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BFH-Urteil vom 5.8.1988 (X R 55/81) BStBl. 1989 II S. 120

Der Unternehmer kann den Nachweis darüber, daß ihm ein anderer Unternehmer Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen gesondert in Rechnung gestellt hat, nicht allein durch Vorlage der Originalrechnung, sondern mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln führen.

UStG 1973 § 15 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1982, 49)

Sachverhalt

Die Firma A erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom 28. Juni 1975 von der Firma B-KG einen Appartment-Hotel-Komplex zum Kaufpreis von 15.250.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer von 2.475.000 DM, den sie an die Verkäuferin zurückvermietete. Sie verzichtete auf die Steuerfreiheit der Mietumsätze und optierte für die Regelbesteuerung. Da die Firma B die vereinbarte Miete nicht zahlte, kündigte die Firma A den Mietvertrag und vermietete ab Mai 1976 die Ferienwohnungen selbst. Der ursprüngliche Kaufpreis wurde laut notariellem Vertrag vom 9. April 1976 auf 11.641.882,29 DM herabgesetzt. Er sollte durch Schuldübernahmen erbracht werden, und zwar u.a. gegenüber der Inhaberin der Grundpfandrechte in Höhe eines Teilbetrages von 8.381.882,29 DM sowie gegenüber einer Arbeitsgemeinschaft in Höhe von 1.000.000 DM. Die Schuldübernahme wurde von der Grundpfandgläubigerin genehmigt. An die Arbeitsgemeinschaft zahlte die Firma A 650.000 DM. Auf die von der Firma B geschuldeten Stromanschlußkosten von 64.919,99 DM zuzüglich Mehrwertsteuer entrichtete die Firma A einen Teilbetrag von 19.476 DM.

In ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für August 1975 machte die Firma A einen Vorsteuerabzug von 2.475.000 DM geltend. Im August 1976 wurde über das Vermögen der Firma B und im September 1976 über das Vermögen der Firma A das Konkursverfahren eröffnet. Bei einer Umsatzsteuerprüfung stellte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) fest, daß der Konkursverwalter der Firma A, der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) nicht die Originalrechnung vorlegen konnte. Eine ersatzweise vorgelegte Fotokopie der Verkäuferrechnung vom 28. August 1975, die sich der Kläger aus den Akten der Bezirkssparkasse Z beschafft hatte, erkannte das FA nicht an. Es wies ebenso das Anerbieten des Konkursverwalters der Verkäuferin, der Firma B, ab, aufgrund der dortigen Unterlagen eine Zweitschrift der Rechnung auszustellen. Da das FA der Ansicht war, die Vorlage der Originalrechnung sei materiell-rechtlich Voraussetzung für den Vorsteuerabzug, setzte es die Umsatzsteuer 1975 auf Null DM fest.

Im anschließenden Einspruchsverfahren unterwarf das FA zusätzlich einen Umsatz von 10.000 DM dem Regelsteuersatz von 11 v.H. und setzte die Umsatzsteuer auf 990,99 DM fest.

Mit der Klage machte der Kläger einen Vorsteuerabzug insoweit geltend, als die Firma A die Kaufpreisforderung der Firma B getilgt hat, und zwar aus

1.

Schuldübernahme

8.381.882 DM

2.

Tilgung der Forderung der Arbeitsgemein-

 

   

schaft und Aufrechnung gegenüber der

 

   

Firma B in Höhe von

650.000 DM

3.

Zahlung der Stromanschlußkosten von

 

   

und Aufrechnung gegenüber der Firma B.

19.476 DM

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Seine Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 49 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat den geltend gemachten Vorsteuerabzug zu Recht anerkannt.

1. Die Firma A konnte die von ihr im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldung 8/1975 als Vorsteuer geltend gemachten Steuerbeträge nur dann gemäß § 15 Abs. 1 UStG 1967/1973 abziehen, wenn die Firma B eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis erstellt und ihr, der Firma A, oder einem von ihr beauftragten Dritten ausgehändigt hat.

a) Liegen die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG insgesamt vor, entsteht der Vorsteueranspruch des jeweiligen Voranmeldungszeitraums analog § 13 Abs. 1 UStG (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. November 1976 V R 98/71, BFHE 121, 550, BStBl II 1977, 448). Dieser Anspruch kann nicht dadurch wieder wegfallen, daß das Original der Rechnung verloren geht. Zur Tatbestandsverwirklichung ist - bezogen auf den Streitfall - lediglich erforderlich, daß das Tatbestandsmerkmal "Inrechnungstellen der Steuer" bei Ablauf des Voranmeldungszeitraums vorgelegen hat. § 15 Abs. 1 UStG fordert nicht, daß das Abrechnungspapier auch noch in einem späteren Zeitpunkt vorhanden ist. Der spätere Verlust des Abrechnungspapiers bringt den einmal entstandenen Abzugsanspruch nicht rückwirkend zum Erlöschen (BFH-Urteil vom 1. April 1982 V R 66/77; vgl. auch Beschluß vom 11. Juni 1981 V B 33/79 beide nicht veröffentlicht - NV -). Es ist unerheblich, warum die Rechnung verloren gegangen ist.

b) Von der Frage, ob der Tatbestand des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG verwirklicht und damit der Vorsteuerabzugsanspruch entstanden ist, ist die Frage des Nachweises über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG zu unterscheiden.

