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BFH-Urteil vom 12.5.1989 (III R 132/85) BStBl. 1989 II S. 846

1. Bei der Auslegung einer beim FG angebrachten Klage sind auch die dem FA bekannten oder vernünftigerweise erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen.

2. Der Kreis der in Betracht kommenden Kläger muß innerhalb der Klagefrist klar eingegrenzt werden. Die weitere Konkretisierung, wer aus diesem Kreis im einzelnen Kläger sein soll, kann jedenfalls dann, wenn die Zahl der in Betracht kommenden Kläger klein und leicht überschaubar ist, auch noch nach Ablauf der Klagefrist erfolgen.

3. Die nach § 65 Abs. 2 FGO vom Vorsitzenden des FG-Senats zu setzende Frist ist keine Ausschlußfrist (Bestätigung der Rechtsprechung).

FGO § 65 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1985, 509)

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet. Der Ehemann betreibt in der Rechtsform einer Einzelfirma einen ...handel. Anläßlich einer Außenprüfung, die die Streitjahre 1976 bis 1978 zum Gegenstand hatte, stellte der Prüfer verschiedene nicht geklärte Kasseneinlagen fest und erhöhte insoweit die Gewinne und Umsätze. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schloß sich der Auffassung des Prüfers an und erließ für die Jahre 1976 bis 1978 entsprechende Einkommensteuer- und Umsatzsteueränderungsbescheide sowie geänderte Gewerbesteuermeßbescheide.

Die gegen die Änderungsbescheide gerichteten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Sie wurden durch Einspruchsentscheidungen jeweils vom 16. Juli 1984, die dem Bevollmächtigten der Kläger am 19. Juli 1984 zugestellt wurden, zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 6. August 1984 - bei Gericht eingegangen am 8. August 1984 - wurde Klage "gegen die Einspruchsentscheidungen des Finanzamts X vom 16.7.1984, zugestellt am 19.7.1984" erhoben. Die Kläger wurden in diesem Schreiben mit der Steuernummer und den Angaben "Familienname, Straße, Postleitzahl, Wohnort" bezeichnet. Begehrt wurde "die privaten Geldzuflüsse in den Unternehmensbereich als Einlagen zu behandeln".

Mit dem Hinweis, daß diese Klageschrift nicht den Anforderungen des § 65 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspreche, erbat der Vorsitzende des Senats des Finanzgerichts (FG), unter Fristsetzung bis zum 24. August 1984, Angaben über die Steuerart, Jahr und Datum des angefochtenen Steuerbescheides sowie den vollen Namen des bzw. der Kläger. Auf einer am 28. August 1984 beim FG eingegangenen Kopie der Klageschrift trug der Prozeßbevollmächtigte der Kläger ergänzend vor, daß es sich "um die Einspruchsentscheidungen in Sachen Umsatzsteuer vom 18.7.84 für 1976, 77, 78 gegen ... (Vor- und Zuname des Ehemannes sowie Wohnort); in Sachen Gewerbesteuer vom 18.7.84 für 1976, 77, 78 gegen ... (Vor- und Zuname des Ehemannes sowie Wohnort); in Sachen Einkommensteuer vom 18.7.1984 für 1976, 77, 78 gegen Eheleute ... (Vor- und Zuname beider Eheleute)" handele.

Das FG wies, nachdem es die Kläger unter Hinweis auf Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) zur weiteren Sachverhaltsaufklärung aufgefordert hatte, die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 509 veröffentlichten Gründen als unzulässig zurück. Das FG war der Ansicht, daß die Kläger in der Klageschrift nicht mit hinreichender Deutlichkeit bezeichnet worden seien und die nachträgliche Konkretisierung verspätet bei Gericht eingegangen sei.

Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 65 FGO. Dem FG seien alle notwendigen Angaben, aus denen sich die Zulässigkeit der Klage ergebe, zur Verfügung gestellt worden. Insbesondere sei die Frist nach § 65 Abs. 2 FGO keine Ausschlußfrist, so daß schon durch die nach Ablauf der Klagefrist eingereichten weiteren Unterlagen die Klage zulässig geworden sei.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Die Klage ist entgegen der Auffassung des FG zulässig. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muß die Klage den Kläger, den Beklagten und den Streitgegenstand, bei Anfechtungsklagen auch den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Außerdem soll sie einen bestimmten Antrag enthalten. Nach § 65 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende den Kläger aufzufordern, die erforderlichen Ergänzungen innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegen, wenn die Klage diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang entspricht.

