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BFH-Urteil vom 2.9.1988 (III R 280/84) BStBl. 1989 II S. 4

1. Zur Abgrenzung einer routinemäßigen (turnusmäßigen) Außenprüfung aufgrund von § 193 Abs. 1 AO 1977 von einer Außenprüfung aus besonderem Anlaß.

2. Die Finanzbehörde kann Mittel- und Kleinbetriebe i.S. des § 3 BpO(St), bei denen sie eine Routineprüfung durchführen will, grundsätzlich auch nach Zufallsgesichtspunkten auswählen.

3. Die aus diesem Auswahlverfahren resultierende unterschiedliche Prüfungshäufigkeit verstößt nicht gegen das Gleichheitsgebot.

GG Art. 3; AO 1977 § 193 Abs. 1; BpO(St) §§ 3 und 4.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1985, 157)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat ein gewerbliches Einzelunternehmen. In seinem Betrieb, der vom Beklagten und Revisionsbeklagten (dem Finanzamt - FA -) in die Größenklasse Mittelbetrieb gemäß § 3 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO(St) - vom 27. April 1978 (BStBl I 1978, 195) eingeordnet ist, hatte im Jahre 1977 eine Außenprüfung für den Zeitraum 1973 bis 1975 stattgefunden.

Im Jahre 1982 ordnete das FA beim Kläger eine weitere Außenprüfung für die Jahre 1978 bis 1980 an, die sich auf die Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer sowie die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens erstrecken sollte. Die Prüfungsanordnung enthielt lediglich einen Hinweis auf §§ 193, 194 der Abgabenordnung (AO 1977). Das FA begründete die Prüfungsanordnung nachträglich damit, daß bei der Auswahl des Betriebes als Prüfungsfall ein Zufallsverfahren angewandt worden sei.

Der Kläger legte gegen die Prüfungsanordnung Beschwerde ein. Das FA hat aufgrund der Außenprüfung die für den Prüfungszeitraum ergangenen endgültigen Steuerbescheide zwischenzeitlich geändert; der Kläger hat die Änderungsbescheide mit Einsprüchen angefochten, über die noch nicht entschieden ist.

Die Oberfinanzdirektion Berlin (OFD) wies die Beschwerde u.a. mit der Begründung zurück, die Auswahl nach Zufallsgesichtspunkten (Losverfahren) sei im Hinblick auf den allgemeinen Steuersicherungsauftrag der Finanzbehörde sachgerecht und damit zulässig. Die Klage, mit der der Kläger u.a. geltend machte, daß ein Losverfahren der gesetzlichen Grundlage entbehre, blieb ebenfalls ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 157 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Dem FG ist darin beizupflichten, daß die Anordnung einer Außenprüfung für die Jahre 1978 bis 1980 rechtmäßig war.

1. Die angefochtene Prüfungsanordnung läßt Ermessensfehler nicht erkennen.

a) Das FA durfte bei dem Kläger eine routinemäßige (turnusmäßige) Außenprüfung anordnen.

aa) Gesetzliche Grundlage für die Anordnung einer routinemäßigen Außenprüfung ist bei Steuerpflichtigen, die, wie der Kläger, einen gewerblichen Betrieb unterhalten, die Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO 1977. Bei diesem Personenkreis ist eine Außenprüfung zulässig, ohne daß das Gesetz deren Anordnung von weiteren Voraussetzungen abhängig macht (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 13. März 1987 III R 236/83, BFHE 149, 399, BStBl II 1987, 664 unter 2 b, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

bb) Da die Finanzbehörden bei der vorgegebenen Personalausstattung nicht in allen Fällen, in denen dies nach § 193 Abs. 1 AO 1977 zulässig wäre, auch tatsächlich eine Außenprüfung durchführen können, müssen sie die zu prüfenden Steuerpflichtigen auswählen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208; vgl. hierzu auch die Regierungsbegründung zum Entwurf einer Abgabenordnung (AO 1974) zu § 174, BTDrucks VI/1982 S. 161). Ob eine Prüfung tatsächlich angeordnet wird, liegt deshalb auch bei routinemäßigen Außenprüfungen im pflichtgemäßen Ermessen des FA (vgl. bereits BFH-Urteil vom 24. Oktober 1972 VIII R 8/69, BFHE 108, 143, BStBl II 1973, 275).

