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BFH-Beschluß vom 24.11.1988 (VIII B 90/87) BStBl. 1989 II S. 145

In einem finanzgerichtlichen Verfahren, das die einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb für eine atypische stille Gesellschaft betrifft, ist § 48 Abs. 1 FGO in dem Sinne entsprechend anzuwenden, daß an die Stelle der Klagebefugnis der Gesellschaft nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO die des Inhabers des Handelsgeschäfts tritt (Fortentwicklung des BFH-Urteils vom 12. November 1985 VIII R 364/83, BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311).

 FGO § 48 Abs. 1, § 60 Abs. 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb in den Streitjahren 1974 bis 1976 einen Groß- und Einzelhandel mit Mineralien. Ihr Schwiegervater A - der Beigeladene - war an dem Unternehmen als atypischer stiller Gesellschafter beteiligt. Zum Ende des Geschäftsjahrs 1980 hat die Klägerin den Handel mit Mineralien eingestellt.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) setzte die Gewerbesteuermeßbeträge 1974 bis 1976 zunächst entsprechend den eingereichten Erklärungen fest; auch bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb folgte er den Angaben in den Steuererklärungen.

Bei einer Außenprüfung, die in den Jahren 1979/80 bei der Klägerin stattfand, ermittelte der Prüfer Unstimmigkeiten bei den Aufzeichnungen der Erlöse. Er erhöhte deshalb die für die Streitjahre erklärten Erlöse um Zuschläge von je 5.000 DM in den Jahren 1974 und 1976 und von 10.000 DM in 1975. Außerdem rechnete er den Erlösen des Jahres 1975 Zahlungseingänge in Höhe von 21.106,80 DM hinzu. Das FA folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ entsprechend geänderte Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre.

Nach erfolglosen Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klagen gegen die aufgrund der Außenprüfung geänderten Gewerbesteuermeßbescheide und Gewinnfeststellungsbescheide.

Mit Beschluß vom 29. April 1987 IX 569/83, 571/83 hat das Finanzgericht (FG) den atypischen stillen Gesellschafter zu den Verfahren gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigeladen. Die Entscheidung könne in beiden Verfahren nur einheitlich gegenüber der Klägerin und dem Beigeladenen ergehen. Nach Auflösung der Gesellschaft könne die Klägerin die atypische stille Gesellschaft nicht mehr vertreten.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Klägerin, der das FG nicht abgeholfen hat.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beiladung sei unzulässig. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Gesellschaft beendet sei. Eine Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und dem atypischen stillen Gesellschafter habe nach Einstellung der Geschäfte im Jahr 1980 noch nicht durchgeführt werden können. Als Grundlage für die Auseinandersetzung würden steuerlich anerkannte Werte benötigt. Voraussetzung hierfür sei der rechtskräftige Abschluß der anhängigen finanzgerichtlichen Verfahren. Solange diese Verfahren nicht abgeschlossen seien, bestehe die atypische stille Gesellschaft fort. Im übrigen sei die Beiladung auch nicht sachgerecht, da sie zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Beiladungsbeschluß vom 29. April 1987 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Beiladung in der Gewinnfeststellungssache richte. Für das Verfahren wegen der Gewerbesteuermeßbeträge seien die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 FGO nicht erfüllt.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zum Teil begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Beiladung das Verfahren wegen der Gewerbesteuermeßbeträge 1974 bis 1976 betrifft, im übrigen ist die Beschwerde unbegründet.

1. Die Beiladung ist notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 60 Abs. 3 Satz 1 FGO). Das ist der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet. An dieser Voraussetzung fehlt es hinsichtlich des Verfahrens in der Gewerbesteuermeßbetragssache. Bei einer atypischen stillen Gesellschaft, die kein Gesellschaftsvermögen hat, kommt als Schuldner der Gewerbesteuer nur der Inhaber des Handelsgeschäfts in Betracht. Weder die atypische stille Gesellschaft als solche, noch der atypische stille Gesellschafter sind subjektiv gewerbesteuerpflichtig (vgl. hierzu im einzelnen das Urteil des erkennenden Senats vom 12. November 1985 VIII R 364/83, BFHE 145, 408, 418, BStBl II 1986, 311). Da der atypische stille Gesellschafter nicht Steuerrechtssubjekt der Gewerbesteuer ist, kann er auch nicht Beteiligter eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein, das die Gewerbesteuer betrifft (vgl. zur Beteiligtenfähigkeit: Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 57 Rz. 7 ff.; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 57 FGO Anm. 11 ff.).

