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BFH-Urteil vom 21.2.1989 (VII R 165/85) BStBl. 1989 II S. 491

1. Wer nach der Geschäftsverteilung im Rahmen einer Unternehmensgruppe die faktische Geschäftsführung einer GmbH innehat, kann als Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO 1977 zur Haftung für die Steuern der GmbH herangezogen werden.

2. Der Inhaber eines offenen Zollagers ist verpflichtet sicherzustellen, daß die Eingangsabgaben, die auf den aus dem Lager entnommenen Waren ruhen, im Fälligkeitszeitpunkt entrichtet werden. Um diese Verpflichtung erfüllen zu können, muß er dafür sorgen, daß am Fälligkeitstag auch die Mittel zur Entrichtung der Eingangsabgaben vorhanden sind.

3. Die Inanspruchnahme als Haftender für Einfuhrumsatzsteuer nach § 69 AO 1977 ist nicht schon deswegen fehlerhaft, weil die Steuer im Fall ihrer Entrichtung von der steuerpflichtigen Gesellschaft als Vorsteuer abgezogen werden kann (Anschluß an BFH-Urteil vom 5. Juni 1985 VII R 57/82, BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688).

AO 1977 §§ 34, 35, 69, 76; ZG § 46 Abs. 1 und 3.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer der X-GmbH (GmbH 1). Mit dieser war die Y-GmbH (GmbH 2) durch Organvertrag mit Ergebnisabführungsvereinbarung vom 13. April 1972 verbunden (X-Gruppe). Nach der konzerninternen Geschäftsordnung vom 10. April 1979 war der Kläger für das Finanz- und Rechnungswesen mit Kostenrechnung der GmbH 1 und aller Tochtergesellschaften, so auch der GmbH 2, zuständig. Der Kläger leistete in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH 1 u.a. Zahlungen für die GmbH 2, nahm solche entgegen, führte Kreditverhandlungen, unterzeichnete Zahlungsanmeldungen für das vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt - HZA -) der GmbH 2 bewilligte offene Zollager und veranlaßte die Entrichtung der Eingangsabgaben.

Wegen finanzieller Schwierigkeiten der X-Gruppe hielt der Kläger die Zahlungsanmeldungen und Lagerabmeldungen, die ihm von der GmbH 2 termingerecht zugegangen waren, ab Entnahmemonat März 1980 zurück. Mit von ihm unterzeichnetem Schreiben vom 14. Juli 1980 übersandte die GmbH 2 dann dem HZA die Zahlungsanmeldungen für die Monate März bis Juni 1980 und teilte gleichzeitig mit, sie könne den sich aus den Anmeldungen ergebenden Abgabenbetrag von 999.026,66 DM nicht in voller Höhe entrichten. Die GmbH 2 zahlte 300.000 DM und beantragte für den Restbetrag Stundung mit Ratenzahlung. Am 4. August 1980 beantragte die GmbH 1 die Eröffnung des Vergleichsverfahrens; am 12. August 1980 wurde über das Vermögen der X-Gruppe der Anschlußkonkurs eröffnet. Das HZA meldete am 8. Oktober 1980 beim Amtsgericht insgesamt 619.386,27 DM (174.516,77 DM Zoll, 437.882,50 DM Einfuhrumsatzsteuer und 6.987 DM Säumniszuschläge) zur Konkurstabelle an.

Mit Haftungsbescheid vom 19. August 1981 nahm das HZA den Kläger (mit zwei weiteren Haftenden, dem Geschäftsführer der GmbH 2 und dem von den Gläubigerbanken der X-Gruppe eingesetzten Sanierungsbeauftragten) für die zur Konkurstabelle angemeldeten Forderungen nach § 69 i.V.m. §§ 34, 35 und nach § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Das FG wies die Klage ab.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet. Das HZA hat den Kläger zu Recht nach § 69 i.V.m. §§ 34, 35 AO 1977 als Haftenden in Anspruch genommen.

