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BFH-Urteil vom 19.1.1989 (V R 176/83) BStBl. 1989 II S. 308

Zwecks Ausstellung der Ursprungsbescheinigung i.S. des § 8 Abs. 1 und 2 BerlinFG hat der Senator für Wirtschaft, Berlin, in den Fällen des § 1 Abs. 6 Nr. 5 BerlinFG zu prüfen, ob der antragstellende Berliner Unternehmer bei Erbringung der sonstigen Leistung ausschließlich oder zum wesentlichen Teil in Berlin (West) tätig geworden ist. Der Senator für Wirtschaft ist nicht berechtigt, die Ausstellung der Ursprungsbescheinigung mit der Begründung abzulehnen, der Berliner Unternehmer sei kein Werbungsmittler, betreibe keine Werbeagentur oder gehöre nicht zu den entsprechenden Unternehmen der Öffentlichkeitsarbeit (§ 1 Abs. 6 Nr. 5 BerlinFG).

BerlinFG i.d.F. vom 22. Dezember 1978 § 8 Abs. 1 und 2, § 1 Abs. 6 Nr. 5.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) bezeichnen sich als Unternehmensberater. Sie betätigen sich u.a. auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit. Im Mai 1979 erteilte ein Verein zur Förderung der Wirtschaft den Auftrag, die Öffentlichkeitsarbeit für ein in Berlin abzuhaltendes Symposium durchzuführen. Die Leistungen sollten umfassen: Pressemitteilungen und Kurzmeldungen an die Tages- und Fachpresse sowie andere Medien, Vorbereitung und Durchführung einer Pressekonferenz einschließlich Zusammenstellung von Presseunterlagen, Abhaltung einer Presseschlußbesprechung, Pressebetreuung während des Symposiums, Schlußbericht mit Pressespiegel. Für diese Leistungen erhielten die Kläger ein Honorar von X DM.

Zum Zwecke des Nachweises, daß sie ausschließlich oder zum wesentlichen Teil in Berlin (West) tätig geworden seien (§ 1 Abs. 6 Nr. 5 des Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft - BerlinFG - i.d.F. der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1978), beantragten die Kläger beim Beklagten und Revisionskläger, dem Senator für Wirtschaft, Berlin, (Beklagter) eine Ursprungsbescheinigung gemäß § 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BerlinFG. Der Beklagte lehnte die Erteilung der Ursprungsbescheinigung ab. Zur Begründung führte er u.a. aus: Die Kläger seien keine den Werbungsmittlern und Werbeagenturen entsprechenden Unternehmer der Öffentlichkeitsarbeit i.S. des § 1 Abs. 6 Nr. 5 BerlinFG. Auch hätten sie keine Leistungen erbracht, die üblicherweise von Werbemittlern, Werbeagenturen oder entsprechenden Unternehmern der Öffentlichkeitsarbeit erbracht würden.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit der Revision rügt der Beklagte Verletzung des § 1 Abs. 6 Nr. 5 BerlinFG. Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verpflichtet, die begehrte Ursprungsbescheinigung auszustellen.

Die Verpflichtung des Beklagten zur Ausstellung der Ursprungsbescheinigung ergibt sich bereits aus einem gegenüber der Urteilsbegründung des FG vorrangigen Gesichtspunkt. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG ist der Nachweis, daß ein Gegenstand in Berlin (West) hergestellt oder eine Werkleistung in Berlin (West) ausgeführt worden ist, durch eine Ursprungsbescheinigung zu führen, die der Senator für Wirtschaft, Berlin, auf Antrag des Berliner Unternehmers ausstellt. Gemäß Absatz 3 Satz 2 der Vorschrift ist der Senator ermächtigt, von den beteiligten Unternehmern Angaben und Unterlagen zur Ermittlung des Tatbestands sowie über die Höhe der Berliner Wertschöpfung zu verlangen. Für die sonstigen Leistungen i.S. des § 1 Abs. 6 BerlinFG gilt § 8 Abs. 1 BerlinFG entsprechend (§ 8 Abs. 2 BerlinFG). Die entsprechende Anwendung im Falle des § 1 Abs. 6 Nr. 5 BerlinFG bedeutet: Durch die Ursprungsbescheinigung ist der Nachweis zu führen, daß der Berliner Unternehmer ausschließlich oder zum wesentlichen Teil in Berlin (West) tätig geworden ist. Nur zur Ermittlung dieses Tatbestandes kann der Senator für Wirtschaft Unterlagen verlangen. Die Regelung des § 6a BerlinFG über die Berliner Wertschöpfung ist für den Fall des § 1 Abs. 6 Nr. 5 BerlinFG ohne Bedeutung. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig und auch das FG ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß die Kläger ausschließlich in Berlin (West) tätig waren. Der Beklagte war daher verpflichtet, die Ursprungsbescheinigung auszustellen.

