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BFH-Urteil vom 14.3.1989 (I R 105/88) BStBl. 1989 II S. 741

1. Erläßt das FA während des Revisionsverfahrens einen Ergänzungsbescheid, in dem erstmalig das Einkommen und die Tarifbelastung der Klägerin fingiert festgestellt werden, so bleibt der die Körperschaftsteuer festsetzende Teil des ursprünglichen Körperschaftsteuerbescheides als formeller Gegenstand des Klageverfahrens und als Gegenstand des FG-Urteils unverändert erhalten.

2. Ein wesentlicher Verfahrensfehler i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO ist nicht gegeben, wenn das FA zwar eine Einspruchsentscheidung ohne Gewährung rechtlichen Gehörs erläßt, die Entscheidung aber auch nach Gewährung rechtlichen Gehörs nicht anders hätte ausfallen können.

3. Eine Ausschüttung ist mit dem Abfluß der Gewinnanteile vollzogen. Die vollzogene Ausschüttung kann nicht durch Aufhebung (Änderung) eines vorher gefaßten Gewinnverteilungsbeschlusses mit steuerlicher Wirkung rückgängig gemacht werden. Zurückgewährte Gewinnanteile sind steuerrechtlich wie Einlagen zu behandeln.

4. Eine Ausschüttung ist steuerrechtlich als eine solche zu behandeln, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Beschluß beruht, wenn der Beschluß im Zeitpunkt seines Vollzuges (noch) rechtswirksam besteht.

FGO § 100 Abs. 2 Satz 2; AO 1977 § 91 Abs. 1, § 127; KStG 1977 § 27.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, führte im Streitjahr 1981 den vorher von der K-KG unterhaltenen Gewerbebetrieb auf Grund eines Pachtvertrages im Wege der Betriebsaufspaltung fort.

Die Klägerin ermittelte ursprünglich für 1981 einen HB-Gewinn in Höhe von 321.915 DM. Ihre Gesellschafter beschlossen am 15. Dezember 1982, Gewinnanteile in Höhe von 300.000 DM auszuschütten.

Nach einer Außenprüfung ermittelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Steuerbilanzgewinn 1981 mit 217.362 DM und das zu versteuernde Einkommen 1981 mit 386.110 DM. Danach betrug die tarifliche Körperschaftsteuer 216.221 DM, die Minderung der Körperschaftsteuer 77.222 DM, deren Erhöhung 29.751 DM und die festzusetzende Körperschaftsteuer 168.750 DM. Letztere setzte das FA durch Bescheid vom 8. März 1984 fest, ohne jedoch das Einkommen und die Tarifbelastung gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 fingiert festzustellen.

Während des Einspruchsverfahrens faßten die Gesellschafter der Klägerin am 17. Juli 1984 folgenden Beschluß:

"Auf Grund der Betriebsprüfung wurde der Gewinn der ... GmbH 1981 erheblich reduziert. Aus diesem Grund beschließen die Gesellschafter, daß entgegen der ursprünglichen Ausschüttung von 300.000 DM lediglich 200.000 DM ausgeschüttet werden sollen. Der Differenzbetrag von 100.000 DM ist der ... GmbH wieder zur Verfügung zu stellen."

Dem geänderten Gewinnverteilungsbeschluß lag zugrunde, daß sich das FA mit Schreiben vom 12. Juli 1984 bereit erklärt hatte, steuerrechtlich nur von einer Ausschüttung von 200.000 DM auszugehen, wenn dem in der Handelsbilanz durch Aktivierung der Rückzahlungsansprüche gegenüber den Gesellschaftern Rechnung getragen würde. Die Klägerin paßte deshalb ihre Handelsbilanz 1981 an das Ergebnis der Außenprüfung an und reichte dem FA den geänderten Gewinnverteilungsbeschluß vom 17. Juli 1984 ein. Das FA änderte jedoch seine Rechtsauffassung und wies den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück, ohne ihr Gelegenheit zu geben, zu der geänderten Rechtsauffassung Stellung zu nehmen.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin einerseits die steuerliche Berücksichtigung des geänderten Gewinnverteilungsbeschlusses vom 17. Juli 1984 und zum anderen den Ansatz von Rückstellungen für Ausbildungskosten in Höhe von 157.000 DM. Dieser Klage gab das Finanzgericht (FG) insoweit statt, als es lediglich die Einspruchsentscheidung aufhob und das FA verpflichtete, über den Einspruch erneut zu entscheiden. Dabei ging das FG davon aus, daß das FA den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Hierin sah das FG einen wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 100 Abs. 2 Satz 2, 119 Nr. 3 FGO, §§ 91 und 127 der Abgabenordnung (AO 1977).