Aus der in § 65 Abs. 2 FGO vorgesehenen Möglichkeit, nachträgliche Ergänzungen der Klageschrift vorzunehmen, läßt sich folgern, daß nicht sämtliche in § 65 Abs. 1 FGO aufgeführten Bestandteile bis zum Ablauf der Klagefrist vorzuliegen brauchen. Bis zu deren Ende müssen vielmehr nur die Erfordernisse beachtet sein, von denen es abhängt, ob ein Schriftstück sich überhaupt als Klageschrift qualifizieren läßt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532 m.w.N.). Darüber hinaus besteht jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, die fehlenden Angaben im Rahmen des bis zum Ablauf der Klagefrist gezogenen Klageumfangs zu präzisieren.

a) Zu den Mindestanforderungen, die bereits bis zum Ablauf der Klagefrist vorliegen müssen, damit die Klageschrift als fristwahrende Erhebung einer Klage gewertet werden kann, gehört zunächst die Bezeichnung des Klägers bzw. der Kläger. Dies schließt jedoch nicht aus, daß eine nicht eindeutige Bezeichnung des Klägers entsprechend den für Willenserklärungen geltenden Grundsätzen vom FG und von der Revisionsinstanz (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 24. Januar 1952 III ZR 196/50, BGHZ 4, 328, 335) ausgelegt werden können. Bei dieser - nach der Verständnismöglichkeit des Empfängers - vorzunehmenden Auslegung sind zur Bestimmung des in der Rechtsbehelfsschrift genannten Klägers alle dem FG und dem FA bekannten oder vernünftigerweise erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 14. November 1986 III R 12/81, BFHE 148, 212, BStBl II 1987, 178, und vom 25. September 1985 IV R 180/83, BFH/NV 1986, 171 m.w.N.).

Wenn die Klage, wie im Streitfall, unmittelbar beim FG angebracht wird, kann es dabei nicht darauf ankommen, ob ein zur Auslegung heranzuziehendes Aktenstück dem FG schon bekannt war. Wie der IV. Senat des BFH in einem unveröffentlichten Urteil vom 12. April 1984 IV R 209/83 ausgeführt hat, sind vielmehr bei der Auslegung der Klageschrift auch diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu berücksichtigen, die nur für das FA als einem der beiden Adressaten der Klage bereits zum Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift erkennbar waren. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Wenn nämlich die Klage entsprechend der Vorschrift des § 47 Abs. 2 FGO fristwahrend beim FA angebracht worden wäre, könnte die Auslegung der Klageschrift auch nicht davon abhängen, wann die zu ihrer Auslegung heranzuziehenden Umstände dem FG als zweitem der beiden möglichen Adressaten erkennbar gewesen sind. Insbesondere kann nicht entscheidend sein, ob dies deshalb noch innerhalb der Klagefrist geschieht, weil die Steuerakten beim FG ausnahmsweise noch innerhalb der Klagefrist eingetroffen sind. Da das Gesetz die Anbringung einer Klage beim FA überhaupt als fristwahrend anerkennt, kommt darin zum Ausdruck, daß die Klage (bei Anbringung beim FA) in jedem Fall so erhoben ist, wie sie das FA vernünftigerweise verstehen mußte. Klageanbringung beim FA und beim FG sind, was die Fristwahrung anbelangt, nach der gesetzlichen Regelung gleichwertig. Dann müssen sie aber auch in der Frage der Auslegung der Klageschrift und in der Entscheidung der Frage, welche tatsächlichen und rechtlichen Umstände außerhalb der Klageschrift hierbei zu berücksichtigen sind, gleichbehandelt werden.

Es sind auch keine schutzwürdigen Belange der Rechtspflegeorgane erkennbar, die es ausschließen würden, bei der Auslegung der Klageschrift in der Frage, wer Kläger ist, solche tatsächlichen und rechtlichen Umstände mitzuberücksichtigen, die dem Gericht zwar nicht innerhalb der Klagefrist, aber doch spätestens mit der Übersendung der Steuerakten und demgemäß lange vor der Vornahme maßgeblicher Prozeßhandlungen (abgesehen von der Zustellung der Klageschrift an den Beklagten) erkennbar werden.

Legt man die Klageschrift vom 6. August 1984 nach diesen Rechtsgrundsätzen aus, dann folgt für den Streitfall, daß die Klage für das FA nur dahingehend verstanden werden konnte, daß die unter der Steuernummer ... beim FA X geführten Steuerpflichtigen ... (Eheleute) sich gegen die vom FA X am 16. Juli 1984 unter dieser Steuernummer erlassenen Einspruchsentscheidungen wenden. Kläger sind mithin die von diesen Entscheidungen beschwerten Steuerpflichtigen, nämlich ... (Ehemann) bezüglich Umsatz- und Gewerbesteuer und ... (Eheleute) bezüglich Einkommensteuer. Insoweit sind die Kläger, entgegen der Auffassung des FG, bereits in der Klageschrift hinreichend bestimmt.

b) Die Vornamen der Kläger brauchten unter den gegebenen Umständen nicht in der Klageschrift genannt zu werden (anderer Ansicht Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 65 Anm. 22). Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß in der Einkommensteuersache von den Eheleuten beide oder nur einer als Kläger in Betracht kamen und insoweit erst die Nennung der Vornamen Klarheit bringen konnte. Ausreichend war, daß der Kreis der in Betracht kommenden Kläger in der Klageschrift klar eingegrenzt war. Die Klageschrift wandte sich ausdrücklich "gegen die Einspruchsentscheidungen" und durch diese wurden, soweit sie die Einkommensteuer betrafen, beide Ehepartner betroffen. Entsprechend gehörten auch beide zum Kreis der in Betracht kommenden Kläger. Die weitere Individualisierung und Konkretisierung, wer nun aus diesem Kreis Kläger sein sollte, konnte noch nach Ablauf der Klagefrist erfolgen (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 5. Mai 1982 7 B 201.81, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1982, 827 zu dem § 65 FGO vergleichbaren § 82 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Das gilt jedenfall in einem Fall wie dem vorliegenden, wo die Zahl der in Betracht kommenden Kläger klein und leicht überschaubar war.

