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BFH-Urteil vom 7.12.1988 (II R 115/88) BStBl. 1989 II S. 302

Ein Parkhaus, das ein Unternehmer nahe seinem Warenhaus errichtet hat und hinsichtlich dessen er duldet, daß es während der Öffnungszeit von jedermann unentgeltlich zum Parken benutzt werden darf, ist kein dem öffentlichen Verkehr unmittelbar dienendes Bauwerk im Sinne der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 3 Buchst. a GrStG, weil es nicht durch Widmung und Indienststellung zu einer (rechtlich) öffentlichen Sache geworden ist (Abweichung von den Urteilen des III. Senats vom 11. November 1970 III R 55/69, BFHE 100, 325, BStBl II 1971, 32, und vom 14. November 1980 III R 23/78, BFHE 132, 475, BStBl II 1981, 355).

GrStG 1973 § 4 Abs. 3 Buchst. a, § 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Aktiengesellschaft, hatte im Jahre 1977 in X nahe ihrem Warenhaus (nur durch eine öffentliche Straße von ihm getrennt) ein Parkhaus errichtet. Für das Parkhausgrundstück hatte das Finanzamt (FA) den Grundsteuermeßbetrag auf den 1. Januar 1979 durch Bescheid vom 24. Juni 1982 auf 2.047,85 DM festgesetzt.

Im Dezember 1982 beantragte die Klägerin, das Parkhausgrundstück ab 1. Januar 1982 grundsteuerfrei zu lassen. Seit diesem Zeitpunkt diene das Parkhaus unmittelbar dem öffentlichen Verkehr im Sinne der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 3 Buchst. a des Grundsteuergesetzes (GrStG) 1973, denn es dürfe während der Öffnungszeiten (die denen des Warenhauses angepaßt seien) von jedermann unentgeltlich zum Parken benutzt werden. Das FA lehnte den Antrag ab.

Das Finanzgericht (FG) hingegen hat antragsgemäß den ablehnenden Verwaltungsakt aufgehoben und das FA verpflichtet, den erwähnten Grundsteuermeßbescheid vom 24. Juni 1982 mit Wirkung ab 1. Januar 1982 aufzuheben. Ab diesem Zeitpunkt sei für den ganzen Steuergegenstand ein Befreiungsgrund eingetreten (§ 4 Nr. 3 Buchst. a GrStG), infolgedessen der Grundsteuermeßbescheid vom 24. Juni 1982 gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a GrStG aufzuheben. Es hat sich hierbei gestützt auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. November 1970 III R 55/69 (BFHE 100, 325, 327, BStBl II 1971, 32, ergangen zu § 4 Nr. 9 Buchst. a GrStG 1951 und betreffend die Ladestraßen eines Bahnhofsgrundstücks) und auf das BFH-Urteil vom 14. November 1980 III R 23/78 (BFHE 132, 475, 477, BStBl II 1981, 355, ergangen zu § 4 Nr. 9 Buchst. a GrStG 1951 und betreffend einen Ölbinnenhafen). Es hat die Revision zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.

Mit seiner Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 4 Nr. 3 Buchst. a GrStG. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Aufgehoben werden muß das Urteil des FG, weil es auf unrichtiger Anwendung des § 4 Nr. 3 Buchst. a GrStG beruht. Diese Vorschrift lautet:

§ 4

Sonstige Steuerbefreiungen

Soweit sich nicht bereits eine Befreiung nach § 3 ergibt, sind von der Grundsteuer befreit

...

3. a) die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen, Wege, Plätze, Wasserstraßen, Häfen und Schienenwege sowie die Grundflächen mit den diesem Verkehr unmittelbar dienenden Bauwerken und Einrichtungen, zum Beispiel Brücken, Schleuseneinrichtungen, Signalstationen, Stellwerke, Blockstellen.

