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  BFH-Urteil vom 11.10.1989 (II R 147/85) BStBl. 1990 II S. 188

Nicht der Grunderwerbsteuer unterliegt ein mit einem genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen geschlossener, notariell beurkundeter "Bewerbervertrag", dessen erklärter Sinn es ist, die Beziehungen zwischen dem künftigen Erwerber und dem Wohnungsunternehmen bis zum Abschluß eines Kaufvertrags über eine Eigentumswohnung festzulegen und in dem sich beide Vertragsteile gegenseitig verpflichten, einen Kaufvertrag nach Muster abzuschließen, sobald der Erwerber die ihm obliegenden Leistungen erbracht hat.

GG Art. 103 Abs. 1; GrEStG NW § 1 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 Satz 1, § 126 Abs. 4; AO 1977 § 38.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Die Kreis-, Wohnungs- und Siedlungsgenossenschaft G e.G. (e.G.) beabsichtigte, auf ihrem Grundstück in G, S-Straße, ein Gebäude mit 24 Wohnungen zu errichten und gemäß § 8 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) das Eigentum an dem Grundstück in Miteigentumsanteile in der Weise zu teilen, daß mit jedem Anteil das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung verbunden ist. Sie schloß am 11. Oktober 1978 mit dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) einen notariell beurkundeten "Bewerber-Vertrag", nach dessen Inhalt für den Kläger die Wohnungen Nr. 10 (66 qm) und Nr. 11 (78 qm) vorgesehen waren. Erklärter Sinn des Bewerbervertrages war es, "die Beziehungen zwischen den künftigen Erwerbern und dem Wohnungsunternehmen bis zum Abschluß eines Kaufvertrages festzulegen". Beide Vertragsteile verpflichteten sich in dem Bewerbervertrag gegenseitig, einen Kaufvertrag nach Muster abzuschließen, sobald der Bewerber die ihm obliegenden Leistungen erbracht hat oder hierüber anderweitige Vereinbarungen getroffen sind und prämienrechtliche Bestimmungen nicht entgegenstehen. Zeit, Ort und Urkundsperson sollte die e.G. nach billigem Ermessen bestimmen.

Am 16. April 1981 erklärten die Vertragsbeteiligten vor dem Notar die Auflassung hinsichtlich der Eigentumswohnungen Nr. 10 und Nr. 11. Den Erwerb der Eigentumswohnung Nr. 10 hielt das Finanzamt (FA) für grunderwerbsteuerfrei gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977 (GrEStEigWoG), weil der Kläger versichert hatte, die Wohnung werde von seiner Mutter bewohnt werden. Den Erwerb der Eigentumswohnung Nr. 11 hingegen hielt es nicht für steuerfrei nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStEigWoG, weil nach den Angaben des Klägers die Wohnung von seiner Tante bewohnt werden sollte und diese nicht - wie § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStEigWoG voraussetzt - "in gerader Linie" mit dem Kläger verwandt sei. Es setzte aufgrund des Vertrags vom 16. April 1981 durch Bescheid vom 30. Juni 1981 die Grunderwerbsteuer auf 10.354 DM fest.

Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, nicht die am 16. April 1981 erklärte Auflassung, sondern der am 11. Oktober 1978 abgeschlossene Bewerbervertrag sei der für die Besteuerung maßgebende Vorgang gewesen. Denn schon jenes Rechtsgeschäft habe den Anspruch auf Übereignung begründet (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes Nordrhein-Westfalen - GrEStG NW -). Jener Rechtsvorgang unterliege zwar der Grunderwerbsteuer, sei aber steuerfrei gemäß § 1 Nr. 5 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG), der damals noch gegolten habe.

Das FA wies den Einspruch zurück. Der Kläger habe durch den Bewerbervertrag noch keinen Anspruch gegen die e.G. auf Übereignung der beiden Eigentumswohnungen erlangt, sondern lediglich einen Anspruch gegen die e.G. auf Abschluß eines Kaufvertrags.

Der Kläger hat Klage erhoben und begehrt, den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Das Finanzgericht (FG) hat durch Urteil vom 27. März 1985 die Grunderwerbsteuer auf 10.066 DM herabgesetzt, weil sich der Wert der Gegenleistung um das auf die Eigentumswohnung Nr. 11 entfallende Disagio und die vom Kläger selbst in Auftrag gegebenen Sonderleistungen ermäßige.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG NW, des § 1 Nr. 5 GrEStWoBauG, des § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b GrEStEigWoG, des § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), des § 96 Abs. 2 FGO und des Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).

Er beantragt, das Urteil des FG, den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zurückzuweisen. Zwar ergeben die Entscheidungsgründe eine Verletzung des bestehenden Rechts, die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO).

1. Das FG hat es für rechtlich möglich erachtet, daß der Anspruch auf Übereignung der Eigentumswohnung Nr. 11 "durch mündliche oder auch nur konkludente Abreden zwischen den Vertragsbeteiligten unmittelbar vor oder bei Abgabe der Auflassungserklärung" habe entstehen können, dies aber offenbleiben könne, da bereits die Auflassung als solche gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG NW grunderwerbsteuerpflichtig sei, so daß der Erwerb der Eigentumswohnung entweder gemäß Nr. 1 "oder" gemäß Nr. 2 des § 1 Abs. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliege.

