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BFH-Urteil vom 10.6.1988 (III R 232/84) BStBl. 1988 II S. 981

Im Einkommensteuerveranlagungsverfahren des Arbeitnehmers besteht keine verfahrensrechtliche Bindung an die im Lohnsteuerpauschalierungsverfahren getroffenen Entscheidungen. Das Veranlagungs-Finanzamt kann deshalb bei Verneinung der Pauschalierungsvoraussetzungen auch den pauschal besteuerten Arbeitslohn in die Veranlagung einbeziehen, ohne daß es einer vorherigen Änderung der Lohnsteueranmeldung bedarf.

AO 1977 §§ 168 Satz 1, 171 Abs. 10, 179 Abs. 1; EStG §§ 40 Abs. 3 Satz 3, 40a Abs. 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten. Der Kläger betreibt einen Gewerbebetrieb, in dem die Klägerin in den Streitjahren (1977 bis 1979) aufgrund eines steuerlich anerkannten Arbeitsverhältnisses als Mithilfe tätig war. Als Arbeitslohn erhielt sie im Jahr 1977 4.320 DM, 1978 4.640 DM und 1979 4.680 DM ausbezahlt.

Der Kläger erhob die Lohnsteuer für den Arbeitslohn seiner Ehefrau mit einem Pauschsteuersatz von 10 v.H. gemäß § 40a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und meldete sie jeweils zusammen mit der für die anderen Arbeitnehmer einbehaltenen Lohnsteuer beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) an. Eine am 5. Oktober 1979 für den Zeitraum 1. Januar 1976 bis 31. Dezember 1978 durchgeführte Lohnsteueraußenprüfung führte hinsichtlich der Pauschalierung des Arbeitslohns der Klägerin zu keinen Beanstandungen. Am 10. Oktober 1979 erließ das FA an den Kläger einen Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für die in den Jahren 1977 und 1978 abgegebenen Lohnsteueranmeldungen.

Im Jahre 1981 fand beim Kläger eine umfassende Außenprüfung für die Streitjahre statt. Der Prüfer vertrat die Auffassung, die Pauschalierung der Lohnsteuer für den Arbeitslohn der Klägerin könne mangels ausreichender Aufzeichnungen nicht anerkannt werden.

Das FA folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ für die Streitjahre Änderungsbescheide, in denen es den Arbeitslohn der Ehefrau als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigte und den Gewinn aus Gewerbebetrieb u.a. um den Anspruch des Klägers auf Erstattung der pauschalierten Lohn- und Lohnkirchensteuer erhöhte. Durch den Ansatz des Arbeitslohns ergab sich ferner wegen der Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG eine Verminderung der berücksichtigungsfähigen Vorsorgeaufwendungen. Die Änderung der Veranlagungen für 1977 und 1979 wurde auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), für das Jahr 1978 auf § 164 Abs. 2 AO 1977 gestützt. Eine Änderung oder Aufhebung der Lohnsteueranmeldungen des Klägers erfolgte nicht.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es vertrat die Auffassung, durch die Pauschalierung sei die Steuerschuld der Klägerin für ihre Einnahmen aus dem Arbeitsverhältnis erloschen; der Arbeitslohn dürfe bei der Veranlagung nicht berücksichtigt werden, solange die als Steuerbescheide wirkenden Lohnsteueranmeldungen nicht aufgehoben seien.

Mit seiner vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FA konnte den pauschal besteuerten Arbeitslohn der Klägerin im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung bei deren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erfassen, ohne daß es einer vorherigen Änderung der Lohnsteueranmeldungen bedurfte.

a) Es ist bereits zweifelhaft, ob sich der Regelungsinhalt der Lohnsteueranmeldung überhaupt auf die Festsetzung der vom Arbeitgeber geschuldeten pauschalen Lohnsteuer erstreckt. Zwar ist die Lohnsteueranmeldung eine Steuererklärung i.S. des § 150 Abs. 1 Satz 2 AO 1977, die nach § 168 Satz 1 AO 1977 einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Da der Arbeitgeber nach § 41a Abs. 1 Nr. 1 EStG lediglich die Summe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer ohne nähere Aufgliederung anzugeben hat, ist der Lohnsteueranmeldung nicht zu entnehmen, ob und ggf. in welchem Umfang der Arbeitgeber vom Pauschalierungsverfahren Gebrauch gemacht hat. In der Literatur wird deshalb die Auffassung vertreten, daß der Arbeitgeber mit der Lohnsteueranmeldung lediglich seine eigene - einheitliche - Entrichtungsschuld anmeldet und sich die Wirkung der Steuerfestsetzung auf die Festsetzung dieser Entrichtungssteuerschuld beschränkt (vgl. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 41a Anm. 2, m.w.N.).

b) Einer abschließenden Bestimmung des Regelungsinhalts einer Lohnsteueranmeldung bedarf es im Streitfall nicht, da die im Lohnsteuerabzugsverfahren im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebstätten-Finanzamt getroffenen Feststellungen das Veranlagungs-Finanzamt des Arbeitnehmers nicht binden. Die vom FG angenommene verfahrensrechtliche Bindung käme nur in Betracht, falls der Festsetzung der pauschalen Lohnsteuer die Wirkung eines Grundlagenbescheides beizumessen wäre. Eine derartige Wirkung besteht jedoch nicht.