cc) In der Ausübung des pflichtgemäßen Auswahlermessens sind die Finanzbehörden grundsätzlich frei. Sie haben jedoch hierbei die BpO(St) zu beachten, durch die sie ihrem Ermessen selbst Grenzen gesetzt haben. Nach § 4 der BpO(St) hat sich die Finanzverwaltung dahin entschieden, daß Großbetriebe lückenlos, andere Betriebe dagegen in zeitlichen Abständen geprüft werden. Über den Prüfungsturnus bei den letztgenannten Betrieben enthält die BpO(St) jedoch keine Regelung. § 4 BpO(St) legt lediglich die Grenzen des bei einer routinemäßigen Außenprüfung zu beachtenden Prüfungszeitraums fest.

dd) Ordnet das FA eine routinemäßige Außenprüfung an, so genügt nach ständiger Rechtsprechung zur Begründung der Prüfungsanordnung regelmäßig der Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift (vgl. BFH-Urteile vom 10. Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286; vom 28. April 1983 IV R 255/82, BFHE 138, 407, BStBl II 1983, 621; vom 23. Januar 1985 I R 53/81, BFHE 143, 16, BStBl II 1985, 566; vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435; vom 3. Dezember 1985 VII R 17/84, BFHE 145, 492, BStBl II 1986, 439, und Senatsurteil in BFHE 149, 399, BStBl II 1987, 664). Denn § 193 Abs. 1 AO 1977 geht davon aus, daß die Heranziehung der dort genannten Steuerpflichtigen zu einer routinemäßigen Außenprüfung in der Regel ermessensgerecht ist (vgl. Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 196 AO Rdnr. 100), es sei denn, daß Anhaltspunkte für ein sachwidriges oder willkürliches Verhalten der Finanzbehörden vorliegen (BFH-Urteil in BFHE 143, 16, BStBl II 1985, 566 unter 1 c).

Soll dagegen beim Steuerpflichtigen außerhalb des allgemeinen Prüfungsrhythmus aus besonderem Anlaß eine Außenprüfung stattfinden, so bedarf es einer besonderen Begründung der Prüfungsanordnung, die die vom FA angestellten Ermessenserwägungen erkennen lassen muß (vgl. BFH-Urteile vom 24. Januar 1985 IV R 232/82, BFHE 143, 210, BStBl II 1985, 568, und vom 16. Dezember 1987 I R 238/83, BFHE 152, 32, BStBl II 1988, 233).

ee) Die angefochtene Prüfungsanordnung hatte eine Routineprüfung zum Gegenstand, wie das FA bereits während der Prüfung und die OFD in der Beschwerdeentscheidung ausdrücklich klargestellt haben. Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Anordnung einer routinemäßigen Außenprüfung nicht nur angenommen werden, wenn der für die Größenklasse des Betriebs übliche Prüfungsturnus eingehalten wird. Dies ergibt sich schon daraus, daß das FA bei Anordnung einer Routineprüfung nicht an diesen in der BpO(St) nicht festgelegten Prüfungsturnus gebunden ist (vgl. hierzu auch nachfolgend unter b). Auch aus § 203 Abs. 1 AO 1977 kann keine Verpflichtung zur Einhaltung eines festen Prüfungsturnus bei Routineprüfungen hergeleitet werden. Eine Außenprüfung in regelmäßigen Zeitabständen verlangt keine gleichen Zeitabstände (vgl. Schick, a.a.O., § 193 AO 1977 Rdnr. 252). Der durchschnittliche Prüfungsturnus, der lediglich eine nachträglich ermittelte statistische Größe ist, die zudem zwischen den einzelnen Ländern erheblich divergiert (vgl. hierzu Zwank, Betriebs-Berater - BB - 1985, 1119, 1123), ergibt deshalb keinen verläßlichen Anhaltspunkt für die Abgrenzung zwischen Routineprüfung und Prüfung aus besonderem Anlaß. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn die Anordnung einer routinemäßigen Prüfung bei einem Klein- oder Mittelbetrieb zu einer "Anschlußprüfung" führt, die nach § 4 Abs. 1 BpO(St) nur für Großbetriebe vorgesehen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.

