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BFH-Beschluß vom 7.6.1989 (II B 111/88) BStBl. 1989 II S. 803

1. Treten in eine lediglich Grundbesitz haltende GbR neue Gesellschafter ein und anschließend die bisherigen Gesellschafter aus (Abwachsungs-Anwachsungs-Modell), so unterliegt dieser Vorgang der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG i.V.m. § 42 AO 1977.

2. War der Erwerb des Grundstücks materiell vorläufig von der Grunderwerbsteuer ausgenommen, so ist Steuerschuldner der nachzuerhebenden Steuer jedenfalls nicht die Gesellschaft in ihrer neuen Zusammensetzung.

GrEStG Berlin § 1 Abs. 1 Nr. 1 (= GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1), § 6 Abs. 1 Nr. 9, § 10 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Nr. 4, § 25 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; AO 1977 § 42.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Herren A, B, C und D erwarben mit Vertrag vom 22. Dezember 1981/12. Februar 1982 die Grundstücke X-Straße in Berlin in Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Das Grundstück lag in einem Sanierungsgebiet und war bebaut; das vorhandene Gebäude sollte zur Errichtung eines Neubaus abgerissen werden. Das Finanzamt (FA) stellte den Erwerb antragsgemäß nach § 6 Abs. 1 Nr. 9 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) Berlin von der Grunderwerbsteuer frei.

Nach dem Inhalt eines am 10. Dezember 1982 notariell beurkundeten "Vertrag über die Abtretung von Gesellschaftsanteilen" traten die Herren E, F und G als weitere Gesellschafter ("Neugesellschafter") in die Gesellschaft ein und die bisherigen Gesellschafter - zu denen die in Gründung befindliche X-Straße GmbH hinzugetreten sein soll - "anschließend" aus der Gesellschaft aus. Grundbuchberichtigung wurde beantragt. Die Grundstücke sollten nach wie vor bebaut werden.

Das FA sah in der Vereinbarung vom 10. Dezember 1982 einen der Grunderwerbsteuer unterliegenden Weiterveräußerungsvorgang und erhob deshalb die Grunderwerbsteuer für den Erwerb nach. Den Nacherhebungsbescheid vom 18. Dezember 1986 richtete es an die "GbR E, F und G". Es gab den Bescheid jedem der Gesellschafter bekannt.

Gegen den Nacherhebungsbescheid hat die Antragstellerin Einspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA ab.

Daraufhin beantragte die Antragstellerin Vollziehungsaussetzung durch das Gericht. Sie ist der Auffassung, die Vereinbarung vom 10. Dezember 1982 unterliege nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Berlin i.V.m. § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) der Grunderwerbsteuer. Die Bauabsicht sei nicht aufgegeben worden; auch grunderwerbsteuerrechtlich sei die Gesellschaft, bestehend aus den Neugesellschaftern, mit der Gesellschaft, bestehend aus den Altgesellschaftern, identisch. Wenn das FA diese Identität verneine, könne es zumindest nicht den Nacherhebungsbescheid gegen die aus den Neugesellschaftern bestehende Gesellschaft richten.

Das Finanzgericht (FG) hat den Antrag abgelehnt. Zutreffend habe das FA in der Vereinbarung vom 10. Dezember 1982 einen der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Berlin i.V.m. § 42 AO 1977 unterliegenden Vorgang gesehen. Daraus folge auch die Aufgabe der Bauabsicht durch die veräußernde Gesellschaft, denn bei angemessener Gestaltung hätten sie das Grundstück veräußert, so daß die Nachsteuer ohne Heranziehung des § 42 AO 1977 entstanden wäre. Da aber § 42 AO 1977 nicht ein Steuerrechtssubjekt schaffe, das es ohne Heranziehung dieser Vorschrift nicht gebe, sei der Nacherhebungsbescheid zutreffend an die Antragstellerin gerichtet, denn eine mit ihr nicht identische Gesellschaft, bestehend aus den Altgesellschaftern, "gab und gibt es ohne die Fiktion des § 42 AO" 1977 nicht.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Vollziehungsaussetzungsbegehren weiter. Selbst wenn in der Vereinbarung vom 10. Dezember 1982 ein der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Berlin i.V.m. § 42 AO 1977 unterliegender Vorgang zu sehen sei - was sie weiter bestreitet -, so richte sich jedenfalls der angefochtene Bescheid nicht gegen den Steuerschuldner des Ersterwerbs.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Aussetzung der Vollziehung des Nacherhebungsbescheids vom 18. Dezember 1986.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts, die die antragsgemäße Aussetzung der Vollziehung durch das Gericht der Hauptsache nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Derartige ernstliche Zweifel bestehen im Streitfall jedenfalls im Gegensatz zur Auffassung des FG in bezug auf die Steuerschuldnerschaft der Antragstellerin für die Nachsteuer.

