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BFH-Urteil vom 28.6.1989 (I R 67/85) BStBl. 1989 II S. 848

Geht in einem Schätzungsfall nach Ergehen der Einspruchsentscheidung beim FA die Steuererklärung ohne jegliche Erläuterung ein, so kann darin keine Klageerhebung gesehen werden.

FGO §§ 47 Abs. 1 und 2, 56, 64.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1985, 572)

Sachverhalt

I.

Streitig ist die Zulässigkeit einer Klage.

1. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ am 8. September 1983 die angefochtenen Bescheide, die wegen fehlender Steuererklärungen auf Schätzungen beruhten. In fristgerecht eingelegten Einsprüchen kündigte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) eine spätere Begründung der Rechtsbehelfe an. Als bis Mai 1984 noch keine Begründung und auch keine Steuererklärungen für 1981 vorlagen, wies das FA die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung vom 16. Mai 1984 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde der Klägerin am 17. Mai 1984 zugestellt.

Am 7. September 1984 ging beim FA ein Antrag des Beraters der Klägerin auf Vollstreckungsaufschub ein. Die Klägerin bat in diesem Schreiben um Prüfung, weshalb es noch nicht zur Bearbeitung der mit Datum vom 25. Mai 1984 übermittelten Steuererklärungen 1981 gekommen sei. Das FA teilte der Klägerin mit, daß Steuererklärungen für 1981 nicht vorlägen. Unter dem Datum vom 18. September 1984 gingen beim FA Fotokopien von Steuererklärungen ein, die unter dem 25. Mai 1984 datiert waren. Nach einer Notiz in den Akten des FA teilte der Vertreter der Klägerin dem FA am 21. September 1984 telefonisch mit, daß die Klägerin die Abgabe der Steuererklärungen als Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 16. Mai 1984 ansehe. Das FA legte daraufhin die Vorgänge dem Finanzgericht (FG) vor. Vor dem FG trug die Klägerin ergänzend vor, daß die Steuererklärungen "unter dem 25. Mai 1984" von dem in der Kanzlei der klägerischen Vertreter beschäftigten Herrn G in den Briefkasten des FA geworfen worden seien. Die Steuererklärungen hätten sich in einem verschlossenen Umschlag ohne Anschreiben befunden. Die Klägerin beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Aufforderung des FG, das Fristenkontrollbuch und das Postausgangsbuch der klägerischen Vertreter vorzulegen, kam die Klägerin nicht nach, da keine Fristversäumnis vorliege.

2. Das FG wies die Klage als unzulässig ab (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 572), da eine als Klage zu wertende Erklärung nicht vor September 1984 und daher verspätet abgegeben worden sei. Wiedereinsetzungsgründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

3. Die Klägerin rügt mit ihrer Revision Verletzung der §§ 64 und 65 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Nach den Einspruchsentscheidungen des FA habe die Klägerin die Steuerbescheide nur durch Klage anfechten können. Bei verständiger Würdigung habe man in den Steuererklärungen eine Anfechtung der Steuerbescheide und der Einspruchsentscheidungen sehen müssen. Auch das FA habe das erkannt, denn es habe die Steuererklärungen im September 1984 als "Klage" an das FG gesandt.

Auch wenn die Klage im September 1984 verspätet gewesen sei, müsse der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Die Klägerin habe die Steuererklärungen ohne Verschulden als Klageerhebung ansehen können und sei für den Verlust der Erklärungen beim FA nicht verantwortlich.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

a) dem Körperschaftsteuerbescheid 1981 ein negatives Einkommen von 19.231 DM zugrunde zu legen;

b) im Umsatzsteuerbescheid 1981 einen Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von 382,62 DM festzusetzen;

c) im Feststellungsbescheid nach § 47 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 zum 31. Dezember 1981 ein negatives verwendbares Eigenkapital in Höhe von 20.800 DM festzustellen;

d) hilfsweise, die Sache zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

Das FG hat zu Recht die Klage als unzulässig abgewiesen, da die Klage nicht innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 FGO erhoben wurde.

1. Eine Klage ist nach § 64 FGO schriftlich beim Gericht zu erheben. Die Frist für die Klageerhebung gilt jedoch auch als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde angebracht wird, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat (§ 47 Abs. 2 FGO).