Die vom Beklagten in Anspruch genommene und vom FG ohne nähere Erörterung unterstellte Berechtigung des Senators für Wirtschaft, sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 6 Nr. 5 BerlinFG zu prüfen, ist mit dem Gesetz nicht vereinbar. Dieses umfassende Prüfungsrecht des Senators für Wirtschaft hat das FG Berlin (Urteile vom 9. September 1971 I 82/71, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1972, 106, und vom 4. April 1974 I 90/71, EFG 1974, 405) mit der Begründung angenommen, es widerspreche Sinn und Zweck des Gesetzes, einem Unternehmer den Anspruch auf die Ursprungsbescheinigung zuzuerkennen, obwohl bereits feststehe, daß er keinen Anspruch auf die umsatzsteuerrechtliche Vergünstigung habe (Urteil in EFG 1972, 106) bzw. wenn die weiteren Voraussetzungen der Steuervergünstigung offensichtlich nicht vorlägen (Urteil in EFG 1974, 405). Sönksen/Söffing (Berlinförderungsgesetz, § 8 Rdnr. 31) bejahen die Ablehnungsbefugnis des Senators für Wirtschaft, wenn das Fehlen einer Voraussetzung offensichtlich ist (vgl. FG-Berlin in EFG 1974, 405). In Sölch/Ringleb/List (Umsatzsteuergesetz, 4. Aufl., § 8 BerlinFG, Bem. 11) wird angenommen, daß sich das Prüfungsrecht auf die Frage beschränke, ob die Leistungen i.S. des § 1 Abs. 6 BerlinFG in Berlin (West) ihren Ursprung haben, und ein weitergehendes Prüfungsrecht unter Hinweis auf die funktionelle Zuständigkeit der Finanzämter (FÄ) für die Prüfung eines Steueranspruchs zu verneinen sei.

Der Senat vertritt die Ansicht, daß die Prüfungskompetenz des Senators für Wirtschaft auf die Frage nach dem Ursprung der sonstigen Leistung beschränkt ist. Der Beklagte begründet seine gegenteilige Ansicht damit, die Ursprungsbescheinigung weise nicht nur die "Herstellung" (eines Gegenstands) "in Berlin" nach, sondern auch den Umstand, daß es sich um einen "Gegenstand" handele (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG). Nach Auffassung des Beklagten ist der Satz 1 der Vorschrift unter Betonung auch des Wortes Gegenstand zu lesen (Der Nachweis, daß ein Gegenstand in Berlin (West) hergestellt ... worden ist, ist ... zu führen). Im Rahmen der entsprechenden Anwendung des Satzes 1 auf die sonstigen Leistungen i.S. des § 1 Abs. 6 BerlinFG (§ 8 Abs. 2 BerlinFG) setzt der Beklagte an die Stelle des Wortes "Gegenstand" die Worte "eine sonstige Leistung i.S. des § 1 Abs. 6" (Der Nachweis, daß eine sonstige Leistung im Sinne des §1 Abs. 6 in Berlin (West) ausgeführt ... worden ist, ist ... zu führen). Daraus leitet er ab, daß die Ursprungsbescheinigung auch die Art der sonstigen Leistung (und zwar als eine solche i.S. des § 1 Abs. 6 BerlinFG) feststelle und deshalb dem Senator für Wirtschaft ein entsprechendes Prüfungsrecht zustehen müsse.

