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BFH-Urteil vom 23.11.1988 (I R 11/88) BStBl. 1989 II S. 391

1. Der Begriff "Frieden" ist im Begriff der "Völkerverständigung" in § 52 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 enthalten und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung; der Satzungszweck "Förderung des Friedens" ist in der Regel gemeinnützig.

2. Eine Körperschaft fördert auch dann ausschließlich den Frieden, wenn sie gelegentlich zu tagespolitischen Themen im Rahmen ihres Satzungszweckes Stellung nimmt. Entscheidend ist, daß die Tagespolitik nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft ist oder wird, sondern der Vermittlung der Ziele der Körperschaft dient (Anschluß an BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844).

3. Die Herausgabe einer Druckschrift, die für einen breiten Interessentenkreis bestimmt ist, kann wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb (Zweckbetrieb) i.S. des § 65 AO 1977 sein.

AO 1977 §§ 52, 56, 60, 65.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein eingetragener Verein. Er bezweckt gemäß seiner Satzung, durch seine Mitglieder Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Er hat die "Aufgabe

Ergebnisse der für die Friedenserziehung relevanten Wissenschaften - insbesondere der Friedensforschung - mit praktischer Arbeit zu vermitteln,

die Zusammenarbeit von Personen und Gruppen, die für den Frieden arbeiten wollen, zu erleichtern,

friedenspädagogische Projekte anzuregen, durchzuführen und zu unterstützen,

Probleme des Friedens und Unfriedens in der Öffentlichkeit bewußt zu machen,

mit Pädagogen im schulischen und außerschulischen Bereich zusammenzuarbeiten und sie zu unterstützen" (§ 2 der Satzung).

Der Kläger besitzt eine Bibliothek und eine Dokumentation zu dem Problem Frieden. In unregelmäßigen Abständen gibt der Kläger Literaturübersichten zur Friedensthematik und sog. ... Beiträge zur Friedensforschung und -erziehung heraus und verkauft -überwiegend von ihm selbst verlegte und herausgegebene - Bücher; er hält Material, Videobänder, Diapositive und Tonbänder zur obigen Thematik zum Verleihen bereit und vermittelt interessierten Fachgruppen sachkundige Referenten zur Gestaltung eigenständiger Veranstaltungen.

Der Kläger betätigte sich in den Streitjahren 1981, 1983 und 1984 umfassend auf Themengebieten, die sich mit Herstellen bzw. Pflege und Bewahrung dessen, was als Frieden verstanden werden kann, befassen. Er wurde von den unterschiedlichsten Gruppen und Vereinigungen, kirchlichen und wissenschaftlichen Kreisen angegangen, wendete sich aber auch an diese, ohne daß eine parteipolitisch umschriebene Präferenz seiner Aktivitäten und Initiativen erkennbar war. Inhaltlich betrafen seine Aktivitäten und Veranstaltungen Themen geschichtlichen Charakters, nationaler und internationaler Prägung, ästhetischer Ausgestaltung und schließlich solche zu tagespolitischen Problemen.

Mit Schreiben vom 13. April 1983 widerrief der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die für die Veranlagungszeiträume 1978 und 1979 gewährte Anerkennung des Vereins als gemeinnützig und erließ die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide.

Der Einspruch des Klägers gegen diese Bescheide blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und sah die Voraussetzungen, unter denen dem Kläger Körperschaftsteuerbefreiung gewährt werden konnte, als erfüllt an.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Bescheide über die Vorauszahlungen auf die Körperschaftsteuer 1983 und 1984 und den Körperschaftsteuerbescheid 1981 sowie die Einspruchsentscheidungen vom 27. November 1984 aufgehoben. Der Kläger diente in den Streitjahren nach seiner Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken. Er war deshalb von der Körperschaftsteuer befreit (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes 1977 - KStG 1977 -).

1. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 1977 sind von der Körperschaftsteuer befreit Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen.

a) Eine Körperschaft verfolgt nach §§ 52 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) gemeinnützige Zwecke, wenn die Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Als Förderung der Allgemeinheit sind nach § 52 Abs. 2 AO 1977 insbesondere (u.a.) anzuerkennen

Nr. 2 die Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, ... Kultur ... Völkerverständigung.

b) Die Satzungszwecke und die Art ihrer Verwirklichung müssen so genau bezeichnet sein, daß aufgrund der Satzung die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung geprüft werden können (§ 60 Abs. 1 AO 1977; sog. formelle Satzungsmäßigkeit; Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482 unter 3.; vom 29. August 1984 I R 203/81, BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844; vom 9. Juli 1986 I R 14/82, BFH/NV 1987, 632).

2. Der Zweck und die Art seiner Verwirklichung sind in der Satzung des Kläger (§ 2) hinreichend genau i.S. des § 60 AO 1977 bestimmt. Der Satzung ist aus der Aufzählung der Aktivitäten zu entnehmen, in welcher Form die Bemühungen des Vereins, den Frieden zu fördern, verwirklicht werden sollen.

3. Zutreffend hat das FG den Satzungszweck des Klägers "Förderung des Friedens" als gemeinnützigen i.S. des § 52 AO 1977 gewertet.

a) Der Begriff Frieden ist im Katalog des § 52 Abs. 2 AO 1977 nicht enthalten. Es kann dahinstehen, ob dieser Begriff Bestandteil der Bildung, Erziehung und Kultur ist. Jedenfalls ist er im Begriff der Völkerverständigung enthalten und Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Das Zusammenleben in der Völkergemeinschaft muß sich zum Zwecke der Völkerverständigung in der heutigen Zeit auf den gemeinsamen Willen der Völker zum Frieden gründen. Zudem wird der Frieden wissenschaftlich in der noch jungen Disziplin der Friedensforschung untersucht, indem der Begriff methodisch nach sachlichen Gesichtspunkten in seinen Ursachen erforscht, begründet und in einen Verständniszusammenhang gebracht wird (zur wissenschaftlichen Tätigkeit vgl. BFH-Urteil vom 30. März 1976 VIII R 137/75, BFHE 118, 473, BStBl II 1976, 464).

b) Eine Beschäftigung mit dem Frieden fördert die Allgemeinheit i.S. des § 52 Abs. 1 AO 1977 auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet. Materielle Werte decken den Bereich des wirtschaftlichen Lebensstandards ab, während mit Geistigem und Sittlichem der ideelle Bereich, der Bereich der Vernunft und des Schöngeistigen, angesprochen wird (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 52 AO 1977 Tz. 5).

Fördern bedeutet, daß etwas vorangebracht, vervollkommnet oder verbessert wird. Diese Förderung muß der Allgemeinheit dienen (vgl. BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482).

Dazu hat das FG - für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) - festgestellt, daß der Kläger in den Streitjahren eine umfangreiche Fachbibliothek bereithielt, sich an Seminaren und Zusammenkünften zum Thema Frieden beteiligte, fachkundige Referenten vermittelte und Literaturberichte und Untersuchungen zur Friedensthematik herausgab. Mit diesen satzungsmäßigen Tätigkeiten hat der Kläger die Allgemeinheit auf geistigem und sittlichem Gebiet gefördert.

c) Die Völkerverständigung ist eine wesentliche Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben aller Menschen. Das FG hat - entgegen der Ansicht des FA - nicht verkannt, daß durch das Herbeiführen von Konflikten Denkprozesse in Gang gesetzt werden können, die die Entwicklung einer Gemeinschaft fördern. Jedoch dient das Vermeiden von Konflikten durch Erforschung der Ursachen in höherem Maße der Verbesserung des gesellschaftlichen Bewußtseins. Die Notwendigkeit des friedlichen Zusammenlebens in der Völkergemeinschaft ist angesichts des zur Zeit bestehenden militärischen Vernichtungspotentials offenkundig. Ernsthafte Versuche, die der Kläger mit seinen Tätigkeiten unternahm, diese Konflikte offenzulegen, darüber zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten, sind auch dann gemeinnützig, wenn sie in der politischen Wirklichkeit nicht erfolgreich sind. Weder ist Erfolg Voraussetzung für die Gemeinnützigkeit, noch setzt § 52 Abs. 1 AO 1977 eine Vollendung der Förderung voraus (Urteil in BFHE 127, 330, 337, BStBl II 1979, 482).

4. Der Kläger war entgegen der Auffassung des FA ausschließlich i.S. des § 56 AO 1977 für seine Satzungszwecke tätig.

a) Ausschließlichkeit ist gegeben, wenn eine Körperschaft nur ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verfolgt (BFH-Urteil vom 29. August 1984 I R 203/81, BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844; vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 56 AO 1977 Tz. 1). Eine völlig wertneutrale Tätigkeit der Körperschaft ist nicht zu verlangen. Es kann vielmehr im Interesse der Förderung gemeinnütziger Zwecke liegen, wenn eine Körperschaft bei Verfolgung ihrer satzungsmäßigen Zwecke gelegentlich auch zu einem besonders wichtigen Gegenstand der allgemeinen Politik Stellung bezieht (Urteil in BFHE 142, 51, 56 bis 57, BStBl II 1984, 844).

b) Dazu hat das FG festgestellt, daß der Kläger in den Streitjahren nur im Rahmen seines satzungsmäßigen Zwecks (Förderung des Friedens) tätig war. Seine Beschäftigung mit politischen Vorgängen lag im Rahmen dessen, was das Eintreten des Klägers für seine satzungsmäßigen Ziele und deren Verwirklichung erforderte und zuließ. Der Kläger vertrat nach den Feststellungen des FG (trotz zum Teil drastischer Sprechweise) objektiv und sachlich fundierte Auffassungen zu seinen satzungsmäßigen Zwecken und zu den damit zusammenhängenden Problemen; er verhielt sich parteipolitisch neutral.