Unrichtig angewendet hat das FG diese Befreiungsvorschrift insofern, als es angenommen hat, das bezeichnete Parkhausgrundstück diene dem öffentlichen Verkehr schon deshalb, weil jeder Verkehrsteilnehmer das Parkhaus unentgeltlich zum Parken seines Kraftfahrzeugs benutzen dürfe, auch wenn er nicht beabsichtige, das benachbarte Warenhaus der Klägerin zu besuchen oder dort etwas zu kaufen.

Die dahingehende Rechtsauffassung ließ sich zwar den vom FG angeführten Urteilen des III. Senats des BFH entnehmen. Denn dort ist ausgeführt, "daß eine Straße immer dann dem öffentlichen Verkehr dient, wenn auf der Straße tatsächlich ein öffentlicher Verkehr im Sinne des Straßenverkehrsrechts stattfindet, d.h., wenn die Straße tatsächlich ohne Beschränkung auf bestimmte, mit dem Verfügungsberechtigten in enger Beziehung stehende Personen zugänglich ist und auch tatsächlich so benutzt wird"; die öffentlich-rechtliche Widmung sei weder erforderlich, noch für sich allein ausreichend (BFHE 100, 325, 327; 132, 475, 477).

An der in jenen Urteilen vertretenen Rechtsauffassung hält der erkennende und nunmehr für die Grundsteuer zuständige Senat jedoch nicht fest. Denn sie würde infolge ihrer Anknüpfung an das Straßenverkehrsrecht zu einer starken Ausweitung des Anwendungsbereichs der Befreiungsvorschrift führen. Das stünde nicht in Einklang mit der Absicht des Gesetzgebers, "die Befreiungen möglichst eng zu halten" (Begründung zum GrStG, RStBl 1937, 717, rechte Spalte unten). Auch würde jene Rechtsauffassung nicht dem Sinn der Befreiung entsprechen (s. unten).

Der erkennende Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1, § 121, § 101 Satz 1 FGO).

Die Verpflichtungsklage ist abzuweisen.

Das FA ist nicht verpflichtet, den Grundsteuermeßbetrag auf den 1. Januar 1979 mit Wirkung ab 1. Januar 1982 gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a GrStG aufzuheben. Denn ein Befreiungsgrund ist nicht eingetreten. Das Parkhaus ist kein dem öffentlichen Verkehr unmittelbar dienendes Bauwerk im Sinne der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 3 Buchst. a GrStG, weil es nicht durch Widmung und Indienststellung zu einer (rechtlich) öffentlichen Sache im Sinne des Straßenrechts geworden ist. Es genügt nicht für die Grundsteuerbefreiung, daß der Eigentümer im Rahmen seiner Verfügungsmacht (§ 903 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) das Parkhaus während der Öffnungszeiten unentgeltlich zum Parken benutzen und dadurch die Fahrwege und Abstellflächen des Parkhauses zu (tatsächlich) öffentlichen Verkehrsflächen im Sinne des Straßenverkehrsrechts werden läßt. Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht sind unterschiedliche Gesetzgebungsmaterien mit unterschiedlichen Zielsetzungen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 9. Oktober 1984 2 BvL 10/82, BVerfGE 67, 299, 314).

Sinn und Zweck der Befreiung gebieten, bei der Beurteilung, ob das Parkhaus der Klägerin unmittelbar dem öffentlichen Verkehr dient, an das Straßenrecht, nicht an das Straßenverkehrsrecht anzuknüpfen. Denn Grundgedanke der Befreiung ist: Verkehrsflächen, Bauwerke und Einrichtungen, die unmittelbar dem öffentlichen Verkehr dienen, sollen von der Grundsteuer befreit sein, weil sie zwangsläufig privatwirtschaftlicher Nutzung entzogen bleiben. Diesem Grundgedanken der Befreiung würde es widersprechen, wenn die Befreiungsvorschrift auch auf Grundflächen angewendet werden würde, auf denen zwar ein (tatsächlich) öffentlicher Verkehr stattfindet, dieser Verkehr aber nicht Selbstzweck ist, sondern nur Mittel zum Zweck, nämlich Funktion im Rahmen eines auf nachhaltige, wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen gerichteten Unternehmens, wie z.B. bei Parkplätzen, Parkhäusern, Tiefgaragen von Warenhäusern und Übernachtungsbetrieben, bei Zufahrten zu Laderampen, Tankstellen und Autowaschanlagen und bei Gaststättenparkplätzen. Denn in solchen Fällen würde der Grundbesitz nicht zwangsläufig privatwirtschaftlicher Nutzung entzogen bleiben, sondern würde im Gegenteil die Leistungskraft des funktionell verbundenen, mit dem Warenhaus (der Gaststätte o.ä.) bebauten Grundstücks steigern. Gerade aber auf diese durch den Besitz sog. fundierten Einkommens vermittelte Leistungskraft zielt wirtschaftlich die Grundsteuer (BVerfG-Beschluß vom 6. Dezember 1983 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325, 353).