Es beantragt, das Urteil des FG Nürnberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA am 7. Oktober 1988 einen Ergänzungsbescheid erlassen und in diesem das Einkommen 1981 (Betrag vor Verlustabzug) auf 394.633 DM und die Tarifbelastung 1981 mit 216.221 DM fingiert festgestellt, da die Feststellungen in dem angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid 1981 vom 8. März 1984 unterblieben seien. Die Klägerin hat erklärt, den Ergänzungsbescheid nicht in das Revisionsverfahren überleiten zu wollen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Revision ist nicht schon deshalb unbegründet, weil das FA während des Revisionsverfahrens am 7. Oktober 1988 einen Ergänzungsbescheid erlassen hat, der von der Klägerin nicht in das Revisionsverfahren übergeleitet wurde. Der Ergänzungsbescheid berührt den formellen Gegenstand des Revisionsverfahrens nicht.

Wird ein Körperschaftsteuerbescheid auf der Grundlage des KStG 1977 unter Beachtung des § 47 Abs. 2 Satz 2 KStG 1977 erlassen, so muß er folgende Regelungen enthalten:

1. die Festsetzung der Körperschaftsteuer,

2. die fingierte Feststellung des Einkommens und

3. die fingierte Feststellung der Tarifbelastung.

Jede dieser drei Regelungen gilt für sich als eine solche i. S. des § 118 AO 1977 und damit als Verwaltungsakt. Sie werden nur äußerlich in einem Steuerbescheid zusammengefaßt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Dezember 1987 I R 35/86, BFHE 151, 566, BStBl II 1988, 466). Die Regelungen sind zusammen oder einzeln anfechtbar. Mit ihrer Klage focht die Klägerin (auch) die Festsetzung der Körperschaftsteuer 1981 an. Bezogen auf diesen Antrag hat das FG der Klage (teilweise) entsprochen. Sowohl die Entscheidung des FG als auch die Steuerfestsetzung im Körperschaftsteuerbescheid 1981 vom 8. März 1984 werden durch den Ergänzungsbescheid vom 7. Oktober 1988 inhaltlich nicht berührt. Damit bleibt der Körperschaftsteuerbescheid 1981 vom 8. März 1984 als formeller Gegenstand des Klageverfahrens und als Gegenstand des FG-Urteils erhalten. Bezüglich dieses Gegenstandes ist die Hauptsache nicht im Sinne des BFH-Urteils vom 27. April 1982 VIII R 36/70 (BFHE 135, 264, BStBl II 1982, 407) erledigt.

2. Das FG hat den Anspruch des FA auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt.

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs besteht im wesentlichen darin, daß den am Rechtsstreit Beteiligten Gelegenheit gegeben werden muß, sich zu den Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen. Diese Gelegenheit hatte das FA schon nach seinem eigenen Vortrag, weil es zu allen der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Tatsachen Stellung nehmen konnte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert kein Rechtsgespräch im Rahmen der mündlichen Verhandlung (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 27. Juli 1971 2 BvR 443/70, BVerfGE 31, 264, 370; vom 20. Dezember 1979 1 BvR 834/79; Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1, Rechtsspruch 169; vom 16. April 1980 1 BvR 505/78, BVerfGE 54, 100). Zwar besteht als Ausnahme von dem genannten Grundsatz ein Anspruch auf Schutz vor Überraschungsentscheidungen. Dieser Anspruch ist aber nicht schon dann verletzt, wenn das FG rechtliche Gesichtspunkte, die im bisherigen Verfahren nicht im Vordergrund standen, in der Entscheidung als maßgebend herausstellt (BVerfG-Beschluß vom 14. April 1978 2 BvR 238/78, StRK, Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1, Rechtsspruch 160). Auch im übrigen war das FA nicht gehindert, das FG darauf hinzuweisen, daß das erstmalige Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, das Vorratsvermögen sei zum 31. Dezember 1981 zu niedrig bewertet worden, nicht zu einer Minderung der Körperschaftsteuer 1981 führen kann.

3. Die Vorentscheidung verletzt § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

a) Nach dieser Vorschrift kann das FG, wenn es wesentliche Verfahrensmängel feststellt und eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernde Aufklärung für nötig hält, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. An diesen Voraussetzungen fehlt es im Streitfall.

b) Dem FA ist kein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO unterlaufen. Dazu kann dahinstehen, ob im Streitfall § 91 AO 1977 auch Schutz vor dem Erlaß von Überraschungsentscheidungen gewährt. Selbst wenn man § 91 Abs. 1 AO 1977 in diesem Sinne weit faßt, so hätte im Streitfall - wie noch auszuführen sein wird - bezüglich der steuerrechtlichen Berücksichtigung der Gewinnverteilungsbeschlüsse nicht anders entschieden werden können. Dann aber durfte nach § 127 AO 1977 die vom FA getroffene Einspruchsentscheidung nicht allein aus diesem Grunde aufgehoben werden. Bezogen auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO bedeutet dies, daß ein Verfahrens- und Formfehler i. S. des § 127 AO 1977 kein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinn der Vorschrift ist.

c) Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß im Streitfall auf Grund des klägerischen Vorbringens in der mündlichen Verhandlung eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erfordernde Aufklärung notwendig werde. Die Klägerin machte in der mündlichen Verhandlung geltend, ihr Vorratsvermögen sei zum 31. Dezember 1981 zu niedrig bewertet worden. Aus diesem Vorbringen konnte sie jedoch keine Rechtsverletzung i. S. des § 40 Abs. 2 FGO ableiten. Unterstellt man nämlich eine um 100 Punkte (P) zu niedrige Bewertung, so bedeutet dies zunächst eine Erhöhung des Einkommens 1981 um 100 P, was eine tarifliche Körperschaftsteuer von 56 P und - wegen der vorgenommenen Ausschüttung - eine Körperschaftsteuerminderung von 20 P auslöst. Es verbleibt damit eine höhere Körperschaftsteuerbelastung von 36 P. Dieser steht eine Minderung der bisher angesetzten Körperschaftsteuererhöhung von 9/16 von 64 P = 36 P gegenüber. Damit wirkt sich die Annahme eines höheren Gewinns 1981 in keinem Fall steuermindernd aus. Dem FG stellte sich deshalb auch nicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung.

4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Deshalb kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben.

a) Zwar ist der erkennende Senat mit dem FG der Auffassung, daß der Herstellung der Ausschüttungsbelastung die am bzw. nach dem 15. Dezember 1982 ausgeschütteten 300.000 DM zugrunde gelegt werden müssen. Dies beruht auf der Regelung des § 27 Abs. 1 und 3 KStG 1977. Danach ist zwischen der Ausschüttung und dem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluß zu unterscheiden. Dies kann nur dahin verstanden werden, daß unter Ausschüttung i. S. des § 27 Abs. 1 und 3 KStG 1977 der tatsächliche Abfluß der (hier:) den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechend beschlossenen Gewinnverteilung zu verstehen ist (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1987 I R 260/83, BFHE 151, 560, BStBl II 1988, 460). Aus diesem Grunde ist die Ausschüttung mit dem Abfluß der Gewinnanteile vollzogen. Der in diesem Sinne verwirklichte Sachverhalt ist der Besteuerung zugrunde zu legen. Wird der Sachverhalt später dadurch "rückgängig" gemacht, daß der Gewinnverteilungsbeschluß aufgehoben wird und die Gewinnanteile zurückgefordert werden, so ist die Rückzahlung steuerrechtlich als Einlage zu beurteilen (BFH-Urteil vom 29. April 1987 I R 176/83, BFHE 150, 337, BStBl II 1987, 733).

Die am bzw. nach dem 15. Dezember 1982 vollzogene Ausschüttung ist steuerrechtlich als eine solche zu beurteilen, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Beschluß beruht. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß der Beschluß vom 15. Dezember 1982 am 17. Juli 1984 im Sinne seiner teilweisen Aufhebung geändert wurde. Entscheidend ist allein, daß der Beschluß vom 15. Dezember 1982 im Zeitpunkt seines Vollzugs rechtswirksam bestand.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf die BFH-Urteile vom 30. März 1983 I R 178/79 (BFHE 138, 236, BStBl II 1983, 512) und vom 5. Juni 1985 I R 183/84 (BFHE 144, 353, BStBl II 1986, 84). Beide Entscheidungen betreffen einen anderen Sachverhalt. In den genannten Urteilsfällen wurde jeweils mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung eine vorher nicht vollzogene Ausschüttung "nachträglich" beschlossen. Hätte die Klägerin am 17. Juli 1984 beschlossen, statt 300.000 DM weitere 200.000 DM, d.h. insgesamt 500.000 DM für das Geschäftsjahr 1981 auszuschütten, so hätte sie einen mit den Urteilsfällen vergleichbaren Sachverhalt verwirklicht. In diesem Fall wäre die Ausschüttungsbelastung bezogen auf den Betrag von 500.000 DM herzustellen. Die Urteile betreffen jedoch nicht den Fall einer nachträglichen Herabsetzung der ausgeschütteten Gewinnanteile. Deshalb sind sie für den Streitfall nicht einschlägig.

b) Das FG hat jedoch nicht erkannt, daß die von der Klägerin begehrte Höherbewertung des Vorratsvermögens sich auch auf die Höhe des Einkommens auswirkt, das seinerseits fingiert festzustellen ist und einen Zugang zum verwendbaren Eigenkapital bindend festlegt. Es hätte deshalb der Frage nachgehen müssen, ob das Begehren der Klägerin sich sinngemäß nicht auch auf die Verpflichtung des FA erstreckte, das Einkommen 1981 in Höhe eines bestimmten Betrages fingiert festzustellen. Zur Zulässigkeit eines solchen Begehrens verweist der Senat auf sein Urteil vom 16. März 1988 I R 188/84 (BFHE 153, 219, BStBl II 1988, 683). Das FG hat insoweit nicht über das sinngemäße Begehren der Klägerin vollständig entschieden. Die Tatsache, daß das FA zwischenzeitlich einen Ergänzungsbescheid erlassen hat, ändert an diesem Zustand nichts. Die Klägerin kann auch heute noch vor dem FG entweder ihr sinngemäßes Begehren in der Hauptsache für erledigt erklären oder aber den Ergänzungsbescheid in das Klageverfahren überleiten (§ 68 FGO). Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen.