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BFH-Urteil vom 30.6.1989 (III R 85/87) BStBl. 1989 II S. 809

1. Der Senat hält daran fest, daß das "verarbeitende Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe -" (§ 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1a BerlinFG) von den übrigen Wirtschaftszweigen entsprechend der Einordnung nach dem systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes abzugrenzen ist.

2. Der Antrag eines einzigen Wirtschaftsverbandes auf Umgruppierung im systematischen Verzeichnis rechtfertigt regelmäßig noch nicht die Annahme, es habe sich die Verkehrsauffassung der beteiligten Wirtschaftskreise geändert.

3. Wird das systematische Verzeichnis innerhalb der dreijährigen sog. Verbleibensfrist geändert, ist die erhöhte Zulage auch für Wirtschaftsgüter zu gewähren, die vor der Umgruppierung des betreffenden Wirtschaftszweiges zum verarbeitenden Gewerbe angeschafft oder hergestellt worden sind. Entsprechend ist ein beim FG anhängiges Klageverfahren nur bis zum Ablauf der Verbleibensfrist auszusetzen (Einschränkung des Urteils des Senats vom 2. Mai 1980 III R 130/78, BFHE 131, 261, BStBl II 1980, 732).

BerlinFG § 19; FGO § 74.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1988, 157)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) in den Jahren 1982 und 1983 (Streitjahre) in Berlin (West) ein verarbeitendes Gewerbe oder einen Großhandel betrieben hat (§ 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1a, aa des Berlinförderungsgesetzes - BerlinFG -).

Die Klägerin sammelte Altpapier und Altpappe. Diese Altstoffe säuberte sie von Fremdbestandteilen und sortierte sie nach verschiedenen Merkmalen. Das so aufbereitete Altmaterial wurde anschließend gemischt, in einer Shredderanlage zerkleinert, hydraulisch zu Ballen gepreßt und an die Papierindustrie zur Wiederverwendung verkauft. In den Streitjahren schaffte die Klägerin für diese Zwecke eine Vielzahl von beweglichen Wirtschaftsgütern an. Die Investitionen beliefen sich im Jahre 1982 auf ... DM und 1983 auf ... DM.

Der Betrieb der Klägerin gehört nach dem systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes (Ausgabe 1979) - systematisches Verzeichnis - zum Großhandel mit Altpapier und -pappe (Nr. 408 77). Ein vom Bundesverband Papierrohstoffe e.V. bereits am 5. Januar 1979 gestellter Antrag auf Änderung dieser Systematik hat bisher noch zu keinem Erfolg geführt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gewährte der Klägerin für die in den Streitjahren angeschafften Wirtschaftsgüter nur die Grundzulage von 10 v.H. der Anschaffungskosten und lehnte die erhöhte Zulage von 25 v.H. nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1a, aa BerlinFG ab.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, der Schwerpunkt ihrer betrieblichen Tätigkeit habe in der Produktion von Sekundärrohstoffen für die Papierindustrie und nicht im Großhandel gelegen. Deshalb habe auch der Bundesverband Papierrohstoffe e.V. den Antrag auf Änderung des systematischen Verzeichnisses gestellt. Das Statistische Bundesamt habe daraufhin im Jahre 1985 mitgeteilt, daß nach 1989 in Abteilung 2 des systematischen Verzeichnisses eine Position "Recycling" aufgenommen werde, unter die dann auch ihr, der Klägerin, Betrieb falle. Diese künftige Änderung des systematischen Verzeichnisses sei bereits jetzt zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) wies mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 157 veröffentlichten Urteil die Klage ab. Es traf seine Entscheidung in Anlehnung an das systematische Verzeichnis. Das FG lehnte auch eine Aussetzung des Verfahrens wegen des im Jahre 1979 vom Bundesverband Papierrohstoffe e.V. gestellten Antrags auf Umgruppierung ab. Zwar habe der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 2. Mai 1980 III R 130/78 (BFHE 131, 261, BStBl II 1980, 732) entschieden, daß bei formal zulässigen Umgruppierungsanträgen das finanzgerichtliche Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Statistischen Bundesamtes abzuwarten sei. Dies könne jedoch nur für die Fälle gelten, in denen die Möglichkeit bestehe, daß sich die Verkehrsauffassung seit der letzten Revision des systematischen Verzeichnisses bis zum Zeitpunkt der Investitionen geändert habe. Davon könne im Streitfall aber nicht ausgegangen werden.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Investitionszulage unter Änderung des Bescheides des FA in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 1986 auf 25 v.H. der Anschaffungskosten festzusetzen, hilfsweise das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer Änderung des systematischen Verzeichnisses auszusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Der Klägerin steht die erhöhte Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1a, aa BerlinFG nicht zu, da ihr Betrieb nicht zum verarbeitenden Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe - im Sinne dieser Vorschrift gehört. Das FG war auch nicht gehalten, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen.

