| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 12.7.1988 (VII R 4/88) BStBl. 1988 II S. 980

Die Haftung des Geschäftsführers für Umsatzsteuerschulden der Gesellschaft bemißt sich auch dann nur nach dem Grundsatz der anteiligen Befriedigung aller Gläubiger, wenn die Umsatzsteuervoranmeldungen nicht oder nicht ordnungsgemäß abgegeben wurden.

AO 1977 § 34, § 69; UStG § 16, § 18.

Sachverhalt

Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) als ehemaliger Geschäftsführer einer GmbH für deren Umsatzsteuerrückstände 1982 haftet (§§ 69, 34 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Der Kläger war ab 13. Juli 1982 alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Die GmbH hatte für die Voranmeldungszeiträume Januar bis September 1982 ihre Umsätze mit insgesamt 155.727 DM angegeben; ab Oktober 1982 wurden keine Voranmeldungen mehr abgegeben. In der am 14. Juni 1985 abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung hat die GmbH ihre Umsätze mit insgesamt 259.728 DM, also um 104.001 DM höher als in den Voranmeldungen, angegeben. Es ergab sich eine Nachzahlungsschuld von 11.508 DM.

Wegen dieser Steuerschuld erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) einen Haftungsbescheid, wobei er die Haftungssumme unter Einbeziehung von Säumniszuschlägen (924 DM) auf insgesamt 12.432 DM (11.508 DM + 924 DM) festsetzte.

Auf die mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage setzte das Finanzgericht (FG) die Haftungssumme durch Herausnahme der Säumniszuschläge auf 11.508 DM herab; im übrigen wies es die Klage ab.

Das FG führte aus:

Es komme nicht darauf an, ob die Nachzahlungsschuld, wie vom Kläger vorgetragen, bei ordnungsgemäßer Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung zum 31. Mai 1983 wegen Fehlens der erforderlichen Mittel von der GmbH nicht mehr hätte bezahlt werden können. Denn sie gehe darauf zurück, daß bereits die Voranmeldung zum 10. September 1982 nicht ordnungsgemäß abgegeben und so die Vorauszahlungsschuld nicht festgesetzt worden sei. Damit habe der Kläger bereits den Tatbestand des § 69 AO 1977 in seiner ersten Alternative - nicht oder nicht rechtzeitige Festsetzung der Vorauszahlungsschuld - erfüllt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Der Rechtsstreit betrifft die Frage der Haftung des Klägers der Höhe nach, also die Haftungssumme. Gegen die Haftung dem Grunde nach werden mit der Revision keine Einwendungen erhoben.

Das FG hat die Haftung der Höhe nach (unter Ausklammerung der Säumniszuschläge) im vollen Umfang der rückständigen Steuerschuld bejaht und dementsprechend die Klage im Hauptpunkt abgewiesen. Es hat dies damit begründet, der Kläger habe durch Nichtabgabe von Voranmeldungen hinsichtlich der aus den Veräußerungsvorgängen des Anlagevermögens bewirkten Umsätze die Nichtfestsetzung der hierauf entfallenden Umsatzsteuervorauszahlungsschuld verursacht, und zwar in vorsätzlicher Weise. Schon aus diesem Grund bestehe wegen Erfüllung der ersten Alternative von § 69 AO 1977 die Haftung der Höhe nach in vollem Umfang, und zwar ohne Rücksicht auf die Liquidität der GmbH. Die Frage der Liquidität und der damit zusammenhängende Grundsatz der anteiligen Umsatzsteuer im Haftungsfall (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172; vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539, und vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657) sei nur von Bedeutung im Zusammenhang mit der zweiten Alternative von § 69 AO 1977, also des Unterbleibens oder der nicht ordnungsgemäßen Tilgung der Steuerschuld. Eine Übertragung dieses Grundsatzes auf die erste Alternative des Haftungstatbestandes sei dagegen nicht zulässig.