Für einen nach § 6 Abs. 1 Nr. 9 GrEStG Berlin auf Antrag von der Besteuerung ausgenommenen Erwerb trat nach § 10 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Nr. 4 GrEStG Berlin die Steuerpflicht ein, wenn der begünstigte Zweck - die planungsgemäße Bebauung des erworbenen Grundstücks mit einem Gebäude - durch den Erwerber innerhalb von fünf Jahren seit dem Erwerb aufgegeben wurde. Als Steuerschuldner in Anspruch genommen für die nachträglich entstandene Steuer konnte nach § 25 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 GrEStG Berlin nur derjenige werden, der an dem (zunächst befreiten) Erwerbsvorgang als Erwerber beteiligt war.

Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der nahezu gleichzeitige Wechsel aller Gesellschafter aufgrund der Vereinbarung vom 10. Dezember 1982 nicht als schlichter Wechsel im Personenstand einer GbR zu beurteilen ist und deshalb nicht der Grunderwerbsteuer unterlag, sondern daß gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Berlin i.V.m. § 42 AO 1977 Grunderwerbsteuer so entstand, wie wenn die aus den "Altgesellschaftern" bestehende Gesellschaft die im Gesamthandseigentum stehenden Grundstücke an eine aus den "Neugesellschaftern" bestehende Gesellschaft veräußert hätte. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Übertragung sämtlicher Anteile an einer nur Grundbesitz haltenden GbR (vgl. zuletzt das Urteil vom 4. März 1987 II R 150/83, BFHE 149, 75, BStBl II 1987, 394, m.w.N.); sie gilt auch für die nahezu gleichzeitige Auswechslung aller Gesellschafter einer GbR durch Eintritt neuer Gesellschafter und anschließendem Austreten sämtlicher bisheriger Gesellschafter (sog. Abwachsungs-Anwachsungs-Modell, vgl. dazu Karsten Schmidt, Archiv für die civilistische Praxis 182, 481, 491).

Es kann unentschieden bleiben, ob die Überleitung des Grundbesitzes einer GbR, die wie bei einem Verkauf des Grundstücks an eine andere GbR der Grunderwerbsteuer unterliegt, auch die Nachsteuer infolge Aufgabe des begünstigten Zwecks entstehen läßt oder ob in dieser Hinsicht die bürgerlich-rechtlich allgemein angenommene Identität der Gesellschaft bei Auswechslung aller Gesellschafter dieser Annahme entgegensteht. Denn im ersteren Fall wäre die Nachsteuer in der Person der Gesellschaft entstanden, die als Veräußerin aufgrund der Vereinbarung vom 10. Dezember 1982 anzusehen ist, und nicht in der Person der davon losgelöst zu betrachtenden Antragstellerin, der Gesellschaft aus den Neugesellschaftern. Nach § 42 Satz 2 AO 1977 entsteht bei einem Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung entsteht. Maßgebend ist damit die nicht vollzogene, aber als rechtlich angemessen zu unterstellende Tatbestandsgestaltung, während die tatsächlich gewählte Gestaltung unberücksichtigt zu bleiben hat. Das gilt auch in persönlicher Hinsicht mit der Folge, daß nur die Personen als Steuerschuldner in Betracht kommen, die bei angemessener Rechtsgestaltung als Steuerschuldner anzusehen sind. Bei angemessener Gestaltung stünden sich zwei GbR als Vertragsteile gegenüber, wovon nur eine durch gleichzeitige Aufgabe der Bauabsicht in ihrer Person die Steuer aus dem zunächst durch sie steuerfrei verwirklichten Erwerbsvorgangs (Kauf der Grundstücke durch Vertrag vom 22. Dezember 1981/12. Februar 1982) zur Entstehung bringen konnte.