b) Allerdings wird in der Literatur im Hinblick auf die grundsätzlich eingeschränkte Begründungspflicht der Finanzbehörde für ihr Auswahlermessen die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Routine- und Anlaßprüfungen bei nicht fortlaufend geprüften Steuerpflichtigen überhaupt in Zweifel gezogen und deshalb die Forderung nach genereller Begründung der Prüfungsanordnung bei diesen Steuerpflichtigen erhoben, die sich auch auf die Auswahl zur Prüfung erstrecken müsse (vgl. Groh, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1985, 679, 681). Der Senat muß im Streitfall auf diese Zweifel nicht näher eingehen. Denn ein hiernach möglicherweise vorhandener Begründungsmangel ist gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 spätestens durch die Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung geheilt worden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208 und in BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435). Die dort dargelegten Erwägungen lassen weder eine Ermessensüberschreitung noch einen Ermessensfehlgebrauch erkennen (§ 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; vgl. zur gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen: BFH-Urteil vom 24. September 1976 I R 41/75, BFHE 120, 212, BStBl II 1977, 127). Die Auswahl des Klägers nach Zufallsgesichtspunkten war weder sachwidrig noch willkürlich.

aa) Die Außenprüfung ist bei den heutigen komplizierten wirtschaftlichen Verhältnissen in der Regel das einzige geeignete und erforderliche Mittel, um die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in steuerlicher Hinsicht einigermaßen zufriedenstellend aufzuklären, und damit als Mittel zur Erforschung steuerlicher Sachverhalte und Gewährleistung einer zutreffenden Besteuerung unabdingbar (vgl. BFH-Beschluß vom 17. September 1974 VII B 122/73, BFHE 113, 411, BStBl II 1975, 197, und Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 13. September 1978 1 BvR 499/78, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1979, 203). Auf die in der Literatur erörterte Frage, ob die Außenprüfung vom Gesetz als Ausnahme oder als Regelmaßnahme vorgesehen ist (für Regelcharakter: Schick, a.a.O., § 193 AO Rdnr. 188; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., vor § 193 AO Tz. 10; Wenzig, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1982, 321, 328; a.A. Groh, a.a.O., S. 682), kommt es bei Anordnung von Routineprüfungen nicht an. Denn dem Erfordernis, die steuerlich erheblichen Tatbestände so gut wie möglich aufzuklären, gebührt im Rahmen einer derartigen Prüfung trotz der besonders intensiven Ermittlungsmaßnahme der Vorrang vor dem Verlangen des Steuerpflichtigen nach möglichst geringer Belästigung (BFH-Urteil in BFHE 143, 210, BStBl II 1985, 568).

bb) Mangels ausreichender Prüfungskapazität muß die Finanzbehörde im Rahmen ihres Auswahlermessens über einen möglichst sachgerechten und effektiven Einsatz ihrer beschränkten Mittel befinden. Die Auswahlmethoden können auf betriebsbezogenen, zeitabhängigen oder präventiven Elementen beruhen (vgl. hierzu Wenzig, a.a.O., S. 323). Scheidet schon eine umfassende Prüfung der unter § 193 Abs. 1 AO 1977 fallenden Personengruppen aus, so kann sich die Finanzbehörde zumindest die prophylaktische Wirkung nutzbar machen, die in der Unberechenbarkeit des prüfungsfreien Zeitraums zwischen den turnusmäßigen Prüfungen liegt. Ein auf dem Zufall aufbauendes Auswahlverfahren ist damit nicht willkürlich, sondern steht gerade im Einklang mit den durch die Außenprüfung verfolgten Zielen, soweit mit ihm die Unvorhersehbarkeit der Prüfung angestrebt wird. Auch die Kommentarliteratur sieht in diesem Verfahren grundsätzlich eine zulässige Ermessensausübung (vgl. Schick, a.a.O., § 193 AO Rdnr. 288; Tipke/Kruse, a.a.O., § 193 AO Tz. 8 unter b) bb); Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 193 Rdnr. 15).