c) Die Würdigung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Eintreten des Klägers für den Frieden war weder unmittelbar noch allein auf das politische Geschehen und die staatliche Willensbildung gerichtet. Daß der Kläger seine Auffassung "mit praktischer Arbeit" vermittelte, "Probleme des Friedens und Unfriedens in der Öffentlichkeit bewußt machte" (§ 2 der Satzung) und sie damit auch Politikern nahebrachte, beseitigt nicht die Ausschließlichkeit seiner gemeinnützigen Bestrebungen. Eine unmittelbare Einwirkung auf politische Parteien und auf die staatliche Willensbildung tritt in solchen Fällen gegenüber der allgemeinen Förderung des Friedens weit in den Hintergrund und ist insbesondere für die steuerrechtliche Wertung nach Umfang und Erfolg kaum zu erfassen. Eine andere Beurteilung hätte wegen des weiten Begriffs der Politik (vgl. Urteil in BFHE 142, 51, 56 bis 57, BStBl II 1984, 844) zur Folge, daß gemeinnützige Zwecke bei fast jeder Körperschaft ausgeschlossen wären, die bei ihrer satzungsgemäßen Tätigkeit aktuelle politische Fragen berührt. Dies kann nach dem geltenden Gemeinnützigkeitsrecht nicht Rechtens sein (vgl. Urteil in BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844).

Der Kläger konnte auch - entgegen der Ansicht des FA - gelegentlich zu tagespolitischen Themen im Rahmen seines Satzungszwecks Stellung nehmen. Entscheidend ist, daß die Tagespolitik nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft ist oder wird, sondern der Vermittlung der Ziele der Körperschaft dient. Das ist im Streitfall gegeben. Dies folgt aus den insoweit bindenden Feststellungen des FG. Die Darstellung der Friedensproblematik anhand von tagespolitischen Themen ließ den Satzungszweck des Klägers weit wirksamer werden als eine abstrakte Behandlung des Problems.

5. Das FG hat zutreffend angenommen, daß bezüglich des Verkaufs von Druckerzeugnissen für das Streitjahr 1981 die Voraussetzungen eines Zweckbetriebes i.S. des § 65 AO 1977 vorlagen.

a) Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist Zweckbetrieb, wenn er in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die satzungsmäßigen Zwecke einer Körperschaft zu verwirklichen, wenn dessen Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können und der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlichen Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 AO 1977; vgl. BFH-Urteile vom 20. Juni 1988 V B 82/87, nicht veröffentlicht; vom 13. August 1986 II R 246/81, BFHE 147, 299, BStBl II 1986, 831; vom 21. August 1985 I R 60/80, BFHE 145, 33, BStBl II 1986, 88; vom 21. August 1985 I R 3/82, BFHE 145, 40, BStBl II 1986, 92).

b) Zu diesen Voraussetzungen hat das FG festgestellt, daß der Kläger bei Veranstaltungen etc. begleitend taugliches Unterrichtsmaterial darbot, die Thematik der Druckschriften sich im Rahmen der satzungsmäßigen Zwecke hielt und der Kläger nicht in größerem Umfang als nach seinem Satzungsziel unvermeidbar in Wettbewerb zum allgemeinen Buchhandel trat.

c) Der Senat teilt nicht die Auffassung des FA, im Rahmen des § 65 AO 1977 dürfe die Körperschaft nur vereinsinterne Nachrichten für die Vereinsmitglieder herausgeben, eine Druckschrift aber, die für einen breiten interessierten Kreis bestimmt sei, widerspreche dem Begriff des Zweckbetriebes. Entscheidend ist, wie der BFH in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BFHE 147, 299, 302, BStBl II 1986, 831) festgelegt hat, daß die steuerbegünstigten Zwecke ohne die wirtschaftliche Betätigung nicht erreichbar wären und deshalb potentielle Konkurrenten, die der Besteuerung unterliegen, dies aus übergeordneten Gesichtspunkten hinzunehmen haben.

Der Zweck des Vereins, Probleme des Friedens und Unfriedens in der Öffentlichkeit bewußt zu machen, kann - begleitend zu Veranstaltungen - nur durch Herausgabe von Schriften verwirklicht werden. § 65 AO 1977 soll nicht, wie das FA meint, die Herausgabe von "Vereinsnachrichten" steuerlich begünstigen. Andernfalls wäre § 65 Nr. 3 AO 1977 als Abgrenzungsmerkmal überflüssig; dort wird ein möglicher Wettbewerb vorausgesetzt, der bei einer so beschränkten Tätigkeit undenkbar wäre. Die Tatsache, daß ein breiter interessierter Kreis angesprochen werden kann, ergibt sich bereits aus der Notwendigkeit, die Allgemeinheit zu fördern (§ 52 AO 1977).

6. Ob das FG angesichts der Höhe des Umsatzes aus dem Vertrieb von Druckerzeugnissen in den Streitjahren 1983 und 1984 zu Recht einen Zweckbetrieb bejaht hat, kann hier dahinstehen. Das FA wird dies in der Veranlagung der Körperschaftsteuer 1983 und 1984 zu prüfen haben. Der Kläger ist durch die auf 0 lautenden Vorauszahlungsbescheide insoweit nicht beschwert. Eine Beschwer liegt nur in der Aberkennung der Gemeinnützigkeit.