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BFH-Urteil vom 24.1.1989 (VII R 35/86) BStBl. 1989 II S. 440

Die Anordnung einer Außenprüfung für einen bereits geprüften Zeitraum (Zweitprüfung) ist grundsätzlich zulässig.

AO 1977 § 164 Abs. 3 Satz 3, § 173 Abs. 2, § 193.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führt Artikel der Unterhaltungselektronik ein und vertreibt sie. Aufgrund der Prüfungsanordnung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) vom 27. November 1981 führte die Betriebsprüfungsstelle im Juni 1982 eine Außenprüfung durch. Die Prüfung umfaßte lt. Prüfungsanordnung die Einfuhren und das offene Zollager der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 1980 bis 31. Mai 1982. Nach dem Prüfungsbericht vom 20. Juli 1982 beschränkte sich die Prüfung der tariflichen Einordnung der Einfuhrwaren auf Stichproben; dabei beanstandete der Prüfer die Tarifierung nicht.

Im Rahmen der Steueraufsicht kam die Betriebsprüfungsstelle am 19. Januar 1984 zu der Auffassung, daß die sog. "X-Systeme" unrichtig tarifiert worden seien. Daher ordnete das HZA mit Prüfungsanordnung vom 24. Januar 1984 eine erneute Außenprüfung bei der Klägerin an. Die auf die §§ 193 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) gestützte Anordnung sah als Prüfungsumfang "Prüfung der Einfuhren und des offenen Zollager" und als Prüfungszeitraum "19.1.1981 bis 31.12.1983" vor. Die Klägerin legte dagegen Beschwerde mit der Begründung ein, für den Zeitraum vom 10. Januar 1981 bis 31. Mai 1982 sei eine Außenprüfung schon durchgeführt worden. Für eine nochmalige Prüfung fehle die Rechtsgrundlage. Auch sei der Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Die Prüfung aufgrund der Prüfungsanordnung vom 24. Januar 1984 führte zu einem Änderungsbescheid des HZA vom 23. März 1984, mit dem Zoll nachgefordert wurde. Von dieser Nachforderung entfielen 85.345,13 DM auf den Zeitraum vom 19. Januar 1981 bis 31. Mai 1982.

Mit ihrer Klage beantragte die Klägerin, die Prüfungsanordnung vom 24. Januar 1984 für den Prüfungszeitraum vom 19. Januar 1981 bis 31. Mai 1982 und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 25. April 1985 aufzuheben, hilfsweise festzustellen, daß insoweit die Prüfungsanordnung und die Beschwerdeentscheidung rechtswidrig seien. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die angefochtene Prüfungsanordnung in der Fassung der Beschwerdeentscheidung nicht in ihren Rechten verletzt.

1. Die angefochtene Prüfungsanordnung richtet sich zu Recht gegen die Klägerin als Inhaberin eines Handelsgewerbes (§ 193 Abs. 1 AO 1977). Sie ist auch, was den zeitlichen Umfang der angeordneten Prüfung anbelangt, rechts- und ermessensfehlerfrei.

a) Grundsätzlich kann das Finanzamt - FA - (HZA) den zeitlichen Umfang der Außenprüfung nach seinem Ermessen bestimmen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. November 1987 II R 102/85, BFHE 151, 324, BStBl II 1988, 113). Es hat dabei sein Ermessen nach dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO 1977). Die Anordnung einer Außenprüfung für einen bereits geprüften Zeitraum wäre danach rechtswidrig, wenn sie durch Rechtsnorm ausgeschlossen wäre. Das ist aber entgegen der Auffassung der Klägerin nicht der Fall. Eine solche Einschränkung der Zulässigkeit der Prüfung ist in den §§ 193 ff. AO 1977, nach denen die Zulässigkeit der Prüfung allein zu beurteilen ist, nicht enthalten. Reichsfinanzhof (RFH) und BFH haben die wiederholte Prüfung eines bereits geprüften Zeitraums (Zweitprüfung) und die Verwertung ihrer Ergebnisse für zulässig erachtet (BFH-Urteil vom 31. März 1976 I R 123/74, BFHE 118, 459, 465, BStBl II 1976, 510; vgl. auch Wenzig, Das Verwertungsverbot, Finanz-Rundschau - FR - 1981, 348, 350; Papperitz in Deutscher Steuerberatertag 1982, 231, 242; das Urteil des BFH vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435 - bestätigt durch BFH-Urteil vom 20. Oktober 1988 IV R 104/86, BFHE 155, 4, BStBl II 1989, 180 - ist nicht einschlägig, da es nur den Fall einer erneuten Prüfungsanordnung nach Aufhebung einer früheren Anordnung aus formellen Gründen betrifft).