1. Die Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes gegenüber den übrigen Wirtschaftszweigen ist nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BFH entsprechend der Einordnung nach dem systematischen Verzeichnis vorzunehmen (siehe insbesondere die Urteile vom 14. Januar 1975 VIII R 148/71, BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392; vom 8. April 1976 III R 161/73, BFHE 118, 516, BStBl II 1976, 410; in BFHE 131, 261, BStBl II 1980, 732, sowie vom 8. Juli 1988 III R 23/84, BFH/NV 1989, 392). Denn dieses Verzeichnis eignet sich in besonderem Maße zur Auslegung des Begriffs des verarbeitenden Gewerbes, weil dieser Begriff der Wirtschaft entstammt und in dem Verzeichnis gerade die Verkehrsauffassung der Wirtschaft zur Geltung kommt.

Der Senat hat diese Grundsätze in seinem Urteil in BFHE 131, 261, BStBl II 1980, 732 auch ausdrücklich auf den Betrieb der Klägerin (im Jahre 1976) angewendet. Es besteht kein Grund, für den nunmehrigen Rechtsstreit (betreffend die Jahre 1982 und 1983) davon abzugehen. Die Tätigkeit der Klägerin hat sich seither nicht geändert. Nach den Feststellungen des FG ist ihr Betrieb der Nr. 408 77 des systematischen Verzeichnisses und damit nach wie vor dem Handel zugeordnet worden. Diese Zuordnung entspricht den, dem systematischen Verzeichnis (Ausgabe 1979) zugrunde liegenden Vorstellungen der Wirtschaft. Denn nach der Vorbemerkung zur Abteilung 4 dieses Verzeichnisses ist es gerade im Großhandel mit Altmaterial unerläßlich, das Material im Betrieb zu sortieren, unter Umständen zu zerkleinern und zu reinigen und zu handelsüblichen, für den Transport geeigneten Ballen zu pressen und zu packen. Obgleich hierfür zum Teil beträchtliche maschinelle Vorrichtungen, wie Transportanlagen, Pressen, Shredder und Schneidvorrichtungen erforderlich sind, werden diese Manipulationen - nach derselben Vorbemerkung - aber noch als handelsüblich angesehen.

2. Die Zuordnung des Betriebs der Klägerin zum Handel ist auch trotz des vom Bundesverband Papierrohstoffe e.V. im Januar 1979 eingeleiteten Verfahrens auf Umgruppierung beim Statistischen Bundesamt nach wie vor als sachgerecht anzusehen.

Zwar hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 131, 261, BStBl II 1980, 732 die Ansicht vertreten, daß das FG ein bei ihm anhängiges Klageverfahren aussetzen müsse, bis über einen beim Statistischen Bundesamt förmlich gestellten Antrag auf Umgruppierung entschieden ist. Doch kommt der Senat bei neuerlicher Prüfung der hier maßgebenden Rechtsfrage zu der Auffassung, daß eine spätere Umgruppierung nur zeitlich begrenzt auf bereits abgeschlossene Vorgänge zurückbezogen werden darf, mithin auch eine Aussetzung des Verfahrens nur über einen bestimmten Zeitraum hin möglich und geboten ist.

a) Mit dem FG ist davon auszugehen, daß die erhöhte Investitionszulage in der Regel nur zu gewähren ist, wenn der betreffende Betrieb bereits im Zeitpunkt der Investition zum verarbeitenden Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe - im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1a, aa BerlinFG gehörte. Das entspricht auch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Denn die Zulage für Betriebe des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - wurde deswegen erhöht, weil ein Interesse an der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung Berlins gerade auf dem industriellen Sektor bestand (siehe dazu das Senats-Urteil in BFHE 118, 516, BStBl II 1976, 410, unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Dieser Vorgabe kommt aber ein Betrieb am nächsten, der die betreffenden Wirtschaftsgüter nicht nur anschafft oder herstellt, sondern sie auch von Anfang an in der Verarbeitung einsetzt; dies wiederum verlangt, daß der Betrieb auch als solcher (von Anfang an) zum verarbeitenden Gewerbe gehört.

Weiter erfordert es nach dem BFH-Urteil in BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392 die Rechtssicherheit, daß die Zuordnung zum verarbeitenden Gewerbe - ausgenommen Baugewerbe - in engster Anlehnung an das systematische Verzeichnis durchgeführt wird. Denn anhand dieses Verzeichnisses ist es dem Unternehmer möglich, seine Berechtigung zur erhöhten Investitionszulage zu prüfen und in die Investitionsentscheidung miteinzubeziehen.

b) Daraus kann aber - entgegen der Auffassung des FG - nicht geschlossen werden, daß für die Gewährung der erhöhten Zulage nach § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1a, aa BerlinFG stets darauf abzustellen sei, wie ein Betrieb im Investitionszeitpunkt nach dem systematischen Verzeichnis einzuordnen ist.

