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BFH-Urteil vom 10.5.1989 (II R 160/85) BStBl. 1989 II S. 752

Auch bei schlechten Ertragsaussichten eines Unternehmens ist bei der Anteilsbewertung der Ertragshundertsatz mit 0 v.H. anzusetzen. Eine weitere Herabsetzung des auf dieser Grundlage ermittelten gemeinen Wertes kommt nur dann in Betracht, wenn die am Stichtag vorhandenen objektiven Verhältnisse auf einen baldigen Zusammenbruch des Unternehmens hindeuten und sich der nach den VStR ergebende Wert deshalb als überhöht erweist.

BewG § 11 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Streitig ist in der Revisionsinstanz noch die Bewertung der Anteile an der beigeladenen GmbH auf den 31. Dezember 1977 und den 31. Dezember 1978.

Der Kläger war an den genannten Bewertungsstichtagen Inhaber aller Anteile an der GmbH. Das Stammkapital betrug (nach einer Kapitalerhöhung im Jahre 1977) 500.000 DM. Seine Anteile hat der Kläger 1979 für 1 DM verkauft. Außerdem hat er auf die Ansprüche auf Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 200.000 DM sowie auf seine Pensionsansprüche verzichtet.

Das beklagte Finanzamt (FA) führte die Anteilsbewertung nach Abschn. 77 f. der Vermögensteuer-Richtlinien 1977 (VStR 1977) durch. Ausgehend von den Einheitswerten des Betriebsvermögens setzte es bei der Ermittlung der Vermögenswerte die Betriebsgrundstücke nicht mit ihren Einheitswerten von 468.400 DM, sondern nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) mit 1.871.000 DM (richtig wohl 1.171.000 DM = 250 v.H. der Einheitswerte von 468.400 DM) an. Den Ertragshundertsatz setzte das FA jeweils mit null v.H. an. Danach ergaben sich folgende Anteilswerte:

 

31. Dezember

31. Dezember

 

1977

1978

   

Vermögenswert

319,81 v.H.

188,91 v.H.

Ertragshundertsatz

0 v.H.

0 v.H.

 

- - - - - - -

- - - - - - - -

 

319,81 v.H.

188,91 v.H.

hiervon 65 v.H.

207,88 v.H.

122,79 v.H.

   

Abschlag wegen

   

ungünstiger

   

Ertragsaussichten

   

30 v.H.

62,37 v.H.

36,84 v.H.

 

- - - - - - -

- - - - - - -

gemeiner Wert

145,52 v.H.

85,95 v.H.

   

abgerundet

145,00 v.H.

85,00 v.H.

   

Der Einspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 1. April 1981, der auch die Feststellung des gemeinen Werts zum 31. Dezember 1976 betraf, wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, bei den Ertragsaussichten müßten die seit 1977 eingetretenen Verluste, die schließlich zur völligen Entwertung der Anteile geführt hätten, berücksichtigt werden.

Würden die negativen Ertragshundertsätze, wie früher, weiterhin berücksichtigt, so würden die positiven Vermögenswerte durch den Ansatz des Fünffachen der negativen Ertragshundertsätze aufgezehrt werden. Was die Vermögenswerte selbst angehe, werde es in das Ermessen des Gerichts gestellt, Abschläge wegen Unrentabilität zu erwägen.

Nach den Feststellungen des FG handelt es sich bei den vom Kläger geltend gemachten Verlusten um folgende Beträge:

1977

422.548 DM

1978

835.000 DM und

1979

1.079.000 DM.

Der Kläger hat beantragt, die gemeinen Werte für alle drei Stichtage auf null v.H. festzustellen.

Das FG hat die Klage insoweit abgewiesen, als sie die Bewertung der Anteile auf den 31. Dezember 1976 betraf. Im übrigen hat es der Klage hinsichtlich des Stichtages des 31. Dezember 1977 zum Teil und hinsichtlich des Stichtages des 31. Dezember 1978 voll stattgegeben. Es hat den gemeinen Wert der Anteile auf den 31. Dezember 1977 auf 138 v.H. und auf den 31. Dezember 1978 auf null v.H. herabgesetzt.