b) Zu Unrecht beruft sich die Klägerin für ihre Gegenauffassung ("Verbrauch" des Prüfungsrechts durch Durchführung der Prüfung) auf § 164 Abs. 3 AO 1977. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nichts zur Frage, ob eine Zweitprüfung zulässig ist. Die Regelungen über die Ermittlung des steuerlichen Sachverhalts (vgl. §§ 88, 90 AO 1977), zu denen auch die §§ 193 ff. AO 1977 gehören, stehen vielmehr selbständig neben den Regelungen der §§ 164 und 165 AO 1977 über die verschiedenen Arten der Steuerfestsetzung. Eine Verknüpfung gibt es in § 164 Abs. 3 Satz 3 AO 1977 lediglich dadurch, daß ein Nachprüfungsvorbehalt nach einer Außenprüfung auch dann aufzuheben ist, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben. Daß eine erneute Prüfung nicht stattfinden kann, läßt sich daraus nicht herleiten (vgl. auch BFH-Urteil vom 13. März 1987 III R 236/83, BFHE 149, 399, 402, BStBl II 1987, 664).

Auch aus § 173 Abs. 2 AO 1977 ergibt sich nichts für die Auffassung der Klägerin. Dieser Vorschrift käme für die Frage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Prüfungsanordnung nur dann Bedeutung zu, wenn sich aus ihr ergäbe, daß das Ergebnis der angeordneten Prüfung unter keinen Umständen für die Besteuerung der Klägerin erheblich sein oder dafür verwendet werden könnte. Das ist aber schon deswegen nicht der Fall, weil diese Vorschrift auf Zollbescheide nicht anwendbar ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 173 AO 1977 Anm. 1). Überdies aber richtet sich, wie das FG zu Recht entschieden hat, die Nacherhebung des Zolls für die von der Klägerin eingeführten Waren nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 (Nacherhebungs-VO). Diese Vorschrift hat als Teil des Gemeinschaftsrechts Vorrang vor etwa entgegenstehenden nationalen Vorschriften. Danach ist das HZA zur Nacherhebung des gesetzlich geschuldeten, aber noch nicht angeforderten Zolls verpflichtet, falls - was für den hier in Betracht kommenden Zeitraum der Fall ist - drei Jahre seit der buchmäßigen Erfassung noch nicht verstrichen sind. Das Ergebnis der aufgrund der angefochtenen Prüfungsentscheidung durchgeführten Prüfung konnte (und mußte) also vom HZA bei der Erhebung der Zölle für die von der Klägerin eingeführten Waren verwertet werden.

Dem steht auch nicht Art. 5 Abs. 2 Nacherhebungs-VO entgegen, wonach die zuständigen Behörden von einer Nacherhebung von Eingangsabgaben absehen können, deren Nichterhebung auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen ist, sofern dieser Irrtum vom Schuldner nicht erkannt werden konnte und letzterer gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet hat. Auch dadurch konnte das der Finanzbehörde im Rahmen der §§ 193 ff. AO 1977 zustehende Ermessen nicht dahin eingeengt werden, daß diese auf eine Außenprüfung verzichten mußte. Denn erst das Ergebnis dieser Prüfung konnte das HZA zuverlässig in den Stand setzen, zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Nacherhebungs-VO für einen Verzicht auf die Nacherhebung gegeben sind.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nichts anderes. Dieser Grundsatz wendet sich an die Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses (vgl. z.B. Senatsurteil vom 18. März 1986 VII R 55/83, BFHE 146, 294, 297). Die Klägerin könnte sich also nur dann gegenüber dem HZA auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, wenn sich das HZA ihr gegenüber aus Anlaß der ersten Außenprüfung nachhaltig so verhalten hätte, daß sie auf ein entsprechendes künftiges Verhalten des HZA (Verzicht auf eine Zweitprüfung) hätte vertrauen können. Ein solches Verhalten des HZA ist weder von der Vorinstanz festgestellt noch von der Klägerin behauptet worden.

