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BFH-Urteil vom 6.12.1988 (VII R 206/83) BStBl. 1989 II S. 223

Hat das FA einen Steuererstattungsbetrag aufgrund einer ihm angezeigten Abtretung an einen Dritten (Zessionar) ausgezahlt, so richtet sich sein Rückforderungsanspruch wegen rechtsgrundloser Erstattung gegen den Zessionar. Das gilt auch dann, wenn die Abtretung unwirksam ist.

 AO 1977 §§ 37 Abs. 2, 46 Abs. 2, 3, 5.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1983, 388)

Sachverhalt

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - einer Bank - als Zessionarin Steuern zurückverlangen kann, die aufgrund einer -unwirksamen- Abtretung an die Klägerin ausgezahlt worden waren.

Die Steuerpflichtige Frau S reichte im Zusammenhang mit einer Betriebsübernahme eine Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat September 1980 mit einer negativen Umsatzsteuerschuld in Höhe von 44.590 DM beim FA ein.

Sie trat diesen Umsatzsteuererstattungsanspruch an die Klägerin ab. Die dem FA eingereichte Abtretungsanzeige entspricht nicht der in § 46 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) vorgeschriebenen Form (amtlich vorgeschriebener Vordruck). Das FA überwies den Erstattungsbetrag unter Hinweis auf die Abtretung seitens Frau S auf dem Überweisungsträger an die Klägerin. Nachdem sich herausgestellt hatte, daß die Betriebsübernahme nicht zur Durchführung gelangen würde, änderte das FA mit Bescheid vom 18. Dezember 1980 gegenüber Frau S die Umsatzsteuervorauszahlungsschuld für September 1980 auf 0 DM ab. Es forderte von der Klägerin durch Rückforderungsbescheid vom 9. Dezember 1980 den ihr überwiesenen Umsatzsteuererstattungsbetrag von 44.590 DM zurück. Der Einspruch und die Klage der Klägerin gegen den Rückforderungsbescheid, mit denen diese geltend machte, die Rückzahlung könne nur von Frau S verlangt werden, blieben erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1983, 388 veröffentlicht.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs des FA gegen die Klägerin bejaht.

1. Ist eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 AO 1977 an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Für die Finanzverwaltung ergibt sich aus dieser Vorschrift ein öffentlich-rechtlicher Rückforderungsanspruch, wenn der Rechtsgrund für eine Steuererstattung von Anfang an fehlt oder später weggefallen ist. Er ist als Ausdruck eines übergeordneten und allgemein herrschenden Prinzips, daß derjenige, der vom Staat auf Kosten der Allgemeinheit etwas erhalten hat, grundsätzlich verpflichtet ist, das Erhaltene zurückzuzahlen, von der Rechtsprechung und Rechtslehre bereits vor Inkrafttreten der AO 1977 anerkannt worden (vgl. Urteil des Senats vom 12. November 1985 VII R 119/81, BFH/NV 1986, 642, 643).

Der Rückforderungsanspruch richtet sich gegen den "Leistungsempfänger", der in Fällen, in denen an dem Erstattungsvorgang mehrere Personen beteiligt waren, mit dem Empfänger der Zahlung (Überweisung) nicht identisch sein muß (vgl. BFH-Urteil vom 22. August 1980 VI R 102/77, BFHE 131, 371, BStBl II 1981, 44, 46, 47, und Beschluß des Senats vom 8. April 1986 VII B 128/85, BFHE 146, 229, BStBl II 1986, 511, 513). Der BFH hatte Gelegenheit, über verschiedene Rückforderungssachverhalte, in denen der Erstattungsbetrag an einen Dritten ausgezahlt worden war, zu entscheiden. Er ist dabei hinsichtlich der Person des Leistungsverpflichteten - auch für den hier maßgeblichen Fall der Abtretung - zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.

a) In seinem Urteil vom 20. März 1964 (HFR 1964, 462; Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 150, Rechtsspruch 17) hat der V. Senat des BFH einen Rückforderungsanspruch des FA gegen einen Zessionar, dem vom Steuerpflichtigen (Zedenten) ein nicht bestehender Erstattungsanspruch abgetreten und an den die Auszahlung erfolgt war, abgelehnt. Er hat ausgeführt, der Rückforderungsanspruch betreffe als umgekehrter Erstattungsanspruch das Rechtsverhältnis zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen und müsse daher gegen den Steuerpflichtigen geltend gemacht werden. Dagegen hat der VI. Senat entschieden, daß das FA, das einen durch Fälschung von Lohnsteuerbescheinigungen erschlichenen Erstattungsbetrag an einen Dritten auszahlt, an den der angebliche Erstattungsanspruch abgetreten wurde (Zessionar), seinen Rückforderungsanspruch gegen den Zessionar geltend machen kann (Urteil vom 29. Juni 1978 VI R 20/77, BFHE 125, 343, BStBl II 1978, 608).

Das von der vorstehend zitierten Entscheidung des V. Senats des BFH abweichende Ergebnis rechtfertigt der VI. Senat damit, daß im Fall des V. Senats ein wirksames Steuerschuldverhältnis bestanden habe, während in seinem Falle nur ein durch Täuschung vom FA irrig angenommenes Steuerschuldverhältnis vorgelegen habe.

Nach einer neueren Entscheidung des BFH entsteht, wenn das FA ohne rechtlichen Grund an einen am Steuerschuldverhältnis unbeteiligten Dritten leistet, durch die fehlgeleitete Zahlung ein ausschließlich auf Beseitigung der unrechtmäßigen Zahlung gerichtetes Steuerschuldverhältnis und mit dem Zugang der fehlgeleiteten Zahlung ein Anspruch auf Rückzahlung gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 (Urteil vom 18. Juni 1986 II R 38/84, BFHE 146, 519, BStBl II 1986, 704). Dagegen wird der Zahlungsempfänger dann nicht als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 angesehen, wenn er lediglich als Vertreter, Bote oder Zahlstelle für den nach dem Steuerrecht Erstattungsberechtigten aufgetreten ist (Urteil in BFHE 131, 371, BStBl II 1981, 44 - anders beim Strohmann -), oder wenn - worauf sich auch die Revision beruft - das FA aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungsberechtigten an einen Dritten ausgezahlt hat (Beschluß in BFHE 146, 229, BStBl II 1986, 511; Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 37 AO 1977 Anm. 71). Der Rückforderungsanspruch des FA bei rechtsgrundloser Erstattung richtet sich in den letztgenannten Fällen gegen den Vertretenen bzw. gegen den anweisenden angeblichen Erstattungsberechtigten.

b) Für den im Streitfall vorliegenden Fall der Abtretung eines Steuererstattungsanspruchs und der Auszahlung des Erstattungsbetrages an den Abtretungsempfänger (Zessionar) wird im Schrifttum überwiegend die Auffassung vertreten, daß sich der Rückforderungsanspruch des FA bei rechtsgrundloser Erstattung - auch im Rahmen eines bestehenden Steuerschuldverhältnisses (anders der V. Senat des BFH, vgl. oben) - gegen den Zessionar richtet. Dieser wird als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 angesehen, weil das FA willentlich an ihn geleistet hat und er den ohne rechtlichen Grund ausgezahlten Betrag aus eigenem - erworbenen - Recht erhalten hat (vgl. Tiedtke, Der Rückforderungsanspruch des FA als erneuter Steueranspruch, Finanz-Rundschau - FR - 1980, 1 ff.; Offerhaus, a.a.O., § 37 AO 1977 Anm. 74; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 37 AO 1977 Tz. 31; Schwarz, Abgabenordnung, § 37 Anm. 15 a; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 37 Anm. 6; a.A. Drenseck, Das Erstattungsrecht der AO 1977, S. 85, 86). Der erkennende Senat schließt sich dieser auch vom FG vertretenen Auffassung an, deren Gültigkeit für den Fall der Wirksamkeit der Abtretung auch von der Klägerin nicht ernsthaft in Zweifel gezogen wird.

Seit dem Inkrafttreten der AO 1977 ist der Rückforderungsanspruch (Erstattungsanspruch des FA) als selbständiger Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis geregelt (vgl. § 37 Abs. 1 und 2 AO 1977). Er hat zum Ziel, zu Unrecht auf Kosten der Allgemeinheit erfolgte Vermögensverschiebungen rückgängig zu machen. Ist eine Steuererstattung ohne rechtlichen Grund an einen Zessionar erfolgt, so besteht kein Grund, diesen vor dem Rückforderungsanspruch des FA zu schützen, denn der Zessionar hatte im Wege der Abtretung von vornherein nur eine vermeintliche Forderung erworben. Da er in die Rechtsstellung des Zedenten eingetreten ist, ist es gerechtfertigt, ihn als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 anzusehen.

Dies gilt nicht nur, wie der BFH in seinem Urteil in BFHE 125, 343, BStBl II 1978, 608 entschieden hat, für Rückforderungsansprüche infolge vorgetäuschter Steuerschuldverhältnisse, sondern auch dann, wenn zwischen dem FA und dem Zedenten (vermeintlichen Erstattungsgläubiger) ein wirksames Steuerschuldverhältnis besteht. Wenn auch der Rückforderungsanspruch als umgekehrter Erstattungsanspruch bezeichnet werden kann, so ist er doch jetzt ein eigenständig geregelter Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und als solcher nicht identisch mit dem ursprünglichen Steueranspruch (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 37 AO 1977 Tz. 30). Es ist deshalb rechtlich nicht zu begründen, daß der Rückforderungsanspruch bei Bestehen eines Steuerschuldverhältnisses nur gegen den ursprünglichen Steuerpflichtigen, den Zedenten, geltend gemacht werden könnte (zum vorstehenden Absatz vgl. Tiedtke, FR 1980, 1 ff., der darauf hinweist, daß auch nach dem Bereicherungsrecht des BGB der Abtretungsempfänger in Anspruch zu nehmen wäre). Die der Rechtsauffassung des Senats entgegenstehende Entscheidung des V. Senats in HFR 1964, 462, StRK, Reichsabgabenordnung, § 150, Rechtsspruch 17 veranlaßt nicht zu einer Vorlage der Rechtsfrage an den Großen Senat des BFH (§ 11 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), da sie zur Rechtslage vor der Geltung des § 37 Abs. 2 AO 1977 ergangen ist; im übrigen wäre die Anrufung des Großen Senats wegen Divergenz unzulässig, weil die Entscheidung des V. Senats kein sog. S-Urteil war (§ 184 Abs. 2 Nr. 5 FGO i.V.m. § 64 der Reichsabgabenordnung - AO -; ebenso v. Bornhaupt, Betriebs-Berater - BB - 1978, 1398, 1399). Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob der im Streitfall zurückgeforderte Erstattungsbetrag auf einem (wirksamen) Steuerschuldverhältnis zwischen der Zedentin und dem FA beruhte.

2. a) Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin muß in den Fällen der rechtsgrundlosen Erstattung an den Abtretungsempfänger der Rückforderungsanspruch des FA auch dann gegen den Zessionar geltend gemacht werden, wenn die Abtretung - wie im Streitfalle - wegen Formmangels der Abtretungsanzeige nach § 46 Abs. 2 und 3 AO 1977 unwirksam ist (ebenso: Offerhaus, a.a.O., § 37 AO 1977 Anm. 74; Tipke/Kruse, a.a.O., § 37 AO 1977 Tz. 31). Die Unwirksamkeit der Abtretung ändert nichts daran, daß der Zessionar Leistungsempfänger geworden ist. Er ist, wenn die Abtretung an ihn nicht wirksam geworden ist, gegenüber dem Rückforderungsanspruch des FA um so weniger schutzwürdig, als er nunmehr aus einem doppelten Grund - gegenüber dem FA und gegenüber dem Zedenten - kein Recht hat, den Erstattungsbetrag zu behalten. Die Revision irrt, wenn sie meint, mangels Wirksamkeit der Abtretung bestehe kein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis zum FA. Ein solches entsteht, wie der BFH im Urteil in BFHE 146, 519, BStBl II 1986, 704 entschieden hat, bereits mit der fehlgeleiteten Zahlung an einen am ursprünglichen Steuerschuldverhältnis unbeteiligten Dritten; es ist in diesem Falle ausschließlich auf die Beseitigung der unrechtmäßigen Vermögensverschiebung gerichtet.

