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BFH-Urteil vom 23.5.1989 (X R 17/85) BStBl. 1989 II S. 879

Gebrauchte Wirtschaftsgüter können Gegenstand einer Sachspende sein, deren Höhe sich nach dem gemeinen Wert des zugewendeten Wirtschaftsguts richtet. Soweit gebrauchte Kleidung überhaupt einen gemeinen Wert (Marktwert) hat, sind die für eine Schätzung des Wertes maßgeblichen Faktoren wie Neupreis, Zeitraum zwischen Anschaffung und Weggabe und der tatsächliche Erhaltungszustand im einzelnen durch den Steuerpflichtigen nachzuweisen.

EStG § 10b Abs. 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), beide Bedienstete des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), machten in ihrem gemeinsamen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1983 u.a. Kleiderspenden als Sachspenden an das DRK in Höhe von 1.442 DM als Sonderausgaben geltend. Bei den Kleiderspenden handelte es sich um gebrauchte Bekleidungsstücke der zum Haushalt der Kläger zählenden Personen, zu denen neben den Klägern drei Kinder und die Mutter der Klägerin gehörten. Zum Nachweis der Spenden legten die Kläger zunächst Spendenbescheinigungen des DRK über 200 DM, 535 DM und 707 DM vor, auf denen lediglich vermerkt war, daß es sich um Sachspenden gehandelt habe.

Auf Anfrage des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) legte das DRK eine detaillierte Aufstellung über die Sachspenden vor. Danach sind die gespendeten "neuwertigen Kleidungstücke" mit folgenden Werten angesetzt worden:

Anzüge und Mäntel

100 DM

Jacken und Anoraks

50 DM

Kleider

30 DM

Röcke

15 DM

Blusen, Herrenhemden und T-Shirts

10 DM

Pullover

15 DM

Hosen

30 DM

Schuhe

10 DM

Im Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1983 vom 16. Juli 1984 versagte das FA den Abzug der geltend gemachten Spenden unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. Oktober 1971 VI R 310/69 (BFHE 103, 430, BStBl II 1972, 55). Der Einspruch war erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im wesentlichen statt.

Es vertrat die Auffassung, grundsätzlich seien auch Kleiderspenden als Sachspenden Ausgaben i. S. des § 10b Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die mit dem gemeinen Wert anzusetzen seien. Soweit der BFH im Urteil in BFHE 103, 430, BStBl II 1972, 55 davon ausgegangen sei, daß gebrauchte Bekleidung kaum einen Marktwert besäße, sei dort die veränderte Marktsituation nicht berücksichtigt. Inzwischen habe sich in Form von Second-Hand-Läden ein eigener Markt für gebrauchte Kleidung entwickelt.

Entgegen der Auffassung des FA sei deshalb von einem Marktwert auszugehen, dessen Höhe zu schätzen sei, weil die hingegebenen Waren nicht mehr greifbar seien und deshalb Feststellungen über deren Zustand und Qualität ausschieden. Maßgebliche Grundlage für die Schätzung sei die Bescheinigung des Spendenempfängers über den Wert der Sachspende vor allem dann, wenn es sich um eine Organisation handle, "die - wie das DRK - auf diesem Gebiet erfahren" sei. Zweifle das FA an der Richtigkeit der Bescheinigung, müsse es konkrete Umstände hierzu darlegen. Die Behauptung, es handle sich um Gefälligkeitsbescheinigungen, reiche nicht aus. Im übrigen könnten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben für abgelaufene Veranlagungszeiträume keine zusätzlichen Nachweise gefordert werden, weil das FA bisher gleichlautende Bescheinigungen anerkannt habe.

Das FG ließ lediglich die von der Mutter der Klägerin stammenden Kleiderspenden nicht als Aufwand der Kläger zum Abzug zu. Diese schätzte es ausgehend von einem 6 Personenhaushalt auf 1/6 des geltend gemachten Gesamtbetrages.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 10b Abs. 1 Satz 1 EStG.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Voraussetzungen für den Abzug von Sachspenden liegen nicht vor.