Falls sich die Klägerin aber mit ihrer Argumentation auf den - vom Grundsatz von Treu und Glauben zu unterscheidenden und auf dem Rechtsstaatsprinzip beruhenden - Vertrauensgrundsatz berufen wollte (vgl. im einzelnen Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO 1977 Anm. 49 ff.), kann sie damit keinen Erfolg haben. Aus diesem Grundsatz kann nicht etwa entnommen werden, jedwedes Vertrauen des Bürgers in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung sei von vornherein schutzwürdig (vgl. Maunz/Dürig, Grundgesetz, 18. Lieferung, Art. 20 Abschn. VII Anm. 64). Ein etwaiges Vertrauen eines Steuerpflichtigen darauf, die Verwaltung werde eine einmal durchgeführte Prüfung keinesfalls wiederholen, ist nur im Rahmen des Grundsatzes von Treu und Glauben schutzwürdig, d.h. dann, wenn dieses Vertrauen durch ein entsprechendes nachhaltiges Verhalten der Verwaltung verursacht worden ist (vgl. die Ausführungen im Vorabsatz). Im übrigen aber besteht in Anbetracht der Regelung der §§ 193 ff. AO 1977, die eine Zweitprüfung nicht ausschließt, und der genannten Regelungen der Nacherhebungs-VO kein Anlaß, die etwaige Annahme eines Steuerpflichtigen für schutzwürdig zu erachten, eine Wiederholungsprüfung in bezug auf Zölle schiede auch dann aus, wenn sich, wie im vorliegenden Fall, später Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Zölle zu wenig erhoben und insoweit bei der Erstprüfung Ermittlungen nicht angestellt worden sind.

2. Die Prüfungsanordnung verletzt auch nicht das Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG. Zum Betreten der Geschäftsräume der Klägerin waren die Prüfungsbeamten des HZA ohne richterliche Anordnung befugt. § 200 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 gewährt diesen Beamten ein Betretungsrecht. Ein solches gesetzlich normiertes Betretungsrecht für Bedienstete der Behörden ist, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluß vom 13. Oktober 1971 1 BvR 280/66 (BVerfGE 32, 54, 75 ff.) entschieden hat, unter bestimmten Voraussetzungen nicht als Beeinträchtigung des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG und nicht als Eingriff oder Beschränkung dieses Rechts im Sinne von Art. 13 Abs. 3 GG anzusehen. Dabei ist das BVerfG von der Erwägung ausgegangen, daß Geschäfts- und Betriebsräume nach ihrer Zweckbestimmung eine größere Offenheit nach außen haben; der Inhaber entläßt sie in gewissem Umfang aus der privaten Sphäre, zu der die Wohnung im engeren Sinne gehört (BVerfGE 32, 54, 75). Die vom BVerfG geforderten Voraussetzungen (BVerfGE 32, 54, 76) sind hier zweifelsfrei gegeben: Eine besondere Vorschrift (§ 200 Abs. 3 Satz 2 AO 1977) ermächtigt zum Betreten der Geschäftsräume zu einem grundsätzlich erlaubten und aus dem Gesetz erkennbaren Zweck, nämlich zur Durchführung einer Außenprüfung (vgl. BFH-Urteile vom 4. Oktober 1988 VII R 59/86, BFHE 154, 435, BStBl II 1989, 55, und in BFHE 155, 4, BStBl II 1989, 180).