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BFH-Urteil vom 14.3.1989 (I R 39/85) BStBl. 1989 II S. 599

Art. X DBA-Indien, der den Gewinn aus der Veräußerung einer Beteiligung an einer Gesellschaft mit Sitz in Indien dem indischen Staat zur Besteuerung zuteilt, schließt eine Abschreibung dieser Beteiligung auf den niedrigeren Teilwert nach deutschem Steuerrecht nicht aus (Bestätigung von BFH-Urteil vom 19. September 1973 I R 170/71, BFHE 110, 285, BStBl II 1973, 873).

DBA-Indien Art. X, Art. XVI Abs. 3 Buchst. a; KStG 1968 § 6 Abs. 1; EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Sie war in den Streitjahren 1975 bis 1977 an einer in Indien gegründeten Kapitalgesellschaft (G-India) mit einer Einlage von 3,6 Mio DM beteiligt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß der Teilwert der Beteiligung unter die ursprünglichen Anschaffungskosten gesunken ist, und zwar in 1975 um 482.059 DM, in 1976 um weitere 275.292 DM und in 1977 um weitere 322.182 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte jedoch die Teilwertabschreibungen bei den Gewinnermittlungen 1975 bis 1977 nicht, weil er davon ausging, daß das Besteuerungsrecht für Wertveränderungen einer Beteiligung an einer in Indien ansässigen Kapitalgesellschaft gemäß Art. X i.V.m. Art. XVI Abs. 3 Buchst. a des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens vom 18. März 1959 - DBA-Indien - (BGBl II 1960, 1828, BStBl I 1960, 428) ausschließlich Indien zustehe.

Das Finanzgericht (FG) gab der Sprungklage der Klägerin gegen die geänderten Körperschaftsteuerbescheide 1975 bis 1977 vom 24. Juli 1981 statt. Es verpflichtete das FA, die Körperschaftsteuern 1975 bis 1977 nach Maßgabe des Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) neu festzusetzen.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von Art. X und Art. XVI Abs. 3 Buchst. a DBA-Indien. Es ist der Auffassung, das FG habe den Begriff "Gewinn aus dem Verkauf", wie er in Art. X DBA-Indien verwendet werde, nicht abkommensgerecht ausgelegt.

Das FA hat am 20. Januar 1986 einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1977 erlassen, den die Klägerin in das Revisionsverfahren übergeleitet hat (§ 123 Satz 2, § 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, daß die Änderung des Bescheides den anhängigen Rechtsstreit nicht berühre.

Das FA beantragt, das Urteil des FG Münster vom 23. November 1984 VII 4113/81 K aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Gemäß Art. XVI Abs. 3 Buchst. a DBA-Indien werden - vorbehaltlich des im Streitfall nicht einschlägigen Buchst. b - von der Bemessungsgrundlage für die Steuer der Bundesrepublik (nur) die Einkünfte aus Quellen innerhalb Indiens ausgenommen, die in Übereinstimmung mit dem DBA-Indien in Indien besteuert werden können. Nach Art. X DBA-Indien können Gewinne "aus dem Verkauf, Tausch oder der Übertragung" beweglicher oder unbeweglicher Vermögenswerte in Indien besteuert werden, wenn sie sich im Zeitpunkt des Verkaufs, des Tausches oder der Übertragung in Indien befinden. Die Begriffe "Verkauf, Tausch und Übertragung" sind im DBA-Indien nicht näher definiert. Nach der gewöhnlichen Bedeutung der Begriffe drücken "Verkauf und Tausch" entgeltliche, rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse aus. Der Begriff "Übertragung" bezeichnet den Übergang eines Vermögenswertes in das Vermögen eines anderen Rechtsträgers auf Grund eines Rechtsgeschäftes. Die von der Klägerin vorgenommenen Teilwertabschreibungen auf die Beteiligung an der G-India sind weder Verkauf noch Tausch noch Übertragung in dem genannten Sinne. Damit fallen sie nicht unter Art. X DBA-Indien. Vielmehr steht der Bundesrepublik das Besteuerungsrecht nach Art. III Abs. 1 DBA-Indien zu.