b) Der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 gegen die Klägerin als Zessionarin steht nicht entgegen, daß der zuständige Beamte des FA den Formmangel der Abtretungsanzeige erkannt, das FA also in Kenntnis der Unwirksamkeit der Abtretung des Erstattungsanspruchs an die Klägerin gezahlt hat (ebenso Klein/Orlopp, a.a.O., § 37 Anm. 6).

Die in § 46 Abs. 3 AO 1977 vorgeschriebene formalisierte Abtretungsanzeige soll die Zedenten - insbesondere Lohnsteuerpflichtige - davor schützen, ihre Erstattungsansprüche unüberlegt, zu unangemessenen Bedingungen oder an unseriöse Zessionare abzutreten; darüber hinaus soll sie dem FA die Bearbeitung der Erstattungsanträge erleichtern (Urteil des Senats vom 25. Juni 1985 VII R 195/82, BFHE 144, 2, 5, BStBl II 1985, 572, m.w.N.). Dieser auf den Zedenten und das FA beschränkte Schutzzweck ist auch zu beachten, wenn das FA in Kenntnis der Unrichtigkeit der Abtretungsanzeige an den Zessionar leistet. Nach § 46 Abs. 5 AO 1977 (ebenso § 409 Abs. 1 Satz 1 BGB) müssen Abtretender und Abtretungsempfänger der Finanzbehörde gegenüber die angezeigte Abtretung gegen sich gelten lassen, auch wenn sie nicht erfolgt oder nicht wirksam ist. Das FA braucht also die Wirksamkeit der Abtretung nicht zu prüfen. Es kann, wenn ihm die Abtretung angezeigt ist, grundsätzlich auch dann mit befreiender Wirkung an den Abtretungsempfänger leisten, wenn es positiv weiß, daß die Abtretungsanzeige nicht der vorgeschriebenen Form entspricht oder die Abtretung aus sonstigen Gründen unwirksam ist (vgl. Klein/Orlopp, a.a.O., § 46 Anm. 7; Tipke/Kruse, a.a.O., § 46 AO 1977 Tz. 7).

Gegen dieses Ergebnis wird zwar im Schrifttum eingewendet, das FA bedürfe nicht des Schutzes des § 46 Abs. 5 AO 1977, wenn es die Fehlerhaftigkeit der Abtretungsanzeige erkannt hat (vgl. Offerhaus, a.a.O., § 46 AO 1977 Anm. 32; Urban, Anzeige der Abtretung nach § 46 Abs. 2 AO und Schutzwirkung des § 46 Abs. 5 AO, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1980, 329). Diese Einwendungen betreffen aber allein das Verhältnis des FA zum Zedenten (Altgläubiger): Diesem gegenüber soll das FA nicht frei werden, wenn es trotz Kenntnis der Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der Abtretung an den Zessionar leistet. Der Zessionar kann sich aber - wie das FG zu Recht erkannt hat - nicht auf eine fehlerhafte Ermessensausübung des FA berufen, wenn der Erstattungsbetrag der Abtretungsanzeige entsprechend an ihn ausgezahlt worden ist. Er ist - wie oben ausgeführt worden ist - weder in den Schutzzweck der formalisierten Abtretungsanzeige einbezogen noch gilt der Schutzgedanke des § 46 Abs. 5 AO 1977, der hier eingeschränkt auszulegen sein mag, ihm gegenüber (vgl. Klein/Orlopp, a.a.O., § 46 Anm. 7). Das FA kann deshalb, gerade wenn ihm der Schuldnerschutz nach § 46 Abs. 5 AO 1977 nicht zugute kommt, den erstatteten Betrag nach § 37 Abs. 2 AO 1977 von dem nicht berechtigten Abtretungsempfänger zurückfordern (vgl. Offerhaus, a.a.O., § 46 AO 1977 Anm. 32).