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BFH-Urteil vom 13.1.1989 (VI R 51/85) BStBl. 1989 II S. 382

Hat ein Arbeitnehmer seinem vorgesehenen Arbeitgeber zur Erlangung eines Arbeitsplatzes eine Kaution geleistet oder ein unverzinsliches Darlehen gegeben, so kann der Verlust der Forderung beim Arbeitnehmer zu Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit führen.

 EStG § 9 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1985, 342)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger ist Angestellter eines Unternehmens in F. Im Jahre 1972 bewarb er sich um die Stelle eines Vorstandsmitglieds bei der neu gegründeten Vereinigung ... e.V. Der Aufsichtsrat der Vereinigung schlug den Kläger als Vorstand vor. Zwischen der Vereinigung und dem Kläger wurde jedoch nicht sogleich ein Anstellungsvertrag geschlossen, weil der Kläger noch Fragen im Zusammenhang mit seinem bestehenden Arbeitsverhältnis klären mußte. Es wurde aber bereits eine Kautionszahlung in Höhe von 20.000 DM vereinbart und vom Kläger geleistet; die Bedingungen der Kaution im einzelnen sollten später festgelegt werden.

Da der Kläger erkrankte, kam es nicht mehr zum Abschluß des Anstellungsvertrags. Im Jahre 1972 nahm er statt dessen das Angebot an, Berater von Vorstand und Aufsichtsrat der Vereinigung zu werden. Nach eigenen Angaben ist er in dieser Funktion auch tätig geworden; Einnahmen daraus bezog er jedoch nicht.

Im Zusammenhang mit der Aufgabe der geplanten Vorstandstätigkeit einigten sich die Vereinigung und der Kläger nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) darauf, daß die Kautionszahlung der Vereinigung darlehensweise überlassen werden sollte. Die Vereinigung räumte dem Kläger dafür eine Option auf einen Vorstandsposten ein.

Im November 1974 mußte die Vereinigung ihre Geschäftstätigkeit einstellen; ab November 1975 wurde sie liquidiert. Die Liquidationsschlußbilanz vom 31. Dezember 1976 ergab einen Verlust. Mangels entsprechender Mittel zahlte die Vereinigung dem Kläger den Betrag von 20.000 DM nicht zurück.

Nachdem der Kläger erfolglos versucht hatte, die Zahlung des Betrages für 1972 als Werbungskosten geltend zu machen und auch die Abschreibung der Forderung im Rahmen einer Gesellschaft zwischen ihm und seiner Frau, der Klägerin, nicht anerkannt worden war, machte er den Forderungsverlust für 1976 als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte dies ab.

Das FG wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 342 veröffentlichten Gründen zurück. Das FG führte im wesentlichen aus:

Zwar sei die (zinslose) Hingabe des Kautionsbetrages durch die vorgesehene Arbeitstätigkeit des Klägers als Vorstandsmitglied veranlaßt gewesen. Trotzdem komme eine Berücksichtigung des Forderungsverlustes als Werbungskosten nicht in Betracht. Denn die Forderung des Klägers sei ein Vermögensgegenstand gewesen; Veränderungen im Vermögensbereich seien aber grundsätzlich keine Werbungskosten, sondern einkommensteuerrechtlich unbeachtlich. Dieser Grundsatz werde nur durch § 9 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG durchbrochen. Beide Ausnahmen lägen hier nicht vor. Absetzungen für Abnutzung (AfA) seien nicht möglich. Die Forderung sei kein abnutzbarer Gegenstand, ihre Entwertung daher keine außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 4 EStG. Mit dem Untergang der Forderung seien auch keine Aufwendungen für ein Arbeitsmittel entstanden, da eine Darlehensforderung kein Arbeitsmittel sei. Selbst wenn man die Darlehensforderung als Arbeitsmittel ansehen würde, wären im Jahre 1976 keine Aufwendungen dafür entstanden. Denn bei einem Forderungsverlust werde nichts aufgewendet.

Ein Verlust aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit sei dem Kläger ebenfalls nicht entstanden. Der Zusammenhang der Forderung mit der geplanten nichtselbständigen Tätigkeit sei nicht dadurch gelöst worden, daß der Kläger den Plan aufgegeben und die Forderung dennoch (als Darlehen) bestehen gelassen habe. Denn er habe offensichtlich keine andere Wahl gehabt, weil der Schuldner das Geld benötigt habe und zur sofortigen Rückzahlung nicht in der Lage und bereit gewesen sei. Im übrigen sei ein Zusammenhang des Forderungsverlustes mit Einkünften aus Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit nicht festzustellen. Die Beratertätigkeit, auf die sich der Kläger berufe, falle nicht unter diese Einkunftsarten, weil sie nicht darauf gerichtet gewesen sei, Einnahmen (und Gewinne) zu erzielen. Einnahmen seien während der ganzen Zeit nicht zugeflossen. Es seien auch keine konkreten Anhaltspunkte vom Kläger dafür beigebracht worden oder sonst ersichtlich, daß Einnahmen daraus alsbald zu erwarten gewesen wären.

Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung der Ermittlungspflicht des FG und einen Verstoß gegen die §§ 9 Abs. 1 und 19 EStG.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie des Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung den angefochtenen Einkommensteuerbescheid in der Form der Einspruchsentscheidung dahin abzuändern, daß der Verlust des Betrages von 20.000 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt wird.

