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BFH-Urteil vom 10.8.1988 (II R 252/83) BStBl. 1988 II S. 987

1. Bei viehlos betriebener Landwirtschaft kommt ein Abschlag gem. § 41 BewG grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn eine Viehhaltung unrentierlich ist und die natürlichen Ertragsbedingungen so beschaffen sind, daß sie eine Bodennutzung hoher Intensität objektiv nicht gestatten.

2. Zur Feststellung der Ertragsfähigkeit ist unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse vom Hauptfeststellungszeitpunkt der Bestand der gegendüblichen Viehhaltung als wirtschaftliche Ertragsbedingung mit dem tatsächlichen Zustand des Betriebs zum Feststellungszeitpunkt zu vergleichen.

3. Die objektive Beweislast (Feststellungslast) hat der Betriebsinhaber zu tragen.

BewG § 41; FGO § 96.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1984, 219)

Sachverhalt

Streitig ist bei der Einheitsbewertung des Betriebs der Land- und Forstwirtschaft auf den 1. Januar 1974, ob ein Abschlag wegen fehlender Tierhaltung vorzunehmen ist.

Der Kläger erwarb 1969 rd. 24 ha landwirtschaftlich genutzten Grundbesitzes. Am 1. Juli 1977 wurde der Hof dem Beigeladenen übertragen.

Der gegendübliche Viehbestand beträgt 145 Vieheinheiten (VE) je 100 ha. Im Betrieb des Klägers wird seit Bestehen des Betriebs kein Vieh gehalten, sondern nur Getreide und Mais angebaut.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) führte zum 1. Januar 1974 eine Nachfeststellung durch und stellte zunächst einen Einheitswert von 96.500 DM fest. Im Einspruchsverfahren wurde dieser Wert auf 83.800 DM ermäßigt. Die Änderung betraf nur den Wohnungswert. Den begehrten Abschlag wegen fehlender Tierhaltung versagte das FA auch weiterhin.

Mit der Klage begehrten die Kläger, ihnen einen solchen Abschlag zu gewähren und den Einheitswert auf 69.900 DM herabzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Es sah die Voraussetzungen des § 41 des Bewertungsgesetzes (BewG) für einen Abschlag als gegeben an. Seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 219 veröffentlicht.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision beantragt das FA sinngemäß, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt Verletzung von § 41 BewG.

Die Kläger treten dem Antrag entgegen.

Entscheidungsgründe

1. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

Der Einheitswert eines Betriebes der Land- und Forstwirtschaft mit landwirtschaftlicher Nutzung wird gemäß § 36 Abs. 1 BewG auf der Grundlage des Ertragswertes ermittelt. Dabei ist von der Ertragsfähigkeit auszugehen. Darunter ist der bei ordnungsmäßiger und schuldenfreier Bewirtschaftung mit entlohnten fremden Arbeitskräften gemeinhin und nachhaltig erzielbare Reinertrag zu verstehen (§ 36 Abs. 2 BewG).

Der Ertragswert wird durch ein vergleichendes Verfahren ermittelt (§ 37 Abs. 1 Satz 1 BewG). Die Unterschiede der Ertragsfähigkeit der gleichen Nutzung werden durch Vergleich der Ertragsbedingungen beurteilt (§ 38 Abs. 1 BewG). Dabei sind gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 1 BewG für die natürlichen Ertragsbedingungen und im Gesetz einzeln aufgeführte wirtschaftliche Ertragsbedingungen die tatsächlichen Verhältnisse zugrunde zu legen. Für die in § 38 Abs. 2 Nr. 1 BewG nicht genannten wirtschaftlichen Ertragsbedingungen, insbesondere die Betriebsorganisation und die Betriebsmittel sind die in der Gegend als regelmäßig anzusehenden Verhältnisse maßgebend (§ 38 Abs. 2 Nr. 2 BewG). Zu diesen wirtschaftlichen Ertragsbedingungen gehört auch der Viehbestand.

Weichen die tatsächlichen Verhältnisse bei einer Nutzung oder einem Nutzungsteil von den bei der Bewertung unterstellten regelmäßigen Verhältnissen der Gegend um mehr als 20 v.H. ab, so ist unter den weiteren Voraussetzungen des § 41 BewG (Mindestgrenzen) ein Abschlag oder ein Zuschlag am Vergleichswert zu machen. Dabei kommt nach der Auffassung des erkennenden Senats dem § 41 Abs. 2 BewG besondere Bedeutung zu. Danach ist ein Abschlag oder Zuschlag nach der durch die Abweichung bedingten Minderung oder Steigerung der Ertragsfähigkeit zu bemessen.

2. Im Streitfall wurde der gegendübliche Viehbestand mit 145 VE je 100 ha zugrunde gelegt. Ab- oder Zurechnungen bei den Ertragsmeßzahlen aufgrund der Bodenschätzung wegen eines abweichenden Tierbestandes waren nicht erfolgt.

Der vormals zuständige III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat in seinen Entscheidungen vom 23. November 1979 III R 78/77 (BFHE 129, 197, BStBl II 1980, 92) und III R 86/76 (BFHE 129, 192, BStBl II 1980, 90) zur Frage der Zurechnung und des Zuschlags wegen eines Mehrbestandes an VE bei der Feststellung des Einheitswerts eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft ausführlich Stellung genommen. Er kam zu dem Ergebnis, daß bei zunehmender Größe der Tierbestände die Ertragsfähigkeit je VE ansteigt und bestätigte die Richtigkeit des Zahlenwerks der Tabellen L 18 und L 30 in Abschn. 2.11 und 2.20 der Richtlinien für die Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens (BewRL). Der nunmehr zuständige II. Senat des BFH schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Das FG zieht hieraus den Schluß, daß bei viehlos betriebener Landwirtschaft ein Abschlag sich unmittelbar aus der Tabelle L 30 BewRL ergebe, denn darin komme auch die Veränderung der Ertragsfähigkeit im Sinne des § 41 Abs. 2 BewG zum Ausdruck.