1. Nach § 69 AO 1977 haften auch die in § 35 AO 1977 bezeichneten Personen. Nach dieser Vorschrift hat, wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO 1977), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Verfügungsberechtigter in diesem Sinn ist jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind (§ 39 AO 1977), verfügen kann (vgl. Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 35 AO 1977 Anm. 7). Nach der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift (BTDrucks VI/1982 zu § 38) ist unter rechtlicher Verfügungsbefugnis die Fähigkeit zu verstehen, im Außenverhältnis wirksam zu handeln, d.h. die bürgerlich-rechtliche Verfügungsmacht. Ferner setzt § 35 AO 1977 voraus, daß der Verfügungsberechtigte in seiner Eigenschaft als solcher auch nach außen aufgetreten ist; er muß nach außen ausdrücklich oder schlüssig zu erkennen gegeben haben, daß er von seiner Verfügungsmacht Gebrauch machen will (vgl. Offerhaus, a.a.O., Anm. 11).

Nach den Feststellungen der Vorinstanz sind diese Voraussetzungen gegeben. Der Kläger hatte die faktische Geschäftsführung der GmbH 2 inne (vgl. zur faktischen Geschäftsführung BFH-Urteil vom 16. Januar 1980 I R 7/77, BFHE 130, 230, BStBl II 1980, 526, allerdings noch zu § 108 der Reichsabgabenordnung - AO -; Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 22. September 1982 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118, und vom 12. November 1986 3 StR 405/86, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1987, 629). Er war rechtlich und wirtschaftlich in der Lage, über die Mittel der GmbH 2 zu verfügen. Diese Befugnisse übte er nach den Feststellungen des FG auch tatsächlich und nach außen hin aus, indem er für die GmbH 2 Zahlungen geleistet und entgegengenommen, Kreditverhandlungen geführt sowie Lagerabmeldungen und Zahlungsanmeldungen mit Bezug auf das offene Zollager der GmbH 2 weitergeleitet hat.

2. Da danach der Kläger als faktischer Geschäftsführer der GmbH 2 die Voraussetzungen des § 35 AO 1977 erfüllte, hatte er die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters dieser GmbH. Diese hatte als Inhaberin eines offenen Zollagers nach § 46 Abs. 3 ZG und § 97 Abs. 1 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) die Pflicht, die aus dem offenen Zollager entnommenen Waren bis zum 15. Tage des auf die Entnahme folgenden Kalendermonats unter Berechnung des Zolls anzumelden (Steueranmeldung; vgl. § 150 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) und den Zoll zu zahlen. Das gilt sinngemäß für die Einfuhrumsatzsteuer (§ 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -). Diesen Pflichten hat die GmbH 2 nicht genügt. Ihre gesetzlichen Vertreter - der eigentliche Geschäftsführer und der Kläger als Verfügungsberechtigte i.S. des § 35 AO 1977 - haben die monatlichen Zahlungsanmeldungen für die Monate März bis Mai 1980 nicht rechtzeitig abgegeben und die in den Entnahmemonaten März bis Juni 1980 entstandenen Zollschulden nicht rechtzeitig gezahlt. Dadurch haben sie bewirkt, daß Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis "nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt" worden sind. Darin hat das FG ohne Rechtsirrtum die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 69 AO 1977 gesehen.

Der Kläger wendet ein, es fehle die Kausalität der angeblichen Pflichtverletzung für den Steuerausfall. Er verkennt dabei, daß der objektive Tatbestand des § 69 AO 1977 bereits dann erfüllt ist, wenn die Steuerschulden infolge der Pflichtwidrigkeit nicht rechtzeitig erfüllt worden sind. Der Kläger war, wie ausgeführt, als gesetzlicher Vertreter der GmbH 2 i.S. des § 35 AO 1977 verpflichtet, die entstandenen Zollschulden jeweils zum 15. des Folgemonats zu zahlen. Das ist nach den Feststellungen des FG infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Klägers nicht geschehen.