Dieses Auslegungsergebnis widerspricht dem Kontext der Vorschrift sowie dem systematischen Zusammenhang, in den sie gestellt ist. Aus der Verwendung des Ausdrucks "Ursprungsbescheinigung" in der amtlichen Überschrift und im Text des § 8 Abs. 1 BerlinFG ergibt sich, daß die vom Senator für Wirtschaft auszustellende Bescheinigung den Nachweis über den "Ursprung" des gelieferten Gegenstandes bzw. der ausgeführten Werkleistung erbringt. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 BerlinFG hat der Antragsteller zu versichern, daß die Voraussetzungen "der Herstellung in Berlin (West)" erfüllt sind. Diese Wortwahl des Gesetzgebers drückt die Beschränkung der Ursprungsbescheinigung auf den örtlichen Bezug des Nachweises aus.

Der systematische Zusammenhang des § 8 BerlinFG ergibt sich aus dem Konditionalsatz in § 1 Abs. 1 Satz 1 letzter Satzteil BerlinFG ("wenn die Gegenstände in Berlin (West) hergestellt worden sind ...") und aus der Definition der "Herstellung in Berlin (West)" in § 6 BerlinFG. Aus dem Zusammenhang dieser drei Vorschriften ist erkennbar, daß das Gesetz in § 1 Abs. 1 das Tatbestandsmerkmal "Herstellung in Berlin (West)" aufstellt, dieses in § 6 Abs. 1 und 2 definiert und sodann in § 8 den entsprechenden Nachweis regelt. Der Begriff Gegenstand wird hingegen nicht definiert (es werden in § 4 BerlinFG lediglich Kürzungen für bestimmte Gegenstände nicht gewährt). Da dem Gesetzgeber offensichtlich insoweit auch keine Problematik erkennbar war, kann nicht angenommen werden, daß er in § 8 BerlinFG den Nachweis auch der Gegenstandseigenschaft mit entsprechendem Prüfungsrecht des Senators für Wirtschaft geregelt hat. Bezieht sich aber der Nachweis in § 8 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG nur auf den Ort der Herstellung, kann in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift für die sonstigen Leistungen des § 1 Abs. 6 BerlinFG (§ 8 Abs. 2 BerlinFG) nichts anderes gelten (obwohl an sich wegen der enumerativen Aufzählung der begünstigten sonstigen Leistungen in § 1 Abs. 6 BerlinFG eine besondere rechtliche Prüfungsnotwendigkeit besteht). Zudem lautet z.B. der dem § 1 Abs. 1 Satz 1 letzter Satzteil BerlinFG entsprechende Konditionalsatz in dem im Streitfall maßgeblichen § 1 Abs. 6 Nr. 5 BerlinFG: "wenn der Unternehmer hierbei ausschließlich oder zum wesentlichen Teil in Berlin (West) tätig geworden ist". Auf dieses Tatbestandsmerkmal bezieht und beschränkt sich die Ursprungsbescheinigung und das entsprechende Prüfungsrecht des Senators für Wirtschaft.

Schließlich spricht die in § 8 Abs. 1 Satz 4 BerlinFG zugelassene Gestattung der Selbstausstellung der Ursprungsbescheinigung gegen das vom Beklagten beanspruchte Prüfungsrecht. Die vom Senator für Wirtschaft bzw. von dem Berliner Unternehmer selbst ausgestellten Ursprungsbescheinigungen sind hinsichtlich des Umfangs ihres Nachweises gleich. Es kann nicht Zielsetzung des Gesetzgebers gewesen sein, daß durch eine weitgehende Übertragung von Befugnissen von einer Behörde auf Privatpersonen es dem einzelnen Unternehmer überlassen werden könnte, über das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 6 BerlinFG Nachweise auszustellen. Der Beklagte räumt dies indirekt ein, indem er die Selbstausstellung bei sonstigen Leistungen i.S. des § 1 Abs. 6 BerlinFG nur gestattet, wenn sich keine Abgrenzungsprobleme ergeben.

