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BFH-Urteil vom 22.8.1989 (VIII R 9/87) BStBl. 1989 II S. 936

Fahrzeuge des kassenärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes werden nicht ausschließlich im Rettungsdienst verwendet. Ihr Halten ist nicht nach § 3 Nr. 5 KraftStG 1979 kraftfahrzeugsteuerfrei.

KraftStG 1979 § 3 Nr. 5; KraftStG 1972 § 2 Nr. 4; StVO § 35 Abs. 5a; RVO § 368n Abs. 1, § 368 Abs. 2 und 3.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1987, 425)

Sachverhalt

I.

Für die Klägerin und Revisionsklägerin - Klägerin -, eine kassenärztliche Vereinigung, war vom 16. April 1981 bis 20. Februar 1984 ein Kraftfahrzeug zum Verkehr zugelassen, für dessen Halten der Beklagte und Revisionsbeklagte - das Finanzamt (FA) - Kraftfahrzeugsteuer festgesetzt hatte. Unter dem 1. November 1983 beantragte die Klägerin bei dem FA Kraftfahrzeugsteuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 5 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - KraftStG - 1979, weil das Fahrzeug im ärztlichen Notfalldienst eingesetzt, mithin im Rettungsdienst verwendet werde. Das FA lehnte den Antrag ab (Verfügung vom 15. Februar 1984). Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wurde vom Finanzgericht - FG - abgewiesen (Urteil vom 16. Oktober 1986 I 227/84, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1987, 425).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Die Klägerin rügt Verletzung von § 12 Abs. 2 KraftStG 1979 und macht geltend, schon daraus, daß die Fälle, zu denen der Notfallarzt gerufen werde, regelmäßig ein schwereres Krankheitsbild zeigten, ergebe sich, daß das Fahrzeug im Rettungsdienst eingesetzt sei. Der Begriff des Rettungsdienstes könne nicht auf Not- oder Katastrophenfälle beschränkt, sondern müsse schlechthin angewandt werden, wenn der Kranke dringend ärztlicher Hilfe bedürfe und selbst nicht in der Lage sei, den Arzt aufzusuchen oder zu erreichen. Eine Beanspruchung durch andere als Notfallpatienten nehme dem Fahrzeug nicht den Charakter als Rettungsfahrzeug.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das Klagebegehren läuft auf eine Änderung der bestandskräftigen Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung hinaus (Steuerfreistellung). Diese Änderung könnte, wie das FG zutreffend erkannt hat, nicht auf § 12 Abs. 2 KraftStG 1979, sondern nur auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 - gestützt werden (vgl. Senat, Urteil vom 20. August 1985 VII R 182/82, BFHE 144, 465, 468 oben, BStBl II 1985, 716). Dessen Voraussetzungen sind jedenfalls insoweit nicht erfüllt, als die Verwendung des Fahrzeugs keine niedrigere Steuer-Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG 1979 - rechtfertigt.

Nach der vorbezeichneten Vorschrift kraftfahrzeugsteuerfrei ist das Halten von Fahrzeugen, solange sie ausschließlich unter anderem im Rettungsdienst verwendet werden; die Fahrzeuge müssen äußerlich als für den begünstigten Zweck bestimmt erkennbar sein (hierzu Senat, Urteil vom 2. August 1988 VII R 144/85, BFHE 154, 154, 156, BStBl II 1988, 904) und gegebenenfalls nach Bauart und Einrichtung dem Zweck angepaßt sein. Im Streitfalle war, wie vom FG richtig entschieden, eine - ausschließliche - Verwendung des Fahrzeugs im Rettungsdienst nicht gegeben. Das Revisionsvorbringen, mit dem zwar nicht ausdrücklich, wohl aber dem Sinne nach eine Verletzung von § 3 Nr. 5 KraftStG 1979 gerügt wird, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Fahrzeuge des kassenärztlichen Not- und Bereitschaftsdienstes werden nicht (ausschließlich) im Rettungsdienst verwendet.