3. Nicht stichhaltig ist der Einwand der Revision, das FG habe das Recht dadurch verletzt, daß es unterlassen habe zu prüfen, inwieweit der Kläger in der Lage gewesen sei, die Abgabenbeträge aus den von ihm verwalteten Mitteln der GmbH 2 zu entrichten.

a) Wie der Senat mit Urteil vom 4. März 1986 VII R 38/81 (BFHE 146, 336, 339) entschieden hat, hat der Inhaber eines Mineralölsteuerlagers die Pflicht sicherzustellen, daß die Steuer im Fälligkeitszeitpunkt entrichtet wird. Um diese Verpflichtung erfüllen zu können, muß er dafür sorgen, daß am Fälligkeitstag auch die Mittel zur Entrichtung der Steuer vorhanden sind. Diese besondere Sorgfaltspflicht gilt auch für Inhaber offener Zollager, so daß entgegen der Auffassung des Klägers im vorliegenden Fall die Grundsätze nicht anwendbar sind, die der Senat zur Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuerrückstände entwickelt hat (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172). Das belegen die folgenden Erwägungen.

Zoll- und verbrauchsteuerpflichtige Waren dienen ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter als Sicherheit für die darauf ruhenden Steuern (Sachhaftung; § 76 Abs. 1 AO 1977). Die Sachhaftung gibt dem Steuergläubiger das Recht, sich ohne Rücksicht auf Privatrechte irgendwelcher Art wegen dieser Steuerschulden an die Ware zu halten, die Bezahlung durch deren Zurückhaltung zu erzwingen und zur Sicherung dieses Rechtes die tatsächliche Verfügung Dritter über die Waren zu verhindern (vgl. § 76 Abs. 3 AO 1977; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 76 AO 1977 Anm. 1). Da diese Sachhaftung u.a. dadurch erlischt, daß die Ware nach Zustimmung der Finanzbehörde in einen steuerlich nicht beschränkten Verkehr übergeht (§ 76 Abs. 4 AO 1977), sind zur Sicherung des Steueraufkommens Eingangsabgaben grundsätzlich vor dieser Freigabe zu zahlen (vgl. für den Zoll z.B. § 36 Abs. 3, § 37 Abs. 1 ZG).

Dieser Grundsatz gerät im Falle der Lagerung eingeführter Waren in einem offenen Zollager in Konflikt mit den praktischen Erfordernissen. Zollager für Waren, die auf dem Inlandsmarkt abgesetzt werden sollen, haben eine Kreditfunktion (vgl. Olbertz in Regul, Gemeinschaftszollrecht, S. 1088). Die Importwirtschaft soll mit dem auf den eingeführten Waren ruhenden Zoll ("zollpflichtige Waren"; vgl. § 76 Abs. 1 AO 1977) nicht bereits im Augenblick der Einfuhr, sondern erst dann belastet werden, wenn diese Waren in die Wirtschaft des Zollgebiets übergehen (Zeitpunkt der Auslagerung). In Anbetracht der Regelung des § 76 Abs. 4 AO 1977 (Erlöschen der Sachhaftung durch Übergang in den freien Verkehr) wäre es dann aber erforderlich, daß zur Ablösung der Sachhaftung der auf den Waren ruhende und mit der Entnahme entstehende Zoll (§ 46 Abs. 3 Satz 1 ZG) bei jeder Einzelentnahme aus dem Zollager gezahlt würde. Das aber würde die Lagerinhaber in einer kaum zumutbaren Weise belasten. Das ZG sieht daher auch vor, daß der Lagerinhaber aus dem ihm bewilligten offenen Zollager die Waren jederzeit frei entnehmen darf (§ 46 Abs. 1 ZG), die entnommenen Waren aber nicht bei jeder einzelnen Entnahme anmelden und die darauf ruhenden Eingangsabgaben nicht sofort bezahlen muß, sondern zusammengefaßt erst am 15. Tage des Folgemonats (§ 46 Abs. 3 ZG). Das kommt einer Verlängerung der Kreditfrist für die auf den Waren ruhenden Zölle um durchschnittlich einen Monat gleich.