2. Aus dem Zusammenhang, in den die o.g. Begriffe innerhalb des DBA-Indien gestellt sind, ergibt sich nichts anderes:

a) Das DBA-Indien verwendet in seiner deutschen Fassung die Begriffe "Verkauf, Tausch und Übertragung" außerhalb des Art. X nicht mehr. Es verwendet in Art.II Abs. 1 Buchst. i den Begriff "Einkauf" im Sinne eines entgeltlichen rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Waren. Daraus läßt sich jedoch nicht die Schlußfolgerung ableiten, unter die Begriffe "Verkauf, Tausch und Übertragung" seien auch Teilwertabschreibungen zu fassen.

b) Art. X DBA-Indien verwendet in seiner englischen Fassung den Begriff "capital gains". Dieser Begriff mag für sich genommen mehr als nur Gewinne aus dem Verkauf, Tausch oder der Übertragung von Vermögenswerten umfassen. Jedoch wird der Begriff auch in der englischen Fassung des Art. X DBA-Indien auf solche "capital gains" eingeschränkt, die "arising from the sale, exchange or transfer of a capital asset", d.h. die durch den Verkauf, den Tausch oder die Übertragung von Vermögenswerten entstehen. Die entsprechende Einschränkung auch in der englischen Fassung des DBA-Indien schließt es aus, unter die Begriffe auch Teilwertabschreibungen zu fassen.

c) Das OECD-Musterabkommen aus 1963 (OECD-MustAbk) und der Kommentar zum OECD-Musterabkommen 1963 erlauben keine andere Beurteilung. Dies gilt schon deshalb, weil Indien nicht Mitglied der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist. Außerdem verwendet Art. 13 OECD-MustAbk 1963 den Begriff "Veräußerungsgewinn". Es ist nicht zu erkennen, daß insoweit Begriffsidentität zwischen Art. X DBA-Indien und Art. 13 OECD-MustAbk 1963 besteht.

3. Der Zweck des Art. X DBA-Indien erfordert keine über den Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Auslegung. Dazu läßt der Senat dahinstehen, ob eine solche Auslegung rechtlich überhaupt zulässig ist oder ob sie als Form der teleologischen Extension ähnlich dem Analogieverbot jedenfalls nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen angewendet werden darf (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., Berlin 1983, S. 383; Woerner in Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung, DStJG 1982, 23 ff.).

a) Der Zweck des Art. X DBA-Indien besteht nicht darin, die Besteuerung der in der Vorschrift genannten Vermögenswerte insgesamt dem sog. Sitz- oder Belegenheitsstaat zuzuweisen. Dies ergibt sich, bezogen auf die Beteiligung an einer indischen Kapitalgesellschaft, bereits aus Art. III und VII DBA-Indien. Nach Art. III DBA-Indien unterliegen Beteiligungen an indischen Kapitalgesellschaften, soweit sie zu einem Unternehmen (Betriebsstätte) gehören, dem Besteuerungsrecht des Staates, in dem das Unternehmen (Betriebsstätte) belegen ist, wenn nicht gleichzeitig die Voraussetzungen des Art. X DBA-Indien erfüllt sind. Demgemäß fallen z.B. Entnahmen von und Teilwertabschreibungen auf Beteiligungen unter Art. III und nicht unter Art. X DBA-Indien. Ob etwas anderes dann gilt, wenn sich an eine Entnahme (Teilwertabschreibung) ein Verkauf, Tausch oder eine Übertragung der Beteiligung i.S. des Art. X DBA-Indien anschließt, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, weil es nach den tatsächlichen und den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) an einem solchen Verkauf, Tausch oder an einer solchen Übertragung fehlt. Nach Art.VII DBA-Indien können Dividenden aus einer Beteiligung grundsätzlich in beiden Staaten besteuert werden. Für andere Vermögenswerte belegen die Art. III, VIII, IX und XII DBA-Indien in gleicher Weise, daß zwischen dem Gewinn aus ihrem Verkauf, Tausch oder Übertragung und anderen aus ihnen erzielten Einkünften genau zu unterscheiden ist. Die Einkünfte sind jeweils unter verschiedene Vorschriften des DBA zu subsumieren.

