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BFH-Urteil vom 13.1.1989 (VI R 153/85) BStBl. 1989 II S. 447

Ist ein Arbeitnehmer nach einer Betriebsprüfung zur Einkommensteuer veranlagt worden und werden später aufgrund einer Lohnsteueraußenprüfung beim Arbeitgeber weitere Einkünfte des Arbeitnehmers aus nichtselbständiger Arbeit bekannt (hier: verbilligte Vermietung eines dem Arbeitgeber gehörenden Einfamilienhauses), so können die Mehrsteuern nicht mehr mit Lohnsteuernachforderungsbescheid gegen den Arbeitnehmer festgesetzt werden.

EStG § 42d, § 46; AO 1977 § 173 Abs. 2; EStR 1987 Abschn. 220 Nr. 2.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren 1977 bis 1979 - wie auch in der Folgezeit - als Chefarzt bei einem Krankenhaus (Arbeitgeber) angestellt. Er wohnte in einem auf dem Klinikgelände liegenden Einfamilienhaus. Nach einer die Streitjahre betreffenden Betriebsprüfung beim Kläger veranlagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ihn mit unanfechtbaren Bescheiden zur Einkommensteuer. Ferner führte das FA Ende 1980 eine Lohnsteueraußenprüfung beim Arbeitgeber durch, die den Zeitraum vom 1. Januar 1977 bis 31. Oktober 1980 umfaßte. Aufgrund dieser Prüfung vertrat das FA die Auffassung, daß die vom Kläger für die Dienstwohnung gezahlte Miete unter dem Mittelpreis des Verbrauchsorts liege. Es errechnete den geldwerten Vorteil und erließ wegen der darauf entfallenden Mehrsteuern gemäß § 42d Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen die Streitjahre umfassenden Nachforderungsbescheid gegen den Kläger. Für das Jahr 1980 berücksichtigte das FA die Feststellung hinsichtlich der Dienstwohnung bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer.

Das Einspruchsverfahren führte nur zu einer Herabsetzung des angenommenen geldwerten Vorteils der Höhe nach.

Die Klage, mit der der Kläger insbesondere geltend machte, der Nachforderung stehe die Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide 1977 bis 1979 und der Vertrauensschutz des § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) entgegen, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus, es teile die übereinstimmende Auffassung der Beteiligten, daß eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide nicht in Betracht gekommen sei. Dies habe zur Folge, daß auch die Inanspruchnahme des Klägers gemäß § 42d Abs. 3 EStG ausgeschlossen gewesen sei. Denn § 42d EStG betreffe, wie die Gesetzesüberschrift erweise, grundsätzlich die Haftung des Arbeitgebers. Soweit Abs. 3 der Vorschrift auch die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers behandle, gehe es dabei ausschließlich um das Verhältnis der Haftung des Arbeitgebers zur Inanspruchnahme des Arbeitnehmers im Rahmen der vom Gesetzgeber bestimmten Gesamtschuldnerschaft. Die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers als Steuerschuldner betreffe jedoch ausschließlich das Steuerfestsetzungsverfahren nach § 155 ff. AO 1977. Seien Steuern durch Steuerbescheid festgesetzt worden, so gelte für die Aufhebung oder Änderung des Bescheids wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel ausschließlich § 173 AO 1977, dessen Anwendung im Streitfall jedoch ausgeschlossen sei. Im übrigen ergebe sich die Richtigkeit des vorstehenden Ergebnisses auch daraus, daß bei der nach § 42d Abs. 3 EStG im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft zu treffenden Ermessensentscheidung die Steuerforderung derart im Vordergrund stehe, daß bei rechtskräftigen Einkommensteuerveranlagungen des Arbeitnehmers, bei denen eine Wiederaufrollung ausgeschlossen sei, nur noch die Inanspruchnahme des Arbeitgebers möglich sei (Hinweis auf Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. November 1974 VI R 167/73, BFHE 114, 342, BStBl II 1975, 297, und vom 26. Juli 1974 VI R 24/69, BFHE 113, 157, BStBl II 1974, 756).

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Gegenüber der Auffassung des FG, es hätte jedenfalls vorrangig der Arbeitgeber in Anspruch genommen werden müssen, wendet es ein, daß es nach der Rechtsprechung in der Regel ermessensmißbräuchlich sei, den Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen, wenn die Steuer ebenso schnell und einfach vom Arbeitnehmer nacherhoben werden könne. Im Streitfall müßten erhebliche Bedenken gegen die Inanspruchnahme des Arbeitgebers bestehen, weil es sich um einen einzelnen Tatbestand gehandelt habe, der einen einzigen Arbeitnehmer betreffe.