Die Gesetzesentwicklung bestätigt dieses Auslegungsergebnis. Das GrStG vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, 986, RStBl 1936, 1154) enthielt in § 4 Nr. 9 Buchst. a eine Befreiung für "die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen, Wege, Plätze, Brücken, künstlichen Wasserläufe, Häfen und Schienenwege". Für ihre Ausgestaltung war der Gedanke maßgebend, die Befreiung möglichst eng zu halten. Die Grundsteuer gehöre zu den Unkosten, mit denen jeder Grundstückseigentümer normalerweise ebenso rechnen müsse wie mit anderen Ausgaben, die sich aus dem Grundbesitz ergeben (z.B. Wassergeld, Müllabfuhrgebühr, Schornsteinfegerkosten usw.). Außerdem sei zu berücksichtigen, daß die Grundsteuer eine reine Gemeindesteuer sei und die Gemeinden zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf den Ertrag dieser Steuer ganz besonders angewiesen seien. Entscheidend für die Befreiung seien nicht die Eigentumsverhältnisse am Grundbesitz, sondern allein die Benutzungsart der angeführten Gegenstände (Gesetzesbegründung RStBl 1937, 717, 718, 720). Nach der Benutzungsart ließ sich schon damals unterscheiden: Benutzung der Gegenstände zum Wohle der Allgemeinheit und ihre Benutzung im Interesse Einzelner. Nur ihre Benutzung zum Wohle der Allgemeinheit sollte Grundsteuerfreiheit zur Folge haben.

Durch das Gesetz zur Reform des Grundsteuerrechts vom 7. August 1973 (BGBl I 1973, 965, BStBl I 1973, 586) wurde die Befreiungsvorschrift neu gefaßt, um Unstimmigkeiten zu beseitigen, eine bessere Systematik zu erreichen und Vorschriften der Grundsteuer-Durchführungsverordnung in das Gesetz zu übernehmen. Straßen, Wege, Plätze, Schienenwege, Wasserstraßen, Häfen usw. sollten aber "auch weiterhin in gleichem Umfang wie bisher steuerfrei" sein (Bericht des Finanzausschusses vom 25. April 1973, BTDrucks 7/485 S. 4 i.V.m. der Begründung zum Entwurf eines Zweiten Steuerreformgesetzes vom 4. Mai 1972, BTDrucks VI/3418 S. 78, 80).

Der III. Senat des BFH hatte, noch bevor er die beiden vom FG angeführten abweichenden Urteile fällte, im gleichen Sinne wie hier entschieden, daß für die Beurteilung, ob ein Grundstück "als Straße, Weg oder Platz dem öffentlichen Verkehr dient, ... entscheidend ist ... die Widmung für den öffentlichen Verkehr" (BFH-Urteil vom 6. Oktober 1961 III 48/60 S, BFHE 74, 132, 135, BStBl III 1962, 51, ergangen zu § 4 Nr. 9 Buchst. a GrStG 1951, und betreffend ein Grundstück, das eine Erbengemeinschaft einer Stadtgemeinde überlassen hatte für eine der Allgemeinheit zugängliche Grünanlage).