Einmal hat es die Rechtsprechung insoweit für unschädlich gehalten, wenn ein Betrieb des verarbeitenden Gewerbes erst nach Anschaffung (oder Herstellung) der betreffenden Wirtschaftsgüter, allerdings noch im selben Kalender-(Wirtschafts-)Jahr, zur Entstehung gelangt (siehe BFH-Urteil vom 3. April 1973 VIII R 31/71, BFHE 109, 292, BStBl II 1973, 578; vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats vom 11. März 1988 III R 113/82, BFHE 153, 191, BStBl II 1988, 636, zu § 4b des Investitionszulagengesetzes - InvZulG - 1975).

Weiter übersieht das FG, daß die Auslegung des Begriffs "verarbeitendes Gewerbe" entsprechend der Einordnung nach dem systematischen Verzeichnis sich letztlich auf die in diesem Verzeichnis dokumentierte Verkehrsauffassung stützt (vgl. hierzu das Urteil in BFHE 118, 516, BStBl II 1976, 410). Die Verkehrsauffassung wird - wie die Klägerin zutreffend geltend macht - grundsätzlich jedoch nicht erst vom Fachausschuß "Systematiken" beim Statistischen Bundesamt gebildet. Dieses Gremium bestätigt lediglich, daß sich - im Falle der Umgruppierung - die bisherige Verkehrsauffassung geändert hat. Einer Umgruppierung im systematischen Verzeichnis geht mithin regelmäßig eine Änderung der Verkehrsauffassung der beteiligten Wirtschaftskreise voraus.

Nach Auffassung des erkennenden Senats rechtfertigt jedoch ein Antrag lediglich eines einzigen Wirtschaftsverbandes, hier des Bundesverbandes Papierrohstoffe e.V., auf Umgruppierung die Annahme einer Änderung der Verkehrsauffassung regelmäßig noch nicht. Dies folgt allgemein schon daraus, daß in dem später über die Umgruppierung entscheidenden Gremium, dem Fachausschuß "Systematiken", zahlreiche Wirtschaftsverbände vertreten sind und es so auch durchaus zu einer ablehnenden Entscheidung kommen kann (zur Ansicht der "beteiligten Wirtschaftskreise" vgl. auch das Urteil in BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392). Speziell im Streitfall kommt hinzu, daß dem Antrag des Bundesverbandes Papierrohstoffe e.V. nach über 10 Jahren noch immer nicht entsprochen worden ist.

Ungeachtet dessen dürfte es sich im Einzelfall kaum feststellen lassen, wann genau eine Änderung der Verkehrsauffassung eingetreten ist; der maßgebende Zeitpunkt wird auch nicht im systematischen Verzeichnis bestimmt.

c) Der erkennende Senat hält es daher aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität für geboten, auf verhältnismäßig allgemeine und "grobe", im Einzelfall aber leicht nachprüfbare, äußere Umstände abzustellen. Demgemäß kann die erhöhte Zulage nach Auffassung des Senats auch im Fall einer förmlich zulässigen Antragstellung auf Umgruppierung beim Statistischen Bundesamt (wie im Streitfall z.B. durch den Bundesverband Papierrohstoffe e.V.) auch dann noch gewährt werden, wenn die Umgruppierung zum verarbeitenden Gewerbe nach Anschaffung (oder Herstellung) der betreffenden Wirtschaftsgüter noch innerhalb der dreijährigen sog. Verbleibensfrist des § 19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1a, aa BerlinFG vollzogen wird. Mit dieser Befristung wird - abgesehen von Praktikabilität und Rechtssicherheit - auch den Gesichtspunkten Rechnung getragen, daß der Fachausschuß "Systematiken" nur eine - möglicherweise bereits früher stattgefundene - Änderung der Verkehrsauffassung bestätigt und daß das systematische Verzeichnis keine Gesetzeskraft hat. Zum anderen ist aber auch noch eine gewisse zeitliche Nähe zur Investitionsentscheidung gewahrt, die nach dem Willen des Gesetzgebers von der Aussicht auf eine erhöhte Zulage zumindest mitbeeinflußt sein soll (vgl. insoweit das Urteil in BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392).

3. An der zeitlich befristeten Möglichkeit, eine Umgruppierung für die Zulagengewährung noch zu berücksichtigen, hat sich sodann notwendigerweise auch eine evtl. Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens gemäß § 74 FGO zu orientieren (siehe zur Zulässigkeit einer befristeten Aussetzung des Verfahrens z.B. Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 74 Anm. 9).

Nach den dargestellten Grundsätzen war im Streitfall aber keine Aussetzung des Klageverfahrens geboten. Das FG hat über die Höhe der Zulage für die in den Jahren 1982 und 1983 getätigten Investitionen der Klägerin erst im Jahre 1987 entschieden. Zu diesem Zeitpunkt war die dreijährige Verbleibensfrist aber längst abgelaufen, ohne daß dem Umgruppierungsantrag entsprochen worden war. Dem finanzgerichtlichen Verfahren haftet somit auch ein Verfahrensfehler nicht an.