§ 10 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d BerlinFG gibt - entgegen der Ansicht des Beklagten - für die Streitfrage nichts her. Zwar ist in dieser Vorschrift verbal die "Art der sonstigen Leistung" mit der "Ursprungsbescheinigung" verknüpft. Daß die Ursprungsbescheinigung aber nur über den Ort der Herstellung bzw. der Ausführung der Werkleistung Nachweis erbringen soll, ergibt sich aus Buchst. b derselben Vorschrift. Infolge entsprechender Anwendung gemäß § 8 Abs. 2 BerlinFG gilt dies auch für sonstige Leistungen.

Der Senat teilt nicht die Befürchtung des Beklagten, es entstehe die Gefahr mißbräuchlicher Verwendung der Ursprungsbescheinigung, wenn er - der Beklagte - diese bei sonstigen Leistungen ohne Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 6 BerlinFG auszustellen habe. Dieser Gefahr könnte durch einen Hinweis in der Ursprungsbescheinigung begegnet werden, wonach diese nur den Nachweis darüber erbringt, daß der Unternehmer in Berlin (West) tätig geworden ist. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen für die Umsatzsteuervergünstigung offensichtlich nicht gegeben, kann die Ausstellung der Ursprungsbescheinigung abgelehnt werden (vgl. auch Entscheidung des FG Berlin in EFG 1974, 405; Sönksen/Söffing, a.a.O., § 8 Rdnr. 31). Denn ein Anspruch auf Tätigwerden einer Behörde besteht nicht, wenn kein rechtliches Interesse des Antragstellers erkennbar ist.

Das vom Senat gefundene Auslegungsergebnis ist entgegen der Ansicht des Beklagten, der sich zudem auf eine langjährige Verwaltungspraxis beruft, verwaltungsorganisatorisch sinnvoll. Es verhindert eine doppelte Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 6 BerlinFG sowohl durch den Senator für Wirtschaft als auch durch das FA. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber der Prüfung durch den Senator für Wirtschaft lediglich den Charakter einer Vorprüfung geben wollte. Das Auslegungsergebnis des Senats verhindert auch widersprüchliche Gerichtsentscheidungen. Derartige Widersprüche könnten andernfalls entstehen, wenn nach einer Ablehnung durch den Senator für Wirtschaft eine ihn verpflichtende Gerichtsentscheidung und nach einer nachfolgenden Ablehnung durch das FA eine diese bestätigende Gerichtsentscheidung erlassen würde. Die Ansicht des Beklagten greift zudem in die funktionelle Zuständigkeit der FÄ ein. Diese sind gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) für die Verwaltung der Steuern zuständig. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen eindeutig und klar umrissen sein.

Eine Ablehnungsbefugnis des Senators für Wirtschaft nähme dem Unternehmer die Chance, eine positive Entscheidung durch das zuständige FA zu erhalten. Dieser Gesichtspunkt gilt auch gegenüber der für die Gegenansicht herangezogenen Erwägung des FG Berlin (EFG 1972, 106), daß über den Anspruch auf Erteilung der Ursprungsbescheinigung das gleiche Gericht entscheide (§ 8 Abs. 4 BerlinFG), das auch über die Berechtigung des umsatzsteuerrechtlichen Kürzungsanspruchs befinde.

Soweit der erkennende Senat in früheren Entscheidungen von einem erweiterten Prüfungsrecht des Senators für Wirtschaft ausgegangen sein sollte, hält er nicht mehr daran fest. Einer Anfrage beim X. Senat oder einer Anrufung des Großen Senats wegen Abweichung von Entscheidungen des X. Senats bedarf es nicht, weil der erkennende Senat seit dem 1. Januar 1989 allein für die Entscheidung der vorliegenden Rechtsfrage zuständig ist.