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BFH-Urteil vom 25.1.1989 (I R 17/85) BStBl. 1989 II S. 425

1. Die Haftung nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 ist eine solche auf Grund einer Tatbestandsverwirklichung. Sie tritt unabhängig davon ein, ob den Ersterwerber bezüglich des Haftungsgrundes ein Verschulden trifft.

2. Von der Haftung auf Grund einer Tatbestandsverwirklichung ist die Frage zu trennen, ob die Haftungsschuld gegenüber dem Haftenden stets geltend gemacht werden kann. Insoweit entscheidet das FA ggf. nach freiem Ermessen.

KVStG 1972 § 10 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 § 5, § 44, § 159, § 191.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Mit Gesellschaftsvertrag vom 16. Februar 1982 wurde die L-GmbH gegründet. Sie wurde am 7. Juni 1982 im Handelsregister eingetragen und am 2. März 1983 von Amts wegen gelöscht.

Bei Gründung der L-GmbH übernahm der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) die dem gesamten Stammkapital in Höhe von 50.000 DM entsprechenden Stammeinlagen. Nach dem Gesellschaftsvertrag waren die Stammeinlagen in voller Höhe bar bei Vertragsabschluß zu leisten. Der Kläger wurde zum Geschäftsführer der L-GmbH bestellt. Später wurde T Prokurist der L-GmbH.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte gegenüber der L-GmbH durch Bescheid vom 11. Januar 1983 Gesellschaftsteuer in Höhe von 500 DM fest. Da die L-GmbH die Steuerschuld nicht bezahlte, erließ das FA am 16. Mai 1983 einen entsprechend hohen Haftungsbescheid gegenüber dem Kläger. Im Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, Gesellschafter sei eigentlich T. Er sei von T nur vorgeschoben. Die Einlage sei von T geleistet worden. Der Kläger sei in kaufmännischen Dingen völlig unerfahren. Auf diese Einlassung hin forderte das FA den Kläger auf, die Existenz eines Treuhandvertrages zwischen ihm und T nachzuweisen (§ 159 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Da der Kläger den Nachweis nicht führte, wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, weil das FA vor der Haftungsinanspruchnahme des Klägers keine Ermessenserwägungen angestellt habe. Ermessenserwägungen seien im Streitfall nach den tatsächlichen Verhältnissen deshalb geboten gewesen, weil T gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 69 AO 1977 als Haftungsschuldner hätte in Anspruch genommen werden können.

Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 haftet bei einem Ersterwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft der Ersterwerber für die Gesellschaftsteuer. Diese Haftung ist eine solche auf Grund einer Tatbestandsverwirklichung. Sie tritt unabhängig davon ein, ob den Ersterwerber bezüglich des Haftungsgrundes ein Verschulden trifft.

2. Von der Haftung auf Grund einer Tatbestandsverwirklichung ist die Frage zu trennen, ob die Haftungsschuld gegenüber dem Haftenden stets geltend gemacht werden kann. Insoweit folgt aus dem Wesen der Haftung, daß sie neben die Steuerschuld tritt. Außerdem ist es denkbar, daß neben dem Ersterwerber noch andere Personen haften. In einem solchen Fall entsteht eine Gesamtschuldnerschaft i.S. des § 44 AO 1977 mit der Folge, daß das FA nach freiem Ermessen (§ 191 i.V.m. § 5 AO 1977) darüber zu entscheiden hat, welchen Gesamtschuldner es in Anspruch nimmt. Eine entsprechende Ermessensausübung setzt allerdings immer voraus, daß die Steuerschuld außer gegenüber dem Ersterwerber als Haftenden auch noch gegenüber mindestens einer anderen Person durchgesetzt werden kann.

3. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die mit Revisionsrügen nicht angefochten wurden und deshalb den erkennenden Senat binden (§ 118 Abs. 2 FGO), wurde der Haftungstatbestand des § 10 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 vom Kläger verwirklicht. Der Kläger gründete durch Gesellschaftsvertrag vom 16. Februar 1982 die L-GmbH als inländische Kapitalgesellschaft i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 KVStG 1972. Er übernahm sämtliche Stammeinlagen. Damit erwarb der Kläger als Ersterwerber die Gesellschaftsrechte an der L-GmbH. Dies gilt unabhängig davon, ob der Kläger bei Gründung der L-GmbH als Treuhänder des T auftrat. Gemäß § 159 AO 1977 kann der Kläger sich auf seine Treuhänderstellung nur dann berufen, wenn er sie nachweist. Den entsprechenden Nachweis führte der Kläger trotz Aufforderung durch das FA jedoch nicht. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob Erwerber i.S. des § 10 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 nicht stets nur der als Treuhänder auftretende Gesellschafter ist (vgl. Kinnebrock/Meulenbergh, KVStG, 5. Aufl., § 6 Rdnr. 11 ff.; Brönner/Kamprad, KVStG, 4. Aufl., § 2 Rdnr. 27 und § 6 Rdnr. 14; Egly/Klenk, Gesellschaftsteuer, 4. Aufl., Rdnr. 18 und 337). Der Kläger ist zumindest aus Gründen des § 159 AO 1977 als alleiniger Ersterwerber zu behandeln.

4. Entgegen der Auffassung des FG kam bis zum Erlaß der Einspruchsentscheidung die Durchsetzung der Steuerschuld gegenüber einer anderen Person als dem Kläger für das FA nicht in Betracht. Nach den auch insoweit bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG war die L-GmbH bereits vor Erlaß des angefochtenen Haftungsbescheides im Handelsregister gelöscht worden. Von ihr waren die Steuerbeträge nicht mehr zu erlangen. Zwar wäre eine Haftungsinanspruchnahme des T unter den Voraussetzungen des § 69 AO 1977 rechtlich möglich gewesen. Dies hätte jedoch das Wissen des FA von einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung von Pflichten vorausgesetzt, die dem T gegenüber der L-GmbH oblagen. Entsprechende Anhaltspunkte hatte das FA jedoch nicht. Deshalb konnte es auch nicht zwischen der Inanspruchnahme mehrerer Gesamtschuldner wählen. Damit entfiel die Notwendigkeit einer entsprechenden Ermessensausübung.

5. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Der Kläger verwirklichte den Haftungstatbestand des § 10 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972. Da die Steuerschuld gegenüber der L-GmbH nicht durchgesetzt werden konnte und die Inanspruchnahme eines anderen Haftungsschuldners nicht in Betracht kam, war der Erlaß des Haftungsbescheides vom 16. Mai 1983 rechtmäßig. Aus diesem Grund war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.