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BFH-Urteil vom 25.1.1989 (I R 13/85) BStBl. 1989 II S. 428

1. Ein Verzicht i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 setzt eine Erklärung voraus, die den auf einen Forderungsverzicht gerichteten Willen des Forderungsinhabers zum Ausdruck bringt.

2. Eine Forderungsverzichtserklärung des Gesellschafters ergibt sich nicht aus der von der Gesellschaft aufzustellenden Bilanz.

3. Ein Forderungsverzicht kann sich aus der Feststellung der Bilanz durch die Gesellschafter ergeben. Dies setzt jedoch eine förmliche Feststellung voraus. 4. Die Vertragsklausel, daß Einwendungen gegen die Bilanzansätze nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums geltend gemacht werden können, kann keine Grundlage für einen Verzicht auf außerhalb der Gewinnverteilung entstehende schuldrechtliche Ansprüche sein.

KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Am 29. Dezember 1972 wurde die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, gegründet. Komplementärin ohne Kapitalanteil wurde die S-GmbH. Kommanditistin wurde S mit einem Kapitalanteil von 400.000 DM. S war zugleich alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der S-GmbH.

Gemäß § 7 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages konnte die Klägerin Aufwendungen ihrer Komplementärin für die Geschäftsführung als eigene Kosten mit schuldbefreiender Wirkung für die S-GmbH übernehmen, insbesondere die Tätigkeit der Geschäftsführer der S-GmbH für die Klägerin durch Gehalts- und Tantiemezahlungen abgelten. Nach § 10 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages galt der Jahresabschluß als genehmigt, wenn kein Gesellschafter innerhalb von 14 Tagen nach Kenntnisnahme des Jahresabschlusses diesem widersprach.

Nach dem Gesellschafterbeschluß vom 29. Dezember 1972 erhielt S als Geschäftsführerin ab dem 1. Januar 1973 eine monatliche Vergütung von 5.000 DM. Diese sollte im Verhältnis der Gesellschafter untereinander als Unkosten verrechnet werden.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte bei einer Außenprüfung fest, daß im Jahre 1973 das Gehalt der S weder ausbezahlt noch als Aufwand zurückgestellt worden war. Er nahm einen Verzicht der S auf ihre Tätigkeitsvergütung im Werte von 60.000 DM an und besteuerte diesen Sachverhalt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972. Der Bescheid datiert vom 12. April 1977.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein.

Im Einspruchsverfahren legte sie das Protokoll einer Gesellschafterversammlung vom 17. Oktober 1977 vor. Dort wurde beschlossen, die fehlerhafte Gewinnverteilung in der Weise zu berichtigen, daß vor der Gewinnverteilung an die Gesellschafter der Bilanzgewinn 1973 um die Tätigkeitsvergütung gemindert wird. Der Einspruch blieb dennoch erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 unterliegt der freiwillige Verzicht des Gesellschafters auf eine Forderung gegenüber seiner inländischen Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Klägerin eine inländische Kapitalgesellschaft i.S. des § 5 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 KVStG 1972 war. Sie schuldete der Gesellschafter-Geschäftsführerin S eine Tätigkeitsvergütung für 1973 in Höhe von 60.000 DM, die handelsrechtlich als Aufwand der Klägerin zu behandeln war. Die Vergütung wurde im Jahre 1973 an S nicht ausbezahlt. Sie wurde auch nicht in der von der Klägerin aufgestellten Bilanz als Verbindlichkeit angesetzt. Die Bilanz wurde von S dadurch genehmigt, daß sie innerhalb von vierzehn Tagen nach Kenntnisnahme keine Einwendungen erhob. Diesen Sachverhalt hat das FG zusammenfassend dahin gewürdigt, daß ihm kein Forderungsverzicht der S zu entnehmen sei. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Ein Verzicht i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 setzt in tatsächlicher Hinsicht eine Erklärung voraus, die den auf einen Forderungsverzicht gerichteten Willen des Forderungsinhabers zum Ausdruck bringt (vgl. Urteile des Reichsgerichts - RG - vom 12. November 1909 VII 29/09, RGZ 72, 168; vom 25. April 1925 V 352/24, RGZ 110, 409, 418; vom 23. Juni 1926 V 487/25, RGZ 114, 155, 158; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 4. Dezember 1986 III ZR 51/85, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1987, 3203, Betriebs-Berater - BB - 1987, 1064). Eine solche Erklärung hat das FG jedoch in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt. Daran ist der erkennende Senat gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

