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BFH-Urteil vom 21.6.1989 (II R 235/85) BStBl. 1989 II S. 740

Ob ein Seehafen dem öffentlichen Verkehr insoweit dient, als auf einem gekennzeichneten, zum Hafengebiet gehörenden Grundstücksteil sog. Semitrailer (Sattelanhänger ohne Zugmaschine) auf ihrem Transportweg im kombinierten Verkehr für kurze Zeit (etwa bis zu 24 Stunden) abgestellt werden, hängt davon ab, ob der Abstellplatz aufgrund straßenrechtlicher und hafenrechtlicher Vorschriften als öffentliche Sache zu beurteilen ist (Anschluß an das BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 II R 115/88, BFHE 155, 400, BStBl II 1989, 302).

BewG § 19 Abs. 4; GrStG 1973 § 4 Nr. 3 Buchst. a, § 8 Abs. 1; HVO SH § 8.

Vorinstanz: FG Schleswig-Holstein

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die Stadt A, ist Eigentümerin des Grundstücks "B" in A. Das Grundstück gehört zum Hafengebiet. Von dort aus wird der Fährverkehr von und nach Skandinavien abgewickelt. Der Hafen wird verwaltet, betrieben und unterhalten von der C Hafen-Gesellschaft mbH (fortan GmbH) aufgrund eines Vertrags mit der Klägerin aus dem Jahre 1941.

Den Einheitswert für das Grundstück B stellte das Finanzamt (FA) auf den 1. Januar 1977 durch Bescheid auf 1.560.200 DM, durch Einspruchsentscheidung auf 1.393.500 DM fest. Nicht festzustellen sei gemäß § 19 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) ein Einheitswert nur für jenen Teil des Grundstücks, der gemäß § 4 Nr. 3 Buchst. a i.V.m. § 8 Abs. 1 des Grundsteuergesetzes (GrStG) grundsteuerfrei sei, z.B. der Wendeplatz für Busse und Taxen, Fußgängerwege, Gleisflächen, Kaimauer und Fußgängerstreifen. Dagegen seien in die Einheitswertfeststellung einzubeziehen jene markierten Flächen, auf denen Auflieger (das sind Sattelanhänger ohne Zugmaschine, auch als "Semitrailer" bezeichnet) auf ihrem Transportweg im kombinierten Verkehr für kurze Zeit (in der Regel bis zu 24 Stunden) abgestellt werden. Denn der abgestellte Auflieger verliere nach der Abtrennung von der Zugmaschine seine Eigenschaft als Fahrzeug im Sinne der Straßenverkehrsordnung (StVO). Er stelle nicht mehr ein parkendes Fahrzeug dar, sondern werde ein Gegenstand i.S. des § 32 Abs. 1 Satz 1 StVO, der am öffentlichen Verkehr nicht mehr teilnehme. Die bezeichneten Abstellplätze dienten sonach nicht dem öffentlichen Verkehr im Sinne des Straßenverkehrsrechts, sondern seien Flächen der Umschlagslagerei und als solche nicht von der Grundsteuer befreit.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin begehrt, den Einheitswert des Grundstücks auf den 1. Januar 1977 auf 1.116.100 DM festzustellen. Für die bezeichneten Abstellflächen sei ein Einheitswert nicht festzustellen. Entgegen der Auffassung des FA sei das "jeweils kurzfristige Abstellen von Semitrailern nicht der Umschlagslagerei zuzurechnen". Umschlag und Lagerung setzten besondere rechtliche Beziehungen zu Lagerhaltern voraus. Solche lägen hinsichtlich der Semitrailer nicht vor.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 4 Nr. 3 Buchst. a, 8 Abs. 1 GrStG. Sie beantragt, das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung sowie den Feststellungsbescheid aufzuheben und den Einheitswert auf den 1. Januar 1977 auf 1.116.100 DM festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, damit es anderweitig verhandle und entscheide (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Aufgehoben werden muß das Urteil des FG, weil die bundesrechtliche Vorschrift des § 4 Nr. 3 Buchst. a GrStG i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes zur Reform des Grundsteuerrechts vom 7. August 1973 (BGBl I 1973, 965, BStBl I 1973, 586) verletzt ist. Diese Vorschrift lautet:

"§ 4

Sonstige Steuerbefreiungen

Soweit sich nicht bereits eine Befreiung nach § 3 ergibt, sind von der Grundsteuer befreit ...