1. Gemäß § 10b EStG in der im Streitjahr 1983 geltenden Fassung sind Ausgaben zur Förderung u.a. der als besonders förderungswürdig anerkannten gemeinnützigen Zwecke bis zur Höhe von insgesamt 5 v.H. des Gesamtbetrages der Einkünfte als Sonderausgaben abziehbar. Als Ausgabe im Sinne der Vorschrift gilt nach § 10b Abs. 1 Satz 3 EStG auch die Zuwendung von Wirtschaftsgütern mit Ausnahme von Nutzungen und Leistungen. Handelt es sich, wie im Streitfall, nicht um Wirtschaftsgüter, die aus einem Betriebsvermögen entnommen sind, bestimmt sich die Höhe der Ausgaben nach dem gemeinen Wert des zugewendeten Wirtschaftsguts (§ 10b Abs. 1 Satz 5 EStG).

a) Entgegen der Auffassung des FA setzt § 10b EStG nicht voraus, daß die Ausgaben das Einkommen belasten. Die Herkunft der verwendeten Mittel ist grundsätzlich ohne Bedeutung (z.B. Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 10b EStG Anm. 2a; Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 10b EStG Anm. 18). Das ergibt sich bereits daraus, daß nach § 10b Abs. 1 Satz 3 EStG auch die Zuwendung von Wirtschaftsgütern als Ausgabe anzusehen und mithin auch die Hingabe von Wirtschaftsgütern aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen mit deren Wert als Aufwendung zu berücksichtigen ist.

b) Zu § 10b EStG enthält § 48 Abs. 3 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 2c EStG ergänzende Vorschriften, die zum einen den Kreis der Empfänger, zum anderen die Art des Nachweises betreffen. Im Streitfall gehört der Empfänger der Spende unstreitig zu den in § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) bezeichneten Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen (§ 48 Abs. 3 Nr. 2 EStDV).

Hinsichtlich des Nachweises schreibt § 48 Abs. 3 Nr. 2 EStDV vor, daß Zuwendungen nur dann abziehbar sind, wenn der Empfänger die ausschließliche Verwendung des zugewendeten Betrags für seine satzungsmäßigen Zwecke bestätigt. Diese Bestätigung ist nach ständiger Rechtsprechung unverzichtbare sachliche Voraussetzung für den Spendenabzug (BFH-Urteile vom 25. Juli 1969 VI R 269/67, BFHE 96, 471, BStBl II 1969, 681; vom 19. März 1976 VI R 72/73, BFHE 118, 224, BStBl II 1976, 338; vom 25. August 1987 IX R 24/85, BFHE 151, 39, BStBl II 1987, 850). Die Bestätigung hat jedoch nur den Zweck einer Beweiserleichterung hinsichtlich der Verwendung der Spende zu den steuerbegünstigten Zwecken und ist auch insoweit nicht bindend (ausführlich BFHE 118, 224, BStBl II 1976, 338). Eine Bindung besteht erst recht nicht für andere als in § 48 Abs. 3 Nr. 2 EStDV geforderte Angaben, insbesondere nicht für Angaben über den Wert von Sachspenden.

c) Der "gemeine Wert" ist im EStG nicht definiert. Maßgeblich ist deshalb nach § 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) die Begriffsbestimmung des § 9 Abs. 2 BewG. Danach bestimmt sich der gemeine Wert durch den Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre; dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen, ausgenommen außergewöhnliche oder persönliche Verhältnisse. Die Vorentscheidung ist, soweit sie sich zu dieser Vorschrift und ihrer Anwendung auf den Streitfall äußert, im Revisionsverfahren in vollem Umfang überprüfbar (BFH-Urteil vom 29. April 1987 X R 2/80, BFHE 150, 453, BStBl II 1987, 769, m. w. N.). Die Höhe des Preises, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bei einer Veräußerung zu erzielen gewesen wäre, ist dagegen Tatfrage.

aa) Im Ergebnis zutreffend - wenn auch ohne § 9 Abs. 2 BewG zu erwähnen - ist das FG davon ausgegangen, daß § 9 Abs. 2 BewG einen funktionierenden Markt, d.h. eine Nachfrage nach Wirtschaftsgütern von der Art des zu bewertenden Wirtschaftsguts voraussetzt.

Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Annahme der Vorinstanz, für gebrauchte Kleidung bestehe grundsätzlich ein Markt, wie die zunehmende Zahl der Second-Hand-Shops zeige. Die Bemerkung in BFHE 103, 430, BStBl II 1972, 55, gebrauchte Kleidung habe grundsätzlich kaum einen Marktwert, ist zu Recht in der Literatur angezweifelt worden (z.B. Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 10b EStG Anm. 2a; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., 1988, § 10b Anm. 2; Drasdo, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1987, 327, 330; Thoma, DStR 1984, 641, 643; Mittelbach, Die Information über Steuer und Wirtschaft - Inf - 1972, 855). Der erkennende Senat mißt der Äußerung in BFHE 103, 430, BStBl II 1972, 55 keine die Entscheidung tragende Bedeutung zu. Der VI. Senat hat mit seiner beiläufigen Bemerkung nur bekräftigt, daß an den Nachweis des Wertes von Sachspenden "strenge Anforderungen" zu stellen sind und der Nachweis in dem dort entschiedenen Fall nicht erbracht war.

bb) Grundsätzlich läßt sich der gemeine Wert des zu bewertenden Wirtschaftsguts am zuverlässigsten anhand von Verkaufspreisen anderer gleicher oder vergleichbarer Wirtschaftsgüter ermitteln. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß Verkaufsfälle in ausreichender Zahl stattgefunden haben und die maßgebenden Wertfaktoren der zu vergleichenden Wirtschaftsgüter im wesentlichen übereinstimmen (BFHE 150, 453, BStBl II 1987, 769, m. w. N.). Ist es nicht möglich, den gemeinen Wert aus Verkäufen abzuleiten, so muß er geschätzt werden (z.B. BFH-Urteil vom 24. Januar 1975 III R 4/73, BFHE 115, 58, BStBl II 1975, 374). Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen.

cc) Allerdings kann die Schätzung des FG - obwohl grundsätzlich Tatsachenwürdigung - revisionsrechtlich keinen Bestand haben. Eine Bindung besteht nach § 118 Abs. 2 FGO nur dann, wenn die Tatsachenwürdigung keinen Rechtsirrtum enthält, nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt und nicht auf einem Verfahrensmangel beruht (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 1. Dezember 1967 III 19/65, BFHE 91, 254, BStBl II 1968, 332; vom 27. Juni 1980 VI R 147/77, BFHE 131, 53, BStBl II 1980, 651).

Das FG hat bei der Schätzung des gemeinen Werts die vom DRK als Empfänger bescheinigten Werte mit der Begründung als eigene übernommen, diese Organisation habe "Erfahrungen auf diesem Gebiet". Tatsächliche Feststellungen, die diese Annahme rechtfertigten, hat das FG nicht getroffen.

Eine Bindung an die Würdigung des FG entfällt außerdem deshalb, weil der vom FG übernommene Schätzungsmaßstab offensichtlich unzutreffend ist. Das FG hat in Anlehnung an die Empfängerbescheinigung alle Kleidungsstücke eines bestimmten Warentyps (Mantel, Anorak, Blusen, Herrenhemden, Schuhe etc.) mit einem bestimmten Wert angesetzt. Die Annahme, gebrauchte Kleidung einer bestimmten Warengattung habe - selbst eine vergleichbare Nutzungsdauer unterstellt - ohne Rücksicht auf deren Neuwert einen gleichen Gebrauchtwarenmarktwert, ist offensichtlich fehlerhaft; denn Faktoren, wie Material, Verarbeitung, Design, Marke etc., die sich im Kaufpreis niederschlagen, bleiben wertbestimmend auch dann, wenn die Gegenstände gebraucht weiterveräußert werden.