Das FA beantragt im wesentlichen unter Bezugnahme auf die Begründung des FG, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Es kann dahinstehen, ob die Verfahrensrüge ordnungsgemäß erhoben worden und ob sie begründet ist. Denn die Kläger haben mit ihren materiellen Angriffen Erfolg. Die Ausführungen, mit denen das FG die Berücksichtigung des Forderungsverlustes als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit abgelehnt hat, halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Der Senat tritt dem FG darin bei, daß die Hingabe des Kautionsbetrages durch die vorgesehene Tätigkeit des Klägers als Vorstandsmitglied beruflich veranlaßt war.

Zutreffend ist das FG ebenfalls davon ausgegangen, daß es sich bei einer Forderung der hier vorliegenden Art, die ein Arbeitnehmer gegen seinen vorgesehenen Arbeitgeber hat, nicht um ein Arbeitsmittel i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG handelt. Denn die Forderung dient nicht unmittelbar der Erledigung der übernommenen Arbeit (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1986 VI R 227/83, BFHE 147, 161, BStBl II 1986, 771).

Der Senat folgt dem FG auch darin, daß der Forderungsverlust nicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 7 EStG als Werbungskosten berücksichtigt werden kann.

Zu beanstanden ist jedoch die Annahme der Vorinstanz, daß Vermögensverluste bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nur im Rahmen der beiden vorerwähnten Vorschriften Berücksichtigung finden könnten. Vielmehr kommt auch § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als Grundlage für die Berücksichtigung von Werbungskosten in diesem Zusammenhang in Betracht.

Der in dieser Vorschrift verwandte Begriff der Aufwendungen ist nicht auf den Abfluß von Geld beschränkt, sondern umfaßt auch den Abfluß aller Güter in Geldeswert (BFH-Urteil vom 19. Januar 1982 VIII R 102/78, BFHE 135, 434, BStBl II 1982, 533), also allgemein auch Vermögensminderungen, die im Rahmen einer gesetzlichen Einkunftsart eintreten (v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr. B 17, m.w.N.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Abfluß mit oder ohne Willen oder Kenntnis des Steuerpflichtigen erfolgt (v. Bornhaupt, a.a.O.).

Es ist deshalb in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, daß Aufwendungen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG auch Substanzverluste sein können, die den Arbeitnehmer unfreiwillig treffen (sog. Zwangsaufwendungen). Allerdings ist in diesen Fällen eine ausreichende berufliche Veranlassung nur gegeben, wenn der Verlust des Wirtschaftsguts entweder bei der beruflichen Verwendung eingetreten ist (Urteil in BFHE 147, 161, BStBl II 1986, 771) oder die Einwirkung aus in der Berufssphäre liegenden Gründen erfolgt ist (BFH-Urteil vom 19. März 1982 VI R 25/80, BFHE 135, 479, BStBl II 1982, 442; vgl. zum Ganzen auch Schmidt/Drenseck, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., § 9 Anm. 2 k).

Ein Verlust aus beruflicher Verwendung kommt mithin in Betracht, wenn der Arbeitnehmer eine Kaution oder ein unverzinsliches oder niedrig verzinsliches Darlehen verliert, das er dem Arbeitgeber zur Sicherung seines Arbeitsplatzes gegeben hat (v. Bornhaupt, a.a.O., § 9 Rdnr. B 700 "Aufwendungen zur Arbeitsplatzsicherung"). Dieser Rechtsauffassung steht nicht das BFH-Urteil vom 19. Oktober 1982 VIII R 97/79 (BFHE 137, 418, BStBl II 1983, 295) entgegen. Dort hat der BFH entschieden, daß ein angemessen verzinstes Darlehen, das der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegeben hat, auch dann eine Kapitalforderung ist, wenn es zur Sicherung des Arbeitsplatzes geleistet worden ist. Die Frage, ob für ein niedrig verzinstes oder unverzinsliches Darlehen dasselbe gelte, hat der VIII. Senat ausdrücklich offengelassen. Da es sich im vorliegenden Fall um eine unverzinsliche Forderung handelt, weicht der erkennende Senat nicht von der vorerwähnten Entscheidung ab. Er kann es seinerseits offenlassen, ob er der vorstehenden Auffassung des VIII. Senats des BFH folgen könnte.

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht. Da die Sache nicht spruchreif ist, muß sie gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

Das FG wird bei seiner erneuten Verhandlung festzustellen haben, ob zwischen dem Verlust des streitigen Betrages und der ursprünglich vom Kläger in Aussicht genommenen Tätigkeit als Vorstandsmitglied ein ausreichender Zusammenhang besteht. Das FG wird im einzelnen aufklären müssen, warum die Kaution nicht zurückgefordert worden ist, als sich die Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied zerschlagen hatte, warum also überhaupt eine Novation vorgenommen worden ist und welche Vereinbarungen bei dieser Gelegenheit über die Rückzahlung des Betrages getroffen worden sind. Nur wenn zu diesem Zeitpunkt noch ein ursächlicher Zusammenhang mit der ursprünglich beabsichtigten Tätigkeit als Vorstandsmitglied, etwa in der Weise bestand, daß die Rückzahlung im Zeitpunkt der Novation aus tatsächlichen Gründen nicht zu erreichen war, kommt eine Berücksichtigung als Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit in Betracht. Schließlich wird das FG ggf. noch Feststellungen zum Zeitpunkt des Werbungskostenabzugs zu treffen haben. Denn grundsätzlich kann der Kläger den Abzug nur in dem Jahr geltend machen, in dem für ihn die Wertlosigkeit der Forderung erkennbar war.