Der Senat kann dieser Auffassung nicht folgen:

a) Nur ein notariell beurkundeter Kaufvertrag über die Eigentumswohnung (genauer: über einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück, verbunden mit dem Sondereigentum an der zu erwerbenden Wohnung Nr. 11) hätte den Anspruch auf Übereignung begründen können (§§ 433, 313 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Ein nicht in dieser Form abgeschlossenes Verpflichtungsgeschäft wäre nichtig gewesen (§ 125 Satz 1 BGB). Zwar wäre es gültig geworden mit Auflassung und Eintragung im Grundbuch, jedoch nicht rückwirkend (§ 313 Satz 2 BGB; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Juli 1989 II R 83/85, BFHE 158, 126, betreffend einen infolge unvollständiger Beurkundung nichtigen Kaufvertrag über eine Grundstücksteilfläche).

b) Die gedankliche Vorstellung des FG, Unsicherheiten im Sachverhalt dürften durch Wahrscheinlichkeitserwägungen und eine im Gesetz nicht vorgesehene Besteuerung aus wahlweisem Besteuerungsgrund überwunden werden, verstößt gegen § 96 Abs. 1 Satz 1, § 76 FGO, § 38 der Abgabenordnung (AO 1977).

Die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen des Klägers (1. Das FG hätte erforschen müssen, ob und ggf. wann mündlich oder konkludent ein Eigentumsübergang verabredet worden sei; 2. das FG habe nicht dahingestellt bleiben lassen dürfen, welche Vorschrift die Grunderwerbsteuerpflicht ausgelöst habe) sind unbegründet, weil sie an eine Rechtsansicht des FG anknüpfen, die das angefochtene Urteil nicht tragen kann.

2. Die Entscheidung selbst stellt sich aus folgenden Gründen als richtig dar:

Der Grunderwerbsteuer unterliegt die Auflassung vom 16. April 1981. Das FG hat keine Tatsachen festgestellt, die den Schluß rechtfertigen könnten, der Auflassung sei ein Rechtsgeschäft vorausgegangen, das den Anspruch auf Übereignung begründet (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG NW).

a) Der Bewerbervertrag war - wie das FG zutreffend dargelegt hat - kein solches Rechtsgeschäft. Für diese Auslegung des Bewerbervertrags sprechen dessen Wortlaut und Sinn, wie er in der notariellen Urkunde vom 11. Oktober 1978 niedergelegt, von den Beteiligten genehmigt und von ihnen unterschrieben worden ist. Dieser Geschehensablauf spricht gegen die vom Kläger in seinem Revisionsschriftsatz geäußerte Ansicht, die Nr. 2.81 des Bewerbervertrags (betreffend die gegenseitige Verpflichtung der Vertragsbeteiligten zum Abschluß eines Kaufvertrags) sei "eine überflüssige Vertragsbestimmung" gewesen.

b) Etwaige mündliche Absprachen zwischen den Vertragsbeteiligten über den Verkauf der Eigentumswohnung Nr. 11 konnten - wie dargelegt - keinen Anspruch auf Übereignung begründen. Daß zeitlich vor der Auflassung ein notariell beurkundeter Kaufvertrag abgeschlossen worden ist, hat weder der Kläger behauptet noch das FG festgestellt.

Der Kläger rügt, sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sei verletzt worden. Das FG habe ihm erstmals in den Urteilsgründen zu erkennen gegeben, daß es die Grunderwerbsteuerpflicht allein auf § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG NW stütze. Zu diesem rechtlichen Gesichtspunkt habe er sich nicht äußern können. Nach dem Verlauf des Verfahrens habe dazu auch keine Veranlassung bestanden, da zwischen den Beteiligten ausschließlich streitig gewesen sei, ob der Bewerbervertrag oder eine danach erfolgte mündliche oder konkludente Vereinbarung als Rechtsgeschäft i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW anzusehen sei. Er sei durch das Urteil des FG überrascht worden.

Die Rüge ist unbegründet.

Gerade weil umstritten war, ob der Bewerbervertrag ein Rechtsgeschäft sei, das den Anspruch auf Übereignung der Eigentumswohnung begründen könne, mußte der Kläger mit der Möglichkeit rechnen, daß das FG diese Frage verneinen und zu der Ansicht kommen würde, Rechtsgrund für die Besteuerung sei die Auflassung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG NW, § 38 AO 1977). Wenn der Kläger es unterließ, zu diesem naheliegenden rechtlichen Gesichtspunkt sich vor Gericht zu äußern, kann er nicht mit Erfolg eine Verletzung seines Rechts auf Gehör geltend machen. Das FG war nicht verpflichtet, dem Kläger die einzelnen für seine Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im voraus anzudeuten (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1986 I R 107/82, BFHE 148, 507, 509, BStBl II 1987, 293).