Die Beiladung kann insoweit auch nicht auf § 60 Abs. 1 FGO gestützt werden. Der Beigeladene wird durch die Entscheidung darüber, ob der Gewerbeertrag in den Streitjahren um die strittigen Beträge zu erhöhen ist, nicht in seinen Interessen nach den Steuergesetzen berührt. Denn der Beigeladene kann für die Gewerbesteuerschulden des Unternehmens weder als Steuerschuldner noch als Haftender in Anspruch genommen werden (vgl. BFHE 145, 408, 420, BStBl II 1986, 311).

Die Beiladung in der Gewerbesteuermeßbetragssache ist deshalb unzulässig.

2. Soweit sich die Klägerin gegen die Beiladung des atypischen stillen Gesellschafters zum Gewinnfeststellungsverfahren wendet, ist ihre Beschwerde unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der atypische stille Gesellschafter zu diesem Verfahren notwendig beizuladen war, weil die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide gegenüber der Klägerin und dem Beigeladenen nur einheitlich ergehen kann.

a) Mitberechtigte i.S. des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind allerdings nach Satz 2 dieser Vorschrift nicht notwendig beizuladen, wenn sie nach § 48 FGO nicht klagebefugt sind. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO ist in Angelegenheiten, die einen einheitlichen Feststellungsbescheid über Einkünfte aus Gewerbebetrieb betreffen, grundsätzlich nur die Gesellschaft selbst, vertreten durch ihren Geschäftsführer, klagebefugt. Die nicht zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafter können im Regelfall nur dann selbständig Klage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid erheben, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 FGO vorliegen. Das Prozeßführungsrecht des § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO steht jedoch nur Personengesellschaften zu, die Beteiligte eines Finanzrechtsstreits sein können. Die - in § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO vorausgesetzte - Beteiligtenfähigkeit der Gesellschaft kommt der atypischen stillen Gesellschaft nicht zu (vgl. BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311). Beteiligte eines Steuerrechtsstreits, der die einheitliche Gewinnfeststellung für eine atypische stille Gesellschaft betrifft, können nur der Inhaber des Handelsgeschäfts (hier: die Klägerin) und der atypische stille Gesellschafter sein (BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311).

Der erkennende Senat hat in seinem Urteil in BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311 offengelassen, ob § 48 Abs. 1 FGO auf atypische stille Gesellschaften in dem Sinne entsprechend anzuwenden ist, daß an die Stelle der Klagebefugnis der Gesellschaft die des Inhabers des Handelsgeschäfts tritt. Der Senat bejaht diese Frage nunmehr. Die Regelung des § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO will der Rechtsposition des nicht zur Geschäftsführung berufenen Gesellschafters Rechnung tragen, die dieser nach dem Gesellschaftsrecht hat. Es soll vermieden werden, daß solche Gesellschafter anläßlich eines Rechtsmittels Kenntnis vom Inhalt der Geschäftsbücher, der Bilanzen und des übrigen Materials erhalten, das Gegenstand des steuergerichtlichen Verfahrens ist (vgl. zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Mai 1972 IV 251/64, BFHE 105, 449, BStBl II 1972, 672). Das Einsichtsrecht des stillen Gesellschafters entspricht im allgemeinen dem eines Kommanditisten (vgl. § 233 des Handelsgesetzbuches - HGB - i.d.F. des Bilanzrichtlinien-Gesetzes - BiRiLiG -). Es wäre aber mit dem Zweck des § 48 Abs. 1 FGO nicht zu vereinbaren, wenn der atypische stille Gesellschafter im Klageverfahren gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid weitergehende prozessuale Rechte hätte als ein Kommanditist oder ein von der Vertretung ausgeschlossener Gesellschafter einer OHG. Die entsprechende Anwendung des § 48 Abs. 1 FGO auf atypische stille Gesellschaften führt dazu, daß grundsätzlich nur der Inhaber des Handelsgeschäfts die in § 48 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Bescheide anfechten kann. Der atypische stille Gesellschafter ist im Regelfall nur klagebefugt, soweit die Höhe seines Gewinnanteils streitig ist oder soweit es sich um eine Frage handelt, die ihn persönlich angeht (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO).