c) Die Klageschrift wird auch der weiteren Anforderung, mit hinreichender Genauigkeit den Streitgegenstand zu bezeichnen, gerecht. Die Kläger bringen eindeutig zum Ausdruck, daß ihrer Ansicht nach die privaten Geldzuflüsse in den Unternehmensbereich als erfolgsneutrale Einlage anzusehen sind. Streitgegenstand, der nach ständiger Rechtsprechung nicht die einzelnen Besteuerungsmerkmale, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheides ist (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1988 I R 93/84, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895 m.w.N.), ist dementsprechend die steuerliche Auswirkung der privaten Geldzuflüsse. Eine hinreichende Präzisierung ist mithin gegeben.

d) Die Klageschrift, mit der eine Anfechtungsklage erhoben wird, muß zwar auch den angefochtenen Verwaltungsakt bezeichnen; es ist jedoch grundsätzlich unschädlich, dies auch noch nach Ablauf der Klagefrist nachzuholen (BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532), denn im Unterschied zu der für das Revisionsverfahren bestehenden Regelung (§ 120 Abs. 2 Satz 1 FGO) trifft einen Kläger, der es versäumt, innerhalb der Klagefrist den angefochtenen Verwaltungsakt zu bezeichnen, kein Rechtsverlust. Er hat vielmehr die Möglichkeit, die fehlenden Angaben auch später nachzuholen, wobei er sich allerdings nur in dem Bereich bewegen darf, der die bis zum Ablauf der Klagefrist vorliegenden Angaben präzisiert.

In der Klageschrift wurde "gegen die Einspruchsentscheidungen des Finanzamt ... vom 16.7.1984, zugestellt am 19.7.1984" Klage erhoben. Diese Angabe reicht aus, um die angefochtenen Verwaltungsakte insoweit so hinreichend zu bezeichnen, daß der Eintritt der Rechtskraft für die in diesen Einspruchsentscheidungen behandelten Steuerfestsetzungen verhindert wird.

2. Da das innerhalb der Klagefrist eingegangene Schriftstück den Mindestanforderungen an eine Klageschrift entspricht, war eine Ergänzung und Konkretisierung grundsätzlich bis zur mündlichen Verhandlung möglich. Die nach § 65 Abs. 2 FGO vom Vorsitzenden des FG zu setzende "bestimmte Frist" ist insofern, entgegen der Ansicht des FG, keine Ausschlußfrist (BFH-Urteil vom 10. Juni 1980 VIII R 128/77, BFHE 131, 178, BStBl II 1980, 696 m.w.N.). Vielmehr muß eine erst nach Ablauf der gesetzten Frist bei Gericht eingehende Klageergänzung selbst dann bei der Entscheidung des Rechtsmittels berücksichtigt werden, wenn die Aufforderung zur Klageergänzung gemäß Art. 3 § 3 Abs. 1 VGFGEntlG mit einer Frist versehen war (BFH-Urteil vom 28. Mai 1986 I R 75/83, BFHE 146, 573, BStBl II 1986, 753).

Die zulässige nähere Konkretisierung der Kläger durch das Schreiben vom 27. August 1984 war daher, entgegen der Vorinstanz, nicht deshalb verspätet, weil sie nach Ablauf der vom Vorsitzenden bestimmten Frist bei Gericht eingegangen ist.

Auch die betragsmäßige Präzisierung des Streitgegenstandes durch verschiedene Schreiben und in der mündlichen Verhandlung war nicht verspätet (vgl. BFH-Urteil in BFHE 131, 178, BStBl II 1980, 696). Vielmehr handelt es sich insoweit um zulässige und rechtzeitige Klarstellungen der Klageschrift.

3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif. Das FG führt in seinem Urteil zwar aus, daß erhebliche Zweifel an der Begründetheit der Klage bestehen, die getroffenen Feststellungen reichen jedoch nicht aus, die Steuerfestsetzungen auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Das FG hat es, aus seiner Sicht zu Recht, unterlassen, die angefochtenen Steuerbescheide von Amts wegen auf ihre formelle und materielle Richtigkeit hin zu überprüfen und die dafür erforderlichen Feststellungen zu treffen.

Dies gilt unbeschadet der Frage, ob das FG das weitere Vorbringendes Klägers gemäß Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFGEntlG zurückweisen darf. Die Möglichkeit, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen, enthebt das Gericht nicht von seiner Verpflichtung, einen angefochtenen Steuerbescheid auf offenbare Unrichtigkeiten und nach Aktenlage erkennbare Fehler hin zu überprüfen (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1987 I R 382/83, BFH/NV 1988, 255 unter 2.). Insofern kann auch der erkennende Senat nicht auf einen feststehenden, vom FG festgestellten Sachverhalt zurückgreifen. Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).