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BFH-Urteil vom 26.8.1988 (VI R 92/85) BStBl. 1989 II S. 144

Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind grundsätzlich nur bei Fahrten zwischen seiner eigenen Wohnung und der Arbeitsstätte als Werbungskosten abziehbar (Anschluß an Urteil des Senats vom 25. März 1988 VI R 207/84, BFHE 153, 337, BStBl II 1988, 706).

EStG 1980 § 9 Abs. 1 Nr. 4.

Vorinstanz: FG des Saarlandes (EFG 1984, 609)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr 1980 als Arbeitnehmerin tätig. Ihre Wohnung war von ihrer Arbeitsstätte acht Kilometer entfernt. Auf einer morgendlichen Fahrt mit ihrem PKW von der Wohnung ihres Freundes zu ihrer Arbeitsstätte - einfache Entfernung: vier Kilometer - erlitt sie einen Verkehrsunfall.

Mit ihrer Einkommensteuererklärung 1980 machte sie Aufwendungen von 7.500 DM wegen des Unfallschadens an ihrem PKW bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erfolglos als Werbungskosten geltend.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage unter Abzug des Schrotterlöses von 500 DM statt. Es führte in der in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 609 veröffentlichten Entscheidung aus:

Die geltend gemachten Aufwendungen seien gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 1980 (EStG) als Werbungskosten abzugsfähig; denn die Unfallkosten seien auf einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstanden. Die Wohnung des Freundes der Klägerin sei als Wohnung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen, da die Klägerin in dieser "Zweitwohnung" einen wesentlichen Teil ihrer privaten Lebensinteressen verwirklicht und diese berechtigterweise unter sozial adäquaten Umständen genutzt habe. Eine auf Dauer angelegte gemeinsame Nutzung der Wohnung des einen oder anderen Partners lasse es zu, die Wohnung des Partners, in der sich die gemeinsamen Lebensinteressen in der Regel verwirklichten, auch als Wohnung des anderen Partners anzusehen mit der Folge, daß Fahrten von dieser Wohnung zur Arbeitsstätte unter die genannte Vorschrift fielen. Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 10. November 1978 VI R 21/76 (BFHE 126, 511, BStBl II 1979, 219) komme es nicht entscheidend darauf an, in welcher Wohnung sich der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin befunden habe, da dieser bei unverheirateten Personen infolge des Eingehens persönlicher Bindungen durch den persönlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen verdrängt werde.

Mit der Revision bringt der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vor, die Fahrt der Klägerin von der Wohnung ihres Freundes zu ihrer Arbeitsstätte sei im Streitjahr nur einmal erfolgt und nicht beruflich veranlaßt gewesen. Die Klägerin habe ausweislich ihrer Steuererklärung außer am Tag des Unfalls an den übrigen 256 Arbeitstagen nur Fahrten von ihrer Wohnung zu ihrer acht Kilometer entfernten Arbeitsstätte durchgeführt und nicht von der nur halb so weit entfernten Wohnung ihres Freundes. Sie und ihr 1969 geborenes Kind hätten nach ihrer Steuererklärung in ihrer Wohnung gewohnt; beide seien dort auch mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen. Die Wohnung des Freundes sei daher nicht der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin gewesen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Denn die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um entscheiden zu können, ob die von der Klägerin geltend gemachten Unfallkosten als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

1. Nach ständiger Rechtsprechung können Kosten eines Verkehrsunfalls als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt werden, wenn sich der Unfall auf einer beruflich veranlaßten Fahrt ereignet hat (vgl. z.B. Urteil des BFH vom 14. November 1986 VI R 79/83, BFHE 148, 310, BStBl II 1987, 275). Denn Unfallkosten teilen grundsätzlich das rechtliche Schicksal der Fahrtkosten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11. Oktober 1984 VI R 48/81, BFHE 142, 137, BStBl II 1985, 10). Das gilt auch dann, wenn der Unfall auf einem bewußten und leichtfertigen Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften beruht (Beschluß des Großen Senats vom 28. November 1977 GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105).

Nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Sie werden bei Fahrten mit dem eigenen Kraftfahrzeug nach Satz 2 dieser Vorschrift zwar nur mit den dort genannten Pauschbeträgen als Werbungskosten berücksichtigt. Durch diese Pauschbetragsregelung wird jedoch der Abzug außergewöhnlicher Ausgaben, wie insbesondere der durch einen Verkehrsunfall entstandenen Kosten, nicht ausgeschlossen (vgl. z.B. BFHE 148, 310, BStBl II 1987, 275).