cc) Die aus diesem Auswahlverfahren resultierende unterschiedliche Prüfungshäufigkeit verstößt nicht gegen das Gleichheitsgebot. Der Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG), der auch bei Ermessensentscheidungen zu beachten ist, ist nur verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung nicht finden läßt (ständige Rechtsprechung des BVerfG, z.B. Beschluß vom 22. Juni 1971 2 BvL 10/69, BVerfGE 31, 212, 218). Die generalpräventive Wirkung eines auf Zufallsgesichtspunkten beruhenden Auswahlverfahrens stellt jedoch einen hinreichenden sachlichen Grund für die Anwendung eines derartigen Verfahrens dar. Im übrigen umfaßt der Anspruch des Klägers auf pflichtgemäße Ermessensausübung nicht das Recht auf Einhaltung des bei anderen Steuerpflichtigen bestehenden Prüfungsturnus (vgl. schon BFH-Urteil vom 14. September 1967 V 3/65, BFHE 90, 99, BStBl II 1968, 19; vgl. zur Beachtung des Gleichheitsgebotes bei Anordnung einer Betriebsprüfung auch Beschluß des BVerfG vom 15. Mai 1963 2 BvR 106/63, BVerfGE 16, 124, 128). Aus diesem Grunde begegnet es auch keinen Bedenken, daß das Auswahlverfahren nach Zufallsgesichtspunkten angeblich nur selten praktiziert wird (vgl. Wenzig, a.a.O., S. 322). Es reicht aus, daß sich das beklagte FA für die Anwendung dieses Verfahrens entweder allgemein entschieden hat oder hinsichtlich eines zuvor festgelegten Vomhundertsatzes aller zur Prüfung anstehenden Fälle (neben jenen, in denen eine Prüfung aus besonderem Anlaß oder aufgrund Zeitablaufs geboten war). Anhaltspunkte dafür, daß das FA entgegen diesen Grundsätzen nur im Fall des Klägers hiervon Gebrauch gemacht hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

dd) In der Ausgestaltung des Auswahlverfahrens nach Zufallsgesichtspunkten ist die Finanzbehörde grundsätzlich frei (vgl. auch Schick, a.a.O., § 193 AO Rdnr. 293), so daß es einer näheren Darlegung der im Einzelfall angewendeten Methode nicht bedarf, über deren Zweckmäßigkeit der Senat auch nicht zu befinden hätte. Der Hinweis auf die Anwendung des Zufallsverfahrens reicht deshalb jedenfalls dann für die Begründung der Auswahl in der Prüfungsanordnung aus, wenn dieses Verfahren zu keiner permanenten Prüfung (Anschlußprüfung) des Steuerpflichtigen führt und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß das Verfahren nach ungleichen Maßstäben in den Einzelfällen durchgeführt wird oder daß die Anordnung der Prüfung auf sachfremden Erwägungen beruht.

2. Die Anordnung der Außenprüfung war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Steuerbescheide für den Prüfungszeitraum ohne Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO 1977 ergangen waren. Denn eine Außenprüfung kann, wie der Senat im Urteil in BFHE 149, 399, BStBl II 1987, 664 im Anschluß an die BFH-Urteile vom 28. März 1985 IV R 224/83 (BFHE 143, 400, BStBl II 1985, 700) und vom 23. Juli 1985 VIII R 197/84 (BFHE 144, 9, BStBl II 1986, 36) im einzelnen dargelegt hat, auch nach einer endgültigen, vorbehaltlosen Steuerfestsetzung angeordnet werden.

3. Zutreffend hat das FG auch die übrigen Einwendungen des Klägers gegen die Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung, die dieser im Revisionsverfahren nicht aufrechterhalten hat, als unbeachtlich angesehen.