Der erkennende Senat vermag dieser Ansicht nicht zu folgen.

3. Es entspricht privatwirtschaftlichen Grundsätzen, daß derjenige, der eine bestimmte Betriebsorganisation wählt und seinen Betrieb danach ausrichtet, die Absicht hat, die objektive Ertragsfähigkeit seines Betriebs nachhaltig und wesentlich zu steigern. Darauf gründen sich u.a. die Entscheidungen in BFHE 129, 197, BStBl II 1980, 92 und BFHE 129, 192, BStBl II 1980, 90. Dieses Ergebnis stützt sich außerdem auf die gesetzliche Förderungsmaßnahme der Landwirtschaft in § 51 BewG, durch die es Inhabern von Betrieben der Land- und Forstwirtschaft ermöglicht werden sollte, die Ertragsfähigkeit durch Intensivtierhaltung zu verbessern, ohne Gefahr zu laufen, aufgrund der Tierhaltung als Gewerbetreibende behandelt zu werden (vgl. auch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes -BewÄndG 1965- vom 13. August 1965, BStBl I 1965, 375, und Urteil des BFH vom 7. Oktober 1977 III R 13/75, BFHE 123, 519, BStBl II 1978, 89). Eine Ausnahme ist nur dann gegeben, wenn die verstärkte Tierhaltung eine Fehlmaßnahme darstellt. Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BFH ist demnach die Ertragsfähigkeit eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft. Dies hat bereits der Reichsfinanzhof (RFH) so erkannt (RFH-Urteile vom 4. Dezember 1930 III A 237/30, RStBl 1931, 513; vom 8. November 1930 III A 150/30, RStBl 1932, 386, und vom 4. September 1931 III A 861/30, RStBl 1932, 754). Für den Streitfall ergibt sich daraus folgendes: Entscheidet sich jemand - wie die Kläger - für eine Betriebsorganisation, mit der er auf die Viehhaltung verzichtet und allein Mais und Getreide anbaut, so wird er im Vorfeld seiner Entscheidung Überlegungen anstellen, ob er dadurch die Ertragsfähigkeit seines Betriebs nachhaltig steigern kann; zumindest jedoch geht er von der Erwartung aus, daß die von ihm bevorzugte Bodennutzung bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung keine nachhaltige Minderung der Ertragsfähigkeit bewirkt gegenüber Betrieben mit gegendüblicher Viehhaltung. Aus der so gewählten Art der Bewirtschaftung sind die im BewG enthaltenen Folgerungen zu ziehen. Dabei ist § 41 Abs. 2 BewG als notwendige Ergänzung der in § 41 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BewG getroffenen Regelungen anzusehen. Denn nur so wird gewährleistet, daß Betriebe mit unterschiedlicher Betriebsorganisation, aber gleicher Ertragsfähigkeit gleich bewertet werden. Eine andere Auffassung würde dazu führen, daß die Wandlungen in der Betriebsstruktur völlig außer Betracht bleiben müßten mit der Folge, daß eine etwaige Erhöhung der Bodenproduktivität als Ausdruck der tatsächlichen Verhältnisse bei der Besteuerung unberücksichtigt bliebe (Fortführung der Entscheidung in BFHE 123, 519, BStBl II 1978, 89). Anderes kann nur dann gelten, wenn die Viehhaltung aufgrund der natürlichen Ertragsbedingungen der Nutzung unrentierlich ist und wenn die Verwertung der Bodenerzeugnisse "durch den Magen des Viehes" wegen der bestehenden natürlichen Ertragsbedingungen (wie z.B. extrem leichte Böden oder weil Grünland wegen der Grundwasserverhältnisse nicht als Ackerland genutzt werden kann) durch eine Bodennutzung hoher Intensität objektiv nicht ausgeglichen werden kann.

Entgegen der Ansicht des FG kommt dem Zahlenwerk der Tabelle L 30 in Abschn. 2.20 BewRL im Streitfall nur die Funktion zu, die Höhe eines etwaigen Abschlags zu bemessen, wenn zuvor feststeht, daß die nachhaltige Ertragsfähigkeit gemindert ist.

4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat die nach den obigen Ausführungen notwendigen Feststellungen nachzuholen. Es hat unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse zum Hauptfeststellungszeitpunkt den Bestand der gegendüblichen Viehhaltung als wirtschaftliche Ertragsbedingung mit dem tatsächlichen Zustand des Betriebs der Land- und Forstwirtschaft zum Feststellungszeitpunkt zu vergleichen. Auf dieser Grundlage ist die Ertragsfähigkeit festzustellen. Dabei stellt sich die Frage, wer die objektive Beweislast (Feststellungslast) trägt (BFH-Urteil vom 5. März 1980 II R 148/76, BFHE 130, 179, BStBl II 1980, 402). Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, daß dies das beklagte FA ist. Vielmehr haben die Kläger glaubhaft darzulegen, daß durch ihre Art der Bewirtschaftung, die in ihre Verantwortungssphäre fällt, eine nachhaltige Reinertragsminderung von mehr als 20 v.H. eingetreten ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760; Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögenssteuergesetz, 8. Aufl., § 41 BewG, Anm. 11).