In seiner Begründung hat es ausgeführt, daß die Einwendungen gegen den Ansatz der Vermögenswerte nicht begründet seien. Begründet seien jedoch die Einwendungen wegen des Nichtansatzes der negativen Ertragshundertsätze für die Stichtage 31. Dezember 1977 und 31. Dezember 1978. Die Verwaltung habe willkürlich ein tragendes Element der Anteilsbewertung, wie sie bisher vorgenommen worden sei, geändert.

Die gemeinen Werte der Anteile auf den 31. Dezember 1977 und den 31. Dezember 1978 hat das FG wie folgt berechnet:

 

31. Dezember

31. Dezember

 

1977

1978

   

Betriebsergebnis

   

1975

./. 12.319 DM

- DM

   

Betriebsergebnis

   

1976

385.920 DM

385.920 DM

   

Betriebsergebnis

   

1977

./. 422.548 DM

./. 422.548 DM

   

Betriebsergebnis

   

1978

- DM

./. 835.000 DM

 

- - - - - - - - - -

- - - - - - - - - - -

 

./. 48.947 DM

./. 871.628 DM

   

Durchschnitts-

   

ergebnis

./. 16.315 DM

./. 290.542 DM

   

Ertrags-

   

hundertsatz

./. 16.315 DM x 100

./. 290.542 DM x 100

 

- - - - - - - - - -

- - - - - - - - - - -

150.000 DM

(richtig 500.000 DM)

500.000 DM

   
 

= ./. 3,26 v.H.

= ./. 58,1 v.H.

   

fünffacher Ertrags-

   

hundertsatz

= ./. 16,31 v.H.

= ./. 290,5 v.H.

   

zuzüglich

   

Vermögenswert

319,81 v.H.

188,91 v.H.

 

- - - - - - - - -

- - - - - - - - -

 

303,50 v.H.

./. 101,59 v.H.

   

davon 65 v.H.

197,27 v.H.

- -

Abschlag 30 v.H.

59,18 v.H.

- -

 

- - - - - - - - -

- - - - - - - - -

gemeiner Wert

138,00 v.H.

0 v.H.

Das FG hat die Revision auf Beschwerde des FA zugelassen.

Revision haben sowohl die Klägerin als auch das FA eingelegt.

Das FA hat (sinngemäß) beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es über die gemeinen Werte der Anteile auf den 31. Dezember 1977 und den 31. Dezember 1978 entschieden hat, und die gemeinen Werte ohne Berücksichtigung negativer Ertragshundertsätze festzustellen.

Der Kläger hat beantragt, das Urteil des FG zu ändern und die gemeinen Werte für alle drei Stichtage auf null v.H. festzustellen. Er ist der Auffassung, das FG hätte bei seiner Berechnung von den verschlechterten zukünftigen Ertragsaussichten ausgehen müssen.

Auf einen Hinweis, daß die Revision vom FG lediglich auf eine Beschwerde des FA zugelassen worden sei, die lediglich die Stichtage des 31. Dezember 1977 und des 31. Dezember 1978 betroffen habe, weil das FA nur insoweit durch das Urteil des FG beschwert worden sei, hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erklärt, er bitte, seinen Revisionsantrag hinsichtlich des Stichtages des 31. Dezember 1976 auch im Hinblick auf die Kosten rückwirkend zu streichen. Diese Erklärung ist dahin auszulegen, daß der Kläger seine Revision insoweit zurückgenommen hat, als sie die Feststellung des gemeinen Werts seiner Anteile auf den 31. Dezember 1976 betraf. Zu entscheiden ist deshalb nur noch über die Feststellung der gemeinen Werte der Anteile auf den 31. Dezember 1977 (auf die Revision beider Beteiligter) und auf den 31. Dezember 1978 (auf die Revision des FA).