Im Streitfall ist die Klage innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 FGO weder beim FG erhoben noch beim FA angebracht worden. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, kann dahingestellt bleiben, ob die Vertreter der Klägerin die Steuererklärungen 1981 tatsächlich am 25. Mai 1984 in den Briefkasten des FA geworfen haben. Da die Steuererklärungen die Mindestvoraussetzungen einer Klage nicht erfüllten, kommt es nicht darauf an, wann die Erklärungen dem FA übermittelt wurden.

2. Die Klage ist ein formalisiertes und konkretisiertes Verlangen nach gerichtlichem Rechtsschutz (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Dezember 1977 II R 96/75, BFHE 123, 437, BStBl II 1978, 70; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 40 Anm. 3). Sie muß klar erkennen lassen, daß gerichtlicher Rechtsschutz begehrt wird (BFH in BFHE 123, 437, BStBl II 1978, 70; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 65 FGO Tz. 1).

Diese Voraussetzung erfüllen die von der Klägerin erstellten Steuererklärungen nicht. Wird eine Willenserklärung eines Steuerpflichtigen an eine Verwaltungsbehörde gerichtet, so spricht dieser Umstand dafür, daß die Verwaltungsbehörde auch Adressat der Erklärung sein soll. Soll eine an das FA gerichtete Willenserklärung für einen anderen Empfänger bestimmt sein, so muß sich das aus der Erklärung ergeben. Hieran fehlte es im Streitfall auch nach den Angaben der Klägerin.

Diese Überlegung gilt in verstärktem Maße, wenn es sich um Steuererklärungen handelt, die stets der Verwaltungsbehörde abzugeben sind. Die Abgabe von Steuererklärungen ist grundsätzlich Erfüllung der gesetzlichen Erklärungspflicht (§§ 149 ff. der Abgabenordnung - AO 1977 -; § 25 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1985 i.V.m. § 49 Abs. 1 und 2 KStG 1977) des Steuerpflichtigen. Als Klageerhebung kann eine Steuererklärung allenfalls ausgelegt werden, wenn das Begehren um gerichtlichen Rechtsschutz aus der Erklärung eindeutig zu entnehmen ist. Das bedingt bei einer dem FA eingereichten Steuererklärung jedoch, daß dieses Begehren aus einer zusätzlich zur Steuererklärung abgegebenen Erklärung zu entnehmen ist. Das ist im Streitfall auch nach den Angaben der Klägerin nicht geschehen.

Es trifft auch nicht zu, daß die Steuererklärungen sinnvoll nur als Klage ausgelegt werden konnten. Die eingereichten Steuererklärungen konnten auch Grundlage eines Erlaßantrages der Klägerin sein. Für ein auf eine Billigkeitsentscheidung gerichtetes Begehren der Klägerin spricht im Streitfall die von der Klägerin behauptete Abgabe beim FA, das für einen Antrag auf Steuererlaß zuständig gewesen wäre.

3. Das FG hat ohne Rechtsirrtum die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verneint. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand findet statt, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Die Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (Urteile des BFH vom 14. April 1976 IV R 43-45/75, BFHE 119, 208, BStBl II 1976, 624; vom 24. November 1977 IV R 113/75, BFHE 125, 107, BStBl II 1978, 467). Dieses Maß an Sorgfalt ist insbesondere an rechtskundige Vertreter des Steuerpflichtigen anzulegen (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 56 FGO Tz. 4).

Im Streitfall liegt ein entschuldbares Verhalten in diesem Sinne nicht vor. Sollten die rechtskundigen Vertreter der Klägerin angenommen haben, daß die Abgabe einer Steuererklärung beim FA als Klageerhebung anzusehen sei, wäre die durch dieses Verhalten ausgelöste Fristversäumnis nicht schuldlos i.S. des § 56 Abs. 1 FGO. Den klägerischen Vertretern mußten als Rechtsanwälten die Voraussetzungen einer Klageerhebung bekannt sein. Ohne genaue Überprüfung der verfahrensrechtlichen Lage konnten sie nicht davon ausgehen, daß eine ganz anderen Zielen dienende Steuererklärung als Klageerhebung betrachtet werden könne. Auch die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß eine derartige Überprüfung stattgefunden hätte. Das Verschulden ihrer Vertreter ist der Klägerin zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung; Beschluß des BFH vom 10. August 1977 II R 89/77, BFHE 123, 14, BStBl II 1977, 769).