Im übrigen gehe das FG zu Unrecht davon aus, daß die Nachforderung daran scheitere, daß die Einkommensteuerbescheide nicht mehr berichtigt werden könnten. Denn das Betriebsstätten-FA sei nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG allgemein berechtigt, die Steuerschuld beim Arbeitnehmer geltend zu machen. Daß dies ausschließlich im Einkommensteuerveranlagungsverfahren möglich sei, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Auch stehe der Nachforderung im Streitfall nicht § 173 Abs. 2 AO 1977 entgegen. Denn der Gesetzgeber habe durch diese Vorschrift nur die Aufhebung oder Änderung von Bescheiden, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen seien, verhindern bzw. erschweren wollen. Der Nachforderungsbescheid sei jedoch erstmals ergangen, so daß von einer Aufhebung oder Änderung nicht gesprochen werden könne. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift geböten keine andere Entscheidung. Im Streitfall habe der Betriebsprüfer beim Kläger den in der verbilligten Überlassung der Wohnung liegenden geldwerten Vorteil gar nicht feststellen können. Vielmehr habe die Aufdeckung des Tatbestands nach Lage der Dinge nur durch eine Lohnsteueraußenprüfung beim Arbeitgeber erfolgen können.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, im wesentlichen unter Bezugnahme auf die Begründung des FG, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide wegen neuer Tatsachen nicht möglich ist, da die Bescheide aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind und Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung nicht vorliegen (§ 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Die Auffassung des FG, daß das FA wegen der eingetretenen Bestandskraft der durchgeführten Einkommensteuerveranlagungen die Mehrsteuern vom Kläger nicht gemäß § 42d Abs. 3 Nr. 2 EStG nachfordern durfte, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Mit Hartz/Meeßen/Wolf (ABC-Führer Lohnsteuer, Nachforderung von Lohnsteuer B II) geht der Senat vom Vorrang der Veranlagung vor der Nachforderung von Lohnsteuer aus. Dieses Rangverhältnis ergibt sich schon aus dem Aufbau des EStG. Danach ist die Lohnsteuernachforderung als Teil des Steuerabzugsverfahrens (§§ 38 bis 42d EStG) geregelt. Es ist vom Veranlagungsverfahren zu trennen, für das bei Steuerpflichtigen mit steuerabzugspflichtigen Einkünften in §§ 46 ff. EStG eine gesonderte Regelung getroffen worden ist. Diese Auffassung wird bestätigt durch § 46 Abs. 1 und 2 EStG, der die Verpflichtung zur Veranlagung des Arbeitnehmers vorsieht, sowie durch § 46 Abs. 4 EStG, nach dem die Lohnsteuer die Einkommensteuer auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nur für den Fall abgilt, daß der Arbeitnehmer nicht zu veranlagen ist.

Bereits dieses im System des EStG angelegte Rangverhältnis zwischen Veranlagung und Nachforderung von Lohnsteuer spricht dafür, daß Lohnsteuernachforderungen nach Durchführung der Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers nur noch bei entsprechender Änderung des Einkommensteuerbescheids möglich sind. Ist - wie im Streitfall - aber bereits die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids eingetreten, so würde eine Zulassung der von keiner weiteren Voraussetzung abhängigen Nachforderung zur Umgehung ("Aushöhlung") der Bestandskraft führen. Darauf haben Hartz/Meeßen/Wolf (a.a.O.) zutreffend hingewiesen. Zwar kann in diesen Fällen noch eine Änderung der Einkommensteuerveranlagung wegen neuer Tatsachen erfolgen. Der vorliegende Fall zeigt jedoch, daß dies ggf. wegen der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 nicht möglich ist. Mangels ausdrücklicher Anhaltspunkte kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber eine entsprechend weitgehende Einschränkung der Bestandskraft gewollt hat, zumal deren Nachteile einseitig nur die Bezieher von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit treffen würden (im Ergebnis ebenso Drenseck in Stolterfoht, Herausgeber, Grundfragen des Lohnsteuerrechts, Deutsche steuerjuristische Gesellschaft, S. 423; derselbe in Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., § 42d Anm. 5 c; Jakob, Steuern vom Einkommen, I, 1980 S. 212; Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 42d Anm. 71, m.w.N.; Littmann/Barein, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 42d Rdnr. 42; Nissen in Forkel-Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 42d Rz. 48).

Zu Unrecht beruft sich die Finanzverwaltung für ihre gegenteilige Auffassung in Abschn. 220 Nr. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1987 auf das Urteil des Senats in BFHE 113, 157, BStBl II 1974, 756. Diese Entscheidung betrifft die Frage, ob das FA nach bestandskräftiger Veranlagung des Arbeitnehmers zur Einkommensteuer den Arbeitgeber im Haftungswege in Anspruch nehmen kann, wenn eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) nicht gegeben ist. Im Streitfall ist aber kein Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber, sondern ein Steuerbescheid gegen den Arbeitnehmer ergangen. Die Frage, ob der Senat an der im Urteil in BFHE 113, 157, BStBl II 1974, 756 vertretenen Rechtsansicht festhält, kann deshalb im Streitfall offenbleiben.

Dem FA kann auch nicht darin gefolgt werden, daß die Nachforderung aus praktischen Gründen zugelassen werden müsse, da die zur Nachforderung führenden Umstände häufig nur durch eine Lohnsteueraußenprüfung beim Arbeitgeber festgestellt werden könnten.

Auf die Frage, ob die nach Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide bekanntgewordenen Tatsachen bei der vorausgegangenen Außenprüfung (Betriebsprüfung) hätten festgestellt werden können, kommt es im Rahmen des § 173 Abs. 2 AO 1977 nicht an. Denn der aufgrund der Außenprüfung ergangene Einkommensteuerbescheid umfaßt alle für die Einkommensteuer maßgebenden Besteuerungsgrundlagen des betreffenden Jahres (vgl. BFH-Urteil vom 30. August 1988 VI R 21/85, unter 4.c, BFHE 155, 68, BStBl II 1989, 193), so daß auch die Änderungssperre dieser Vorschrift einen entsprechend umfassenden Charakter haben muß und alle Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit miteinschließen muß.