aa) Die Abgabenordnung definiert in § 171 Abs. 10 AO 1977 den Grundlagenbescheid als einen Verwaltungsakt, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist, ohne die Voraussetzungen der Bindungswirkung näher zu bestimmen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für die Annahme einer Bindungswirkung grundsätzlich eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. April 1980 III R 34/78, BFHE 130, 441, 444, BStBl II 1980, 682, 684, und vom 30. September 1981 II R 105/81, BFHE 134, 192, BStBl II 1982, 80). Dieser Auffassung folgt auch die Kommentarliteratur (vgl. z.B. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 88 AO 1977 Anm. 25; Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, Rdnr. 16 vor § 179; Höllig in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3. Aufl., § 171 Rdnr. 40). Ohne gesetzlich angeordnete Bindungswirkung hat der erkennende Senat einen Grundlagenbescheid nur dort für möglich gehalten, wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag (Urteil vom 13. Dezember 1985 III R 204/81, BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245). Zuständigkeitsvorschriften allein und die allgemeine Verpflichtung der Behörden, die von anderen Verwaltungsbehörden im Bereich ihrer Zuständigkeit erlassenen Verwaltungsakte zu beachten, reichen jedoch für die Annahme eines Grundlagenbescheides nicht aus (vgl. Höllig in Koch, a.a.O.).

bb) Der Gesetzgeber hat eine verfahrensrechtliche Bindung des Veranlagungsverfahrens des Arbeitnehmers an die Entscheidungen im Lohnsteuer-Pauschalierungsverfahren nicht ausdrücklich angeordnet. Entgegen der Auffassung des FG kann eine Bindungswirkung auch nicht aus § 40 Abs. 3 Satz 3 EStG hergeleitet werden. Nach dieser Vorschrift bleiben der pauschal besteuerte Arbeitslohn und die pauschale Lohnsteuer bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer und beim Lohnsteuer-Jahresausgleich außer Ansatz. Der Regelung kommt lediglich materiell-rechtliche Bedeutung zu; sie enthält insbesondere keine Aussage darüber, in welchem Verfahren über das Vorliegen der Pauschalierungsvoraussetzungen zu entscheiden ist. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Verneinung einer Bindungswirkung die Gefahr widerstreitender Steuerfestsetzungen eröffnet. Eine Bindungswirkung kann jedoch nicht allein mit Zweckmäßigkeitserwägungen begründet werden. Einer ergänzenden Auslegung des § 40 Abs. 3 Satz 3 EStG im Wege der Rechtsfortbildung steht entgegen, daß der Gesetzgeber bei der Novellierung des Lohnsteuerrechts durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974 (BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1974, 530) im einzelnen bestimmt hat, welche Entscheidungen im Lohnsteuerverfahren einer gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gleichstehen (vgl. z.B. § 39 Abs. 3 Satz 4, § 39a Abs. 4 Satz 1 und § 39c Abs. 3 Satz 3 EStG 1975).

Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung ist jedoch vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten im Lohnsteueranmeldungs- und im Einkommensteuerveranlagungsverfahren unverzichtbar. Der Arbeitnehmer ist am Verfahren der Festsetzung der pauschalen Lohnsteuer weder beteiligt noch steht ihm insoweit ein Anfechtungsrecht zu. Denn durch die Pauschalierung geht die Steuerschuld des Arbeitnehmers in die betriebsbezogene Steuerschuld des Arbeitgebers ein und bringt das ursprüngliche Steuerschuldverhältnis mit dem Arbeitnehmer zum Erlöschen (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1982 VI R 219/80, BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91; vgl. auch Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 40 Anm. 8). Die Wirkungen eines Verwaltungsakts bleiben jedoch grundsätzlich auf die Verfahrensbeteiligten beschränkt (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).

2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der gewerbliche Gewinn des Klägers in den Streitjahren nicht um einen Anspruch auf Erstattung der angemeldeten und abgeführten pauschalen Lohnsteuer zu erhöhen ist.

Die Aktivierung von Forderungen setzt voraus, daß ein Forderungsrecht bereits entstanden ist oder daß wenigstens die für seine Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen bis zum Bilanzstichtag gesetzt worden sind (vgl. BFH-Urteile vom 12. April 1984 IV R 112/81, BFHE 141, 45, BStBl II 1984, 554, und vom 6. Dezember 1978 I R 35/78, BFHE 126, 549, BStBl II 1979, 262, jeweils m.w.N.). Ein möglicher Erstattungsanspruch des Klägers war in den Streitjahren jedoch noch nicht hinreichend konkretisiert. Denn an den jeweiligen Bilanzstichtagen war ungewiß, ob es zu einer Rückgängigmachung der Pauschalierung kommen würde, ohne die ein Rückforderungsanspruch des Klägers nicht entstehen konnte. Für derartige Überlegungen bestand im Streitfall um so weniger Anlaß, als das Betriebstätten-Finanzamt bei der im Jahre 1978 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung die Pauschalierung nicht beanstandet hatte.

3. Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht. Der erkennende Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da das FG zu den Pauschalierungsvoraussetzungen nach § 40a Abs. 1 EStG keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Die Sache war daher an das FG zurückzuverweisen, das bei seiner erneuten Entscheidung auch zu prüfen haben wird, ob für die Streitjahre 1977 und 1979 die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vorgelegen haben.