Diese Regelung bedeutet, daß der Steuergläubiger im Interesse einer wirtschaftsfreundlichen Handhabung des Lagerverfahrens in weitem Umfang auf die Sicherung des entsprechenden Steueraufkommens durch Nutzung der Sachhaftung des § 76 AO 1977 verzichtet. Deswegen muß davon ausgegangen werden, daß der Lagerinhaber, der die ihn begünstigende Kreditregelung bei der Auslagerung nutzt, die Eingangsabgaben, die auf den aus dem Zollager entnommenen Waren ruhen, ohne Rücksicht auf Forderungen anderer Gläubiger an den Steuergläubiger zu den gesetzlich vorgesehenen Fälligkeitszeitpunkten abführt. Der Lagerinhaber hat durch den Verzicht des Steuergläubigers auf die Sachhaftung den Vorteil, die Waren vor Zahlung der Eingangsabgaben aus der zollamtlichen Überwachung entnehmen und ihren Gegenwert durch Verkauf realisieren zu können. Dann muß er aber auch als verpflichtet angesehen werden, den im Verkaufserlös enthaltenen Gegenwert der auf den entnommenen Waren ruhenden Eingangsabgaben (vgl. § 76 Abs. 1 AO 1977) vorrangig, also ohne Rücksicht auf das Bestehen anderer Zahlungsverpflichtungen, dem Steuergläubiger zukommen zu lassen.

b) Die Vorinstanz ist auf diese Frage nicht ausdrücklich eingegangen. Darin ist jedoch ein Rechtsfehler nicht zu erblicken. Das FG hatte keinen Anlaß, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, da nach dem Tatbestand seines Urteils davon auszugehen ist, daß der Kläger in der Vorinstanz nicht vorgetragen hat, er habe sich um die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger bemüht.

Der Vorentscheidung ist zu entnehmen, daß der Kläger als gesetzlicher Vertreter des Lagerinhabers nicht ausreichend dafür gesorgt hat, daß am jeweiligen Fälligkeitstag die Mittel zur Entrichtung der auf die entnommenen Waren entfallenden Eingangsabgaben vorhanden waren. Der Kläger hat auch im Revisionsverfahren nichts anderes vorgetragen und auch keine Rügen im Hinblick auf diese Feststellungen des FG erhoben.

4. Das FG hat entschieden, der Kläger habe grob fahrlässig i.S. des § 69 AO 1977 gehandelt. Es kann dahingestellt bleiben, ob nach den Feststellungen des FG im einzelnen der Kläger nicht vielmehr vorsätzlich seine Pflicht als gesetzlicher Vertreter der GmbH 2 verletzt hat. Denn jedenfalls begegnet die Vorentscheidung, soweit sie von einer (zumindest) grob fahrlässigen Handlungsweise des Klägers ausgeht, keinen rechtlichen Bedenken und bindet den Senat, soweit sie hierzu tatsächliche Feststellungen enthält.

Das FG ist davon ausgegangen, grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn jemand die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande war, in ungewöhnlich hohem Maße außer acht gelassen hat. Diese Definition ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. auch Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 AO 1977 Anm. 9 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Das FG hat die objektive Pflichtverletzung des Klägers als in diesem Sinne grob fahrlässig begangen gewertet. Diese Entscheidung enthält im wesentlichen tatsächliche Würdigungen, die der Nachprüfung der Revisionsinstanz entzogen sind (§ 118 Abs. 2 FGO).