Nach gefestigter Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Urteil vom 13. Dezember 1985 VI R 7/83, BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221) können Arbeitnehmer, die sich von zwei verschiedenen Wohnungen aus jeweils zur Arbeitsstätte begeben, Aufwendungen für Fahrten von jeder Wohnung aus, unabhängig davon, wie häufig sie wöchentlich durchgeführt werden, als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG geltend machen. Fahrtaufwendungen von der weiter vom Beschäftigungsort entfernt liegenden Wohnung werden allerdings nur dann als Werbungskosten anerkannt, wenn sie den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt.

2. Die Fahrtaufwendungen der Klägerin von der näher liegenden Wohnung ihres Freundes zu ihrer Arbeitsstätte wären demnach abzugsfähig, wenn diese als Wohnung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anzusehen ist.

a) Der Begriff "Wohnung" im § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist weit auszulegen (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306, 309 zu 2 b) aa). Unter die Vorschrift fallen grundsätzlich Fahrten von Unterkünften jeglicher Art, die von einem Arbeitnehmer zur Übernachtung genutzt werden und von denen aus er seinen Arbeitsplatz aufsucht (vgl. die bei Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Abschn. A I 2, und bei Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., 1988, § 9 Anm. 7 b erwähnten Beispiele aus der Rechtsprechung).

b) Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist eine Wohnung i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG aber grundsätzlich nur die eigene Wohnung des Steuerpflichtigen. Das kommt auch in der Neufassung dieser Vorschrift durch das Steuerreformgesetz 1990 zum Ausdruck. Denn § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG i.d.F. dieses Reformgesetzes regelt ausdrücklich den Fall, daß ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen "hat". Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind daher grundsätzlich nur abziehbar, wenn es sich um Fahrten zwischen der eigenen Wohnung des Steuerpflichtigen und seiner Arbeitsstätte handelt.

c) Aufwendungen für Fahrten von einer anderen Stelle zur Arbeitsstätte sind im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen. Das ist der Fall, wenn die eigene Wohnung des Steuerpflichtigen aus objektiven Gründen überhaupt nicht benutzbar ist, so z.B. beim Übernachten in der Wohnung des Freundes, weil die eigene Wohnung renoviert wird, oder wenn die eigene Wohnung speziell zur Erreichung der Arbeitsstätte nicht geeignet ist, so z.B. bei Übernachtung im Hotel, weil die Wohnung vom Arbeitsort zu weit entfernt liegt und der Arbeitnehmer eine Zweitwohnung am Arbeitsort noch nicht gefunden hat. Von diesen Grundsätzen ist der Senat bereits in dem Urteil vom 25. März 1988 VI R 207/84, BFHE 153, 337, BStBl II 1988, 706 ausgegangen. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.

d) Aufwendungen für Fahrten zwischen einer gemeinschaftlichen Wohnung und der Arbeitsstätte sind abziehbar, wenn der Steuerpflichtige selbst keine weitere eigene Wohnung hat oder er zwar noch eine eigene Wohnung besitzt, in der gemeinschaftlichen Wohnung aber nachweislich seit längerer Zeit ständig lebt und übernachtet. Indiz hierfür kann u.a. sein, daß er die gemeinschaftliche Wohnung teilweise mit eigenem Mobiliar ausgestattet hat, er dort (auch) polizeilich gemeldet ist und bei der Post die Umadressierung der an ihn gerichteten Postsendungen von der eigenen auf die gemeinschaftliche Wohnung beantragt hat.

3. Im Streitfall hatte die Klägerin im Streitjahr 1980 eine eigene Wohnung, in der sie mit ihrem am 3. August 1969 geborenen Sohn lebte. Entsprechend den vorstehenden Grundsätzen können die von ihr geltend gemachten Unfallkosten nur dann als Werbungskosten anerkannt werden, wenn die Wohnung ihres Freundes, von der sie am Unfalltag zur Arbeitsstätte fuhr, als zusätzliche gemeinschaftliche Wohnung von ihr und dem Freund anzusehen ist. Hierzu fehlen entsprechende Feststellungen, da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist.

Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben; die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird insbesondere prüfen müssen, ob der Annahme einer gemeinschaftlichen Wohnung im vorgenannten Sinne der Umstand entgegensteht, daß die Klägerin ausweislich ihrer Einkommensteuererklärung an 256 Arbeitstagen Fahrten von ihrer Wohnung zu ihrer acht Kilometer entfernten Arbeitsstätte durchgeführt hat und in ihrer Wohnung auch der im Streitjahr 11 Jahre alte Sohn wohnte.