Der gemeine Wert von Kleidungsstücken wird durch den Gebrauch und - davon unabhängig - durch bloßen Zeitablauf gemindert. Kleidungsstücke sind Gegenstände, deren Wert besonders von der Änderung des modischen Geschmacks entscheidend mitbestimmt wird; sie sind nach kurzer Zeit auch als neue Wirtschaftsgüter nur noch schwer, als gebrauchte nur ausnahmsweise verkäuflich. Daß Wirtschaftsgüter, weil sie nicht verbraucht sind, noch einen Nutzungswert haben können, verschafft ihnen noch keinen Marktwert im Sinne eines gemeinen Werts.

2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war das Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.

a) Entgegen der Auffassung des FG war das FA nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, die Empfängerangabe über den Wert der Sachspenden wie in den Vorjahren zu berücksichtigen. Das FA ist bei der Veranlagung an eine Rechtsauffassung, die es bei vorhergehenden Veranlagungen zugrunde gelegt hat, grundsätzlich nicht gebunden, und zwar selbst dann nicht, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (BFH-Entscheidungen vom 10. November 1982 I R 142/79, BFHE 137, 202, BStBl II 1983, 280; vom 6. Februar 1985 II R 178/82, BFH/NV 1985, 62). Dies gilt grundsätzlich in gleicher Weise für die Prüfung und Würdigung des für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts, und zwar auch dann, wenn das FA über einen längeren Zeitraum den Angaben und Nachweisen des Steuerpflichtigen folgend eine für ihn günstige Auffassung vertreten hat (z.B. BFH-Urteil vom 29. September 1988 V R 53/83, BFHE 154, 395, 400, BStBl II 1988, 1.022, 1.024). Im übrigen sind die Angaben in den vorgelegten Spendenbescheinigungen so allgemein gehalten, daß die Kläger nicht darauf vertrauen durften, das FA werde eine Prüfung des Sachverhalts auf Dauer unterlassen.

b) Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG sind die hingegebenen Waren nicht mehr vorhanden. Deren wertbildende Faktoren wie Anschaffungspreis, Zustand und Qualität können daher nicht mehr ermittelt werden. Neben dem Neuwert und dem Zeitraum zwischen Anschaffung und Weitergabe als Spende ist jedoch der Erhaltungszustand ein wesentlicher Faktor für die Ermittlung des gemeinen Werts.

Lassen sich die für die Schätzung erheblichen Tatsachen nicht mit der für eine Schätzung notwendigen, aber auch hinreichenden größtmöglichen Wahrscheinlichkeit (z.B. BFH-Urteil vom 13. März 1985 I R 7/81, BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 96 Anm. 18 f., m. w. N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 162 AO 1977 Anm. 2 und 6) feststellen, so ist nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast (Feststellungslast) darüber zu befinden, wer den Nachteil der Unaufgeklärtheit des Sachverhalts zu tragen hat (BFH-Urteil vom 5. März 1980 II R 148/76, BFHE 130, 179, BStBl II 1980, 402). Eine gesetzlich festgelegte Regel über die Verteilung der Feststellungslast für den Steuerprozeß fehlt (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, 341, BStBl II 1979, 482, 487). Im Regelfall trägt der Steuerpflichtige die Feststellungslast für die Tatsachen, die den Steueranspruch mindern. Darüber hinaus ist die Beweisnähe zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760; vom 19. Juni 1985 I R 109/82, BFH/NV 1986, 249).

Da nur den Klägern die Beweisführung zur Klärung der für die Schätzung des gemeinen Werts erheblichen Angaben möglich ist, geht die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts zu Lasten der Kläger.