3. a) die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen, Wege, Plätze, Wasserstraßen, Häfen und Schienenwege sowie die Grundflächen mit den diesem Verkehr unmittelbar dienenden Bauwerken und Einrichtungen, zum Beispiel Brücken, Schleuseneinrichtungen, Signalstationen, Stellwerke, Blockstellen."

Das FG hat angenommen, es sei "bei der Beurteilung, inwieweit ein Hafen dem öffentlichen Verkehr i.S. des § 4 Nr. 3 a GrStG dient, ... von der Auslegung auszugehen, die dieser Begriff im Straßenverkehrsrecht erfahren hat". Die dahingehende Rechtsauffassung ließ sich zwar dem vom FG angeführten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) entnehmen (BFH-Urteil vom 14. November 1980 III R 23/78, BFHE 132, 475, 477, BStBl II 1981, 355, betreffend einen Ölbinnenhafen). Denn dort ist ausgeführt, der Begriff "die dem öffentlichen Verkehr dienenden ... Häfen" sei entsprechend dem BFH-Urteil vom 11. November 1970 III R 55/69 (BFHE 100, 325, BStBl II 1971, 32, betreffend die Ladestraßen eines Bahnhofsgrundstücks) auszulegen: Eine Straße diene immer dann dem öffentlichen Verkehr, wenn auf der Straße tatsächlich ein öffentlicher Verkehr im Sinne des Straßenverkehrsrechts stattfinde, d.h. wenn die Straße tatsächlich ohne Beschränkung auf bestimmte, mit dem Verfügungsberechtigten in enger Beziehung stehende Personen zugänglich sei und auch tatsächlich so genutzt werde. Die öffentlich-rechtliche Widmung sei weder erforderlich noch für sich allein ausreichend.

Der erkennende und nunmehr für die Grundsteuer zuständige Senat teilt jene Ansicht nicht, weil sie nicht dem Sinn der Befreiung und der Absicht des Gesetzgebers entspricht. Das hat der erkennende Senat näher dargelegt in seinem Urteil vom 7. Dezember 1988 II R 115/88 (BFHE 155, 400, BStBl II 1989, 302, betreffend das Parkhaus eines Warenhausunternehmers).

Das Urteil des FG beruht auf der als unrichtig erkannten Auslegung der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 3 Buchst. a GrStG, denn es ist nicht auszuschließen, daß es bei richtiger Auslegung der Vorschrift zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit es weitere, nach seiner bisherigen Rechtsauffassung nicht erforderlich gewesene Feststellungen nachholt, sodann unter Beachtung der hafenrechtlichen Vorschriften (z.B. des § 8 der Landesverordnung für die Häfen in Schleswig-Holstein - Hafenverordnung, HVO - vom 13. Februar 1976, Gesetz - und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein - GVBl SH - 1976, 66, 68) prüft und entscheidet,

- ob der bezeichnete Abstellplatz durch Widmung und Indienststellung zu einer öffentlichen Sache geworden, infolgedessen grundsteuerfrei (§ 4 Nr. 3 Buchst. a i.V.m. § 8 Abs. 1 GrStG) und sonach nicht in die Feststellung des Einheitswerts für das Hafengrundstück einzubeziehen ist (§ 19 Abs. 4 BewG) oder

- ob er ein (tatsächlich) öffentlicher (privater) Platz ist, der nicht gemäß § 4 Nr. 3 Buchst. a GrStG von der Grundsteuer ausgenommen und demzufolge in die Feststellung des Einheitswerts für das Hafengrundstück einzubeziehen ist (vgl. dazu Kodal/Krämer, Straßenrecht, 4. Aufl., 1985, S. 115, 116, 121 bis 127; Rainer Lagoni, Hafenrecht, in Hoffmann-Riem/Koch, Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht 1988, S. 607 f., 629 f.,640 f.).