Die Verwendung im Rettungsdienst ist in § 3 Nr. 5 KraftStG 1979 neben der Verwendung im Feuerwehrdienst, Katastrophenschutz, zivilen Luftschutz, in Unglücksfällen oder zur Krankenbeförderung aufgeführt, neben Verwendungen also, die durch die Notwendigkeit eines dringenden Soforteinsatzes gekennzeichnet sind. Die Anführung des Rettungsdienstes unter den begünstigten Zwecken deutet darauf hin, daß auch insoweit sofortige Einsätze gemeint sind, durch die akuten Notständen begegnet werden soll. In diesem Sinne wurde § 2 Nr. 4 KraftStG 1972 - ihm entspricht die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 5 KraftStG 1979 - in der Rechtsprechung ausgelegt (FG München, Urteile vom 3. Februar 1977 IV 265/75 und IV 77/74 Kraft 1-3, EFG 1977, 343). Daß diese Auslegung richtig ist, kann auch den Gesetzesmaterialien entnommen werden. In der ursprünglichen Befreiungsvorschrift war der Rettungsdienst nicht unter den begünstigten Zwecken aufgeführt. Erweitert wurde die Vorschrift erst durch das Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 17. März 1964 (BGBl I 1964, 145, BStBl I 1964, 243). Zunächst sollte nur das Halten von Fahrzeugen des Bergrettungsdienstes zusätzlich begünstigt werden. Die Begünstigung wurde dann allgemein für den Rettungsdienst vorgesehen, und zwar "wegen der bei anderen Rettungsdiensten durchaus ähnlichen Verhältnisse" (Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks IV/1281). Den Notfällen ähnlich, in denen die Bergrettung eingesetzt wird, sind jedoch nur Situationen, in denen unmittelbar Gefahr für Leib oder Leben besteht, damit Fälle, in denen Sofortmaßnahmen zur Errettung aus solchen Gefahren geboten erscheinen.

Bestätigt findet der Senat diese Auslegung auch im Verkehrsrecht, dessen Begriffsbestimmungen grundsätzlich auch für die Auslegung entsprechend verkehrsrechtlicher Begriffe im Kraftfahrzeugsteuerrecht verbindlich sind (§ 2 Abs. 2 Satz 1 KraftStG 1979). Nach § 35 Abs. 5 a der Straßenverkehrs-Ordnung - StVO - (i.d.F. der Verordnung vom 27. November 1975, BGBl I 1975, 2967, jetzt auch in der Verordnung vom 22. März 1988, BGBl I 1988, 405) genießen Fahrzeuge des Rettungsdienstes Sonderrechte, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind solche, deren Verwendung bestimmungsgemäß diesen Zwecken dient (vgl. für die Lebensrettung Oberlandesgericht Köln, Beschluß vom 4. März 1980 3 Ss 127/80, Verkehrsrechts-Sammlung 59, 382; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 30. Aufl. 1989, § 35 StVO Anm. 3), wobei die Befreiung von den Vorschriften der StVO nur gilt, wenn die Zweckverfolgung in höchster Eile geschehen muß.

Fahrzeuge des Not- und Bereitschaftsdienstes, wie er von kassenärztlichen Vereinigungen zu unterhalten ist (§ 368n Abs. 1, § 368 Abs. 2 und 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), werden zu anderen Zwecken eingesetzt. Der - ambulante - Not- und Bereitschaftsdienst soll die kassenärztliche Versorgung außerhalb der üblichen Sprechzeiten sicherstellen; er ist nicht identisch mit dem - auf landesrechtlicher Grundlage beruhenden - Rettungsdienst, der mehr dem Vorfeld einer stationären Versorgung zuzurechnen ist, damit nicht dem Kassenarztrecht (vgl. Heinze in Sozialgesetzbuch/Sozialversicherung, Gesamtkommentar, § 368 RVO Anm. 14). Das "schwerere Krankheitsbild", das bei Beanspruchung des Not- und Bereitschaftsdienstes häufiger vorliegen mag, kann eine möglichst baldige ambulante Behandlung in der Wohnung des Patienten, den ärztlichen Hausbesuch "außerhalb der Sprechstunde", zweckmäßig oder sogar geboten erscheinen lassen; zum Rettungsdienst wird diese Form der kassenärztlichen Versorgung damit ebensowenig wie der Krankenbesuch durch den Hausarzt selbst.

Der Senat übersieht nicht, daß im Rahmen des Not- und Bereitschaftsdienstes auch Einzelfälle auftreten mögen, in denen unmittelbare Lebensgefahr oder die unmittelbare Gefahr schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigung besteht, Fälle also, in denen die Hilfe des Rettungsdienstes, der Feuerwehr oder des Krankentransports zur stationären Behandlung in Betracht kommen kann. Eine Verwendung des Fahrzeugs auch für derartige - gelegentliche - Einsätze begründet jedoch noch kein nach § 3 Nr. 5 KraftStG 1979 steuerfreies Halten. Es fehlt an der erforderlichen ausschließlichen Verwendung im Rettungsdienst. Eine etwaige gelegentliche "Mitverwendung" zu rettungsdienstlichen Zwecken reicht nicht aus. Auch dies hat das FG richtig beurteilt. Der Fall, daß das Fahrzeug bei sonst ausschließlicher Verwendung zu steuerbegünstigten Zwecken nur vorübergehend steuerschädlich - zweckfremd - benutzt wird (§ 5 Abs. 2 Satz 3 KraftStG 1979), liegt nicht vor.