5. Das FG hat schließlich zutreffend entschieden, daß dem HZA im Zusammenhang mit der von ihm bei der Inanspruchnahme des Klägers zu treffenden Ermessensentscheidung (vgl. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) keine Fehler unterlaufen sind.

a) Die bei der Ausübung des Ermessens angestellten Erwägungen müssen aus der Verwaltungsentscheidung grundsätzlich ersichtlich sein (Senatsurteil vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Der Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung enthalten eine solche ausreichende Begründung (vgl. auch Senatsurteil vom 29. September 1987 VII R 54/84, BFHE 151, 111, 113, BStBl II 1988, 176). In diesen Bescheiden ist nämlich darauf hingewiesen worden, daß der Kläger zusammen mit dem Geschäftsführer der GmbH 2 und dem Sanierer in Anspruch genommen wurde, die Steuerschuldnerin (GmbH 2) zahlungsunfähig sei, sich in Konkurs befinde, Vollstreckungsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg hätten und nicht abzusehen sei, ob die angemeldete Konkursforderung befriedigt werde. Daraus ergibt sich, warum sich das HZA zur Inanspruchnahme des Klägers zusammen mit den genannten Mithaftenden entschloß.

b) Sachlich begegnet die Ermessensentscheidung der Verwaltung keinen rechtlichen Bedenken. Da der Kläger seine Pflicht zur rechtzeitigen Zahlung der entstandenen Zollschulden zumindest grob fahrlässig nicht erfüllt hat, ist seine Inanspruchnahme als Haftender nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Revision ist es auch nicht ermessensfehlerhaft, daß das HZA den Kläger nicht verschont und sich nicht damit begnügt hat, allein den Sanierungsbevollmächtigten als Haftenden heranzuziehen. Auch bei diesem Vorbringen geht der Kläger von der durch die Feststellungen der Vorinstanz nicht gestützten These aus, er sei durch den Sanierer faktisch entmachtet gewesen. Gerade weil das nicht der Fall war, bestand für das HZA keine Veranlassung, die drei in Betracht kommenden Personen bei der Heranziehung als Haftende unterschiedlich zu behandeln, und deren gleichmäßige Behandlung besonders zu begründen.

c) Das HZA hat auch keine Ermessensfehler dadurch begangen, daß es den Kläger für die volle Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen hat, obwohl die von ihm vertretene GmbH als Umsatzsteuerschuldnerin die Einfuhrumsatzsteuer im Falle ihrer Entrichtung als Vorsteuer hätte abziehen können oder unter Umständen noch nachträglich im Konkursverfahren abziehen kann (sog. Nullsituation). Entsprechend hat der Senat mit Urteil vom 5. Juni 1985 VII R 57/82 (BFHE 144, 290, 293, BStBl II 1985, 688) im Anschluß an das Urteil des V. Senats des BFH vom 7. Juli 1983 V R 197/81 (BFHE 139, 310, 312, BStBl II 1984, 70, 71) in einem vergleichbaren Fall entschieden und inzwischen mehrfach bestätigt (vgl. zuletzt Beschluß vom 2. September 1986 VII B 52/86, BFH/NV 1987, 172). Die Einwendungen des Klägers gegen diese Auffassung hält der Senat nicht für stichhaltig.

Der Kläger haftet nach § 69 AO 1977 für die "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis", die infolge seiner pflichtwidrigen und schuldhaften Handlungsweise nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis in diesem Sinn ist hier die Einfuhrumsatzsteuerschuld, die in der Person der GmbH 2 nach § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. § 46 Abs. 3 ZG in voller Höhe entstanden ist. Die GmbH 2 als Schuldnerin ist nicht befugt einzuwenden, sie schulde die Einfuhrumsatzsteuer nicht, weil sie selbst als Schuldnerin von Umsatzsteuer die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen befugt sei. Denn es steht nicht in ihrem Belieben zu entscheiden, ob sie die Steuer als Einfuhrumsatzsteuer oder als Umsatzsteuer im engeren Sinne (innere Umsatzsteuer) entrichten möchte (vgl. BFHE 144, 290, 294, BStBl II 1985, 688). Dem steht schon entgegen, daß Einfuhrumsatzsteuer und innere Umsatzsteuer sich systematisch nach ihren Entstehungstatbeständen und den Verwaltungszuständigkeiten voneinander unterscheiden. Die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuerschuld und ihre Geltendmachung in voller Höhe gegen den Schuldner ist also nicht durch die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs in Frage gestellt. Wegen der Akzessorietät der Haftungsschuld kann es dann aber bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners für diese Schuld nicht anders sein (vgl. BFHE 139, 310, 312, BStBl II 1984, 70, 71).