a) Eine Forderungsverzichtserklärung der S ergibt sich nicht aus der von der Klägerin aufgestellten Bilanz 1973. Insoweit ist zwischen der Bilanzaufstellung und ihrer Feststellung durch die Gesellschafter zu unterscheiden. Die Bilanz 1973 aufzustellen war allein Aufgabe der Klägerin. Damit kam die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Rechnungslegung gegenüber den Gesellschaftern nach. Schon deshalb kann die Bilanz als solche keine Verzichtserklärung eines Gesellschafters enthalten.

b) Ein Forderungsverzicht kann sich zwar aus der Feststellung der Bilanz durch die Gesellschafter ergeben. Dies setzt jedoch wiederum in tatsächlicher Hinsicht voraus, daß die Gesellschafter die Bilanz förmlich feststellten. Davon kann im Streitfall schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil das FG eine solche förmliche Feststellung nicht festgestellt hat.

c) Zwar ist auch das FG davon ausgegangen, daß die Bilanz 1973 der Klägerin gemäß § 10 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages durch S genehmigt wurde. Es hat jedoch § 10 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages dahin ausgelegt, daß die Vorschrift sich in dem Verzicht auf Einwendungen gegen die Bilanzansätze und die darin enthaltenen Vorentscheidungen für Zwecke der Gewinnermittlung des abgeschlossenen und der künftigen Geschäftsjahre unter den Gesellschaftern erschöpft und sich nicht auf außerhalb der Gewinnverteilung bestehende schuldrechtliche Ansprüche bezieht.

Diese Vertragsauslegung durch das FG war möglich. Sie verstößt weder gegen die Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Sie entspricht der Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 11. Januar 1960 II ZR 69/59, Lindenmaier-Möhring - Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs - LM - HGB § 128 Nr. 7, BB 1960, 188) insoweit, als dieser entschieden hat, daß die Feststellung und die Mitteilung einer endgültigen Bilanz ein rechtsgeschäftliches Schuldanerkenntnis darstelle, soweit auf Grund der Bilanzaufstellung Rechte der Gesellschafter - z.B. auf Gewinnbeteiligung - oder Rechte beteiligter Dritter - z.B. auf Grund eines partiarischen Darlehens - entstehen. Im Streitfall entstand der Anspruch auf Tätigkeitsvergütung der S nicht auf Grund der Bilanz, sondern unabhängig von der Gewinnverteilung. Bei dieser Sachlage hätte § 10 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages weiter gefaßt sein müssen, wenn er einen Verzicht auf außerhalb der Gewinnverteilung entstandene schuldrechtliche Ansprüche mitumfassen sollte. Dies gilt insbesondere mit Rücksicht darauf, daß § 10 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages die Genehmigung der Bilanz an den bloßen Fristablauf anknüpfte.

3. Soweit das FA in seiner Revisionsbegründung auf den in § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verankerten Maßgeblichkeitsgrundsatz hinweist, liegen seine Ausführungen neben der Sache. Streitentscheidend ist nicht, ob die Klägerin die Bilanz 1973 zutreffend oder falsch aufstellte. Es kommt allein darauf an, ob in tatsächlicher Hinsicht der Verzicht der S auf ihre Forderung gegenüber der Klägerin festgestellt ist. Da es an dieser Feststellung fehlt, ist von dem Fortbestand der Forderung mit der Folge auszugehen, daß der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 nicht verwirklicht ist. Das FG hat deshalb zu Recht der Klage stattgegeben.