In dem beim FG anhängigen Verfahren gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1975 und 1976 sind nur Fragen im Streit, für die ausschließlich der Inhaber des Handelsgeschäfts klagebefugt ist. Die Beiladung des atypischen stillen Gesellschafters kann deshalb nicht auf eine entsprechende Anwendung der §§ 60 Abs. 3, 48 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO gestützt werden.

b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist ein nicht zur Geschäftsführung berufener Gesellschafter jedoch - über die Fälle des § 48 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO hinaus - selbständig zur Klageerhebung befugt, wenn er aus der Gesellschaft ausgeschieden ist oder wenn die Gesellschaft vollbeendet ist (vgl. BFH-Urteile vom 31. Juli 1980 IV R 18/77, BFHE 131, 278, BStBl II 1981, 33; vom 19. November 1985 VIII R 25/85, BFHE 146, 32, BStBl II 1986, 520; vom 24. April 1986 IV R 282/84, BFHE 146, 549, BStBl II 1986, 672).

Im Streitfall ergibt sich aus dem Vortrag der Beteiligten, daß die atypische stille Gesellschaft zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen vollbeendet ist. Die Beteiligten haben übereinstimmend vorgetragen, daß die Klägerin den Handel mit Mineralien zum Ende des Geschäftsjahrs 1980 eingestellt hat. Sie hat für die Veranlagungszeiträume nach 1979 keine Steuererklärungen für das Unternehmen mehr eingereicht.

Aus den Akten ist auch nichts dafür ersichtlich, daß die Klägerin und der Beigeladene beabsichtigen, den Handel mit Mineralien zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Vielmehr hat die Klägerin unwidersprochen vorgetragen, daß eine Auseinandersetzung mit dem Beigeladenen bisher nur deshalb unterblieben sei, weil die bei der Auseinandersetzung anzusetzenden Werte erst durch die anhängigen finanzgerichtlichen Verfahren geklärt werden sollten. Nach den gesamten Umständen des Streitfalls ist deshalb davon auszugehen, daß die stille Gesellschaft nach § 726 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) aufgelöst worden ist, weil der vereinbarte Gesellschaftszweck nicht mehr erreicht werden kann. Der Auflösungsgrund des § 726 BGB ist u.a. dann gegeben, wenn der Geschäftsinhaber den Betrieb nicht nur vorübergehend einstellt (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 12. Juli 1982 II ZR 157/81, BGHZ 84, 379, m.w.N.; Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, 27. Aufl., § 234 Anm. 2 B; Paulick/Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 4. Aufl., S. 287).

Mit der Auflösung der atypischen stillen Gesellschaft ist zugleich deren Vollbeendigung eingetreten. Anders als bei den Personenhandelsgesellschaften, die nach der Auflösung regelmäßig als Liquidationsgesellschaften fortbestehen, findet bei der (atypischen) stillen Gesellschaft eine Abwicklung nicht statt. Da zwischen dem Inhaber des Handelsgeschäfts und dem stillen Gesellschafter nur schuldrechtliche Beziehungen bestehen, geht die stille Gesellschaft mit ihrer Auflösung sofort unter (h.M., vgl. BGH-Urteil vom 22. Juni 1981 II ZR 94/80, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1982, 99; BFH-Urteil vom 2. Mai 1984 VIII R 276/81, BFHE 141, 498, BStBl II 1984, 820; Paulick, a.a.O., 3. Aufl., S. 237 f.; Karsten Schmidt in Schlegelberger, Handelsgesetzbuch, 5. Aufl., Bd. III, 2. Halbb., § 339 Anm. 1, m.w.N.; anderer Ansicht: Baumbach/Duden/Hopt, a.a.O., § 234 Anm. 1). Den stillen Gesellschaftern steht nach der Auflösung nur noch ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Inhaber des Handelsgeschäfts auf Auszahlung ihres Auseinandersetzungsguthabens zu.

Da die Voraussetzungen der notwendigen Beiladung vorliegen, mußte das FG den atypischen stillen Gesellschafter beiladen. Es konnte von der Beiladung nicht etwa deshalb absehen, weil die Entscheidung über die Klage dadurch möglicherweise verzögert wird oder weil der Beizuladende kein Interesse an seiner Beteiligung hat (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 60 Rz. 30, 34).