Dem Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für die Tatsachen, die den Vorsteuerabzug begründen (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1978 V R 39/75, BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345). Er hat darzulegen und nachzuweisen, daß der andere Unternehmer eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis erstellt und ihm selbst oder einem von ihm beauftragten Dritten ausgehändigt hat. Dazu bedient er sich zwar regelmäßig der ihm gemäß § 14 Abs. 1 UStG zustehenden (Original-)Rechnung (vgl. Weiß, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1985 S. 25, Abschn. 2f). Er kann jedoch den erforderlichen Nachweis auch auf andere Weise mit allen verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln führen.

Der V. Senat des BFH hat allerdings in seinen Urteilen vom 24. September 1987 V R 125/86 (BFHE 153, 77, BStBl II 1988, 694), und V R 50/85 (BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688), gefordert, die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug (hier: das Inrechnungsstellen der Steuer) seien in einer ganz bestimmten Form zu belegen, nämlich ausschließlich im Wege des Belegnachweises. Der erkennende Senat versteht diese Ausführungen dahin, daß sie lediglich die Entstehung des Vorsteuerabzugsanspruchs betreffen, nicht aber auch die Form des Nachweises. Er schließt dies aus der Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 12. Juni 1986 V R 75/78 (BFHE 146, 569, BStBl II 1986, 721), das die Rechtsfolgen einer zwar vorhandenen, aber nicht ordnungsgemäßen Rechnung betrifft. Zudem lassen sich weder aus den Urteilen in BFHE 153, 77, BStBl II 1988, 694 und BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688, noch aus dem Urteil in BFHE 146, 569, BStBl II 1986, 721 Hinweise entnehmen, daß der V. Senat die in den Urteilen V R 66/77 und in BFHE 127, 71, BStBl II 1979, 345 vertretene Rechtsauffassung habe aufgeben wollen, daß die abziehbaren Vorsteuern zu schätzen sind, sofern Rechnungen erteilt waren, "hernach aber verloren gegangen" sind und "nicht rekonstruiert werden" können (vgl. dazu auch Bunjes, UR 1978, 228, und Weiß, UR 1979, 88, sowie Erlaß des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 28. Juni 1969 - IV A/3 - S 7.300 - 48/69, BStBl I 1969, 349, Abschn. C III 4). Wäre aber der Nachweis, daß eine Steuer in Rechnung gestellt wurde, nur durch die Vorlage eben dieser Rechnung zu führen (vgl. § 25 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz - UStDV 1951 - für den Ausfuhrnachweis), wäre bei Verlust der Originalrechnung grundsätzlich kein Raum mehr für eine Schätzung.

c) Eine Verpflichtung zur Vorlage der Originalrechnung ergibt sich ferner nicht aus § 22 Abs. 1 UStG. Die nach dieser Vorschrift bestehende Aufzeichnungspflicht ist keine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug.

2. Die Ansicht des FG, es stehe fest, daß die Firma B der Firma A bis zum Ablauf des Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraums August 1975 eine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer erteilt habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zu dieser Schlußfolgerung konnte das FG auf Grund der von ihm getroffenen, mit Verfahrensrügen nicht angefochtenen und damit für den Senat bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) Feststellungen kommen. Danach befand sich bei den Ausgangsrechnungen der Firma B der Durchschlag einer Rechnung dieser Firma vom 28. August 1975 an die Firma A, in der Mehrwertsteuer von 2.475.000 DM gesondert ausgewiesen war. Eben diesen Betrag hat die spätere Gemeinschuldnerin in ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat August 1975 geltend gemacht. Darüber hinaus war eine Fotokopie der Verkäuferrechnung bei den Akten der Bezirkssparkasse Z, die in die Abwicklung des Grundstücksgeschäftes eingeschaltet war. Schließlich steht fest, daß die Firma A die übernommenen Verbindlichkeiten, aus denen der Kläger den im finanzgerichtlichen Verfahren geltend gemachten Vorsteuerbetrag errechnet hat, getilgt hat.

Der Senat ist als Revisionsgericht an diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung des FG gebunden, da sie eine mögliche Beurteilung des Sachverhalts ist. Entgegen der Auffassung des FA verstößt sie nicht gegen die Denkgesetze. Ein solcher Verstoß liegt insbesondere nicht schon dann vor, wenn ein Schluß nicht zwingend, sondern erst, wenn er unmöglich ist, wenn er zu einem unlösbaren Widerspruch führt. Dies ist aber hier nicht der Fall. Darauf, ob auch eine andere Beurteilung möglich wäre, kommt es nicht an.

3. Die übrigen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für das Entstehen des geltend gemachten Vorsteueranspruchs liegen ebenfalls vor; das FA hat lediglich das Fehlen der Originalrechnung gerügt. Gegen die Höhe des vom Kläger geltend gemachten Umsatzsteuerüberschusses bestehen nach den vom FG getroffenen Feststellungen keine Bedenken. Insoweit hat das FA auch keine Einwände erhoben.