H. gemindert war, diesen konnte unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und von Art und Schwere der Behinderung ganz oder teilweise Steuererlaß gewährt werden (vgl. zur Rechtsentwicklung BFH, Urteil vom 13. Juli 1977 II R 149/76, BFHE 123, 66, 68 f., BStBl II 1977, 849; Egly/Mößlang, Kraftfahrzeugsteuer-Kommentar, 3. Aufl. 1981, Abschn. 22, a = S. 226). Diese bevorzugte Behandlung bestimmter Personen gegenüber anderen Behinderten war nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung unter Berücksichtigung des von den Begünstigten erbrachten Sonderopfers nicht zu beanstanden (BFH, Urteile in BFHE 123, 66, 68 f., BStBl II 1977, 849, und vom 14. September 1977 II R 25/77, BFHE 123, 196, 199, BStBl II 1977, 851; BVerfG, Beschluß vom 12. Oktober 1977 1 BvR 243/77, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977; 585; vgl. auch BFH, Urteil vom 15. Januar 1975 II R 152/72, BFHE 114, 449 f., BStBl II 1975, 274). Allerdings ist dabei auch ausgesprochen worden, "im gegenwärtigen Zeitpunkt" (1977) sei der Gleichheitssatz - Art. 3 Abs. 1 GG - noch nicht verletzt; mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Ende des zweiten Weltkriegs möge der Unterscheidungsgrund an Gewicht verloren haben. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Erwägung nunmehr die Verfassungswidrigkeit einer entsprechenden Regelung ergeben könnte, wäre eine solche zu beurteilen, oder ob die bisher für ausreichend erachteten Gesichtspunkte eine Ungleichbehandlung weiterhin verfassungsrechtlich zu rechtfertigen vermöchten. Im Streitfalle ist nicht eine Regelung zu werten, die - wie § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1972 während seiner Geltung - von jedem Begünstigten in Anspruch genommen werden kann, der dies unter Angabe der Gründe - künftig - geltend macht (§ 13 Abs. 1 der Kraftfahrzeugsteuer-Durchführungsverordnung - KraftStDV - 1961, § 7 Abs. 1 KraftStDV 1979), sondern eine Besitzstandsregelung, die nach dem Gesetz lediglich für Personen gilt, denen bei Inkrafttreten des KraftStG 1979 die Kraftfahrzeugsteuer nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1972 bereits erlassen war. Diese Personen galten, solange weiter in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um mindestens 50 v. H. gemindert, im Sinne von § 3 Nr. 11 KraftStG 1979 a. F. als in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt (§ 17 KraftStG 1979 a. F.); sie gelten jetzt unter derselben Voraussetzung im Sinne von § 3a Abs. 1 KraftStG 1979 ohne weiteren Nachweis als außergewöhnlich gehbehindert (§ 17 KraftStG 1979 in der seit dem 1. April 1984 geltenden Fassung).

b) Diese Regelung kann nach Ansicht des Senats verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden, auch wenn die Steuerbefreiung zugunsten der nicht durch § 3a Abs. 1 oder § 17 KraftStG 1979 erfaßten Schwerbehinderten weggefallen ist.

Bei der Ausgestaltung von Steuervergünstigungen steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, dessen Grenzen erst überschritten sind, wenn für die gesetzlich vorgesehen Differenzierung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind (BVerfG, Beschluß vom 26. Februar 1985 2 BvL 17/83, BVerfGE 69, 150, 159 f. mit Nachweisen; allgemein zur gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit im Steuerrecht auch Urteil in BVerfGE 74, 182, 200, BStBl II 1987, 240, 245, sowie Senat, Urteil vom 3. April 1984 VII R 12/78, BFHE 141, 73, 78). Differenzierungsgründe liegen hier vor. Es kann nicht als willkürlich angesehen werden, wenn der Gesetzgeber aus finanzpolitischen Erwägungen, nämlich um der festgestellten übermäßigen Inanspruchnahme ("Ausuferung") der Steuerbefreiung zu begegnen, die Steuervergünstigung einschränkt, von dem Eingriff jedoch einen nach dem Gesetz nicht mehr erweiterungsfähigen Kreis von Personen ausnimmt, denen zum Ausgleich für ihr der Gemeinschaft erbrachtes besonderes Opfer bisher - auch - (vollständiger) Steuererlaß gewährt worden war und denen die Vergünstigung in Gestalt der Steuerfreiheit weiterhin erhalten bleiben soll. Wird der "Besitzstand" dieses Personenkreises gewahrt - im Gegensatz zu dem (verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht garantierten) Besitzstand anderer Behinderter -, so beruht dies auf der fortwirkenden Anerkennung der Verpflichtung, die der Staat gegenüber Kriegsopfern und gleichzustellenden Personen hat. Selbst wenn dieser Grund nicht mehr ausreichend sein sollte, eine Regelung wie § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1972 jetzt noch zu rechtfertigen, so bleibt er jedenfalls geeignet, die Besitzstandsregelung nach § 17 KraftStG 1979 vertretbar erscheinen zu lassen. Dies gilt auch hinsichtlich der gewählten Art des für weiter angebracht gehaltenen Ausgleichs. Es ist Sache der Gesetzgebung zu bestimmen, ob er nur in Gestalt von Kriegsopfer- bzw. Entschädigungsrenten oder - auch - in Gestalt einer Steuerfreiheit gewährt werden soll. Ob der Gesetzgeber verfassungskonform auch eine andere Regelung hätte treffen können, hat der Senat nicht zu entscheiden.

4. Auch im übrigen ist nicht zu erkennen, daß die von der Revision beanstandete Regelung gegen Verfassungsrecht verstieße. Insbesondere kann in ihr kein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG) gefunden werden. Der Kläger hat nicht näher ausgeführt, inwiefern die Regelung mit diesem Prinzip unvereinbar sein sollte. Sein Bedenken gegen die von ihm für einseitig gehaltene Ausnahme einzelner Personengruppen, für die ein erhöhtes "Schutzbedürfnis" aufgrund Zeitablaufs nicht mehr recht erkennbar sei, verdeutlicht nur, daß der Kläger den Gleichheitssatz für verletzt hält. Dies trifft indessen - wie ausgeführt - nicht zu.