Allerdings steht die Geltendmachung der Haftung im Ermessen der Finanzbehörde (§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Bei der Anwendung dieses Ermessens ist die Finanzbehörde nicht völlig frei. Sie muß das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten (§ 5 AO 1977). Der Zweck der Ermächtigung des § 191 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist im Zusammenhang mit der Haftungsnorm des § 69 AO 1977 zu sehen. Dieser Norm kann nicht entnommen werden, die Finanzbehörde sei gehalten, im Rahmen der Inanspruchnahme eines Vertreters als Haftenden für Einfuhrumsatzsteuer, die wegen seines pflichtwidrigen und schuldhaften Verhaltens nicht rechtzeitig festgesetzt worden ist, diesem gegenüber unter Außerachtlassung der positivrechtlichen Regelung der Umsatzsteuer (fraktionierte Zahllasten in der Unternehmerkette, verknüpft nur durch die Befugnis zum Vorsteuerabzug) eine finanzwirtschaftliche Rechnung aufzumachen. Es besteht kein Grund zur Annahme, der Gesetzgeber habe der Verwaltung die Pflicht auferlegen wollen, im Rahmen der Geltendmachung der Haftung zu berechnen, was der Fiskus letztlich in bezug auf die Umsätze bei der Weitergabe der betreffenden Ware insgesamt an Einfuhrumsatzsteuer/ Umsatzsteuer eingenommen hat und, falls die Summe der Zahllasten die Summe übersteigt, die dem Fiskus nach dem finanzwirtschaftlichen Ziel der Umsatzsteuer an sich hätte zufließen sollen, diesen Mehrbetrag dem Haftenden gutzubringen.

Gegen eine solche Annahme spricht zunächst, daß diese finanzwirtschaftliche Zielvorstellung, von der der Kläger in seiner Argumentation ausgeht (Summe der Zahllasten gleich genau dem Betrag, der 14 % der Bemessungsgrundlage des letzten Umsatzes entspricht), wegen der möglichen Störungen im Gleichgewicht zwischen Steuer und Vorsteuerabzug durchaus nicht immer erreicht wird. Der Gesetzgeber hat also in Kauf genommen, daß sich bei der von ihm getroffenen Regelung im Verhältnis zur genannten Zielvorstellung Mehr- oder Mindereinnahmen für den Fiskus ergeben. Außerdem wäre bei der genannten Annahme die Inanspruchnahme des Vertreters als Haftenden für die Einfuhrumsatzsteuer kaum mehr praktikabel. Billigkeitsgesichtspunkte greifen demgegenüber auch dann nicht durch, wenn sich in Sonderfällen wirklich ein finanzwirtschaftlicher Mehrbetrag des Fiskus im genannten Sinne durch die Inanspruchnahme ergeben würde; denn da diese letztlich auf die zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung des Vertreters zurückzuführen ist, wäre es unbillig, der Zollbehörde eine erhebliche Mehrarbeit zur Ermittlung etwaiger Mehrerträge - unter Einschaltung der für die Verwaltung der Umsatzsteuer zuständigen Landesfinanzbehörden - aufzubürden.

Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich für die hier zu entscheidende Rechtsfrage kein Unterschied daraus, daß es sich im vorliegenden Fall um die Haftung für Einfuhrumsatzsteuer, im vom V. Senat entschiedenen Fall (BFHE 139, 310, 312, BStBl II 1984, 70, 71) aber um eine solche für innere Umsatzsteuer handelte. Sowohl bei der inneren Umsatzsteuer als auch bei der Einfuhrumsatzsteuer/Umsatzsteuer (in der Zusammenschau, von der offenbar der Kläger ausgeht) entstehen kraft Gesetzes verschiedene Steuerzahllasten im Verlauf der aufeinanderfolgenden Umsätze, und zwar unabhängig davon, ob die am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmer die ihnen vom Gesetz angebotenen Möglichkeiten, die Nullsituation herbeizuführen, nützen oder nicht (BFHE 139, 310, 312, BStBl II 1984, 70, 71). Der Umstand, daß im Falle der Einfuhrumsatzsteuer Personenidentität bestehen kann zwischen dem Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer und dem Schuldner der Umsatzsteuer für den der Einfuhr folgenden Umsatz (oft besteht auch bei der Einfuhrumsatzsteuer, ähnlich wie bei den verschiedenen Umsatzsteuerzahllasten, Personenverschiedenheit), ändert nichts daran, daß der (eine) Steuerpflichtige nach dem Gesetz zwei aufgrund unterschiedlicher Tatbestände entstandene Steuerbeträge schuldet, nämlich die Einfuhrumsatzsteuer und die innere Umsatzsteuer. Für die hier zu entscheidende Frage macht es auch keinen Unterschied, daß nur die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abgezogen werden kann (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Das stellt keinen wesentlichen Unterschied zum Vorsteuerabzug bei der inneren Umsatzsteuer dar, da auch dort der Grundsatz gilt, daß nur bereits an den Fiskus entrichtete oder gleichzeitig mit der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs zu entrichtende Steuerbeträge als Vorsteuer abgezogen werden können (vgl. z.B. Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 6. Aufl., § 15 Anm. 56).

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf Umstände berufen, die mit der etwaigen Geltendmachung (Regreß) der von ihm getilgten Haftungsschuld im Konkurs der GmbH 2 zusammenhängen. Die Haftungsvorschriften nehmen in Kauf, daß der Haftende Leistungen erbringen muß, die ihm vom Erstschuldner nicht erstattet werden; die darin liegende Härte ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine notwendige Folge des Haftungstatbestandes (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 191 AO 1977 Anm. 7 S. 13, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; vgl. auch BFH-Urteil vom 4. Mai 1983 II R 108/81, BFHE 138, 487, BStBl II 1983, 592). Auch die Besonderheiten des Konkursverfahrens in Fällen wie dem vorliegenden (Anmeldung sowohl der Einfuhrumsatzsteuer als auch der vollen Umsatzsteuer - d.h. ohne die noch nicht entrichtete Vorsteuer - zur Konkurstabelle und die Auswirkungen der etwa nachträglich durch den Kläger entrichteten Einfuhrumsatzsteuer mit der daran geknüpften Möglichkeit des - nachträglichen - Vorsteuerabzugs auf Konkursmasse und Verteilungsquote) brauchte entgegen der Auffassung des Klägers das HZA nicht zum Anlaß von darauf gerichteten Ermessenserwägungen zu nehmen. Insoweit gelten die Ausführungen in den Vorabsätzen entsprechend. Insbesondere die praktischen Folgen einer entsprechenden Rücksichtnahme (grundsätzlich könnte der Haftungsbescheid nur vorläufig ergehen und müßte je nach dem Verlauf des Konkursverfahrens u.U. mehrfach geändert werden) schließen die Annahme aus, der Gesetzgeber habe den Ermessensrahmen i.S. der Argumentation des Klägers ziehen wollen. Auch hier darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger durch eine pflichtmäßige rechtzeitige Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer dafür hätte sorgen können und müssen, daß die genannten Schwierigkeiten nicht entstehen.