2. Das FG läßt bei dieser Argumentation außer Betracht, daß im Streitfall - ebenso wie in den von ihm zitierten Fällen der BFH-Entscheidungen in BFH/NV 1986, 387, und vom 29. Oktober 1985 VII R 186/82 (BFH/NV 1986, 192) - nicht nur die in der Voranmeldung (zum 10. September 1982) zu erklärenden Umsätze nicht angegeben wurden, sondern daß auch die zum gleichen Zeitpunkt fällige Vorauszahlungsschuld (§ 18 Abs. 1 Satz 5 UStG 1980) - 11.508 DM - nicht getilgt worden ist. Es sind mithin - kumulativ - die beiden Alternativen des § 69 AO 1977 tatbestandlich erfüllt. Andererseits handelt es sich nur um einen - in einem einheitlichen Haftungsbescheid erfaßten - in sich abgeschlossenen Haftungsfall. Dies ist wesentlich, weil das Verschulden für diesen Haftungsfall nur einheitlich und nicht getrennt oder verselbständigt nach den Alternativtatbeständen des § 69 AO 1977 festgestellt werden kann. Da somit auch die zweite Alternative dieser Vorschrift - das Ausbleiben der Vorauszahlung - gegeben ist, ist damit zwangsläufig auch der dem Verschuldensbereich zuzuordnende Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer (Urteile des BFH in BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172; vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776) berührt, und zwar unabhängig davon, ob er im Streitfall durchgreift (hierzu unter Ziff. 3). Dieser Grundsatz käme sonst, und darauf läuft das finanzgerichtliche Urteil hinaus, in sämtlichen Fällen, in denen keine oder unrichtige Voranmeldungen abgegeben und (kumulativ) keine oder zu niedrige Zahlungen erbracht wurden - und das ist in diesem Bereich geradezu der Regelfall -, nicht zum Tragen. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer bliebe dann auf den kaum vorkommenden Fall beschränkt, daß zwar die Steuererklärungen (Voranmeldungen bzw. Jahreserklärung) inhaltlich richtig abgegeben, dagegen die Steuerzahlungen (Vorauszahlungen bzw. Jahresnachzahlung) - ohne Stundungsantrag - nicht ordnungsgemäß erbracht werden. Er würde also im Regelfall, nämlich dem des Zusammentreffens von unrichtigen Steuererklärungen und nicht ordnungsgemäßen Zahlungen praktisch leerlaufen. Das kann nicht richtig sein, zumal der dem Staat entstandene Schaden - die Haftung nach § 69 AO 1977 hat Schadensersatzcharakter (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., Tz. 2 zu § 69 AO 1977) - in erster Linie durch den Ausfall der Vorauszahlungen und weniger durch das Unterbleiben der Voranmeldungen verursacht ist. Gerade aus der Sicht des Schadensersatzes beinhalten aber die beiden Alternativen des § 69 AO 1977 einen einheitlichen Sinngehalt, so daß die Haftungssumme bei Vorliegen der ersten Alternative nicht höher ausfallen kann als bei Verwirklichung der zweiten oder - was die Regel - beider Alternativen zusammen. Gerade letzteres wäre indes der Fall, wenn man der von dem FG angewandten Betrachtungsweise folgte.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer bei der Haftung stets in Betracht kommt, wenn die Steuerschuld (gleich, ob Vorauszahlungs- oder Nachzahlungsschuld) nicht getilgt worden ist, und zwar - entgegen der Ansicht des FG - auch dann, wenn Voranmeldungen oder Jahreserklärungen nicht oder nicht ordnungsgemäß abgegeben wurden.

3. Das FG hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht geprüft, ob die Mittel der GmbH ausgereicht hätten, die rückständige Umsatzsteuerschuld zu erfüllen und, wenn dies nicht der Fall gewesen ist, in welchem Umfang die letztere nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer, also bei in etwa gleichmäßiger Befriedigung des FA und der anderen Gläubiger, hätte erfüllt werden müssen. Diese Feststellungen wird das FG nachholen. Für die Berechnung des angemessenen Umsatzsteueranteils ist nicht die Liquidität bei Festsetzung der Nachzahlungsschuld im Jahre 1985 maßgebend, auch nicht diejenige bei Ablauf des Abgabetermins für die Umsatzsteuerjahreserklärung 1982 (31. Mai 1983), sondern diejenige am 10. September 1982. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Vorauszahlungsschuld für den Umsatz aus den Anlageveräußerungen vom Juli 1982 zur Zahlung fällig (vgl. auch Urteil des BFH vom 2. Juli 1987 VII R 162/84, BFH/NV 1988, 220 unter Ziff. 3). Dabei geht der erkennende Senat auf der Grundlage der revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) davon aus, daß die rückständige Steuerschuld ausschließlich aus den mit den Anlageverkäufen bewirkten Umsätzen resultiert. Sie ist dann mit Ablauf des Monats Juli 1982 entstanden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG 1980) und zum 10. September 1982 fällig geworden (§ 18 Abs. 1 Satz 5 UStG 1980).