b) Aus der Überlegung, daß das DBA-Indien der Vermeidung der Doppelbesteuerung dient, folgt nichts anderes. Eine Doppelbesteuerung wird auch dann vermieden, wenn man Art. III und X DBA-Indien als grundsätzlich gleichwertig nebeneinander stehende Vorschriften versteht, die nur dann in Konkurrenz zueinander treten, wenn auch die Voraussetzungen des Art. X DBA-Indien tatsächlich erfüllt sind, d.h. wenn ein beweglicher oder unbeweglicher Vermögenswert des Betriebsvermögens tatsächlich verkauft, getauscht oder übertragen wird. Für diese Betrachtungsweise spricht, daß immer dann, wenn ein bestimmter betrieblicher Vorgang einen Gewinn oder einen Aufwand auslöst, die nicht unter den Begriff "Gewinn aus dem Verkauf, Tausch oder der Übertragung eines beweglichen oder unbeweglichen Vermögenswertes" i.S. des Art. X DBA-Indien fallen, es völlig ungewiß ist, ob es später überhaupt noch zu einem unter Art. X DBA-Indien fallenden Vorgang kommt, ob ggf. dann Art. X DBA-Indien in seinem wesentlichen Inhalt noch gilt und ob der Steuerpflichtige dann noch persönlich abkommensberechtigt ist. Würde man auch in diesen Fällen Art. III stets hinter Art. X DBA-Indien zurücktreten lassen, so würden unter Umständen tatsächlich erzielte Gewinne nirgends besteuert und tatsächlich angefallener Aufwand nirgends berücksichtigt. Dies würde dem Zweck des DBA-Indien, nur Doppelbesteuerungen zu vermeiden, ebenso widersprechen. Eine den Zweck jedes DBA berücksichtigenden Auslegung zwingt deshalb dazu, Art. III DBA-Indien jedenfalls solange anzuwenden, als nicht gleichzeitig auch die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. X DBA-Indien erfüllt sind. Sollte sich erst später ein der jetzt vorgenommenen Teilwertabschreibung entsprechender und unter Art. X DBA-Indien fallender Veräußerungsverlust realisieren, so ist dann zu entscheiden, ob die nunmehr bestehende Konkurrenz zwischen den Rechtsfolgen der Art. III und X DBA-Indien es gestattet, die Veranlagungen der Jahre 1975 bis 1977 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) wieder zu ändern oder ob es wegen der Andersartigkeit von Teilwertabschreibungen einerseits und Veräußerungsverlusten andererseits bei der durchgeführten Besteuerung verbleiben muß.

4. Der erkennende Senat folgt auch nicht der Auffassung des BMF, der aus Art. X DBA-Indien ableitet, daß alle bei der Ermittlung der Einkünfte aus einem Verkauf, Tausch oder einer Übertragung von Vermögenswerten zu berücksichtigenden Faktoren - insbesondere Erlöse und Anschaffungskosten - keinen Einfluß auf die deutsche Bemessungsgrundlage haben dürften. Das Gegenteil ergibt sich aus Art. III DBA-Indien. Danach ist - bezogen auf den Streitfall - das Besteuerungsrecht für alle betrieblichen Vorgänge der Bundesrepublik zugewiesen. Von diesem Grundsatz gilt nur in den Grenzen des Wortlauts von Art. X DBA-Indien eine Ausnahme, d.h. das Besteuerungsrecht steht - bezogen auf den Streitfall - Indien nur für solche betrieblichen Vorgänge zu, die aus der Veräußerung, dem Tausch oder der Übertragung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens bestehen. Für alle anderen Vorgänge verbleibt es bei dem Besteuerungsrecht der Bundesrepublik. Dies gilt auch dann, wenn sie Faktoren berühren, die ebenso für die Ermittlung des Gewinns aus dem Verkauf, dem Tausch oder der Übertragung von Vermögenswerten von Bedeutung sein würden (Anschaffungskosten).

5. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Anwendung des § 3c des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 13 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) a.F. (für die Streitjahre 1975 und 1976) und § 8 Abs. 1 KStG 1977 (für das Streitjahr 1977). Dazu läßt der Senat dahinstehen, ob eine Teilwertabschreibung eine Ausgabe i.S. des § 3c EStG ist (verneinend: Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Oktober 1966 I 26/64, BFHE 87, 243, BStBl III 1967, 92; vom 17. September 1969 I 189/65, BFHE 97, 251, BStBl II 1970, 107; vom 2. Februar 1972 I R 54-55/70, BFHE 104, 438, BStBl II 1972, 397; vom 19. September 1973 I R 170/71, BFHE 110, 285, BStBl II 1973, 873; bejahend: BFH-Urteil vom 28. April 1983 IV R 122/79, BFHE 138, 366, BStBl II 1983, 566; v. Beckerath in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 3c Rdnr. B 79; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, § 3c Anm. 4; Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuergesetz, § 3c Rdnr. 16; Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 3c Rdnr. 9). Jedenfalls setzt § 3c EStG steuerfreie Einnahmen voraus. Daran fehlt es, wenn Art. III DBA-Indien das Besteuerungsrecht für alle betrieblichen Vorgänge der Bundesrepublik zuweist und eine betrieblich veranlaßte Teilwertabschreibung zu beurteilen ist. In einem solchen Fall besteht ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Teilwertabschreibung und steuerpflichtigen Einnahmen. Zwar läßt die Regelung des Art. III DBA-Indien die Möglichkeit offen, daß unter bestimmten Voraussetzungen die Ausnahme des Art. X DBA-Indien eingreift. Da die Ausnahme des Art. X DBA-Indien aber nur dann eingreift, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift tatsächlich erfüllt sind, kann ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zu einem der Tatbestände des Art. X DBA-Indien ebenfalls nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift sachverhaltsmäßig verwirklicht wurden. Da es daran im Streitfall fehlt, richtet sich die steuerliche Beurteilung der geltend gemachten Teilwertabschreibung allein nach dem wirtschaftlichen Zusammenhang zu den in der Bundesrepublik steuerpflichtigen gewerblichen Vorgängen.

6. Der Senat hat bei seiner Entscheidung die übrigen Konsequenzen bedacht, die sich aus seiner Rechtsauffassung ergeben und die das FA in seiner Revisionsbegründung dargelegt hat. Die Konsequenzen rechtfertigen für sich genommen keine vom Wortsinn des Art. X DBA-Indien abweichende Auslegung. Es ist Sache der Vertragsstaaten, Art. X DBA-Indien anderweitig zu fassen, wenn sie das Verhältnis der Regelungsbereiche der Art. III und X DBA-Indien zueinander anders verstanden wissen wollen. Der Senat hält deshalb an seiner Rechtsauffassung in BFHE 110, 285, BStBl II 1973, 873 jedenfalls insoweit fest, als Art. XVI Abs. 3 a i.V.m. Art. X DBA-Indien nicht die Anwendung des Art. III DBA-Indien auf eine Teilwertabschreibung ausschließt, die auf die Beteiligung an einer indischen Kapitalgesellschaft vorgenommen wird, die zu einem inländischen Betriebsvermögen gehört. Da die Vorentscheidung dieser Rechtsauffassung entspricht, ist sie revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.