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren beigetreten. Er hat im einzelnen ausgeführt:

Die in den VStR 1977 getroffene Neuregelung für die Anteilsbewertung hinsichtlich der Nichtberücksichtigung negativer Ertragshundertsätze gehe davon aus, daß auch in den Fällen, in denen in den vergangenen Jahren Verluste eingetreten seien, im Durchschnitt der nächsten fünf Jahre ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt werden könne. Es müsse davon ausgegangen werden, daß von den Unternehmen alle erforderlichen Maßnahmen getroffen würden, um baldmöglichst wieder Gewinne zu erzielen. Nach der Systematik der Anteilsbewertung führe dies dazu, daß in diesen Fällen nur 45,5 v.H. des bereits um 15 v.H. gekürzten Vermögenswertes angesetzt werden. Unter diesen Voraussetzungen sei die Schlußfolgerung erlaubt, daß keine Überbewertung der Anteile eintrete.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen des FA und des Klägers, soweit sie aufrechterhalten worden sind, führen hinsichtlich der Stichtage 31. Dezember 1977 und 31. Dezember 1978 zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Senat hat keine rechtlichen Bedenken dagegen, daß in den VStR 1977 abweichend von den vorangegangenen Richtlinien angeordnet worden ist, der Ertragshundertsatz sei bei Vorliegen von Verlusten mit 0 v.H. anzusetzen. Er ist allerdings der Meinung, daß diese Regel nicht ohne jede Ausnahme gelten kann. Der Auffassung des FG, daß diese Regelung, die den Ansatz negativer Ertragshundertsätze nicht mehr zuläßt, willkürlich ein tragendes Element des bisherigen Bewertungsverfahrens abgeändert habe, ist nicht zu folgen.

Bei der in den VStR vorgesehenen Methode für die Anteilsbewertung handelt es sich um eine besondere Form der Übergewinnmethode, die in der Ausgestaltung der VStR 1977 dem Vermögenswert gegenüber dem Ertragswert ein Übergewicht im Verhältnis 2:1 einräumt (vgl. hierzu die Senats-Urteile vom 7. Dezember 1977 II R 164/72, BFHE 124, 356, 358, BStBl II 1978, 323, und vom 12. März 1980 II R 28/77, BFHE 130, 198, 202, BStBl II 1980, 405). Wegen dieses Übergewichts des Vermögenswertes ist diese Bewertungsmethode Ausdruck vorsichtiger Bewertung immer dann, wenn von der Erzielung von Übergewinnen auszugehen ist, wobei nach den VStR 1977 Übergewinne immer dann anzunehmen sind, wenn sie 10 v.H. übersteigen.

Aus der Anwendung dieser Methode folgt jedoch nicht zwingend, daß sie auch bei dem Zurückbleiben der Gewinnaussichten hinter den Normalgewinnen zu einer vorsichtigen Bewertung führt. Das Übergewicht des Vermögenswertes gegenüber dem Ertragswert dürfte auch die Rechtfertigung dafür sein, daß bei geringen Gewinnaussichten ein besonderer Abschlag vorgesehen ist (vgl. Abschn. 79 Abs. 3 VStR 1977, vgl. hierzu auch das Senats-Urteil vom 6. November 1985 II R 220/82, BFHE 145, 431, 433, BStBl II 1986, 281). Unter Berücksichtigung dieser Abschläge können deshalb die Ergebnisse der Bewertung nach den VStR auch bei Vorliegen geringer Gewinnerwartungen noch als Ausdruck vorsichtiger Bewertung angesehen werden.

Sind die Gewinnerwartungen gleich null, so ergibt sich danach ein Wert von 45,5 v.H. des um 15 v.H. gekürzten Vermögenswertes (Abschn. 79 Abs. 3 i.V.m. Abschn. 77 Abs. 5 VStR 1977). Eine weitere Kürzung dieses Wertes ist auch in Verlustperioden nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Insbesondere läßt sich die Übergewinnmethode, die für den Fall des Vorliegens von höheren Gewinnen entwickelt worden ist, nicht ohne weiteres auf eine Verlustperiode übertragen. Denn dies würde dazu führen, daß entsprechend dem Prognosezeitraum für die Ertragsaussichten eine Verlustperiode von weiteren fünf Jahren angenommen würde (vgl. Abschn. 79 Abs. 1 Satz 9 VStR 1977). Auch wenn für einige Jahre Verluste eintreten, so führt dies nicht ohne weiteres dazu, daß ein geringerer Wert als gemeiner Wert angesetzt werden muß, als er sich aus den VStR mit 45,5 v.H. des um 15 v.H. gekürzten Vermögenswertes ergibt. Daß dieser Ansatz regelmäßig nicht unterschritten werden darf, ergeben folgende Überlegungen:

Sollen Verluste eines Unternehmens nicht existenzbedrohend werden, so ist es zwingend erforderlich, daß die Unternehmensleitung alsbald Maßnahmen trifft um den Wiedereintritt in die Gewinnphase herbeizuführen. Hiervon gehen die VStR letztlich aus. Der Ansatz des Ertragshundertsatzes mit 0 v.H. in diesen Fällen besagt, daß die Ertragsaussichten generell so beurteilt werden, daß in den auf den Stichtag folgenden fünf Jahren ein ausgeglichenes Durchschnittsjahresergebnis erzielt werden kann. Diese Annahme der Richtlinien entspricht der zu erwartenden Zielsetzung einer jeden Unternehmensleitung. Es bestehen deshalb keine rechtlichen Bedenken, auch in Verlustperioden bei der Bewertung der Anteile von der Überwindung der Verlustperiode auszugehen.

Dem Senat ist allerdings bewußt, daß dies nicht ausnahmslos gelten kann. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens an einem Stichtag so hoffnungslos ist, daß bei objektiver Betrachtung eine Verhinderung des Zusammenbruchs des Unternehmens nicht mehr zu erwarten ist, unabhängig davon, ob die Unternehmensleitung dies erkennt. In diesen Fällen könnte allerdings die Überlegung nahe liegen, daß bei Vorliegen dieser Umstände bei der Bewertung gedanklich von einer sofortigen Liquidation des Unternehmens auszugehen ist. Indessen ist nicht zu verkennen, daß auch bei einer gedachten Liquidation eine grundsätzliche Überprüfung des Vermögenswertes erfolgen muß. Darüber hinaus wird zu berücksichtigen sein, daß die Zerschlagung des Unternehmens mit erheblichen Abwicklungsverlusten verbunden sein kann, die sich u.a. auch aus der Vereinbarung eines Sozialplanes ergeben können.

Allerdings besteht auch in diesen Fällen noch die Möglichkeit, daß ein Wert in Höhe von 45,5 v.H. des um 15 v.H. gekürzten Vermögenswertes als angemessener Ansatz für den gemeinen Wert angesehen werden kann. In diesem Falle muß aber angenommen werden können, daß der Anteilseigner bei einer gedachten Liquidation letztlich noch einen Abwicklungsüberschuß in dieser Höhe wird erzielen können.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß eine Unterschreitung des Grenzwertes von 45,5 v.H. des um 15 v.H. gekürzten Vermögenswertes nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen dürfte. Zu denken ist hier in erster Linie an eine Anteilsbewertung kurze Zeit vor dem Zusammenbruch des Unternehmens. Auch der Verkauf von Anteilen für 1 DM wie im vorliegenden Fall kann ggf. als ein entsprechendes Indiz für einen bevorstehenden Zusammenbruch des Unternehmens zu werten sein.

Das FG, an das die Sache zurückgeht, wird nunmehr zu prüfen haben, ob für die beiden Stichtage ein Ausnahmefall vorliegt, der zur Kürzung des gemeinen Wertes unter den Betrag von 45,5 v.H. des um 15 v.H. gekürzten Vermögenswertes berechtigt, wie dies das FG durch Anwendung der negativen Ertragshundertsätze letztlich bejaht hat.

Auf die Revision des Klägers ist das Urteil für den Stichtag 31. Dezember 1977 deshalb aufzuheben, weil nach den vorangegangenen Ausführungen nicht auszuschließen ist, daß sich ein geringerer Wert ergeben wird, als er bisher vom FG angenommen worden ist.

Wichtig für die Entscheidung wird es vor allem sein, die Gründe für den Niedergang des Unternehmens der GmbH im einzelnen zu ermitteln und auf dieser Grundlage auch den angesetzten Vermögenswert, über dessen Errechnung nichts festgestellt worden ist, einer Überprüfung zu unterziehen.